Die Digital-Ethikerin Prof. Dr. Sarah Spiekermann im Interview

Mit ihrem Buch „Digitale Ethik“ hat Sarah Spiekermann (48), Professorin der Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien, ein Standardwerk über Werte in virtuellen Räumen geschrieben. Im Gespräch verdeutlicht die Autorin und Forscherin, warum dem Digitalen häufig das ethische Grundgerüst fehlt, welche Schäden dadurch entsteht und wie es der IT-Welt gelingen kann, mit Hilfe von „ethics by design“ echte Werte zu implementieren. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Sarah Spiekermann (geboren 1973 in Düsseldorf) leitet seit 2009 das Institut für Wirtschaftsinformatik & Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Tätig ist sie über die Lehre hinaus als Autorin, Vortragende und Beraterin für digitale Ethik. Sie ist Mitautorin von US/EU-Datenschutzbestimmungen und arbeitet gelegentlich als Expertin oder Beraterin für Unternehmen und Regierungsinstitutionen, darunter in der Vergangenheit die EU-Kommission und die OECD. Vor ihrem Ruf nach Wien war sie Assistenzprofessorin am Institut für Wirtschaftsinformatik der Humboldt-Universität Berlin, wo sie das Berliner Forschungszentrum für Internetökonomie leitete. Danach war sie in Pittsburgh, USA, als Adjunct Visiting Research Professor tätig. 2008 gründete sie die Firma Skillmap, die sich bis 2011 auf die Visualisierung sozialer Netzwerke spezialisierte. Sarah Spiekermann lebt in einem österreichischen Dorf am Ufer des Neusiedler Sees. Im Jahr 2018 wurde ihr die österreichische Ehrenbürgerschaft verliehen.

Frau Prof. Dr. Spiekermann, es wird vielfach gesagt, die Pandemie sei ein Trigger für bestimmte Entwicklungen gewesen. Was hat sie in Ihrem Forschungsfeld der Digitalen Ethik ausgelöst?
Offensichtlich geworden ist, wie wichtig die IT ist, um in Krisenzeiten die Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Solange es Strom und Netzwerkverbindungen gibt, bleiben Prozesse stabil. Existieren diese Verbindungen in einzelnen Bereichen unzureichend, stoßen die Systeme in einer Krise sehr schnell an ihre Grenzen, wie sich zum Beispiel im Bereich der Bildung gezeigt hat. In den Fokus gerückt ist aber auch das Thema der Mitarbeiterüberwachung. Home-Office und digitale Remote-Arbeit haben zugenommen – und es zeigt sich, dass in Unternehmen vielfach ein negatives Menschenbild vorherrscht: Man vertraut den eigenen Leuten nicht. Grund ist eine gewisse Paranoia, auch erzeugt durch die Interpretation der Verhaltensökonomie, nach der ein Mensch irrational sei und Situationen vor allem zu seinen Gunsten ausnutze. Das ist längst widerlegt. Hält sich aber hartnäckig. Sodass Unternehmen sich nicht gefragt haben: Wie nutze ich diese Situation, um Freiräume zu schaffen? Sondern: Wie kontrolliere ich meine Leute?

Ist die Balance aus digitalen und analogen Räumen verloren gegangen?
Diese Balance wird sowieso ständig neu verhandelt, und verschiebt sich weiter in Richtung der digitalen Welten. In der Pandemie hat sich dieses Verhältnis noch einmal zusätzlich in Richtung der digitalen Räume verschoben. Das war notwendig, damit die Prozesse weiterliefen. Es hat aber auch gezeigt, an welchen Stellen sich ethische Probleme ergeben.

Weil in digitalen Räumen die ethischen Standards fehlen?
Es gibt in digitalen Räumen ja noch nicht einmal eine Kultur. Vor Jahren gab es mal eine frühe Form einer „Hacker-Ethik“, einer eigenen Nerd-Kultur. Die großen Plattformen und digitalen Massenmedien dagegen haben sich über Dinge wie Kultur und Ethik noch keine Gedanken gemacht. In der Folge sind die digitalen Medien weiterhin reine Effizienz- und Funktionsmedien. Kultur und Ethik jedoch brauchen mehr, sie werden von Werten getrieben. In dieser Hinsicht gibt es in der digitalen Welt weiterhin eine große Leerstelle.

