Er spricht drei Sprachen und gern mit den Händen – Dr. Rudolf Colm: geboren in Italien, österreichischer Pass, Berufssitz Asien, Stammsitz Stuttgart. Als Geschäftsführer von Bosch ist er verantwortlich für die Region Asien-Pazifik. Im karriereführer spricht er über den Wachstumsmotor China, interkulturelle Offenheit und Karrierechancen deutscher Nachwuchskräfte. [Dr. Rudolf Colm war bis zu seinem Ruhestand Ende 2012 Geschäftsführer von Bosch. Aus dieser Zeit stammt dieses Interview.]
Zur Person
Dr. Rudolf Colm, Foto: Bosch
Rudolf Colm wurde 1952 in Mailand geboren, wo er an der Universität Bocconi Volkswirtschaft studierte und zum Dr. rer. oec. pol. promovierte. 1976 startete er seine berufliche Karriere bei Pirelli in Mailand als Referent für strategische Planung und volkswirtschaftliche Analysen. Von 1980 bis 1983 leitete Colm die Abteilung Planung und Kontrolle, Finanzen bei der AEG Telefunken in Mailand.
Seit 1983 war er bei der Robert Bosch- Gruppe, zunächst als Abteilungsleiter in Italien, dann in verschiedenen anderen Funktionen, seit Januar 2004 als Mitglied der Geschäftsführung. Er koordinierte die Aktivitäten in der Asien- Pazifik-Region sowie die Zentralbereiche Einkauf/Logistik und Versicherungen. Zudem war er bis zu seinem Ruhestand Ende 2012 verantwortlich für die Regionalgesellschaft von Bosch in Italien.
Der Volkswirt spricht Italienisch, Deutsch und Englisch. Er ist verheiratet und hat ein Kind.
China ist wirtschaftlich stark im Kommen. Müssen Studenten von heute chinesische Sprachen und Umgangsformen beherrschen, um für den Arbeitsmarkt von morgen gerüstet zu sein?
Chinesisch ist kein Muss. Wer aber im Job viel mit China zu tun hat, sollte sich eingehend mit den Gepflogenheiten im Land beschäftigen. Es hilft, kulturelle Unterschiede besser zu verstehen, um erfolgreicher zu arbeiten. Wer sich zusätzlich nach einer gewissen Zeit im Land einen Basis-Wortschatz aneignet, zeigt Initiative und setzt bei den lokalen Kollegen das richtige Signal.
Wie halten Sie dies in Ihrem Haus?
Bei Bosch bereiten wir Mitarbeiter, die für Projekte oder auch längere Einsätze ins Ausland gehen, in interkulturellen Seminaren und Sprach-Crash-Kursen vor. Sie können sich bei einer Besuchsreise vorab schon mal im Land informieren und erhalten dabei auch Hilfestellung von ihren Kollegen vor Ort.
Wie kann ein Absolvent testen, ob er für die Zusammenarbeit mit chinesischen Geschäftspartnern geeignet ist?
Interkulturelle Offenheit, Neugierde und eine gewisse Grundaffinität zur Kultur und zu den Menschen in China sind Voraussetzung. Wer diese nicht mitbringt, wird wenig Erfolg haben. Zusätzlich braucht man natürlich Sozialkompetenz und die Bereitschaft, sich an das neue Umfeld anzupassen. Eine solche Offenheit und Lernbereitschaft belohnen die Menschen im Land in der Regel mit Vertrauen und Gastfreundschaft. Wichtig ist auch die Fähigkeit zuzuhören. Jemand, der meint, er habe für alles im Voraus schon eine Antwort, wird in China manche Enttäuschung erleben.
Welche Rolle spielt China für die deutsche Wirtschaft?
Die Wachstumsdynamik in China hält weiter an. Das Reich der Mitte hat in den vergangenen drei Jahren rund 150 Milliarden US-Dollar an Direktinvestitionen aus dem Ausland auf sich gezogen und besitzt weiterhin von allen Weltregionen das größte Entwicklungspotenzial. An diesen Investitionen hat bisher Deutschland von allen europäischen Ländern am stärksten partizipiert. Deutsche Unternehmen werden auch am weiteren Wachstum stark teilhaben.
Was bedeutet das für Bosch?
Auch bei Bosch werden wir weiterhin gezielt unsere Chancen nutzen – und zwar in allen Geschäftsfeldern. Dabei hilft, dass wir auf eine langjährige Geschichte im Reich der Mitte zurückblicken können. Als wir 1909 unsere erste Handelsniederlassung gegründet haben, war von Globalisierung noch keine Rede. Heute ist China eines der Kernländer für unser Geschäft in der ganzen Region Asien-Pazifik. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren die Anzahl unserer Fertigungsstandorte in China von zehn auf zwanzig verdoppelt und wollen dort weiter investieren.
Wie wird sich die deutsch-chinesische Beziehung entwickeln?
Wir erwarten, dass sich die beiden Länder zunehmend wirtschaftlich verflechten. In einem gesunden Wettbewerb werden davon alle profitieren können. Deutsche Firmen erschließen derzeit mit Investitionen in China und mit dem Aufbau lokaler Fertigungen neue Märkte, aber auch chinesische Unternehmen werden ihre Chancen in Europa suchen und nutzen. Wir bei Bosch wollen am überdurchschnittlichen Wachstum in China teilhaben, denn unsere Innovationspolitik ist auf Ressourcen- und Umweltschonung ausgerichtet und stimmt mit den Zielen der chinesischen Umweltbehörde überein.
Wie wird sich die Zusammenarbeit mit China auf deutsche Berufseinsteiger und angehende Führungskräfte auswirken?
Mit einer zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung werden auch die geschäftlichen Kontakte in allen Branchen und auf allen Unternehmensebenen zunehmen. Diese Entwicklung wird besondere Chancen für Mitarbeiter bieten, die interkulturelle Kompetenz und Offenheit für andere Kulturen mitbringen und bereits früh Auslandserfahrung gesammelt haben. In China sind besonders Berufseinsteiger mit solidem technischen Know-how gefragt, die schon in jungen Jahren bereit sind, Verantwortung und Führungsaufgaben zu übernehmen. Die Entfernung von Deutschland,die Dynamik des Marktes und der Bedarf, Produkte und Marketingkonzepte an lokale Gegebenheiten anzupassen, erfordern vor allem von jungen Mitarbeitern viel Initiative und Verantwortungsbereitschaft.
Welche Art von Führungskraft ist für diese Aufgabe geeignet?
Führungskräfte müssen beweisen, dass sie auch eine Gruppe von Mitarbeitern aus unterschiedlichsten Kulturen effektiv leiten und Unterschiede nicht als Hindernis, sondern als Mehrwert begreifen können. Dazu brauchen sie unter anderem ein entsprechendes Fingerspitzengefühl – die so genannten Soft Skills, die das Fachwissen ergänzen müssen.
Auf welche anderen Länder sollte man schon heute sein Augenmerk legen?
Auf jeden Fall auf Indien. Dieses Land wird besonders als Fertigungs- und Dienstleistungsstandort, aber auch als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen stark an Bedeutung gewinnen.
Welche Sprachen sollten angehende Berufseinsteiger für den Weltmarkt beherrschen?
Wer international arbeiten will, für den ist fließendes Englisch in Wort und Schrift ein klares Muss. Daran führt kein Weg vorbei. Darüber hinaus ist es von großem Vorteil, mindestens eine weitere Fremdsprache zu beherrschen. Gleichzeitig sollten Berufseinsteiger interkulturelle Kompetenzen aufbauen. Beides lässt sich übrigens am besten in den jeweiligen Ländern selbst erlernen.
Was muss man beherzigen, wenn man es wie Sie in die erste Führungsebene eines Unternehmens schaffen will?
Erforderlich sind breit angelegte Erfahrungen in mindestens zwei Funktionsbereichen, internationale Expertise, permanente Fortbildung, hartes und zielgerichtetes Arbeiten – und ein Quäntchen Glück.
Haben Sie sich während Ihrer Ausbildung außeruniversitär engagiert?
Während meiner Studienzeit war ich dank meiner Doppelsprachigkeit für zahlreiche Unternehmen international als Dolmetscher sehr aktiv und habe mir damit auch mein Studium zum Teil finanziert. Arbeit und Weiterbildung waren für mich immer die oberste Maxime und sind es auch heute noch.
Geboren ist er in Frankreich, gearbeitet hat er in seinem Heimatland, in der Schweiz und in Österreich. Seit 2006 ist Alain Caparros Vorstandsvorsitzender der Rewe Group in Köln und verantwortet unter anderem die Einheiten Discount, National/International und Vollsortiment Ausland. Im karriereführer sprach er über die Faszination Handel, die Veränderungen der Branche und den 1. FC Köln.
Die Fragen stellte Sabine Olschner, aus karriereführer handel Ausgabe 2007.2008
Zur Person Alain Caparros
Alain Caparros, Foto: Rewe Group
Alain Caparros, geboren im September 1956 in Tiaret, ist seit Ende 2006 Vorstandsvorsitzender der Rewe Group. Vorher war er Mitglied des Vorstands der Rewe-Zentral und der Rewe-Zentralfinanz in Köln.
Nach dem BWL-Studium in Saarbrücken und Metz begann der gebürtige Franzose 1981 seine berufliche Laufbahn beim Kosmetikkonzern Yves Rocher, wo er zunächst in verschiedenen Funktionen in Deutschland, der Schweiz und Österreich tätig war. Ab 1991 verantwortete er als Vizepräsident in Paris Strategie und Entwicklung der Gruppe national und international.
1994 wechselte Caparros zum europäischen Discount-Marktführer Aldi und wurde Generaldirektor von Aldi Frankreich. 1999 übernahm er als Vorstandsvorsitzender von Aldis Service Plus ASP die Verantwortung für das in Frankreich führende Unternehmen in der Gastronomie-Belieferung.
Wie wird sich der Handel in den nächsten Jahren verändern?
Der Handel war immer eine dynamische Branche und wird sich auch künftig mit hohem Tempo weiterentwickeln. Maßstab sind die Veränderungen im Konsumverhalten. Hier spielen die bevorstehenden demografischen Veränderungen eine große Rolle: Die Gesamtbevölkerung schrumpft, die Menschen werden älter und weniger mobil. Der Trend zu Ein-Personen-Haushalten hält an. Die Macht der Konsumenten nimmt zu. Fehlverhalten des Handels wird sehr schnell abgestraft. Als einer der führenden Lebensmittelhändler müssen wir uns in einem sich noch verschärfenden Wettbewerb mit unserem klassischen, stationären Vertriebsformen und mit der Entwicklung neuer Vertriebsstrategien darauf einstellen. Die Konzentration wird sowohl im Handel als auch bei den Herstellern zunehmen. Zur Internationalisierung gibt es keine Alternative.
Was bedeutet das für Hochschulabsolventen, die in der Handelsbranche Fuß fassen wollen?
Der Handel bietet durch seine Komplexität, den Wettbewerbsdruck und den Zwang zur absoluten Kundenorientierung breitgefächerte Entwicklungschancen. Wie in der Automobilindustrie heißt es heute auch hier: „ Just-in-Time“. Hochschulabsolventen sollten daher vernetzt und analytisch denken und handeln können, das ist eine unabdingbare Voraussetzung. Aus diesem Grund haben bei uns Quereinsteiger sehr gute Chancen. Ein Unternehmen wie die Rewe Group benötigt nicht nur Volkswirte, Juristen oder Betriebswirtschaftler. Wir wollen junge Menschen mit Phantasie und Kreativität. Denn eines gilt heute wie vor hundert Jahren: Ein Händler braucht Kopf, Herz und Bauch.
Warum hat die Branche eigentlich bei Nachwuchskräften noch immer einen recht schlechten Ruf?
Weil der Lebensmittelhandel nicht in großen Werbeanzeigen suggeriert, ein Lebensgefühl zu verkaufen – so wie zum Beispiel die Auto- oder die Chemieindustrie. Der jedem bekannte „tägliche Einkauf“ speist immer noch das Vorurteil, der Handel biete ausschließlich die Perspektive, Tag aus Tag ein an der Kasse zu sitzen oder Regale einzuräumen. Im Handel zu arbeiten bedeutet natürlich sehr viel mehr. Doch die mit Hochtechnologie hinterlegten Prozessketten sind für die Kunden nicht gleich sichtbar. Auch nicht die Internationalisierung. So ist die Rewe Group bereits in 14 Ländern aktiv. Wir können internationale Karrieren mit einem hohen Maß an Entscheidungsfreiheit, Gestaltungsspielraum und Verantwortung bieten. Wer bei uns hart arbeitet, der kommt rasch vorwärts.
Sie legen bei der Rewe Group großen Wert auf eigenverantwortliches Handeln und unternehmerische Selbstständigkeit. Was bedeutet das konkret für Mitarbeiter und auch Berufseinsteiger?
Die genossenschaftliche Tradition der 1927 gegründeten Rewe Group hat über die Jahrzehnte zu einer Kultur der (Eigen)Verantwortung geführt. (Eigen)Verantwortung gegenüber der gestellten Aufgabe, aber auch gegenüber dem gesamten Unternehmen. Egoistische Karrieristen, die nur auf die nächste Stufe der Aufstiegsleiter blicken sind bei uns falsch.
Welche Tipps können Sie karriereorientierten Hochschulabsolventen geben, die es wie Sie in die oberste Führungsebene schaffen wollen?
Es ist unerlässlich, sich bereits im Studium konkrete Ziele zu stecken und diese auch beim Berufseinstieg konsequent zu verfolgen. Im Handel gehört dazu, sich zunächst Basis-Know-how über die Branche – also in den Märkten, am Point of Sale – anzueignen. Denn auf diesem Wissen bauen sämtliche späteren Tätigkeiten bis hin in die oberen Führungspositionen auf.
Sie haben schon auf diversen führenden Positionen im europäischen Ausland gearbeitet. Welche Voraussetzungen muss man Ihrer Meinung nach für eine Auslandskarriere erfüllen?
In allererster Linie muss man bereit sein, sich mit der Kultur des Landes auseinanderzusetzen. Natürlich sind auch gute Fremdsprachenkenntnisse im internationalen Lebensmittelhandel unerlässlich. Vor dem Hintergrund meiner Biographie kann ich nur raten, Auslandserfahrung durch Praktika oder Auslandssemester zu sammeln sowie neugierig auf andere Kulturen zu sein.
Welche Länder werden für Rewe in Zukunft attraktiv sein?
Die Rewe Group wird in den kommenden Jahren ihre Expansion vor allem in Süd- und Osteuropa konsequent fortsetzen. Die aufstrebenden Volkswirtschaften in diesen Regionen sind sehr interessante Wachstumsmärkte, die allerdings auch hart umkämpft sind.
Werden sich dort auch Chancen für Hochschulabsolventen ergeben?
Grundsätzlich ja. Allerdings achten wir stark darauf, dass die Führungsmannschaft im jeweiligen Land zu einem großen Teil aus Managern besteht, die aus dem Land kommen. Nur durch dieses länderspezifische Wissen sind wir nah genug an unseren Kunden in ganz Europa.