In der digitalen Welt, so scheint es, sind alle gleichgestellt. Das stimmt aber natürlich nicht.

Entdecken Sie auch in den Sozialen Netzwerken keine eigenständige Kultur?
Ich entdecke dort eher eine eklatante Abwesenheit von Kultur. Nehmen Sie einen Bereich wie die Freundschaftskultur, wie sie auf Facebook vorherrscht. Oder die Frage der Hierarchien: Das Netz mit seinen Sozialen Medien löst diese auf. In der digitalen Welt, so scheint es, sind alle gleichgestellt. Das stimmt aber natürlich nicht. In der Folge kommt es in der digitalen Welt bei vielen Nutzern zu kulturellen Verwechslungen und Fehleinschätzungen. Es entwickeln sich E-Personalities, die sich nur noch in ihrer eigenen, gefilterten Blase spiegeln – und dabei ein Bild von sich entwickeln, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.

Ist Hate-Speech eine Folge dieser Fehleinschätzungen?
Um das Bild aufrechtzuerhalten, sucht man Sicherheit. Einerseits durch die Kommunikation mit Gleichgesinnten in Echokammern, andererseits durch eine möglichst radikale Abgrenzung von anderen. Auf dieser Schnittstelle entsteht Hass auf alles, was nicht Teil der eigenen Blase ist, und das ist gefährlich. Das Problem ist ja nicht nur die verletzende Wirkung von Hate-Speech. Hinzu kommt, dass es Akteure gibt, die diesen Effekt ausnutzen und ohne großen Aufwand Menschen manipulieren können. Weil sie die Verhaltensweisen von Menschen, die sich ständig in ihrer Blase spiegeln, sehr einfach vorhersehen können.

An welche Akteure denken Sie dabei?
Da sind einmal die Verkäufer von Produkten, die bestimmte Blasen gezielt ansprechen. Dann politische Stimmungsmacher, die ein Wahl-, Abstimmungs- oder Demonstrationsverhalten beeinflussen wollen. Und schließlich zersetzende Kräfte, die das Ziel haben, das demokratische Miteinander zu stören oder sogar zu zerstören.

Um bei den Unternehmen zu bleiben, passgenaue Werbung gab es ja schon immer. Je nach dem Milieu von Stadtvierteln werden zum Beispiel andere Plakate aufgehängt. Wo liegt das ethische Problem im digitalen Raum?
Bei den Plakaten ist eine große Zielgruppe die Grundlage für Marketing. Im digitalen Raum dagegen werden einzelne Personen überwacht, um ihnen dann individuell ein Produkt anzubieten. Der Zugang zum potenziellen Kunden erfolgt also über Spionage und Manipulation des Einzelnen. Es entstehen Datensammlungen über Sie und mich – und wir beide sind jeweils identifizierbar. Und das ist ethisch betrachtet nicht in Ordnung. Weil dem Missbrauch Tür und Tor offenstehen. Denn die Daten werden ja nicht nur für weitere Marketingzwecke genutzt, sondern können eben auch in die Hände derjenigen gelangen, die politische oder zersetzende Manipulationen vornehmen.

Warum passiert in einem IT-Medium, was in einem analogen Raum nicht passieren würde?
Der Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan hat bereits 1964 festgestellt: „The medium is the message“ – das Medium prägt den Charakter der Verhaltensweisen und der Kommunikation, die dort stattfindet, in fundamentaler Weise. Unser Verhalten im analogen Raum baut auf unserer Intuition auf. Angenommen, ich schreie jemanden auf der Straße an, dann signalisieren mir die Blicke der anderen, dass ich hier gerade eine Grenze überschreite. Diese Intuition verliert im digitalen Raum an Wirksam keit. Das Medium ist virtuell, das heißt, dass ich die unmittelbaren Konsequenzen meiner Handlung nicht direkt erkenne – und ich sie daher auch nur schwer nachvollziehen oder ein Gefühl dafür entwickeln kann. Auf diese Weise geht in virtuellen Räumen unser innerer Wertekompass verloren. Das gilt für Individuen, ebenso wie für Unternehmen. Auch bei ihnen fehlt in der digitalen Welt häufig das intuitive Gefühl von: „Das macht man nicht.“ Weshalb nicht wenige von ihnen ohne Schuldgefühle Daten sammeln, verkaufen, kontrollieren und manipulieren.