Seit 1994 sind Sie im Lebensmittel-Handel tätig. Warum fasziniert Sie gerade dieser Handelssektor?
Weil wir mit unseren Lebensmitteln ganz dicht am Kunden sind. Wir liefern einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität. Wir müssen uns täglich neu darauf einstellen, unsere Kunden in ihrer millionenfachen Verschiedenheit erneut für uns zu gewinnen. Da ist kein Tag so wie der andere. Was kann es Spannenderes geben?
Zu guter Letzt: Rewe ist neuer Hauptsponsor des 1. FC Köln. Fußball und Handel – wo liegen die Gemeinsamkeiten?
Sowohl im Handel als auch im Fußball ist die Mannschaft der Star. Das heißt nicht, dass es nicht auch Solisten und Individualisten gibt, doch ganz gleich, welche Rolle man spielt, man dient dem großen Ganzen. Und außerdem: der FC gehört genauso zu Köln wie der Dom oder die Rewe Group. Das ist auch ein Stück Verantwortung für das gesellschaftliche Umfeld des eigenen Standortes.
Als Leiter der Strategieberatung Zentraleuropa bei Capgemini lebt Dr. Michael Büttner aus dem Koffer. Mit dem karriereführer sprach der 46-jährige Österreicher über den Traumberuf Berater, das hohe Tempo in der Branche und die notwendige Gelassenheit. Die Fragen stellte Kathrin Baier.
Zur Person
Dr. Michael Büttner, 46 Jahre, studierte Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität in Wien, während seiner Promotion arbeitete er dort als Assistent. Nach seiner Promotion war er bei der Creditanstalt-Bankverein in Wien und bei Degussa in Frankfurt als Vorstandsassistent tätig und leitete dort die strategische Planung für den Geschäftsbereich Industrie- und Feinchemikalien. Von 1990 bis 1992 hat er bei Roland Berger & Partner als Projektleiter den Bereich der umsetzungsorientierten Strategieberatung mit aufgebaut. Danach war er bei Capgemini, damals noch Gemini Consulting München, für große internationale Transformationsprojekte verantwortlich. 1997 baute er das Geschäft in Österreich für Gemini Consulting auf. Nach dem Merger von Gemini Consulting, Capgemini und Ernst & Young übernahm er 2002 die Leitung der Strategieberatung für Zentraleuropa. Der Österreicher ist verheiratet und hat drei Söhne.
Herr Dr. Büttner, was macht ein Strategieberater bei Capgemini?
Er entwickelt im Team mit seinen Kollegen und dem Kunden ein Konzept und begleitet den Kunden bei der Umsetzung, das heißt bei den operativen Änderungen im Unternehmen. Wichtig ist uns bei jedem Projekt die partnerschaftliche und enge Zusammenarbeit mit dem Kunden – nur so kann die Umsetzung eines Programms funktionieren.
Sind Sie eher Berater oder Verkäufer?
Ich fühle mich als Berater. Im Berufsalltag bin ich jedoch sehr stark mit der Kundenakquisition beschäftigt. Im operativen Geschäft arbeite ich zu rund 40 Prozent.
Wo liegen Ihre Branchenschwerpunkte bei der Strategieberatung?
Wir beraten vorwiegend private und öffentliche Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau – auch ich komme aus diesem Bereich. Dazu kommen Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie und Finanzdienstleister. Im Markt gibt es die Tendenz, dass Dienstleistungsunternehmen immer mehr Beratungsleistungen nachfragen.
Beraten Sie Unternehmen speziell für die Expansion in bestimmte Länder?
Wir begleiten Kunden beim Markteintritt in Osteuropa und China. Sie verlagern ihre Produktion immer weiter nach Osten, Dienstleistungen geben sie nach Indien. So outsourcen unsere Kunden zum Beispiel Controlling- und Programmierarbeiten. Sie bei diesen Prozessen zu beraten, ist für mich eine völlig neue Herausforderung.
Thema Neueinstellungen 2006: Wie viele neue Strategieberater suchen Sie?
Wir wollen 45 Strategieberater einstellen, die wir händeringend suchen. Im gesamten Beratungsbereich, also der Managementberatung, suchen wir weitere 150 Berater, ebenfalls händeringend. Die Geschäfte laufen gut. Aber wir wollen bei den Bewerbern keine Abstriche machen, und die Industrie ist heute bei hochqualifizierten Leuten für uns ein großer Konkurrent.
Aus welchen Fachrichtungen suchen Sie Absolventen und Young Professionals?
Capgemini sucht vor allem Kaufleute und Wirtschaftsingenieure. Bewerber mit Berufserfahrung sollten in der Großindustrie gearbeitet haben, da Capgemini fast ausschließlich große Unternehmen als Kunden hat.
Was müssen die künftigen Capgemini-Strategieberater mitbringen?
Sie müssen eine Bandbreite an Kommunikationsstilen beherrschen, das heißt zum Beispiel sowohl mit Vorständen als auch mit Mitarbeitern aus der Produktion reden können. Sie müssen Team- und Begeisterungsfähigkeit sowie ein gewisses Maß an Pragmatismus mitbringen. Ganz wichtig ist Capgemini, dass unsere Berater in entscheidenden Situationen gegenüber unseren Kunden Zurückhaltung an den Tag legen. In meinen Augen sind Bewerber heute weniger ausdauernd und widerstandsfähig als früher. Auch bei Umgangsformen sind junge Leute heute teilweise nachlässiger. Eigenschaften und Verhaltensweisen, an denen man bis Mitte 30 durchaus noch arbeiten kann, was wir bei Capgemini unterstützen.
Haben sich die Anforderungen an den Berater in den vergangenen Jahren geändert?
Das Wissen in der Industrie wird immer spezieller, so dass es heute nicht mehr möglich ist, von Projekt zu Projekt zu springen. Unsere Berater müssen am Puls von Technologie-Entwicklungen bleiben.
Was bieten Sie den Bewerbern?
Im firmeneigenen Institut erhalten unsere „Neuen“ eine achtwöchige Ausbildung: vom Präsentations-, über das Methoden- bis zum Marktanalysentraining. Danach übernehmen sie sehr schnell Projekt- und Führungsverantwortung. Jeder Berater lernt viel von seinen Kollegen – über alle Hierarchien hinweg. Er lernt viele Unternehmen intensiv kennen, da er bei jedem Projekt vier bis fünf Tage pro Woche vor Ort beim Kunden ist, und er knüpft viele internationale Kontakte, da er europaweit und auch in den USA oder in China tätig ist.
Thema Work-Life-Balance und 5-4-3-Regelung: Welche Kehrseiten hat die Beratertätigkeit?
Ein Berater arbeitet fünf Tage pro Woche, in der Regel vier Tage beim Kunden und am Freitag in seinem Büro. So empfehlen wir unseren Mitarbeitern, an dem Ort zu leben, an dem ihr Büro ist. Sie verbringen dann im günstigen Fall nur drei Nächte nicht zu Hause. Das Tempo in der Beraterbranche ist enorm hoch, man lernt dort schneller als in anderen Branchen, und die Tätigkeit ist sehr abwechslungsreich. Die Kehrseite ist, dass man sehr angestrengt ist und die Gefahr besteht, „sozial zu denaturieren“. Mein Rezept lautet daher: investieren, investieren, investieren. Das heißt Freundschaften aktiv pflegen und bewusst Auszeiten mit Familie und Freunden nehmen.
Wie sind Sie zu Capgemini gekommen?
Von 1990 bis 1992 habe ich bei Roland Berger & Partner als Projektleiter den Bereich der umsetzungsorientierten Strategieberatung mit aufgebaut. Ein Headhunter hat mich auf Grund dieser Qualifikation zu Capgemini, damals noch Gemini Consulting, geholt. Dort war ich dann von Wien aus für die Bereiche Marketing & Sales sowie Sanierungen verantwortlich und habe große und internationale Strategieprogramme in Europa und Afrika geleitet. Im Jahr 2001 – kurze Zeit nach dem Merger von Gemini Consulting in die Cap Gemini Ernst & Young Consulting, 2004 umfirmiert zu Capgemini – habe ich die Leitung der Strategieberatung für Zentraleuropa übernommen.
Was hat Ihnen geholfen, Karriere zu machen?
Ich mache fachlich gute Dinge mit einer gewissen Gelassenheit, also ohne verbissen zu kämpfen. Ich denke, diese Kombination hilft mir, meinen Weg zu gehen.
Wie sehen Ihre weiteren beruflichen Ziele aus?
Ich habe Lust, auf Grund des Erfolges in der Strategieberatung während der vergangenen vier Jahre mehr Verantwortung innerhalb der Gruppe zu übernehmen. Was mich dabei vor allem antreibt, ist, den Typus von Berater zu finden, den wir für unser Geschäft brauchen.
Sie sind nicht nur Doktor der Betriebswirtschaft, sondern auch studierter Forstwirt und Sprengmeister. Wie sind Sie zu diesen Ausbildungen gekommen?
An der Universität für Bodenkultur in Wien habe ich nebenher studiert – aus Spaß und weil ich eine hohe Affinität zum Wald habe. Das Sprengen, zum Beispiel von Bäumen, hat mir auch große Freude gemacht. Etwas Praktisches zu tun, war für mich der Antrieb.
Was ist Ihr persönliches Lebensmotto?
Nicht alles so tierisch ernst zu nehmen.
Dazwischengefunkt
Welchen anderen Beruf könnten Sie sich vorstellen?
Chef eines mittelständischen Produktionsbetriebs – eines „Hidden Champion“
Was wollten Sie am Start Ihres Berufslebens?
Eine führende Position in einem internationalen Industriekonzern
Was ist Ihr Hauptcharakterzug?
Ich bin ein offener und ehrlicher Mensch. Und ich habe Freude an den Sachen, die ich mache.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an anderen Menschen?
Offenheit
Was dulden Sie auf keinen Fall?
Lügen und Taktieren
Was ist Ihnen sehr unangenehm?
Es ist mir noch heute unangenehm, persönliches Verhalten meiner Mitarbeiter zu beurteilen.
Was entschuldigen Sie sofort?
Eingestandene Fehler
Was nehmen Sie unbedingt auf eine Reise mit?
Meine Laufschuhe
Wo möchten Sie am liebsten leben?
In meiner Heimatstadt Wien
Wo tanken Sie Energie auf?
Zu Hause bei meiner Familie und bei einer jährlichen Regenerationswoche
Was war Ihr größter Flop?
Am Anfang meiner Beratungszeit hat mir ein Kunde das klare Feedback gegeben, dass die Zusammenarbeit mit mir nicht funktioniert.
Und Ihr größtes Erfolgserlebnis?
Die Strategieberatung von Capgemini zu ihrem heutigen Erfolg zu führen
Als Jurist ist Diethard Bühler eher eine Ausnahme in der Consultingbranche. Trotzdem konnte der 49-Jährige seine juristischen Kenntnisse auch schon gewinnbringend einsetzen. Seit Mai 2007 ist Bühler Managing Director bei der Strategieberatung Arthur D. Little. Im karriereführer consulting sprach er über Spezialisierung, Arbeitgeberwechsel und die Faszination der Branche. Das Interview führte Sabine Olschner.
Zur Person
Dr. Diethard Bühler, 49 Jahre, ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Arthur D. Little GmbH für Zentraleuropa. Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in der Entwicklung und Umsetzung von Geschäftsbereichsstrategien, Organisationsentwicklung (insbesondere im Produktmanagement) sowie Restrukturierungsprogrammen. Zu seinen Klienten gehören Unternehmen der sogenannten TIME-Branchen (Telekommunikation, IT, Medien, Electronics), sowohl in Europa als auch in den USA. Diethard Bühler war zwölf Jahre bei A.T. Kearney tätig sowie zwei Jahre bei Bain & Company (als Head of Technology and Telecommunications in Deutschland) und zuletzt gut zwei Jahre bei CSMG Adventis, einer auf den IT- und Telekommunikations-Sektor spezialisierten Strategie-Beratung. Zuvor arbeitete er als Rechtsanwalt in der Kanzlei Berenberg-Gossler & Partner (heute:TaylorWessing) in Hamburg. Diethard Bühler studierte Rechtswissenschaften in Hamburg und Lausanne und absolvierte ein MBA-Studium an der University of San Francisco. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Herr Dr. Bühler, Sie sind promovierter Jurist. Treffen Sie in der Consultingbranche auf viele Juristenkollegen?
In der Branche sind Juristen generell selten, und auch im Top-Management habe ich kaum Juristen kennengelernt. Ich glaube, die Studienrichtung Jura kann für eine Arbeit im Consulting sogar fast hinderlich sein, weil sie eine andere Zielrichtung hat als eine betriebswirtschaftliche Ausbildung: Eine juristische Ausbildung geht immer dahin, dass man keine Fehler machen, sondern Sicherheit schaffen will. Der Jurist versucht, das Risiko zu vermeiden, der Betriebswirt hingegen kalkuliert das Risiko. Letzteres ist das, was wir Berater unseren Klienten bieten: Was kostet mich das Risiko und die Lösung des Problems?
Wie wichtig ist denn die Studienrichtung für eine Arbeit in der Consultingbranche?
Die Studienrichtung an sich ist nur von begrenzter Bedeutung. Natürlich müssen alle Berater bei uns über betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse verfügen. Ich selbst habe beispielsweise Betriebswirtschaft im Grundstudium studiert und später einen MBA gemacht. Aber: Solch eine Ausbildung ist nicht unbedingt notwendig. Wir im Unternehmen sind offen für alle Fachrichtungen. Die Klassiker fürs Consulting sind natürlich Betriebswirtschaft oder Ingenieurwissenschaften – und so ist es auch bei uns.
Können Sie Ihre juristischen Kenntnisse in der Beratung einsetzen?
Insbesondere am Anfang meiner Arbeit in der Consultingbranche habe ich mich sehr intensiv mit der Juristerei beschäftigt. Ich habe damals bei der Treuhandanstalt gearbeitet, wo mir meine Rechtskenntnisse sehr nützlich waren. Später habe ich hin und wieder Kanzleien beraten, auch da hilft es, selbst Jurist zu sein. In meiner aktuellen Funktion als Geschäftsführer ist es sehr nützlich, sich mit arbeits- und steuerrechtlichen Fragestellungen auszukennen.
Sie haben lange Zeit Unternehmen aus der Telekommunikation, Information, Medien und Elektronik beraten. Müssen sich Consultants auf eine Branche spezialisieren – oder ist eher der Allrounder gefragt?
Eine Spezialisierung erscheint mir zu eng. Ich glaube vielmehr, jeder sollte Schwerpunkte bilden. Diese müssen aber nicht unbedingt in einer Branche liegen. Es kann genauso gut ein fachlicher Schwerpunkt sein, wie etwa die Beschäftigung mit organisatorischen, strategischen oder operativen Themen. Es gibt aber auch Berater, die ein sehr breit gefächertes Wissen haben und damit ebenso erfolgreich sind. Andere Consultants kümmern sich um einen speziellen Kunden, meist ist dies ein großes Unternehmen, das viele verschiedene Geschäftsfelder hat. Im Consulting gibt es also viele Wege zum Erfolg, und es ist nicht notwendig, sich zu stark zu spezialisieren. Kunden sind meist ohnehin nicht mit einer einzelnen Kompetenz zufrieden, sondern verlangen vielmehr einen Mix von Kompetenzen. Letztlich ist die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln, Neues zu erlernen und sich umzustellen wichtiger als eine wie auch immer geartete Spezialisierung.