Es geht also darum, in den Ingenieurs- und IT-Entwicklungsprozessen einen maximalen Schaden zu antizipieren, abzuwenden und vorzubeugen.

Wie kann es gelingen, trotz dieser Umstände eine digitale Ethik zu entwickeln?
Die Antwort lautet „ethics by design“: Die IT-Welt steht vor der Aufgabe, bei der Entwicklung von digitalen Systemen Risiko- Folge-Abschätzungen vorzunehmen, indem sie skizziert, an welchen Stellen Menschen über die Strenge schlagen könnten – um dann die Technik so zu bauen, dass das eben nicht passiert. Es geht also darum, in den Ingenieurs- und IT-Entwicklungsprozessen einen maximalen Schaden zu antizipieren, abzuwenden und vorzubeugen. Wobei für die IT-Welt dieser Ansatz nicht neu ist: Der gesamte Bereich der Security funktioniert so, dass ein Worst-Case-Szenario erst beschrieben und dann mit geeigneten Maßnahmen verhindert wird.

Sie begleiten Start-ups dabei, über digitale Ethik nachzudenken und sie zu implementieren. Was ist Ihr Eindruck, wie wird dieses Thema aktuell auf den Führungsebenen betrachtet?
Es gibt eine Reihe von jungen Unternehmen, die sehr stark von ihrer value mission getrieben sind. Ich kenne zum Beispiel Akteure aus der Lebensmittelbranche, die mit ihrem digitalen Vertrieb dafür sorgen, dass Landwirte aus der Region zu fairen Preisen ihre Ware verkaufen können. Es gibt aber auch weiterhin Start-ups, die möglichst schnell möglichst viel Disruption erreichen wollen. Sprich: Die Konkurrenz ausbooten. Wobei ich auch merke, dass ein solcher Ansatz die Menschen, die dort tätig sind, häufig auch selbst disrupted: Es ist unfassbar unbefriedigend, zu erkennen, wenn sich die eigenen Werte in keiner Weise in der Unternehmenskultur wiederfinden. Da verliert man nicht nur die Lust und Lebenszeit, sondern auch sich selbst.

Mit Blick auf die enormen Probleme des menschengemachten Klimawandels wird immer häufiger die digitale Technik als Lösung angepriesen: IT-Innovationen werden dafür sorgen, dass die Krise abgemildert wird. Ist das eine berechtigte Hoffnung?
Nein, das ist leider eine totale Überschätzung der Kraft des Digitalen. Nur der Mensch kann den Menschen retten. Es geht nicht darum, dass Technik uns Fortschritte organsiert. Sondern darum, die Werte zu definieren, in deren Dienst Technik eingesetzt wird. Und das bestimmen wir selbst. Nutzen wir die IT weiterhin fürs Geldverdienen? Dann ist sie kein Heilsbringer, sondern eine Zerstörungsmaschine in den Diensten eines neoliberalen Kapitalismus. Nur, wenn wir die Macht der Technologie nutzen, um „wert“-volles zu erschaffen, dann kann sie sich positiv entfalten. Wie wir sie bauen, hängt immer von den Menschen ab, die bestimmen, wofür sie gut sein kann.

„Werte“-schöpfung statt Wertschöfpung.
Interessant, dass sie den Plural verwenden, der Singular würde mir schon reichen: Es wäre gut, wenn jedes Unternehmen einen einzigen Wert nennen kann, der nichts damit zu tun hat, Geld zu verdienen. Das Schöne ist ja: Gibt es diesen Wert, dann kommt das Geld von allein. Denn dort, wo Unternehmen einen Wert für die Gemeinschaft erschaffen, sind die Menschen auch bereit, diese Unternehmung wertzuschätzen und etwas dafür zu bezahlen. Eine ethische Strategie schließt Geld also nicht aus. Sie ernennt es aber nicht zum einzigen Handlungsprinzip.