Was kann man schon als Einsteiger tun, um innerhalb des Unternehmens aufzusteigen?
Jeder, der bei uns anfängt, ist aus unserer Sicht ein potenzieller Partner. Ihm fehlt am Anfang nur die Erfahrung und das methodische Wissen – aber das Potenzial haben wir in dem Bewerber erkannt, sonst hätten wir ihm kein Angebot gemacht. Wir stellen niemanden ein, den wir nach ein oder zwei Jahren loswerden wollen. Im Gegenteil, wir tun sehr viel dafür, seine Ausbildung und Karriere entsprechend seiner Fähigkeiten zu fördern und ihn aktiv bei seinem Weiterkommen zu unterstützen. Das Ziel eines jeden Beraters sollte es sein, Partner zu werden. Aus meiner Sicht noch wichtiger als der hierarchische Aufstieg ist es jedoch, spannende Projekte beim Klienten zu bearbeiten.
Was verändert sich an der Arbeit, wenn man in Ihre Position aufgestiegen ist?
Als Managing Director verändert sich jede Menge: Man muss ein ganzes Unternehmen mitsamt allen Partnern führen. Meine wichtigste Aufgabe ist es, die Partnerkollegen zu motivieren, so dass wir zusammen in die gleiche Richtung gehen. Darüber hinaus bin ich dafür verantwortlich, dass unsere Administration kostenbewusst und qualitativ hervorragend arbeitet. All dies spielt im Alltag eines Partners eine eher untergeordnete Rolle.
Gehört die Beratung von Klienten überhaupt noch zu Ihren Aufgaben?
Selbstverständlich. Man kann nicht jahrelang mit der Beratung aussetzen, wenn man später zur Klientenarbeit zurückgehen will. Klientenbeziehungen haben sehr stark mit Vertrauen zu tun, und das muss über Jahre wachsen und anschließend gepflegt und erhalten werden.
Sie haben öfter ihren Arbeitgeber gewechselt – ist das ein üblicher Weg nach oben?
Ich habe bei meinem ersten Arbeitgeber mit der Ernennung zum Vice President den Partner-Level erreicht, habe also den Aufstieg schon im ersten Unternehmen vollzogen. Danach bin ich eher quer gewechselt als Partner in verschiedene Beratungsunternehmen. Für meinen Aufstieg war der Wechsel also nicht wichtig. Ich habe allerdings weitere Erfahrung und neue Perspektiven gewonnen, was mir bei meiner heutigen Aufgabe sehr hilft. Wer das Beratungsunternehmen wechseln will, sollte bedenken, dass ein Wechsel immer die Vertrauensbeziehung zum Kunden stört. Andererseits sollte man sich bei seinem Arbeitgeber natürlich wohlfühlen, denn nur dann kann man auch gut sein.
Sie sind seit knapp 18 Jahren in der Branche tätig. Was fasziniert Sie am Consulting?
Die Fähigkeiten, die gefordert sind und in denen man nie gut genug ist; der ständige Reiz, durch soziale Aktionen und fachliches Wissen das Vertrauen des Klienten zu erwerben; ständig wechselnde Teams in einem relativ hierarchiefreien Umfeld; und nicht zuletzt der ständige Adrenalinstoß, wenn man sich auf eine Präsentation vorbereitet oder einen Beratungsvorschlag abschließt, um dem Klienten das Bestmögliche zu geben. Die Mischung aus vielen verschiedenen Faktoren macht diesen Beruf außerordentlich spannend.
Arthur D. Little
Gegründet 1886 von dem MIT-Professor Arthur Dehon Little in Massachusetts, gilt Arthur D. Little heute als die älteste und traditionsreichste Unternehmensberatung der Welt. Arthur D. Little verbindet Strategie-, Innovations- und Technologieberatung mit dem Ziel, nachhaltige Unternehmenserfolge für die Klienten sicherzustellen. Das Unternehmen betreut weltweit Kunden aus allen wichtigen Industrie- und Dienstleistungszweigen. Im deutschsprachigen Raum beschäftigt Arthur D. Little 270 Mitarbeiter an den Standorten Wiesbaden, Düsseldorf, München, Wien und Zürich. Weltweit arbeiten über 1000 Mitarbeiter an 20 Standorten. Zu den Kompetenzfeldern von Arthur D. Little gehören Strategie, Operations, Sustainability & Risk sowie Technologie- und Innovationsmanagement. Arthur D. Little ist Mitglied im Altran-Verbund, einem Netzwerk hochspezialisierter Technologieunternehmen, das rund 17.000 Mitarbeiter umfasst.
Tausende von Tagen hat er auf den Bergen der Welt verbracht: Extrembergsteiger Thomas Bubendorfer weiss, wie man sein Ziel erreicht und wie man mit Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin umgeht. Mit Sabine Olschner sprach er über Mut, Scheitern und den Umgang mit Risiken.
Zur Person
Thomas Bubendorfer, 45, hat schon mit zwölf Jahren seine Liebe zum Bergklettern entdeckt. Der Extrembergsteiger hat über 70 Erstbesteigungen hinter sich, viele im Alleingang und ohne Seil. Er kletterte in Rekordzeit in den Alpen, den Anden, in Alaska und im Himalaja. Sein bisher einziger Absturz führte fast zum Ende seiner Karriere als Profikletterer, doch bereits ein Jahr später feierte er sein Comeback. In Vorträgen und Seminaren bringt er Managern und Führungskräften seine Leistungsphilosophie näher. Bücher wie „Senkrecht gegen die Zeit“ und sein neuestes „Ausgangspunkt Jetzt“ zeigen die Parallelen zwischen Bergsteigen und dem Job eines Managers. Thomas Bubendorfer ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Österreich. Weitere Infos: www.bubendorfer.com
Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?
Erfolgreich ist man, wenn man genau das tut, was man sich selbst ausgesucht hat, und wenn man dieses Tun um seiner selbst Willen ausübt. Ich zum Beispiel bin Bergsteiger, weil ich gern klettere. Damit bin ich schon erfolgreich. Viele glauben, sie werden erfolgreich sein, wenn sie am Gipfel angekommen sind. Das ist meiner Ansicht nach ein Irrtum. Ich sage immer: Man kann nur jetzt erfolgreich sein und nicht künftig erfolgreich werden. Viele stecken in dieser Zukunftsfalle und vergessen über ihren Zielen die Gegenwart.
Und wie definieren Sie Scheitern?
Scheitern bedeutet, Dinge zu tun, die ich eigentlich gar nicht tun will, sondern die ich tun muss. Aber sobald der Mensch im Zwang steckt, kann er sein Leistungspotenzial nicht frei entfalten.
Scheitern bedeutet also nicht, sein Ziel nicht zu erreichen?
Nein, überhaupt nicht. Von außen betrachtet sind viele Top-Manager sehr erfolgreich: Sie stehen an der Spitze. Aber sie stecken oft in einer Zwangsjacke und funktionieren einfach gut. Doch wenn einer nur funktioniert, ist er für mich kein Gewinner, sondern ein Gescheiterter. Erfolgreiche Menschen sind frei. Leider kenne ich nicht viele freie Menschen.
Welche beruflichen Ziele sollte man sich stecken?
Ich halte überhaupt nichts davon, sich Ziele zu stecken. Ich finde es viel ehrenwerter, wenn jemand immer besser werden will. Auch ich arbeite ununterbrochen daran, dass ich nicht stehen bleibe. Schauen Sie sich etwa einen Künstler an: Was sollte der sich für Ziele stecken? Er kann nur an sich und seinen Talenten und Fähigkeiten arbeiten. Das Gleiche gilt für Manager. Es gibt kein Ankommen. Man ist ständig unterwegs. Ein Ankommen wäre ein Endpunkt – und davon gibt es nur einen, und das ist der Tod.
Das heißt, ein Gipfel ist für Sie gar kein Ziel?
Nein. Mein Ziel ist es, gut zu sein und besser zu werden. Ich habe zum Beispiel gestern erst zwei Erstbesteigungen gemacht. Beim Klettern habe ich nie daran gedacht, dass ich fertig werden könnte. Als ich oben war, habe ich nur gedacht: Schade, dass es jetzt dunkel wird, denn dort drüben gäbe es noch eine andere Möglichkeit weiterzusteigen. Am Ende der Besteigung war ich also an einem neuen Ausgangspunkt. Es gibt immer einen neuen Ausgangspunkt.
Wo sehen Sie weitere Parallelen zwischen Bergsteigern und Führungskräften?
Beide sollten sich ständig etwas Neues suchen: Orte und Situationen aufspüren, an denen sie noch nicht waren. Denn nur das Neue gibt den Reiz, dass wir uns weiterentwickeln. In dem Moment, in dem wir bekannte Wege gehen, wiederholen wir uns. Doch in der Wiederholung ist man nicht gespannt und aufgeregt, da ist nichts. Wir müssen stark aufpassen, dass wir nicht ins reine Funktionieren hineingeraten. Wer nur funktioniert und Dinge tun muss, reagiert nur noch und agiert nicht mehr. Das ist langweilig.
Welche Eigenschaften sind ihnen noch gemein?
Manager wie Bergsteiger sollten ein hohes Maß an Eigenverantwortung haben: Ich bestimme, wo die Reise hingeht. Ich lasse mich nicht durch zig E-Mails und Meetings am Tag fremdbestimmen. Ich bin die Führungskraft. Also führe ich. Und das fängt bei mir selber an. Wenn man sich selber nicht führen kann, wird man auch andere nicht führen können.
Was kann man denn gegen diese „Fremdbestimmung“, die ja für viele Manager Alltag ist, tun?
Als Bergsteiger, der sehr auf Effizienz konzentriert ist, frage ich mich ständig: Was ist wirklich nötig? Also: Was muss ich wirklich in die Berge mitnehmen, was muss ich wem kommunizieren, wie viel muss ich trainieren? Manager könnten sich immer wieder fragen: Muss ich wirklich in zehn Meetings anwesend sein? Muss ich alle 100 Mails beantworten? Muss ich wirklich 12 oder 14 Stunden täglich arbeiten? Sie werden sehen, dass sie viel Einsparungspotenzial finden werden, denn vieles ist nicht wirklich nötig.
Wie motivieren Sie sich für große Aufgaben wie eine Erstbesteigung?
Für große Aufgaben brauche ich mich nicht zu motivieren, da motiviert mich die Aufgabe selbst. Es fällt mir viel schwerer, mich im Täglichen zu motivieren, bei den uninteressanten Sachen, die mir nicht so eine große Freude machen. Aber auch das ist eine Herausforderung. Man muss halt einen Schritt nach dem anderen machen. Das gilt für alles, was man tut.
Wie „trainiert“ man für den beruflichen Weg nach oben?
Indem man nicht zu weit nach vorn schaut. Im Management leben viele nicht in der Gegenwart, sondern haben immer nur ihre Ziele vor Augen. Ich frage in meinen Seminaren die Teilnehmer: Sind Sie ein Hellseher, dass Sie wissen, wo Sie und Ihr Unternehmen in fünf Jahren stehen werden?
Spielen auch Ausdauer, Kraft und Disziplin für Manager eine Rolle?
Selbstverständlich. Wobei ich Disziplin nicht für so wichtig halte. Denn wer etwas gern tut, dem braucht man nicht zu sagen, dass er üben muss. Ein Musiker etwa spielt einfach gern, weil er seine Fähigkeiten ständig verbessern und dahinkommen will, wo er noch nie gewesen ist. Von außen meint man vielleicht, er sei wahnsinnig diszipliniert – aber für ihn sind fünf Stunden Üben keine Kunst, weil er es gern macht.
Wie viel Mut braucht eine Führungskraft?
Ich glaube, sie braucht sehr viel Mut. Ich fürchte nur, dass die meisten Führungskräfte nicht sehr mutig sind. Viele reden von Veränderungen, aber wenn man dann einmal genau hinschaut, wird gar nicht viel verändert.
Wie sollten Manager und Bergsteiger mit Risiken umgehen?
Man soll sie suchen und nicht meiden. Denn der Mensch ist nur im Risiko gut, wenn etwas auf dem Spiel steht und es gefährlich ist. Das Neue ist gefährlich, denn das kennen wir nicht. Im Alten zu verharren, scheint zwar manchmal sicher, aber das ist manchmal noch gefährlicher, weil man sich nur vermeintlich sicher wähnt. Wenn ich in den Bergen bin, wo noch niemand zuvor geklettert ist, mache ich keinen Fehler, ich bin hundert Prozent wachsam und konzentriert. Wenn man voll gefordert ist, macht man keinen Fehler. Dann ist man einfach gut. Als Profi muss man also mit offenen Augen voll ins Risiko hineingehen. Ein Profi weiß, wie viel Risiko und Wagemut er sich zumuten darf. Wer sich zu viel zumutet, spielt nicht in der Profiklasse, sondern liegt schnell unten.
Und wenn doch mal ein Fehler passiert ist: Wie kommt man am besten heraus?
Indem man nicht jammert. Die Krise ist die beste Chance zum Lernen. Im Erfolg lernt man nicht. Da braucht man sich nur vor Augen zu halten, dass einem etwas gelungen ist. Wird man es beim nächsten Mal anders machen? Wahrscheinlich nicht, denn beim letzten Mal war man ja erfolgreich, weil man offensichtlich alles richtig gemacht hat. Aber wenn Sie nicht hinaufkommen, müssen Sie überlegen, was Sie beim nächsten Mal verändern können. Hier liegt die Chance, etwas zu lernen. Ein Misserfolg tut zwar weh, aber andererseits muss man die Chance sehen, die sich bietet. Eine Krise kann gar nicht so unangenehm und schmerzlich sein, als dass sie nicht trotzdem etwas Positives hätte.
Wenn man merkt, der Absturz ist unausweichlich – wie verhält man sich am besten, um Schadensbegrenzung zu betreiben?
Indem man loslässt, das verkürzt den Fall. Wenn man merkt, dass einem die Dinge entgleiten, dass nichts mehr geht, dann sollte man sich möglichst bald sagen: Ich kann es nicht ändern, das lass ich jetzt los.
Das gilt ja wohl nicht fürs Bergsteigen?
(lacht) Natürlich nicht. Wenn man da kurz vor dem Fall steht, muss man sich in Sicherheit bringen. Wenn ich in der Wand bin und merke, es geht nicht mehr, muss ich mich geordnet zurückziehen. Aber meist gehe ich dann auch nicht mehr unendlich oft an diese Stelle zurück, weil meine inneren Widerstände zu groß sind. Wenn die Widerstände auch nach mehrmaligen Versuchen nicht verschwinden, muss man es irgendwann sein lassen. Ich sage immer: Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand, man muss mit dem Herzen durch die Wand.
Wie überwindet man solche Rückschläge – und gewinnt vielleicht sogar Kraft durch sie?
Indem man sich klar vor Augen hält, was man gelernt hat. Nur weil ich auf einen Berg nicht hinaufkomme, stellt das ja nicht meine Liebe zum Bergsteigen infrage. Eine Begeisterung für eine Sache kann nicht mit dem Siegen stehen und fallen.
Haben Sie manchmal Angst?
Selbstverständlich.
Wie gehen Sie damit um?
Ich bin fast froh, wenn ich Angst habe, denn ansonsten könnte ich auch nicht mutig sein. Angst lässt mich vermeintliche Sicherheiten aufspüren. Nur wenn ich Angst habe, kann ich sicher sein, dass meine Schuhe richtig gebunden sind, dass der Pickel geschliffen ist, dass ich das Wetter kenne. Meine Angst lässt mich rechtzeitig schlafen gehen. Hätte ich keine Angst, würde ich vielleicht zu spät ins Bett gehen. Die Angst stellt einem Tausend Fragen.
Sie beherrschen also Ihre Angst?
Ja, denn Panik wäre unprofessionell, zu viel Risiko ist tödlich. Als Profi muss ich ein gewisses Restrisiko verantworten, ganz einfach deshalb, weil immer eines bleibt. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, nicht am Berg, nicht in der Wirtschaft. Aber: Es gibt keine gefährlichen Berge, und auch Management ist nicht gefährlich. Es gibt nur Leute, die Fehler machen. Und die meisten Fehler sind hausgemacht. Denn Amateure kennen sich selber nicht so gut, wie ein Profi sich kennt.
Kennen Sie Manager, die in einem Höhenrausch sind?
Die meisten Manager, die ich kenne, befinden sich eher in einem zielfixierten Zwangstunnel. Sie merken nicht mehr, was um sie herum vorgeht. Sie wähnen sich auf einem Gipfel, sehen den nächsten – und dazwischen nichts. Alles was nicht direkt zum nächsten Gipfel führt, ohne den Umweg über das Tal, wollen sie gar nicht wahrnehmen. Sie wollen nicht das Tempo variieren, geben immer nur Vollgas. Auch das lernt der Bergsteiger: Du kannst Vollgas geben, aber du musst dem Körper und dem Geist auch Ruhephasen gönnen, um dann wieder in die nächste Hochleistungsphase hineinzukommen, ohne auszubrennen.
Worin liegt das Geheimnis, dauerhaft oben zu bleiben?
Das kommt auf die Definition an, was oben sein bedeutet. Wenn ich auf einer Position einfach nur bleiben will, muss ich gut funktionieren und möglichst wenig Risiken eingehen. Aber wenn oben sein für mich bedeutet, ein relativ freies und selbstbestimmtes Leben zu führen, muss ich gewisse Risiken eingehen. Ich muss immer wieder hinterfragen, ob das, was ich mache, mir auch wirklich Spaß macht, ob es das ist, was ich will. Und man muss auch mal mutig sein und verzichten können. Dann verdient man vielleicht weniger, aber dafür hat man ein schönes Leben. Denn ganz ehrlich: Führungskräfte haben ein hartes Leben.
Wie kann man sich denn gegen die dünne Luft, die oft oben herrscht, und den permanenten Druck wappnen?
Man sollte sich Gleichgesinnte suchen, andere, die genauso „ticken“ wie ich. Dann kann man sich gegenseitig unterstützen und sich hinterfragen. Das sehe ich auch als meine Aufgabe in meinen Seminaren: Ich stelle den Teilnehmern immer wieder die Frage, ob sie tatsächlich so weitermachen wollen wie bisher. Und wenn nicht, warum sie nichts daran ändern. Sie werden nicht 500 Meter tief stürzen. Ihr Risiko ist da geringer als meins.
Welchen Sinn sehen Sie eigentlich darin, extrem schwierige Berge zu bezwingen?
Das ist mein Leben. Der Sinn meines Lebens besteht darin, dass ich mein individuelles Potenzial ausschöpfe. Das gilt für mich und für alle: Der Sinn des Lebens ist es, immer so gut zu sein, wie man sein kann. Man muss nicht besser sein als der andere. Auch ich kann nur so gut klettern, wie ich es kann. Und nur ich weiß, wie gut ich klettern kann und ob ich noch besser klettern könnte. Das gilt auch für eine gute Führungskraft: Sie weiß, wie gut sie selber ist und wie weit sie sich selber noch entwickeln kann. Und sie muss auch wissen, dass sie nie ankommen und nie gut genug sein wird.
Das Veredeln von Textilien ist ihr Geschäft. Mit 30 Jahren übernahm sie das Maschinenbauunternehmen ihres Vaters. Heute führt sie es gemeinsam mit ihrem Mann – er ist der Stratege, sie die Frau der schnellen Entscheidungen. Im Interview mit S-taff spricht Regina Brückner über Gespür für Zwischentöne und Techniker, die oft schwarzweiß denken.
Zur Person
Vordiplom Textiltechnik an der Fachhochschule Reutlingen, Magisterstudium in Neuerer deutscher Literatur, VWL und Organisationspsychologie.
Nach diversen Praktika im In- und Ausland Eintritt als Trainee in die Firma Brückner Trockentechnik. Seit 1999 ist sie Geschäftsführerin, gemeinsam mit ihrem Ehemann Axel Pieper.
Privat: 1969 in Stuttgart geboren, verheiratet, zwei Kinder.
Wann stand für Sie fest, dass Sie in den Familienbetrieb einsteigen würden?
Schon als ich 16 war, fragte mich mein Vater, ob ich mir vorstellen könnte, die Firma einmal zu übernehmen. Blauäugig, wie ich in dem Alter war, habe ich ja gesagt, ohne dass ich mir damals vorstellen konnte, was da genau auf mich zukommt. Von meinen älteren Geschwistern hat keiner Interesse gezeigt, daher habe ich es als meine Verpflichtung gesehen, die Firma eines Tages weiterzuführen, daran gab es bei mir keinen Zweifel. Entsprechend habe ich auch zunächst mein Studium dahingehend ausgerichtet und an der Fachhochschule Reutlingen Textiltechnik studiert.
Warum haben Sie nach dem Vordiplom ein Magisterstudium begonnen?
Das FH-Studium war mir zu verschult. Außerdem wurde mir klar: Wenn ich einmal die Firma leiten wollte, musste ich meinen Horizont erweitern und intellektuell auch noch etwas für mich persönlich tun. Im Nachhinein denke ich, ich hätte besser Jura oder Maschinenbau studieren sollen, das hätte mir bei meiner heutigen Arbeit mehr geholfen. Aber letztendlich kommt es gar nicht auf die Studienrichtung an, wichtig ist, dass man lernt strukturiert zu denken und zu handeln. Und unternehmerisches Handeln lernt man durch Erfahrung und Erleben. Wichtig ist, bei Entscheidungen sorgfältig abzuwägen, gleichzeitig Entschlussfreudigkeit und Vertrauen in sich selbst zu haben.
Helfen Ihnen Ihre Erkenntnisse aus dem Magisterstudium trotzdem bei der Arbeit?
Mit Sicherheit. Vor allem, was ich in Organisationspsychologie gelernt habe, kann ich hier jeden Tag anwenden: beim Umgang miteinander und mit den Mitarbeitern, in schwierigen Gesprächssituationen, beim Lösen von Konflikten, zur Motivation – das alles gehört zum täglichen Geschäft. Darüber hinaus hat mir das Magisterstudium gezeigt, manche Fragen anders zu beurteilen. Techniker denken in der Regel geradeaus, es gibt für sie häufig nur zwei Varianten: schwarz oder weiß. Manchmal nimmt man aber nicht nur diese zwei Varianten wahr, sondern es gibt auch Zwischentöne, die man beachten muss. Jeder Mensch nimmt Aussagen von anderen mit seiner eigenen Wahrnehmung auf – und sich darüber bewusst zu werden, hilft im täglichen Umgang miteinander.
Wie haben die Mitarbeiter auf die Tochter des Chefs reagiert, als Sie als Trainee bei Brückner begonnen haben?
Als ich als Trainee einstieg, war mein Vater schon gestorben. Die Mitarbeiter haben deshalb viel Hoffnung in mich gesetzt, weil sie glaubten, da sei endlich wieder jemand aus der Familie, der sich für die Firma engagiert. Für mich war das eine schwierige Situation, weil ich ihre Hoffnungen noch nicht erfüllen konnte. Ich hatte ja noch gar keine Erfahrung und keine Entscheidungsbefugnisse. Wie alle Trainees konnte ich anfangs einfach nur zuschauen und zuhören. Das war für mich eine sehr lehrreiche Zeit, weil ich überall dabei sein durfte. Dabei habe ich erkannt: Wenn man es will, kann man alles lernen. Ich kann heute ebenso technische Zeichnungen lesen wie mich über kaufmännische Themen unterhalten.
Im Rückblick: Wäre es besser gewesen, vor dem Einstieg in den Familienbetrieb zunächst einmal in anderen Unternehmen zu arbeiten?
Das wäre sicherlich sinnvoll gewesen, und ich hätte es auch gern gemacht. Aber ich habe gespürt, dass unser Unternehmen damals eine schwierige Zeit vor sich haben würde – was sich tatsächlich bewahrheitet hat: Zwei Jahre nach meinem Einstieg haben wir einen Betrugsfall im zweistelligen Millionenbereich aufgedeckt. Wenn ich damals noch nicht so lange im Unternehmen gewesen wäre, hätte ich von der Firma nicht soviel verstanden und hätte nicht so schnell einspringen können. Für mich war es also der richtige Weg, direkt nach dem Studium hier begonnen zu haben. Grundsätzlich kann es jedoch nicht schaden, auch in anderen Unternehmen gearbeitet zu haben, weil ansonsten die Gefahr besteht, schneller betriebsblind zu werden.
Sie haben dann schon mit 30 Jahren die Geschäftsleitung übernommen. Wie wurden Sie als junge Frau in der männerdominierten Technikwelt akzeptiert?
Anfangs haben alle gedacht: Frau, jung, hat keine Ahnung. Das hatte durchaus seine Vorteile, weil ich von vielen unterschätzt wurde. Wenn man dann mit Charme bei Verhandlungen hart bleibt, sind viele Geschäftspartner erst einmal überrascht. Aber zum Glück ist es ja nicht mehr nur eine Männerwelt. Wir bei Brückner zum Beispiel achten darauf, auch Mitarbeiterinnen zu beschäftigen – auch im technischen Bereich. Denn wir haben bemerkt, dass sich das Klima deutlich verbessert, wenn in den Abteilungen nicht nur Männer arbeiten.
Sie haben zwei Kinder und einen zeitintensiven Job – wie schaffen Sie es, Beruf und Familie zu vereinbaren?
Als Geschäftsführerin habe ich den Vorteil, dass ich mir manches anders einrichten kann. Unsere erste Tochter habe ich bis zu ihrem ersten Lebensjahr jeden Tag in die Firma mitgenommen, denn neben meinem Büro ist ein eigenes Kinderzimmer. Inzwischen habe ich jemanden, der in der Firma auf unseren jüngeren Sohn aufpasst, und die Ältere geht in den Kindergarten.
Ihr Mann arbeitet ebenfalls in der Geschäftsleitung von Brückner – wie funktioniert diese enge familiäre Zusammenarbeit?
Jeder hat seine Aufgabenbereiche, und wir sind vom Typ her sehr unterschiedlich. Mein Mann ist eher der Stratege, der langfristig überlegt, in welchen Bereichen was zu tun ist. Ich bin hingegen diejenige, die schnelle Entscheidungen durchführt. Hier ergänzen wir uns sehr gut.
Welche Ratschläge können Sie Absolventen geben, die wie Sie eine Unternehmensnachfolge in einem mittelständischen Unternehmen anstreben?
Man muss sich über seine eigene Rolle klar werden, wie man von anderen wahrgenommen wird und wahrgenommen werden will. Ich habe am Anfang ein Coaching gemacht, um mir einige Dinge bewusst zu machen. Dabei wurde mir klar, dass ich den Erwartungen, die andere in mich hatten, gar nicht gerecht werden konnte. Daher ist es nicht nur zu Beginn wichtig, ganz viel zuzuhören und ein Gespür für die Aussagen zwischen den Zeilen zu bekommen. Als junger Mensch macht man wahrscheinlich eine ganze Reihe von Fehlern, das gehört dazu. Aber man muss lernen, damit umzugehen.
Zum Unternehmen Brückner Group GmbH
Snowboards, Surfbretter, Tennisschläger, Kleidung – Brückner ist weltweit einer der führenden Anbieter von Anlagen für die textile Trockenveredlung. Mit Brückner-Maschinen werden Textilien wie Kleidung, Bettwäsche oder Gardinen nach dem Färben und Bedrucken veredelt, imprägniert und getrocknet. Auch technische Textilien wie etwa Glasfasern bekommen bei Brückner den letzten Schliff. An zwei deutschen Standorten erwirtschaften 330 Mitarbeiter einen Umsatz von rund 70 Millionen Euro. Hinzu kommen 90 Vertretungen und Servicestationen weltweit. Derzeit sucht das Unternehmen vor allem Maschinenbau-Absoventen. Stammsitz ist Leonberg.
Ludwig Georg Braun ist seit 1972 Vorstandsmitglied des Pharma- und Medizinartikelherstellers B. Braun Melsungen. Im karriereführer spricht der Bankkaufmann, der sowohl Ehrendoktor als auch Ehrenprofessor ist, warum Querdenken manchmal von Vorteil ist und was man für eine erfolgreiche Karriere braucht. Die Fragen stellte Christiane Martin.
Zur Person
Ludwig Georg Braun wurde 1943 in Kassel geboren. Hier absolvierte er das Abitur und eine Lehre zum Bankkaufmann. Es folgten praktische betriebswirtschaftliche Studien in Großbritannien und den USA. Von 1968 bis 1971 arbeitete er in der Nähe von Rio de Janeiro in der Geschäftsleitung eines brasilianischen Unternehmens mit 1600 Mitarbeitern, der heutigen Tochtergesellschaft Laboratórios B. Braun S.A. Hier baute er das Exportgeschäft innerhalb Lateinamerikas auf.
1972 kehrte Ludwig Georg Braun nach Europa zurück und trat in die B. Braun Melsungen AG ein; seit 1977 trägt er die kaufmännische Gesamtverantwortung für das Unternehmen. Er war zunächst Vorstandssprecher, später wurde er Vorstandsvorsitzender.
Neben zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten ist er auch Präsident des Deutschen Industrieund Handelskammertages (DIHK). Er trägt die Doktorehrenwürde der Universität Freiburg und den vom Land Hessen verliehenen Titel des Professors. Ludwig Georg Braun ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.
Herr Professor Braun, was halten Sie von Querdenkern?
Querzudenken heißt, den Mut zu haben, auch einmal andere, neue Wege zu gehen und das, was man tut, kontinuierlich zu hinterfragen – auf der Suche nach besseren und vielleicht effizienteren Lösungen. In diesem Sinne sind Querdenker bei B. Braun gerne gesehen, weil sie im Team mit Kollegen zu guten Lösungen kommen.