Zum Buch

Cover Digitale EthikSarah Spiekermanns Buch „Digitale Ethik – Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert“ (Droemer Verlag, 2019) beschäftigt sich aus kulturhistorischer und gesellschaftsökonomischer Perspektive mit dem „Werte“-Gerüst der Digitalisierung. Der Weg führt von den Alten Griechen ins Silicon Valley. Ersichtlich wird bei der Lektüre, dass IT-Entwicklungen nicht bei den aktuell dominierenden Aspekten Effizienz, Komfort und Geldvermehrung stehen bleiben dürfen. Gefragt sei vielmehr der Mensch: Während die User vor der Herausforderung stehen, sich bewusster in digitalen Räumen zu verhalten, sollten IT-Entwickler*innen in Unternehmen die Aufgabe annehmen, Werte zu definieren, die über die Geldvermehrung hinausgehen, und diese nach dem Prinzip „ethics by design“ in digitale Innovationen einzubauen

IT setzt Sicherheit voraus

Die Digitalisierung schreitet rasant voran, immer neue Technologien werden entwickelt und halten Einzug in Unternehmen und Produkte. Diese Entwicklung verlangt immer höhere Ansprüche an die IT-Sicherheit, die bei dem Tempo mithalten muss, wie jüngste Angriffe auf globale Lieferketten zeigten. Von Christoph Berger

Die globale digitale Vernetzung bringt zahlreiche Vorteile mit sich: zum Beispiel vereinfachte Prozesse, bessere und auf Kunden abgestimmte Produkte, einen schnellen Wissenstransfer und Flexibilität. Doch gleichzeitig nehmen auch Abhängigkeiten und Anfälligkeiten zu. Ein vom Bundesamt für Sicherheit (BSI) in der Informationstechnik im Juli 2021 vorgestelltes Beispiel zeigt dies deutlich: So ist es nach einem Cyber-Angriff auf einen amerikanischen Software-Hersteller weltweit zu IT-Störungen gekommen. Zahlreiche IT-Dienstleister, deren Kunden und weitere Unternehmen seien Opfer von Verschlüsselungstrojanern, sogenannter Ransomware, geworden. Auch in Deutschland seien IT-Dienstleister und weitere Unternehmen betroffen gewesen, heißt es weiter. Mehrere Tausend IT-Geräte seien verschlüsselt worden. Dazu sagte BSI-Präsident Arne Schönbohm: „Der Vorfall zeigt, wie intensiv die globale Vernetzung in der Digitalisierung voranschreitet und welche Abhängigkeiten dabei entstehen.“

Bei dem beschriebenen Angriff sei Ransomware über jedes Glied einer Software- Lieferkette ausgerollt worden. Daher Schönbohm: „Lieferketten müssen auch unter dem Aspekt der ITSicherheit in den Fokus rücken. Ransomware ist derzeit als eine der größten Bedrohungen für die IT von Unternehmen und Organisationen einzuschätzen. Bei erfolgreichen Angriffen werden Dienstleistungen und Produktion häufig zum Stillstand gebracht. Die Schäden für Betroffene sind daher oftmals enorm.“

Dass Cyberangriffe mittlerweile das Potenzial besitzen, nicht nur enorme wirtschaftliche Schäden zu verursachen, sondern ebenso politische Spannungen hervorrufen können, ist zudem ein Ergebnis des aktuellen Cyber Security Reports, für den Deloitte und das Institut für Demoskopie Allensbach mehr als 400 Führungskräfte aus Unternehmen sowie über 100 Abgeordnete aus den Landtagen, dem Bundestag und dem Europaparlament zum Stand der Cyber-Sicherheit in Deutschland befragt haben. Angesichts einer steigenden Anzahl und Komplexität der Cyber-Angriffe verschärfe sich die Bedrohungslage, die Gefahrenlage rund um Cyber-Risiken habe ein hohes Level erreicht.

Datenbetrug, Computerviren und Schadsoftware

Als größtes Cyber-Risiko für die Bevölkerung sehen die Entscheidungsträger Datenbetrug im Internet: 77 Prozent bewerten das als großes Cyber-Risiko. Auf der Gefährdungsliste folgen Computerviren und Schadsoftware mit 76 Prozent. Wobei die Befragten die Gefährdung unterschiedlich einschätzen: 79 Prozent der Wirtschaftsvertreter sehen hier ein großes Risiko, bei den Entscheidungsträgern aus der Politik sind es 65 Prozent.

Und was wird getan, um die IT-Sicherheit zu verbessern – immerhin trage die Förderung von Schlüsseltechnologien dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem internationalen Parkett zu stärken? Die große Mehrheit der Befragten hält es für die Cyber-Sicherheit in Deutschland für notwendig, dass wichtige Schlüsseltechnologien für die Digitalisierung und Vernetzung von deutschen oder europäischen Unternehmen hergestellt werden. Damit solle nach Meinung von 82 Prozent der Führungskräfte aus der Wirtschaft und 93 Prozent der Abgeordneten eine größere Unabhängigkeit im Bereich der Schlüsseltechnologien sichergestellt werden. Zudem müssen die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen und Wirtschaft deutlich verbessert werden, in dem Bereich gebe es einen erheblichen Nachholbedarf.

Vorsorge statt Vertrauen

Digitale Bestellungen, automatisierte Services, intelligente Fabriken, intensiver Datenaustausch und die Steuerung von Lieferketten: All das erhöhe auch die Anforderungen an die Sicherheit, heißt es in der Studie IT-Trends 2021 des Beratungsunternehmens Capgemini. Und direkt wird die Frage nachgeschoben: Wie gehen Führungskräfte damit um? Als einen Sicherheitstrend identifizieren die Berater vor dem Hintergrund zunehmend vernetztet Maschinen, automatisch ablaufender Produktionsprozesse und aufgrund der Verarbeitung geschäftskritischer Daten vor Ort oder in der Cloud die Themen Production Safety und Production Security. Hierbei sei die Bedeutung im letzten Jahr deutlich gestiegen. Eng daran gekoppelt sei die Sicherheit IoT-fähiger Geräte. Deren Vernetzung biete Einfallstore für Cyberangriffe.

Die Universität des Saarlandes bietet in Zusammenarbeit mit dem Saarbrücker CISPA-Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit den neuen Master-Studiengang „Cybersecurity“ an

Was das Thema „Zero Trust“ betrifft, so sei dies noch ein Nischenthema, gewinne aber an Bedeutung. Dabei geht es darum, dass Dienste, Geräte und Anwender im eigenen Netzwerk wie Externe behandelt werden, deren Verhalten entsprechend analysiert und beschränkt werde. Das erhöhe die Anzahl der Hürden für Angreifer. Und schließlich wird noch Behavioral Analytics als Trend aufgeführt: Das Verhalten von Mitarbeitern und Kunden wird hierbei mit Hilfe von Algorithmen und Machine-Learning-Verfahren analysiert, um anhand von Mustern zu erkennen, ob es sich um Angriffe auf IT-Systeme handelt oder nicht.

Wissen auf dem aktuellen Stand halten

Die Themen mit denen sich IT-Security- Spezialisten zu befassen haben, sind erkannt, bleibt eine der Herausforderungen für Unternehmen der Mangel an qualifiziertem Personal. Laut dem Hays-Fachkräfte-Index für IT-Positionen legte die Suche nach Menschen mit entsprechendem IT-Security-Know-how im 2. Quartal 2021 noch einmal um 31 Punkte gegenüber dem vorherigen Untersuchungszeitraum zu. Der Index-Wert sei damit nochmals gegenüber dem bereits sehr hohen Niveau gestiegen, heißt es bei Hays, gehöre zu den Bereichen mit den höchsten Zuwächsen.

Auch laut dem Personaldienstleister Harvey Nash ist die Nachfrage nach Cyber-Security-Fachkräften so groß wie noch nie. Deren Aufgabenfeld wird folgendermaßen beschrieben: „Ob im Homeoffice oder an den Standorten der Unternehmen: Cyber-Security-Experten loten die Schwachstellen von Systemen aus, um anschließend die richtigen Maßnahmen zum Schutz der Firmendaten vor Cyberkriminellen aus dem Internet zu ergreifen.“ Was deren Skills betrifft, so geht es neben dem erforderlichen Fachwissen vor allem um die Bereitschaft, sich stetig fortzubilden: „Die Tech-Welt bleibt nie stehen – im Gegenteil, sie dreht sich immer schneller.“ Immer ausgefeiltere und komplexere Angriffe würden die IT-Security gefährden, so dass auch Cyber-Security-Skills stets auf den neuesten Stand gebracht werden müssten.