Und sind Sie selbst einer? Die außergewöhnliche Architektur der B.-Braun-Konzernzentrale lässt fast darauf schließen.
Die moderne Werkanlage von B. Braun im nordhessischen Melsungen ist für mich Ausdruck der Verantwortung, die wir als Unternehmerfamilie für die Region übernehmen. Die Architektur symbolisiert die Unternehmenskultur auf besondere Weise: Hier wird zum Beispiel deutlich, was wir mit Werten wie Innovation und Transparenz meinen.
Und innen? Wie sieht es da aus? Gibt es im Unternehmen B. Braun Projekte, bei denen „quergedacht“ wurde?
Wichtig ist mir, dass wir nicht nur in einer modernen „Hülle“ arbeiten, sondern dass wir auch im Inneren moderne Arbeitskonzepte praktizieren. Mit dem Bürokonzept 2010 lösen wir die Bindung des Mitarbeiters an einen nur für ihn persönlich reservierten Schreibtisch. Unser modernes Computernetzwerk ermöglicht es, jeden Tag einen anderen Arbeitsplatz zu wählen. Dies hat einen intensiven Austausch mit allen Teamkollegen zur Folge. Jeder erfährt sehr viel über die Aufgaben der anderen, kann sich dadurch stärker einbringen und sein Wissen vermehren. Auch das steht hinter unserem Unternehmensclaim „Sharing Expertise“.
Ist Querdenken Ihrer Meinung nach eine Eigenschaft, die auch Hochschulabsolventen mitbringen sollten, wenn sie bei B. Braun einsteigen wollen?
Wenn man neu in ein Unternehmen einsteigt, geht es zunächst darum, die Unternehmenskultur zu entdecken und ein Teil von ihr zu werden. Wir wünschen uns selbstständige Mitarbeiter, die konstruktiv an den gemeinsamen Zielen mitarbeiten. Querdenken im Sinne eines kritischen Hinterfragens kann da nützlich sein.
Was müssen sie denn noch können?
B. Braun ist in über 50 Ländern der Erde tätig. Neben den fachlichen Kenntnissen setzen wir da natürlich möglichst vielfältige Sprachkenntnisse voraus und gerne auch Erfahrungen mit anderen Kulturen. Die interkulturelle Kompetenz wird immer wichtiger, da das Geschäft außerhalb Deutschlands beziehungsweise Europas stetig an Bedeutung gewinnt. In allen Funktionen ist die Bereitschaft, im Team zu arbeiten, unerlässlich. Der offene und regelmäßige Austausch mit den Kollegen fördert kreative Lösungen. Und last but not least: Die Arbeit bei B. Braun soll Spaß machen.
Spüren Sie den von vielen prognostizierten Fachkräftemangel in Deutschland?
Ja, den spüren auch wir. Er spiegelt sich insbesondere in den technischen Berufsbildern wider, bei den Industriemechanikern, Elektronikern, Pharmakanten, Medizintechnikern und Ingenieuren. Noch schwieriger ist es bei Fachkräften mit Berufserfahrung. Zum Teil herrscht aber auch Mangel in Managementebenen bei kaufmännischen und naturwissenschaftlichen Fachkräften sowie bei den technischen Ausbildungsberufen.
Was tun Sie dagegen?
Wir bilden zunehmend selbst aus und investieren entsprechend in die Ausbildung. Zurzeit planen wir den Bau einer neuen modernen Ausbildungswerkstatt. Und wir werben mit dem, was B. Braun zu einem sehr interessanten Arbeitgeber macht: mit unserer modernen Arbeitswelt, mit den attraktiven Traineeprogrammen, den Karrieremöglichkeiten und Entwicklungsperspektiven innerhalb unserer internationalen Organisation, mit unserem breit gefächerten Weiterbildungsangebot und unseren Sozialleistungen. Wir zeigen potenziellen Kandidaten unser umfassendes familienfreundliches Programm „B. Braun for Family“, das es ihnen erleichtern soll, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen. Und damit sich Studierende vor Ort davon überzeugen können, laden wir sie ein, uns vor Ort kennenzulernen. Auch Praktika und Diplomarbeiten ermöglichen einen ersten, wichtigen Kontakt. Wer B. Braun kennenlernt, sieht schnell, dass die Werteorientierung, welche unsere Unternehmenskultur kennzeichnet, das sozial-gesellschaftliche Engagement und die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern B. Braun zum attraktiven Arbeitgeber machen.
B. Braun plant in den nächsten drei Jahren 1,4 Milliarden Euro in die Erweiterung der Produktion zu investieren. Welches ist dabei Ihrer Meinung nach das innovativste Projekt?
Innovation ist einer der Kernwerte von B. Braun. Nur mit innovativen Produkten werden wir weiterhin so erfolgreich sein wie bisher in unserer 170-jährigen Geschichte. Es fällt mir schwer, den Innovationsgrad der Projekte miteinander zu vergleichen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass wir unsere Fertigungen weiter modernisieren durch neue Technologien, die in unserem eigenen Sondermaschinenbau entwickelt wurden. Von Anfang an haben wir unsere Mitarbeiter in diese Prozesse eingebunden und gemeinsam mit ihnen Qualifizierungsprojekte entwickelt. Trotz aller Internationalität sind wir übrigens stolz darauf, dass wir etwa die Hälfte des Betrags am Standort Deutschland investieren.
B. Braun Melsungen AG
Den Grundstein für das bis heute familiengeführte Unternehmen B. Braun legte 1839 der Apotheker Julius Wilhelm Braun in Melsungen, einem Luftkurort in Nordhessen. Sein Sohn Bernhard Braun begann 1864 mit der Produktion von Pflastern und Migränestiften und ließ drei Jahre später die Firma B. Braun ins Handelsregister eintragen.
Von da an wuchs das Unternehmen stetig. Im Jahr 1939 hatte es bereits 500 Mitarbeiter. Der Umsatz stieg bis ins Jahr 1964 bei etwa 1700 Mitarbeitern auf 50 Millionen DM. 1976 kaufte B. Braun das Unternehmen Aesculap aus Tuttlingen und hat heute weltweit 36.000 Mitarbeiter, die 2007 über drei Milliarden Euro Umsatz mit der Herstellung von Produkten für Anästhesie, Intensivmedizin, Kardiologie, extrakorporale Blutbehandlung und Chirurgie erwirtschafteten.
Jäger wollte er werden, damit alles im grünen Bereich bleibt. Im „Green Green Grass of Home“ sieht er Rot und wird in Starnberg Landkreisvorsitzender der JuSos. Grün lässt ihn nicht los: Von Peking bis Davos geht er mit Greenpeace den Regenbogen entlang. „Grün satt“ kann auch über seiner neuen Aufgabe stehen, in der es um Lebensmittelsicherheit geht. Der karriereführer besuchte den ehemaligen Greenpeace- und heutigen foodwatch-Geschäftsführer Dr. Thilo Bode in Berlin. von Viola Strüder
Zur Person
Thilo Bode in action. Wenn es in ihm brodelt, betonen ausdrucksvolle Gesten die kritische Haltung. Seinen Einspruch kleidet er messerscharf in Worte, besonders wenn jemand ein Argument so nebenbei wegwischt. Dann sitzt er da, oft etwas vorgebeugt, knapp auf der Stuhlkante, ein Bein zurück, als wolle er zum Sprung ansetzen. In Position eben, energisch. So tritt er auf in Diskussionsforen oder Talk-Shows. Anders, als er zum Gespräch in seinem Berliner Büro erscheint: Zurückhaltend in der Körpersprache, der Blick verweilt ruhig beim Gegenüber, mal skeptisch, mal lachend, wenn er erzählt von den Stationen seines Berufsweges.
Kein Karriere-Kletterer?
Seine Visitenkarte spricht eine eigene Sprache: alles in Kleinbuchstaben. Keine Berufsbezeichnung, kein Doktortitel: „thilo bode, geschäftsführer“ steht bescheiden darauf und im krassen Gegensatz zu dem, was er als persönlichen Treibstoff angibt: „Vielleicht Geltungssucht, das Gefühl, anerkannt zu sein, Reputation, so genau weiß ich das nicht“, sinniert der 56-Jährige und erweitert: „Idealistische Zielsetzungen spielen eine Rolle, auch dieses gerne ein Exot sein wollen, gegen den Strich gebürstet zu sein.“ Als Moralist im Sinne unseres Kulturkreises bezeichnet er sich. Das Bild des Gutmenschen dagegen gefällt ihm nicht. „Furchtbar, das nervt“, ereifert sich der Mozart-Opern-Fan.
Untrennbar verbunden ist sein Name mit der Umweltorganisation Greenpeace e.V. und deren Aktionen in den 90er-Jahren. Zu den spektakulärsten gehören der Kampf gegen die Versenkung der Bohrinsel „Brent Spar“ in der Nordsee. Gegen Atomwaffen-Tests protestierte er in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens und wanderte dafür kurzzeitig ins Gefängnis. Was motivierte ihn, sich als Chef von Greenpeace in Lebensgefahr zu begeben? „Das macht man ja nicht wirklich, das sieht immer wilder aus, als es ist. Man hat Angst, aber es ist ein kontrolliertes Risiko. Der körperliche Einsatz auf den Schlauchbooten zum Beispiel ist hart. Aber wenn man in dieser Position ist, dann gehört es zum organisierten zivilen Ungehorsam und als Protest dazu, auch bei einer solchen Aktion mitzumachen.“ Zwölf Jahre war Thilo Bode insgesamt für Greenpeace tätig, hat verändert und verhindert. Letzteres, „weil es plötzlich Leute gab, die Greenpeace schick machen wollten, die beim Bewerbungsgespräch nach dem Dienstwagen fragten. Dabei ist Herzblut das Entscheidende für die Arbeit dort und eigener Mut zum Risiko. Denn ohne Risiko hat man keinen Erfolg“.
Kein Kaulquappen-Retter?
Aufgewachsen am Ammersee als Sohn eines Journalisten und einer Buchhändlerin, weist in der Erinnerung an Kindertage nichts auf sein späteres Engagement hin. Obwohl Thilo Bode sich schon immer für die Natur habe begeistern können. Aber statt Kaulquappen zu retten und im Biologie-Unterricht die Lehrer zum Gummistiefel-Tag im knöchelhohen Sumpf zu animieren, mischte er lieber im Schultheater mit. In Thornton Wilders Stück „Unsere kleine Stadt“ spielte er den Vater, den ruhenden Pol. „Und es gibt Leute, die sagen, ich sei heute noch ein Schauspieler.“
Thilo BodeCosmopolit mit Wurzeln in Oberbayern: Für seine beruflichen Tätigkeiten absolvierte Thilo Bode Auslandsaufenthalte in Argentinien, Paraguay, Thailand, auf den Philippinen, in Indien, China und Nordafrika und sub-Saharan-Africa.
Kein Kanzler-Kandidat?
Das Interesse für Umwelt und Politik hat sich in der Jugend eingestellt. Bis zum Kreisvorsitzenden der JuSos brachte er es Ende der 60er-Jahre in der bayerischen Heimat. Willy Brandt fand er damals gut, wie er heute sagt, und wenn man Thilo Bodes Lebenslauf betrachtet, drängt sich die Frage auf, warum er nie Berufspolitiker geworden ist? „Politikerkarrieren sind Parteikarrieren. Diesen Weg wollte ich nicht gehen. Man kann von außen besser Druck ausüben, mehr erreichen.“ Wo er am besten wirken könnte? „Vielleicht als Pfarrer“.
Er studierte zunächst Sozialwissenschaften, brach ab und wechselte zur Volkswirtschaftslehre, „weil sie substanzielle Fragen beantwortet“. Und Antworten hat er gesucht. „Warum gibt es arm und reich?“, war eine, die ihn umtrieb. Nicht Karrieredenken, sondern was Spaß macht, stand im Vordergrund. „Ich habe im Leben oft ungeplant gehandelt, vieles aus dem Bauch heraus entschieden, auch nicht auf materielle Dinge geachtet. Wenn es danach geht, habe ich nichts erreicht.“ Die Dritte Welt interessiert ihn, nach dem Studium geht er ins Ausland. Später, bei einem Metallkonzern, als Vorstandsassistent, entdeckt er Führungsaufgaben für sich. „Das war die Realität des Wirtschaftslebens, in der Entwicklungshilfe ging es eben doch eher um idealistische Dinge.“ Das Managen an sich fand er spannend, die Art der Tätigkeiten, Entscheidungen zu treffen, Erfolg zu haben. Welche Bedeutung hat Macht für ihn? „Macht ist geil“, sagt er mit blitzenden Augen, medienwirksam, spöttisch und legt ernsthaft nach: „Macht bedeutet für mich, dass man über das Schicksal von Menschen und Dingen entscheiden kann. Macht zu haben ist gut.“
Thilo Bode über Persönlichkeitsentwicklung
„Es gibt im Leben immer persönliche Wendepunkte. Trennungen, Verluste. Menschen, die keinen Schmerz und keine Tiefpunkte erleben – das wirkt sich negativ aus auf die Persönlichkeitsentwicklung. Niederlagen sind wichtig, mal ein Spiel nicht zu gewinnen und das Umgehen damit zu lernen.“
In die Welt der Nongovernmental-Organizations nahm er das Management-Denken mit. Trainings zur Mitarbeiterführung etwa bot er bei Greenpeace der mittleren Leitungsebene an. Coaching hält er für unerlässlich. „Mit den Führungsqualitäten ist es ähnlich wie mit dem Klavierspiel. Man braucht Talent, man darf nicht unmusikalisch sein, aber zum großen Teil ist es eine Frage der Technik, und die ist erlernbar. Welches Prinzip man später anwendet, das ist dann eher eine Typfrage.“ Gute Führung, das ist für ihn Klarheit, Ehrlichkeit, auch den Mut bei Menschen zu entwickeln, “nein“ zu sagen, dazu klare Zielvorgaben und ein entsprechendes Feedback geben zu können. Von sich selbst behauptet Thilo Bode, ein schlechter Menschenkenner zu sein. Daher überlasse er vielfach Personalauswahlprozesse seinen Mitarbeitern.
„Die wissen, wer zu uns passt.“ Nachhaltigkeit zeigt er auch im Zusammenspiel mit seinem heutigen Team, für dessen Rekrutierung er ehemalige Greenpeace-Kollegen um Unterstützung bat. Noch einmal etwas Neues machen zu wollen, war der Grund, warum er wegging von den „Rainbow-Warriorn“. Mit der 2002 gegründeten Verbraucherschutzorganisation foodwatch macht er aufmerksam auf die wunden Punkte der Lebensmittelsicherheit, setzt sich ein für vollständige Information in der Produktionskette: „Vom Trog bis zum Teller, vom Bauern bis zum Weltkonzern.“
Kein Held von Welt?
Eigentlich wollte Thilo Bode als Junge Jäger werden. Und in gewisser Weise erfüllte sich sein kindlicher Berufswunsch. Nicht im Forst, sondern im Leben, auf der Jagd nach den wahren grünen Diamanten: nach Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit und ökologischer Verantwortung. Und beim Jagen schreckt er auch vor Radikalität nicht zurück. Er möchte Mut machen, motivieren, sich zu engagieren. Vorträge in Schulen und Hochschulen hält er gerne, weil dort ein tolles Feedback kommt. „Die jungen Leute heute haben doch alle Möglichkeiten“, grübelt er, der selbst Vater eines 30-Jährigen Sohnes ist. „Fahren Sie doch einmal mit auf einem Schiff von Greenpeace und lassen Sie sich für drei Tage einsperren in ein ausländisches Gefängnis.“ Viele würden ihn fragen, was sie dafür bekommen? – „Ein spannendes Leben“.
Ein Werte-Gang
Thilo Bode, geboren 1947, aufgewachsen in Herrsching am Ammersee. Sein erstes Geld verdient er als Postbote und Bauarbeiter. Studium mit der Unterstützung der Eltern. Er begann 1969 mit dem Soziologie- später mit dem Volkswirtschaftslehre-Studium an den Universitäten München und Regensburg. Abschluss als Diplom-Volkswirt 1972. Stipendium für die Promotion. Nach einer Forschungstätigkeit an der Universität Regensburg promovierte er 1975 über das Thema Direktinvestitionen zum Dr. rer. pol. Berufliche Stationen bei Lahmeyer International, Frankfurt, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt, und bei einem mittelständischen Metallkonzern in Düsseldorf. Eine hohe Bekanntheit erlangte er als Geschäftsführer von Greenpeace e.V. Deutschland, wo er zwischen 1989 und 1995 wirkte. Zwischen 1995 und 2001 lebte er in Amsterdam und arbeitete dort als Executive Director für Greenpeace International. 2001 folgte die Rückkehr nach Deutschland. Seither lebt er in Berlin und wirkt als freier Autor und Berater sowie seit Herbst 2002 als Geschäftsführer der neuen Verbraucherschutzorganisation foodwatch e.V.
Weitere Informationen
foodwatch-Team. Die neue Verbraucherschutzorganisation foodwatch will ‚Demokratie auf dem Teller‘ – und nimmt den gesamten Ernährungssektor aus Verbrauchersicht unter die Lupe. Politisch und finanziell unabhängig und weltanschaulich ungebunden finanziert sie sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spendengeldern. www.foodwatch.de
Ralf Blauth ist nicht nur Mitglied der Geschäftsführung und Arbeitsdirektor der Evonik Degussa. Seit 1. Juli 2009 ist er auch Personalvorstand und Arbeitsdirektor des Mutterkonzerns Evonik Industries. Ralf Blauth sprach mit dem karriereführer über seine Erfahrungen als Top-Manager. Die Fragen stellte Christiane Martin.
Zur Person Ralf Blauth
Ralf Blauth, 58 Jahre, begann nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Hüls AG in Marl seine berufliche Karriere 1971 im technischen Einkauf des Unternehmens. 1981 wurde er in den Betriebsrat berufen, dessen Vorsitz er ein Jahr später übernahm.
Ralf Blauth gehört seit dem 1. März 2006 dem Vorstand von Bayer an. Er ist verantwortlich für Innovation, Technologie und Umwelt und betreut die Region Asien/Pazifik. Darüber hinaus ist er Vorstandsvorsitzender des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA).
Herr Blauth, Sie haben im Sommer einen neuen Job angefangen. Wie ist es bei Evonik?
Wenn Sie so wollen, habe ich bereits vor 40 Jahren erstmals meinen Fuß in das Unternehmen gesetzt. Ich habe damals bei der ehemaligen Hüls AG eine Ausbildung gemacht. Das Unternehmen hat dann später mit der Degussa fusioniert und die wiederum ist inzwischen in Evonik aufgegangen. Also, ich kenne das Unternehmen schon seit einiger Zeit. Über meine neuen Aufgaben im Evonik-Vorstand freue ich mich. Um Ihre Frage zu beantworten, wie es hier ist: Prima. Arbeit in einem globalen Konzern mit starken Wurzeln in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, macht Freude.
Greifen Sie auf Ihre Erfahrungen als Arbeitsdirektor bei Evonik Degussa zurück?
Wie gesagt: Ich starte ja nicht bei Null. Ich kenne den Konzern, seine Struktur, seine Mitarbeiter und Führungskräfte. Das ist mir mit Blick auf die anstehenden Aufgaben von Nutzen. Denn es ist nicht viel Zeit, um anzukommen. Wir bewegen uns in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die auch an Evonik nicht spurlos vorübergehen. Sparen ist das Gebot der Stunde und auch unsere Mitarbeiter tragen dazu maßgeblich durch den Verzicht auf bestimmte Leistungen bei. Doch Verzicht ist allemal besser als betriebsbedingte Kündigungen. Diese wollen wir unbedingt vermeiden.
Was sind denn Ihrer Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften, die ein Manager braucht?
Grundausrüstung: Ein gesunder Menschenverstand und Offenheit. Dazu Gestaltungskraft und gute Mitarbeiter an seiner Seite.
Und wie sieht das Rüstzeug für Hochschulabsolventen aus, wenn sie Karriere machen wollen?
Wir erwarten von Absolventen solide Fachkenntnisse und soziale Kompetenz. Oft wird die Frage gestellt: Welche Ausbildung bringt mir die besten Chancen am Arbeitsmarkt? Die generalistische oder die spezialisierte Ausbildung? Darauf gibt es keine abschließende Antwort. Es kommt auf die jeweilige Einstiegstätigkeit an. Unabdingbar ist auch die Fähigkeit, Wissen zu aktualisieren und im Dialog mit anderen zu beschaffen. Das bedeutet im Umkehrschluss, auch die Fähigkeit zu besitzen, Erfahrungen und Wissen weiterzugeben.
Wie wichtig sind Fremdsprachenkenntnisse?
In einer zunehmend globalisierten Welt sollten junge Akademiker Fremdsprachenkenntnisse mitbringen und Offenheit für andere Kulturen. Evonik ist ein international agierender Konzern. Bei uns gehört Englisch zum sprachlichen Grundrüstzeug. Weit vorn im Wettbewerb um die besten Arbeitsplätze ist auch derjenige, der beispielsweise während Praktika schon erste Praxiserfahrung sammeln und Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen konnte. Ich würde jedem Studenten empfehlen, sich frühzeitig auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren.
Wir leben ja heute leider in wirtschaftlich eher schwierigen Zeiten – wie können angehende Akademiker trotzdem sichere Arbeitsplätze finden?
Sicher ist immer relativ. Der eine denkt in Zeithorizonten von zwei bis drei Jahren, bis er weitere Erfahrungen machen möchte – sei es im Zuge eines Wechsels innerhalb des Unternehmens, eines Auslandsaufenthaltes oder auch durch den Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber. Der andere möchte am liebsten bis zum Ruhestand in nur einem Unternehmen bleiben. Letzteres wird es kaum noch geben. Deshalb sollte sich jeder ein gewisses Maß an Flexibilität bewahren. Um dann einen „sicheren“ Arbeitsplatz zu finden, sollten sich Absolventen intensiv mit dem potenziellen Arbeitgeber auseinandersetzen. Die wirtschaftliche Entwicklung verfolgen und hinterfragen, die Integrität und den nachhaltigen Umgang des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern näher betrachten. Die Sicherheit eines Arbeitsplatzes hängt in hohem Maße von der Qualität des Arbeitgebers und von der Leistung des Absolventen ab.
Viele Unternehmen verlangen von jungen Nachwuchskräften vor allem Leistungsbereitschaft. Ist das eine Eigenschaft, die auch bei Evonik wichtig ist, und was verstehen Sie darunter?
Ohne die Bereitschaft und den Ehrgeiz etwas leisten zu wollen, geht es nicht. Sie müssen schon ein gewisses Maß an eigenem Antrieb mitbringen. Denn Leistungsbereitschaft kann man nicht erzwingen. Natürlich trägt ein positives Arbeitsumfeld zur Steigerung der Leistungsbereitschaft bei. Man braucht aber auch weitere Fähigkeiten, um als Nachwuchskraft einen guten Karrierestart hinzulegen. Ein Beispiel: Wenn Sie leistungsbereit sind und in einem Team arbeiten sollen, aber keine Kommunikationsfähigkeit besitzen, dann werden Sie aller Voraussicht nach nicht ans Ziel kommen. Wichtig ist, dass Fähigkeiten wie beispielsweise Kommunikations-, Kritik- und Teamfähigkeit, Selbstdisziplin, Fleiß und Verantwortungsbereitschaft möglichst früh erlernt werden.
Und ist Ihrer Meinung nach auch Talent wichtig oder kann man alles lernen, wenn man nur will?
Talent und Interesse an der Aufgabe sind unverzichtbar. Aber natürlich kann man vieles bis zu einem gewissen Grad erlernen. Wichtig ist, die eigenen Stärken zu kennen, daraus das Beste zu machen und gleichzeitig an den eigenen Schwächen zu arbeiten. Diese Einstellung ist eine solide Basis für eine erfolgreiche Karriere.
Wie bilden Sie bei Evonik Ihre Nachwuchskräfte fort?
Grundsätzlich fördern wir Lernen durch herausfordernde Aufgaben. Eine Kernkompetenz unseres Konzerns ist die kontinuierliche Selbsterneuerung. Abgeleitet bedeutet das für unsere Mitarbeiter: lebenslanges Lernen. Dabei unterstützen wir sie mit einem großen Seminarangebot. Wir bieten fachspezifische Seminare oder Kurse, die den Schwerpunkt auf Soft Skills legen. Auch On-the-job-Maßnahmen kommen zum Einsatz – wie beispielsweise Mentoring oder Projektarbeit.
Und was bieten Sie Leuten, die frisch von der Hochschule kommen?
Im Regelfall den Direkteinstieg. Junge Hochschulabsolventen können sich häufig zunächst in Projekten einbringen, mit dem Ziel, sich im Team in die neue Aufgabe einzufinden und dann auch möglichst früh Verantwortung zu übernehmen. Für uns gehört „Freiraum geben“ zu einem sehr wichtigen Prinzip. Aber wir erwarten auch, dass unsere Mitarbeiter diesen Freiraum nutzen, um kreative Wege zu gehen. Es gilt das Motto unserer Personalmarketingkampagne „Gesucht: Querdenker und andere Talente“. Wir wollen damit nicht zuletzt die Begeisterung für die eigene Aufgabe fördern: Die Identifikation mit der Aufgabe und dem Unternehmen – das zusammen ergibt den nötigen Antrieb und bringt Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen voran.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, würden Sie sich wünschen …
… dass es uns weiterhin gelingt, fähige junge Talente für die Zukunftsgestaltung des Konzerns zu finden; auch für die Zukunft Gesundheit, Zufriedenheit und das erforderliche Quäntchen Glück im beruflichen und privaten Leben und schließlich weitere freie Wünsche, weil es immer noch viele Probleme auf dieser Welt gibt.
Evonik Industries
Evonik Industries ist ein Industriekonzern aus Deutschland mit den Geschäftsfeldern Chemie, Energie und Immobilien. Evonik ist eines der weltweit führenden Unternehmen in der Spezialchemie, Experte für Stromerzeugung aus Steinkohle und erneuerbaren Energien sowie eine der größten privaten Wohnungsgesellschaften in Deutschland. Evonik ist in mehr als 100 Ländern der Welt aktiv. Rund 41.000 Mitarbeiter erwirtschafteten im Jahr 2008 einen Umsatz von circa 15,9 Milliarden Euro und ein operatives Ergebnis (EBITDA) von rund 2,2 Milliarden Euro.
Ben Matlock oder Perry Mason – amerikanische Gerichtssäle hat man im Kopf, wenn man an die Arbeit eines Strafverteidigers denkt. Näher an der Realität: Die Arbeitswoche des Kölner Strafverteidigers Reinhard Georg Birkenstock. Von Reinhard Georg Birkenstock
Eine Woche meines Berufslebens soll ich zu Papier bringen Kölner Strafverteidiger Reinhard Georg Birkenstockund das, was ich mir als Strafverteidiger beim Rückblick auf die eigene Arbeit so für Gedanken mache. Vorab: die Arbeitswoche eines Strafverteidigers hat sieben Tage und jedenfalls dann, wenn ein Mandant in Untersuchungshaft sitzt, der nun wirklich nicht dahin gehört, dauert der Arbeitstag eines Strafverteidigers viele Stunden, nämlich vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Fangen wir also an.
Sonntag, 7. Dezember 2003
Es ist der zweite Advent, mit zwei Mandanten muss unbedingt heute gesprochen werden. Bei beiden wurde das Mandat in laufender Hauptverhandlung vor der Strafkammer übernommen. Im Brandstiftungsfall war der Vorgänger entlassen worden, weil er sich mit der Strafkammer auf eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verständigt hatte, obwohl der Mandant jede Tatbeteiligung bestreitet. Im anderen Fall geht es um den Vorwurf der Vergewaltigung in einer Beziehung, mein Vorgänger hatte das Mandat niedergelegt.
Wir teilen uns die Arbeit. Meine als Mediatorin in meiner Kanzlei tätige Frau befasst sich mit der Sacheinlassung des Mannes, der als Außenstehender dafür verantwortlich sein soll, dass ein Unternehmer seine Fabrik in Brand gesetzt hat, indem er ihm Leute zur direkten Tatausführung beschafft habe.
Ich widme mich dem Mann, der nach einem Streit eine Freundin vergewaltigt haben soll und behauptet, es sei von beiden Seiten freiwillig geschehen. Die häufigste Frage an den Strafverteidiger: „Kann man dann überhaupt verteidigen, wenn man, gerade bei Gewaltdelikten, weiß, dass der Angeklagte schuldig ist?“.
Wie so oft, auch auf diese Frage gibt es keine generelle Antwort. Zunächst kommt es sicher darauf an, wie man verteidigt. Man muss die (möglichen) Opfer bei der Befragung nicht in den Dreck ziehen. Und: Je älter man wird, ich bin 59 Jahre alt und seit 1975 selbstständiger Anwalt, umso sokratischer wird es einem: man weiß immer mehr, dass man nichts weiß.
Vor der Tagesschau verlassen beide Mandanten das Haus.
Montag, 8. Dezember 2003
Statt des geplanten Besuchs in der JVA Rheinbach wegen der Besprechung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe Hauptverhandlung in Köln. Den Besuch nimmt statt meiner eine junge Kollegin wahr.
In der Hauptverhandlung in der Vergewaltigungssache herrscht dünne Luft. Unter anderem wegen des Verteidigerwechsels und wegen der Beweisanträge macht der Vorsitzende eine Äußerung, die der Verteidigung unterstellt, man benenne bewusst einen kranken Zeugen, um das Verfahren platzen zu lassen. Daraufhin wird er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Ein Antrag, der wenig Freude auslöst und dessen Bearbeitung sich über die ganze kommende Woche hinziehen wird.
„Strafverteidigung ist Kampf, solange es um die Schuld oder Unschuld des Mandanten geht“ schreibt Hans Dahs in seinem „Handbuch des Strafverteidigers“, das jeder, der mit dem Gedanken spielt, Strafjurist zu werden, Staatsanwalt, Richter oder Verteidiger, zumindest einmal quergelesen haben sollte.