Das Ranking der Programmiersprachen

Das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) ermittelt jährlich das Language Ranking. Darin werden für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche die beliebtesten Programmiersprachen ermittelt. So auch 2021. Der Gesamtsieger ist eindeutig und steht bereits seit Jahren an der Spitze des Gesamtrankings. Von Christoph Berger

Die Programmiersprache Python ist und bleibt laut dem IEEE Language Ranking 2021 die beliebteste Programmiersprache, in drei von vier Kategorien belegt sie den Spitzenplatz: in den Bereichen Web, Enterprise und Embedded. Nur im Bereich „Mobile“ liegt Java vorne. Das IEEE steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Auch der PYPL-Index, der „PopularitY of Programming Language Index“, führt Python auf Rang 1 der beliebtesten Programmiersprachen, wie das Statista Research Department vermeldet. Ihr Marktanteil betrug demnach im September 2021 weltweit rund 29,48 Prozent.

Laut dem IEEE Ranking folgen in der Kategorie Web auf den Plätzen Java, JavaScript, C#, und Go. In der Kategorie Enterprise sind es Java, C, C++ und C#. Die Plätze 2 bis 5 in der Kategorie Embedded belegen C, C++, C# und Arduino. Die Top 5 in der Kategoeire Mobile heißen Java, C, C++, C# und Swift. Und auch wenn Phyton die beliebteste Programmiersprache ist, die am weitesten verbreitete ist sie nicht. Hier führt laut dem Statista Research Department C die Liste an. Zudem kommt der Stack Overflow Developer Survey 2021 zu einer etwas anderen Rangliste. Hier belegt die Programmiersprache „Rust“ mit 86,98 Prozent die Spitzenposition. Es folgen „Clojure“ (81,12 %), „Type- Scrip“ (72,73 %), „Elixir“ (72,11 %) und „Julia“ (70,69 %). Erst auf Rang 6 liegt Phyton. Ein Blick auf die verschiedenen Ranglisten zeigt jedoch auch, dass es insgesamt weit mehr Programmiersprachen als die hier erwähnten gibt. In der Gesamtliste des IEEE-Rankings sind 55 Sprachen aufgelistet, wobei die Plätze 51 bis 55 die Namen „J“, „Ocaml“, „CoffeeScript“, „Eiffel“ und „Racket“ führen. Die Liste der bei Wikipedia aufgeführten Sprachen geht noch weit darüber hinaus. Doch warum gibt es so viel unterschiedliche Sprachen? Die liegt wohl an den vielen unterschiedlichen Anwendungsfeldern, für die die Sprachen entwickelt wurden, sowie an dem unterschiedlichen Aufbau der Sprachen. Auch die Weiterentwicklungen bereits bestehender Sprachen sind in den Listen oftmals zu finden.

Linktipp

Das ausführliche IEEE Language Ranking 2021
Ergebnisse des Stack Overflow Developer Survey 2021

Interessant ist darüber hinaus, was eigentlich im Gehirn der Programmierer*innen während des Erstellens von Code passiert. Hier liefert eine recht aktuelle Studie des Massachusetts Institute of Technology interessante Einblicke. Trotz der Tatsache, dass das Programmieren eines Computers in gewisser Weise mit dem Erlernen einer neuen Sprache vergleichbar ist, haben Neurowissenschaftler herausgefunden, dass das Lesen von Computercode nicht die Regionen des Gehirns aktiviert, die an der Sprachverarbeitung beteiligt sind. Stattdessen werde ein verteiltes Netzwerk, das sogenannte Multiple Demand Network, aktiviert, das auch bei komplexen kognitiven Aufgaben wie dem Lösen von mathematischen Problemen oder Kreuzworträtseln zum Einsatz kommt. Wobei: Auch in dem Netzwerk scheint sich die Aktivierung im Gehirn mehr auf andere Teile des Netzwerks zu stützen als bei Mathematik- oder Logikproblemen. Dies deute darauf hin, dass das Codieren auch nicht genau die kognitiven Anforderungen der Mathematik repliziere, so die Wissenschaftler. Laut ihren derzeitigen Erkenntnissen gebe es keine Region, die ausschließlich dem Programmieren gewidmet zu sein scheint. Es könnte sich aber eine solche spezialisierte Hirnaktivität bei Menschen entwickeln, die lange Jahre Erfahrungen im Programmieren gesammelt haben.