Die Hauptverhandlung wird am Spätvormittag unterbrochen. Mittags Besprechungen: Ein Ehepaar will wissen, welcher Schadensersatz ihm zustehe nach Einstellung des Mordverdachts-Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann, der sich als unschuldig erwiesen hatte. Die Auskunft enttäuscht. Der Staat gewährt nur wenig Entschädigung bei zu Unrecht erfolgter Strafverfolgung.
Weitere Besprechungen bis in den Abend, in den meisten geht es darum, dass ich bei feststehender Schuld für möglichst milde Strafe sorge. Strafmaßverteidigung nennen wir das, und funktional definiert Hans Dahs das in seinem Klassiker mit der gebräuchlichen Definition von Politik, nämlich mit dem Begriff der „Kunst des Möglichen“. Recht hat er auch hier. Man muss verhandeln wie ein Politiker, um bei dem Staatsanwalt oder dem Richter möglichst viel Verständnis für das Verhalten des Mandanten zu wecken und beim Mandanten muss man dafür sorgen, dass er nicht zu rechthaberisch ist.
Otto Schilly hat das einmal mit dem Wort „optimieren“ beschrieben. Man müsse den Mandanten für die Justiz, deren Vertreter für die Sache des Mandanten optimieren.
Dienstag, 9. Dezember 2003
9 Uhr 15 Hauptverhandlung gegen einen Kollegen, der der Gegenseite seines früheren Mandanten zu viel Vertrauen in dessen Anlagetätigkeit geweckt und deshalb seinem Mandanten Beihilfe zur Untreue geleistet haben soll.
Der Hauptzeuge, nämlich der frühere Mandant des von mir verteidigten Kollegen, lebt in Lichtenstein und hat sich per Telefax krank gemeldet. Da lacht das Herz des Verteidigers, wie immer, wenn er eine Position des Verfahrensrechts ausnutzen kann, um eine Verurteilung des Mandanten zu verhindern, zu erschweren oder zumindest hinauszuzögern.
In der Sache hat mich schon als Student das Zivilrecht, besonders die perfekte Redaktion des BGB weitaus mehr begeistert als das Strafrecht. Diese ewigen Abgrenzungsklausuren oder -hausarbeiten, Diebstahl oder Unterschlagung, Betrug oder Untreue, ödeten mich eher an. Als Strafverteidiger habe ich mit solchen Abgrenzungen auch eher selten zu tun. Jedenfalls weitaus weniger, als die Richter und Staatsanwälte, deren Kernaufgabe es ist, ermittelte oder in der Hauptverhandlung festgestellte Sachverhalte zu ordnen und zu subsumieren.
Der Verteidiger arbeitet weitaus ergebnisorientierter. Ob sein Verhalten als Diebstahl oder Unterschlagung gewürdigt wird, ist dem Mandanten schnuppe. Freispruch will er haben oder Einstellung wegen Geringfügigkeit, Paragraf 153 a StPO, oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt oder wenn es nicht anders geht, Geldstrafe oder Bewährung. Um die Höhe der Sanktion geht es dem Mandanten im Ergebnis und während des Verfahrens um das Vermeiden jeder medialen Erwähnung.
Hier hat das alles funktioniert. Nach kurzer Verhandlung ist die an der Gerichtssaaltür angebrachte Rolle mit dem Namen des von mir verteidigten Kollegen, der unter Anklage steht, verschwunden, bevor ein Gerichtsreporter sie entdeckt hat. Die Sache ist vertagt worden. Gericht und Staatsanwaltschaft schlagen eine Einstellung wegen Geringfügigkeit vor. Mein Mandant hat drei Wochen Zeit, sich dazu zu erklären.
Nachmittags Besprechung mit dem deutschen Geschäftsführer eines internationalen Konzerns in einer Steuerstrafsache, in der viele Millionen Euro im Streit sind. Klar, worum es geht: nur so viele Steuern wie unbedingt nötig nachzahlen, möglichst keine Strafe und um Gottes wegen keine Publizität. Je vermögender die Mandanten sind, umso anspruchsvoller sind sie auch. Gott sei dank liegt der BRAGO auch das Institut der Honorarvereinbarung zugrunde, so dass man sich seine Mühe auch angemessen vergüten lassen kann.
Mittwoch, 10. Dezember 2003
7 Uhr 30 Aufbruch zur Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer des Landgerichts Siegen. Es geht um den Brandstiftungsfall. Die Strafkammer hatte eine Verständigung vorgeschlagen: Der geständige Unternehmer sollte als Mittäter und mein jetziger Mandant als Haupttäter zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt werden.
Nur: mein Mandant sagt, er habe an der Tat nicht mitgewirkt. Bisher hatte er geschwiegen. Meine Ankündigung, er wolle sich im nächsten Termin zur Sache einlassen, findet großes Wohlwollen, die Atmosphäre ist hervorragend. Doch auch bei bester Atmosphäre liegt ein Überzeugungskampf vor uns. Von der Sacheinlassung meines Mandanten und von der Art und Weise, wie er die Fragen des Gerichts beantworten wird, hängt entscheidend ab, ob es uns gelingt, das Gericht von seiner Unschuld zu überzeugen.
Nachmittags Verlagsbesprechung. Es geht um die Präsentation und Bewerbung meiner Rechtsprechungssammlung „Verfahrensrügen im Strafprozess“, die ich in mehrjähriger Arbeit zusammengestellt habe.
Denn weitaus mehr noch als das BGB und seine faszinierende Struktur hatte mich schon immer die Frage interessiert, wie ernst der Staat die hehren Grundsätze der Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes nimmt, wenn es im Strafverfahren wirklich darauf ankommt.
Aus heutiger Sicht stelle ich fest, dass ich parallel zu meinem Interesse, wenn auch aus ganz anderen Gründen, den Aufbau meiner Strafverteidigerkanzlei betrieben habe. Von 1972 an habe ich Tag für Tag als Referendar in einer Zivilkanzlei gearbeitet, wurde dort alsbald nach meinem Zweiten Juristischen Staatsexamen Juniorsozius, um innerhalb dieser Zivilkanzlei mich auch Strafverfahren zu widmen. Erst seit 1980 bin ich (nahezu) ausschließlich Strafverteidiger. Zu verhandeln habe ich also im Umgang mit Ziviljuristen gelernt, ebenso wie den Gerichtsbetrieb als Parteivertreter.
Ich bin nicht undankbar für diese Schule. Zumindest ebenso wichtig ist jedoch der ökonomische Aspekt. Wie die Wirtschaftsprüfer und die Steuerberater leben die Zivilkanzleien von Dauermandanten, von Unternehmen und auch von Familien, die immer wieder dasselbe Anwaltsbüro aufsuchen, solange man dort nicht durch grobe Schnitzer oder missbräuchliche Behandlung für Vertrauens- und Mandatsentzug sorgt.
Wir Strafverteidiger haben die „guten“ Mandanten in der Regel nur einmal. Die Ärzte begehen, wenn überhaupt, nur einmal im Leben einen Kunstfehler, die Geschäftsleute und Unternehmer in der Regel nur einmal eine Untreue- oder Steuerstraftat. Und nur von denen, die als kleine, mittlere oder auch Gewaltkriminelle immer wieder auffällig werden, kann man sein Büro nicht finanzieren, geschweige denn leben.
Sicher, auch bei ihnen muss man einen vernünftigen Ruf haben, ebenso wie bei den Gerichten und den Staatsanwaltschaften, wirtschaftlich ganz entscheidend ist aber die Akzeptanz des Strafverteidigers bei den zivilrechtlich tätigen Kollegen. Sie müssen sicher sein, dass man den von ihnen empfohlenen Mandanten wirklich optimal verteidigt. Genauso sicher müssen sie wissen, dass man ihn nur in der empfohlenen Sache verteidigt und ihn mit allen übrigen Anliegen wieder in die Kanzlei zurückschickt, aus der man empfohlen wurde.
Donnerstag, 11. Dezember 2003
Haftprüfung gegen den Betreiber eines bordellartigen Betriebes, dem vorgeworfen wird, illegal in Deutschland lebenden Frauen die Ausübung der Prostitution ermöglicht und umfangreich Steuern hinterzogen zu haben. Die Entscheidung wird auf die nächste Woche vertagt.
Nachmittags Besprechungen, Strafmaßverteidigungen, eine Kleinstsache dabei: eine Studentin soll eine Nachbarin als „Schlampe“ bezeichnet haben.
Anschließend Weiterarbeit an dem Ablehnungsgesuch von Montag. Der abgelehnte Richter und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft haben sich dienstlich geäußert. Dazu muss akribisch Stellung genommen werden. Man muss schon sehr detailliert belegen, dass ein Richter auch bei Anwendung vernünftiger Maßstäbe durch einen besonnen Angeklagten durch sein Verhalten den Anschein geweckt hat, er stehe der Sache des Angeklagten nicht unparteiisch gegenüber.
Freitag, 12. Dezember 2003
Besuch eines türkischen Mandanten in der JVA, der auf der Basis eines Geständnisses angeklagt ist, gemeinsam mit anderen eine Serie von bewaffneten Raubüberfällen auf Spielhallen begangen zu haben. Der Staatsanwalt hat beantragt, das Gericht möge die Angeklagten darauf hinweisen, dass auch Sicherheitsverwahrung in Betracht komme. Das Gericht hat die Begutachtung durch eine ganz hervorragende psychiatrische Sachverständige angeordnet. Dazu ist Stellung zu nehmen.
Nachmittags Presseanfragen wegen der Einstellung des Verfahrens im Kölner Parteispendenskandal und Vorbereitung einer Besprechung mit der Geschäftsführung eines Unternehmens der Abfallwirtschaft. „Müllskandal“ heißt das in den Zeitungen.
Auch der Umgang mit den Journalisten ist wesentlicher Teil der Strafverteidigertätigkeit. Den Mandanten gilt es, vor voreiligen Unschuldsbeteuerungen und Beschimpfungen der Justiz zu bewahren, und zugleich ist dafür zu sorgen, dass der Mandant in den Medien nicht vorverurteilt wird. Ein manchmal interessantes, aber immer ein Betätigungsfeld, das höchste Konzentration erfordert.
Samstag, 13. Dezember 2003
Frei.
Einen Tag brauche ich. Wenn es eben geht, dass ich ihn mir frei nehme. Es sei denn, der Telefon-Notdienst ruft. Gemeinsam unter anderem mit der jetzigen Justizministerin von Schleswig-Holstein, Frau Rechtsanwältin Anne Lütkes haben wir in Köln vor vielen, vielen Jahren die Gefangenenberatung für mittellose Gefangene eingerichtet – und eben den Notdienst.
Der wird von allen möglichen Personen in Anspruch genommen. Familienkrach, Nachbarschaftsärger, manchmal auch nur schlechte Laune im Suff. Aber immer mal wieder auch von solchen, die völlig ratlos sind, weil sie vorläufig festgenommen wurden. Dann heißt es, zu welcher Tages- und Nachtzeit auch immer, rein ins Auto, hin zum Polizeipräsidium, Erstberatung durchführen und dafür sorgen, dass der Mandant und seine Familie wissen, dass sie nicht ohne Beistand sind.
Wenn ich jetzt hoffe, dass mich am Wochenende der Notdienst nicht trifft, dann ist das geheuchelt, denn natürlich machen das seit langem in meiner Kanzlei die jüngeren Kollegen für den Chef mit und rufen mich nur dann an, wenn es wirklich brennt oder es sich wirklich lohnt.
Strafverteidiger sind Einzelanwälte, in aller Regel jedenfalls. Sie werden von den Mandanten und Kollegen wegen ihrer Persönlichkeit empfohlen und können an die nachstrebende jüngere Generation nur behutsam delegieren. Wenn mal eine junge Juristin oder ein junger Jurist sich dazu entschließt, in einer Strafverteidigerkanzlei Fuß fassen zu wollen, dann sollte man als Grundvoraussetzung das Interesse für die Konfliktsituationen mitbringen, die jedem strafrechtlichen Vorwurf innewohnen, sollte bereit sein, auch mit dem eigenen Mandanten den Kampf um die Wahrheit zu führen.
Man sollte die wirkliche Bereitschaft dazu mitbringen, in der ersten Zeit dem Praxissenior oder der Praxisseniorin zu assistieren und dabei zuzuschauen, wie sich Strafverteidigung im Einzelfall organisiert, wie der sachgerecht vernünftige Umgang mit den Mandanten, den Mitverteidigern, den Beamten der Polizei und der Steuerfahndung, den Staatsanwälten und den Richtern gesucht und gepflegt wird. Nicht, um irgendwann einmal zu versuchen, die große Lehrmeisterin oder den großen Lehrmeister abzukupfern, sondern um die eigene Persönlichkeit darauf zu prüfen, ob man das mit den eigenen Mitteln nicht genauso gut oder noch besser kann.
Der Einstieg ist schwer, weil wir Strafverteidiger es sehr scheuen, durch eine voreilige Zusage die finanzielle Verantwortung für das Berufsleben einer jungen Kollegin oder eines jungen Kollegen mit zu übernehmen. Wir werden uns an der vermuteten Einsatzbereitschaft, Verhandlungskompetenz, am juristischen Wissen, also doch wieder an der Note, aber ebenso daran orientieren, ob wir es der Bewerberin oder dem Bewerber zutrauen, auch in der eigenen Juristengeneration Mandanten zu akquirieren, und ob wir davon ausgehen können, dass mit dem Mandanten und mit denen, die die Mandanten geschickt haben, sachgemäß und sorgfältig umgegangen wird.
Sonntag, 14. Dezember 2003
Vorbereitung der letzten Woche vor Weihnachten und Besprechung des Entwurfs für die Sacheinlassung in der Brandstiftungssache.
Jeder kennt ihn – aber nicht alle wissen, dass er als Jurist beim ZDF anfing, um dann doch der Karriere vor der Kamera den Vorzug zu geben: Dr. Alfred Biolek im Gespräch mit dem karriereführer. von Gabriele Roeder
Mit welcher Intention haben Sie seinerzeit das Fach Jura studiert?
Ich wollte ursprünglich die Rechtsanwaltspraxis meines Vaters übernehmen.
Welche „Berührungspunkte“ bestehen zwischen Ihrer heutigen Tätigkeit und Ihrer juristischen Ausbildung?
Es gibt eigentlich keine Berührungspunkte. Wobei ich sagen würde, dass Jura zu studieren eine Art Lebenserfahrung ist, weil man mit sehr vielen verschiedenen Aspekten konfrontiert wird, aus den Bereichen der Kriminalität über Erbschaftsfragen bis hin zu internationalen Angelegenheiten. Das Studienfach Jura ist sehr breit gestreut, sodass es einem natürlich sehr viel über das Leben vermittelt. Meine Arbeit heute hat ja ebenfalls mit dem Leben zu tun. In dieser Hinsicht gibt es eine Verbindung, aber die ist sehr indirekt.