Informatik verändert die Sicht auf uns selbst

Informatik gilt als trockene Wissenschaft: Zu Unrecht: Ihre zentralen Fragen entpuppen sich als Fragen des Lebens bis hin zur Philosophie oder dem großen Ganzen an sich. Professor Dr. Eckart Zitzler, Vizedirektor der Hochschule Luzern – Informatik zeigt auf, dass es sich um eine Querschnittsdisziplin handelt, die viele weitere Disziplinen beeinflusst und voranbringt. Von Gabriela Bonin und Prof. Dr. Eckart Zitzler, Hochschule Luzern

Die Informatik durchdringt in immer mehr Bereichen unseren Alltag. Und dies nicht nur im Sinne der Technik: Alle Menschen haben vermehrt mit Themen zu tun, bei denen die Informatik eine Rolle spielt. Etwa mit Fragen rund um ihre Privatsphäre, um sichere politische Wahlen oder um Assistenzsysteme beim Autofahren. Zudem steht sie auch immer mehr in Beziehung zu den anderen Disziplinen und zu Fragen des Lebens an sich. Sie schafft stetig neue Querverbindungen; ihre Natur ist interdisziplinär; ihre Themen reichen in viele Fachgebiete hinein. Daher ist es spannend, sie auch querzudenken.

So greift die Informatik beispielsweise uralte Fragen der Menschheit auf, sie beschäftigt sich mit weit mehr als mit Programmieren und Technik. Ihre zentrale Aufgabe ist die Informationsverarbeitung: Es geht also um die Fragen, was Informationen sind, wie wir sie darstellen, ablegen und wiederfinden, wie wir mit Informationen umgehen und was sich mit diesen machen lässt. Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Mensch seit Jahrtausenden – es geht um Sprache, Ordnung, Codes und Kommunikation.

Informatik befasst sich weiterhin mit theoretischen Möglichkeiten. Informatiker* innen kümmern sich nicht nur um die praktische Umsetzung mittels Maschinen und vernetzten Computersystemen, sie denken auch darüber nach, was sich mit Computern eigentlich berechnen lässt, warum einige Anwendungen schwieriger zu handhaben sind als andere.

Die Informatik verändert zudem die Sicht auf uns selbst: Da Computer immer genauere medizinische Diagnosen stellen, in einigen Bereichen sogar Ärzten und Ärztinnen überlegen sind, kommt es zu den Fragen, was Intelligenz eigentlich ist und was uns als Menschen ausmacht.

Linktipp

Der offizielle Blog der Hochschule Luzern – Informatik

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Informatik wie die Mathematik zunehmend als Hilfswissenschaft dient. Der bekannte Informatiker Christos Papadimitriou stellte 2008 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich die These auf, die Informatik sei die neue Mathematik: Sie dient in vielen Gebieten als Hilfswissenschaft und treibt damit deren Fortschritte voran. So nutzen beispielsweise Ingenieurinnen oder Naturwissenschaftler, Molekularbiologen oder Klimaforscherinnen häufig die Hilfe des Computers, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

Die Perspektive der Informatik beeinflusst das wissenschaftliche Denken, wodurch sich die verschiedenen Disziplinen verändern. So wie in vielen Fächern Mathematikkenntnisse vorausgesetzt werden, brauchen Forscherinnen und Wissenschaftler nun auch ein Grundlagenwissen in Informatik. Und: Durch die ständige Begleitung des Menschen durch die Informatik gehören zentrale Informatikkonzepte inzwischen zur Allgemeinbildung. Ebenso gewinnen Informatikthemen in politischen und öffentlichen Fragen an Bedeutung: Viele informatische Problemstellungen sind gesellschaftlich wichtig.

So kann man staunen und davon fasziniert sein, welche neuen Gedankengänge Informatikkonzepte auslösen. Schließlich landet man bei der Philosophie. Auf einmal geht es um das große Ganze, den großen Bogen. Spätestens dann lernen wir etwas über uns selbst.