Würden Sie sich selbst juristisch vertreten, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
Nein, auf keinen Fall. Ich habe sehr schnell, etwa nach einem oder zwei Jahren, aufgehört juristisch zu arbeiten. Am Anfang war ich kurze Zeit in der Rechtsabteilung des ZDFs tätig und bin dann schnell ins Programm gekommen.
Ich fühle mich auch nicht als Jurist und kann somit schlecht sagen, ich bin Jurist. Ich habe mir auch ganz schnell klar gemacht, dass ich meine juristische Tätigkeit beende. Wenn ich heute eine juristische Beratung benötige, dann hole ich mir einen professionellen Ratgeber.
Wie kamen Sie als ZDF-Jurist zum Programm?
1963 wurde das ZDF gegründet und das Fernsehen steckte sozusagen noch in den Kinderschuhen. Es gab schon ein bisschen ARD und noch nicht einmal die dritten Programme. Und natürlich gab es noch nicht so viele Leute, dass man sie alle für das ZDF hätte abwerben können, um es aufzubauen. Es gab aber auch keine Fernsehakademien etc. Und das bedeutet, dass man natürlich allen Leuten, von denen man glaubte, dass sie ganz gut ins Team passen und ein bisschen talentiert sind, eine Chance gegeben hat. Das war sozusagen die Goldgräberzeit.
Die neuen Mitarbeiter wohnten alle in Mainz in Hotels und trafen sich abends im Restaurant zum Essen. Ich war dann auch da und habe sie unterhalten. Dies führte dazu, dass sie erkannt haben, dass ich offensichtlich noch ein anders Talent besitze. Dass ich im Fernsehprogramm gelandet bin hat wirklich mit dieser damaligen Zeit zu tun. Das gibt es heute so nicht mehr.
Welche beruflichen Chancen bietet nach Ihrer Ansicht die heutige Medienlandschaft für junge Juristen?
Alle Chancen – junge Juristen können sehr vielseitig sein. Wenn man das Jurastudium als eine Art Basis ansieht, dann kann man überall in die Medien. Es besteht die Möglichkeit, als reiner Jurist in die Medien zu gehen, als Verwaltungsdirektor eines Senders oder eben auch in den Bereich des Programms. Das Handwerkliche oder Fachliche müssen sie dann natürlich noch dazulernen.
Auf welche „Soft Skills“ legen Sie bei den Mitarbeitern und Kollegen wert?
Meine Mitarbeiter sollten angenehme, intelligente und bewegliche Leute sein, die Menschlich vor allem in Takt sind. Sie müssen positiv und freundlich sein und auf jeden Fall Humor besitzen. Im fachlichen Bereich sollten Sie schon viel wissen oder sehr schnell dazulernen.
Welchen „Rat fürs Leben“ möchten Sie der jungen Generation mit auf den Weg geben?
Jeder muss da seinen Weg finden, das Wichtigste ist, dass man sich nicht selbst verrät und aufgibt. Von Bedeutung ist ebenfalls, dass man nicht etwas tut, was man schlecht findet, nur weil man glaubt, andere erwarten es oder der Beruf verlangt es. Also mit sich selbst im Reinen sein, mit sich selbst eins sein und nur Sachen machen, zu denen man auch steht und die man auch verantworten kann, das halte ich für sehr entscheidend. Allerdings sind ja auch Intriganten schon Intendanten geworden. Mein persönlicher Rat ist, dass man sich selbst immer treu bleibt, aber ob das letztendlich immer zum Erfolg im Sinne von Karriere führt, das weiß ich nicht.
Was möchten Sie in Ihrem weiteren beruflichen Leben noch erreichen?
Nichts mehr. Ich möchte, dass das Erreichte jetzt nicht mehr in Frage gestellt wird. Dass ich jetzt keinen Fehler mehr begehe und auch keine Sendung mehr mache, die sozusagen das wieder relativiert, was ich bis jetzt erreicht habe. Beruflich muss ich nichts mehr erreichen.
Ihre persönliche Definition von Erfolg?
Der Erfolg besteht darin, dass man etwas erreicht hat – sowohl vom Ansehen, von der Befriedigung und vielleicht auch vom Einkommen her. Dass man etwas erreicht hat, mit Dingen, die man gerne macht und zu denen man stehen kann. Dass man von sich selbst sagen kann, ich habe Erfolg, aber dieser Erfolg ist nicht teuer erkauft – mit Verrat an sich selbst, zu viel Arbeit, sodass man kein Privatleben mehr hat. Dann ist es für mich kein Erfolg. Erfolg steht in einer vernünftigen Relation zu dem Preis, den man gezahlt hat, den intellektuellen, den psychologischen und den zeitlichen Preis. Ich habe immer auch Zeit gehabt für mein Leben. Es gibt nichts, was ich bedauere oder wo ich sagen würde, dass ich es anders machen würde, wenn ich von vorne anfangen würde. Das finde ich eigentlich einen sehr schönen Erfolg für mich selbst.
Was schätzen Sie an sich selbst, was halten Sie für verbesserungsfähig?
Das kann ich nicht beantworten, das sollen andere sagen.
Worauf möchten Sie mit 70 Jahren zurückblicken können?
Darauf, dass ich eben eine stetige und nicht sprunghafte oder explosionsartige Karriere gemacht habe. Auf diese Karriere möchte und kann ich auch wohl zurückblicken, wenn ich keine Fehler mehr mache. Ich will jetzt die nächsten Jahre, bis ich 70 bin, nicht mehr irgendeinen Quatsch machen. Ich bin also sehr, sehr vorsichtig mit dem, was ich jetzt mache. Um das Ansehen, das ich habe, nicht im Nachhinein zu gefährden. Es gibt im Fernsehen eine ganze Reihe von schlechten Beispielen, von Menschen, die hoch angesehen waren und phantastische Erfolge hatten und die dann einfach nicht aufhören, nicht loslassen konnten und dann Sachen gemacht haben, die ihrer unwürdig waren. Und das war dann sehr unerfreulich und eigentlich Schade. So ein schlechter Abgang!
Er stammt aus einer deutschen Familie, wuchs in den USA auf und studierte Germanistik an der University of California in Santa Barbara, um Deutsch zu lernen. Seit 19 Jahren lebt und arbeitet Terry von Bibra in Deutschland. Im Januar 2005 wurde er zum Geschäftsführer von Yahoo Deutschland berufen. Im karriereführer informationstechnologie spricht er über den Vorteil, eine andere Perspektive einnehmen zu können und die Fähigkeit, die Sprache des Marktes zu sprechen. Er fordert Offenheit gegenüber Neuem. Meike Nachtwey stellte die Fragen.
Zur Person
Terry von Bibra, 42 Jahre, ist gebürtiger Amerikaner mit deutschen Wurzeln. Er studierte Germanistik an der University of California in Santa Barbara und danach Werbe-Fotografie am Art Center College of Design in Pasadena, USA. Nach siebenjähriger erfolgreicher Selbstständigkeit als Werbefotograf entschied er sich bewusst für einen anderen Berufsweg.
Er absolvierte seinen MBA/MBI an der Rotterdam School of Management und stieg 1998 als European Head of Business Development bei Amazon ein. Seit 2005 ist Bibra Geschäftsführer von Yahoo Deutschland und Vice President Central Europe. Sein vorrangiges Ziel sieht er darin, Yahoo auch im Zeitalter des „Web 2.0“ und „Social Web“ als das führende Online-Portal in Deutschland zu positionieren.
Terry von Bibra, wohnt in München, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Sie haben zunächst Germanistik, anschließend Werbefotografie studiert – welches Berufsziel hatten Sie vor Augen, als Sie mit dem Studium anfingen?
Bei meinem ersten Studium der Germanistik in den USA hatte ich noch keine feste Vorstellung von meinem späteren Beruf. In den USA legt man sich klassischerweise vor dem Studium noch nicht auf einen Beruf fest, sondern studiert das,was einen interessiert. Mein Interesse war breit gefächert, daher habe ich ein Studium gewählt, das einen praktischen Zusatznutzen beinhaltet: Ich habe Deutsch gelernt. Mein zweites Studium war dann sehr auf den zukünftigen Beruf ausgerichtet, ich wollte professioneller Werbefotograf werden.
Wie kamen Sie nach sieben Jahren erfolgreicher Selbstständigkeit als Werbefotograf zur IT?
Als Werbefotograf konnte ich nicht so kreativ arbeiten, wie ich es mir vorgestellt hatte, da ich nur die Vorgaben der Agenturen umsetzen musste. Das bedeutet, ich befand mich am Ende der Wertschöpfungskette. Ich wollte aber höher in die Wertschöpfungskette – ins Marketing. So habe ich mich bewusst für einen Berufswechsel entschieden und zusätzlich ein Master-of- Business-Administration-/Master-of- Business-Informatik-Studium absolviert. Durch dieses Zusatzstudium bin ich zwar kein richtiger Informatiker geworden, habe aber umfassende Einblicke in den IT-Bereich bekommen. Zudem bekam ich die Möglichkeit, meinen ersten Kontakt zum IT-Unternehmen Amazon zu knüpfen.
Sie kommen ursprünglich aus dem kreativen Bereich – wie technikaffin sind Sie?
Durch meine mittlerweile lange praktische Erfahrung bin ich sehr technikaffin, ich liebe die Technik. Ich muss aber nicht bis in alle Einzelheiten verstehen, wie die Technik funktioniert. Mich interessiert, wie die Technik mir hilft, das zu erreichen, was ich will. Ich bin begeistert, wenn ein IT-Ingenieur etwas schafft, das mich als User unterstützt und mir hilft. Im Unternehmen bin ich der oberste Prüfer,was die Usability angeht. Ich schaue mit den Augen des Users auf unsere Produkte, nicht mit denen des Software-Ingenieurs.
Ist das ein Vorteil, den Quereinsteiger wie Sie in ein IT-Unternehmen mitbringen?
Quereinsteiger sind generell offener für den Usability-Aspekt und haben grundsätzlich mehr Verständnis für die „Nicht- Experten“, da sie selbst nicht unbedingt Experten sind. Und Quereinsteiger bringen frischen Wind und frische Ideen mit. Es ist immer ein Vorteil, wenn man eine andere Perspektive einnehmen kann.
Heute sind Sie Geschäftsführer von Yahoo Deutschland – welche Aufgaben nehmen Sie wahr?
Ich bin verantwortlich für drei Bereiche: Zum einen muss ich rechtliche Pflichten und Verantwortungen wahrnehmen und gewährleisten. Zum zweiten habe ich die wirtschaftliche Verantwortung, Umsatzziele zu erreichen. Hierzu gehören auch strategische Überlegungen, wie Yahoo sich für die Zukunft aufstellen soll, um noch größeren wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Der dritte Bereich ist die menschliche Verantwortung. Ich muss die Menschen in meinem Unternehmen in die Lage versetzen, Erfolg zu haben. Die letzte ist für mich persönlich die angenehmste und wichtigste Verantwortung.
Wie definieren Sie Erfolg?
Erfolg ist, wenn ich mir etwas vornehme und mein Ziel auch erreiche. Wenn ich mir nichts vornehme, kann ich auch keinen Erfolg haben.
Was raten Sie Hochschulabsolventen bei ihrer Karriereplanung?
Hochschulabsolventen sollten überlegen, wo sie ihren ersten Job finden und wo sie sich einsetzen wollen. Dabei sollten sie nicht davon ausgehen, dass sie zehn Jahre oder länger bei dem ersten Unternehmen bleiben. Das ist heute nicht mehr die Realität. Deshalb sollte sich jeder Absolvent Ziele setzen, sich einen für ihn spannenden Sektor aussuchen, aber er sollte sich im Klaren darüber sein, dass er sich nicht fürs Leben festlegt und nach fünf Jahren wohl nicht mehr in dem gleichen Job, bei dem gleichen Unternehmen sein wird.
Deshalb ist auch die persönliche Entwicklungsmöglichkeit im ersten Job wichtiger als der Sektor, die Branche, in der der erste Job angestrebt wird. Der erste Job bietet mit Sicherheit jede Menge Karrierechancen, aber das tut jeder weitere auch. Man sollte sich also nur darauf festlegen, was man als Einstieg machen möchte, und dann sollte man sich Ziele setzen. Dabei sollte man aber immer offen für das Neue bleiben.
Welche Qualifikationen muss ein Informatiker mitbringen, wenn er Karriere machen will?
Informatiker dürfen nicht im Elfenbeinturm sitzen. Sie müssen – ich nenne es mal – die geforderten Sprachen sprechen. Sowohl die des Entwicklers als auch die des Users und die des Marketings. Ansonsten können sie weder im Team funktionieren, noch können sie die Nutzerbedürfnisse erkennen. Informatiker, die ihre Sprache beherrschen wie ein Instrument und das dann auf die Bedürfnisse des Marktes umsetzen können, werden weit über ihre Kollegen herausragen. Sie werden nicht mehr selbst entwickeln, sondern Entwicklungsteams leiten und Entwicklungen der Zukunft mitverantworten und vorantreiben. Jemand, der diese Fähigkeit hat, die Sprachen der anderen zu verstehen und für sein Team zu übersetzen, wird in Zukunft sehr gefragt sein, da er zwei Welten zusammenbringt.
Warum sollten sich Informatiker bei Yahoo bewerben?
Erstens: Wir sind eines der führenden IT-Unternehmen der Welt, das das Internet, so wie wir es heute kennen, von Anfang an mitgestaltet hat und natürlich auch kontinuierlich in das Internet der Zukunft investiert. Zweitens: Yahoo formiert sich gerade strategisch um und braucht viele Software-Ingenieure. Drittens: Bei uns finden Informatiker spannende Herausforderungen: Sie können die Zukunft mitgestalten.
Sie arbeiten von früh bis spät – wie entspannen Sie sich?
Ja, ab und zu entspanne ich mich sogar (lacht). In letzter Zeit spiele ich sehr viel Golf mit meinem 14-jährigen Sohn. Das macht mir Riesen-Spaß. Jetzt im Winter wird es mir fehlen. Ansonsten entspanne ich am Wochenende mit meiner Familie oder ich fahre Mountainbike an der Isar. Ich gehe am Wochenende sehr gerne spazieren, weg von den ganzen E-Mails, das macht den Kopf frei.
Yahoo Deutschland
Was 1994 als Hobby der beiden Stanford- Studenten Jerry Yang und David Filo in einem Wohnwagen begann, entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte des Internets: Yahoo.
Heute ist das Unternehmen mit Hauptsitz im amerikanischen Sunnyvale die weltweit erfolgreichste Internetmarke. Yahoo gibt es in mehr als 25 Ländern und 13 Sprachen. Es bietet seinen Nutzern über 40 Produkte und vielfältige Dienste, wie zum Beispiel Reisen, Shopping, Dating oder Yahoo Go.
Durch Partnerschaften mit anderen Content-Providern liefert Yahoo zudem Inhalte und Medienprogramme in Bereichen des Entertainment und der Informationen, wie beispielsweise Nachrichten oder Finanzen.
Im Geschäftsjahr 2006 erzielte das Unternehmen weltweit einen Umsatz in Höhe von rund 6,43 Milliarden US-Dollar und beschäftigte circa 12.000 Mitarbeiter, davon über 200 in Deutschland.