InformierT: Kultur-, Buch- und Linktipps

Klick

Cover KlickWas genau zeichnen die smarten Geräte bei uns zu Hause auf? Gehört dem autonomen Fahren die Zukunft? Wo entscheiden Algorithmen besser als der Mensch, wo aber nicht? Und wie groß ist die Chance wirklich, beim Online-Dating den Partner fürs Leben zu finden? In seinem neuen Buch beschreibt der weltweit renommierte Pschologe und Risikoforscher Gerd Gigerenzer anhand vieler konkreter Beispiele, wie wir die Chancen und Risiken der digitalen Welt für unser Leben richtig einschätzen und uns vor den Verlockungen sozialer Medien schützen können. Kurz: wie wir digitale Kompetenz erwerben und auch online kluge Entscheidungen treffen. Gerd Gigerenzer: Klick. C.Bertelsmann 2021, 24 Euro

ABBA mit „ABBATAREN“

Im September 2021 gaben die Pop-Ikonen von Abba nicht nur ihre Reunion und die Veröffentlichung eines neuen Albums bekannt, dass im November erscheinen soll. Zugleich kündigten sie Konzerte in London an. Allerdings werden sie dort nicht selbst auf der Bühne stehen, sondern ihre Avatare. Die Band nennt sie „Abbatare“. Es wird sich dabei nicht um Holgramme handeln. Die Abbatare wurden mit der sogenannten Motion-Capture-Technologie entwickelt . Dafür wurden die vier Bandmitglieder in enge Anzüge gesteckt und mit Elektroden versehen. So wurden die Körper und Bewegungen erfasst und aufgenommen. Für die Auftritte der Abbatare wird in London eigens ein Abba-Konzerthaus gebaut. Weitere Infos unter: https://abbasite.com

Klara und die Sonne

Cover Klara und die SonneKlara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte. „Klara und die Sonne“ ist der neue Roman von Kazuo Ishiguro, der 2017 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne. Blessing 2021, 24 Euro.

In Hamburg entsteht eine neue Kunstwelt

Proliferating Immense Life, 2020, Interactive Digital Installation, Foto: teamLab
Proliferating Immense Life, 2020, Interactive Digital Installation, Foto: teamLab

In der Hamburger HafenCity, im Quartier Elbbrücken, entsteht bis 2024 ein neues Museum für die digitale Kunst des Kollektivs Teamlab. Das Digital Art Museum wird über 7000 Quadratmeter Fläche, bis zu zehn Meter hohe Decken und zwei Geschosse umfassen. Damit soll es Europas erstes und größtes digitales Museum sein, wie es in der Ankündigung heißt . Basierend auf dem Konzept, dass alles in einer grenzenlosen Kontinuität existiert, ist teamLab Borderless Hamburg ein großer Raum für Kunst, bestehend aus immersiven Kunstwerken, die Grenzen überschreiten. Dieses Jahr wurde dafür die Digital Art Museum GmbH mit Hauptsitz in Hamburg gegründet. Deren Geschäftsführer ist Lars Hinrichs, der einst openBC, heute Xing, gegründet hat. Weiter Infos unter: https://digitalartmuseum.com

Gentzen oder: Betrunken aufräumen

Cover GentzenDer deutsche Logiker Gerhard Gentzen zählte zu den genialsten seines Fachs. Doch wer erinnert sich an ihn? Dietmar Dath macht sich in seinem Roman „Gentzen oder: Betrunken aufräumen“ mit Laura und Jan auf die Suche nach jemandem, an den sie sich nicht mehr erinnern. Der Leser betritt einen Denkraum, in dem nicht nur Gerhard Gentzen aufritt, sondern auch noch ganz andere Figuren: Dietmar, der seit zehn Jahren an einem Roman über einen berühmten Logiker schreibt, aber auch Frank Schirrmacher, der sich den Kopf über das Internet zerbricht, Jeff Bezos, Ruth Garrett Millikan, eine schiefe Tante und ein geheimnisvolles Wesen, das das Leben auf der Erde erheblich in Gefahr bringen wird. Das ganze Personal dieses großen Romans stellt sich in den Dienst der Suche nach der Grundlage unseres Lebens in der Gegenwart: der schier unendlich scheinenden Rechenleistung der Computer. Sie ermöglicht die Flugbuchungen, die Verteilung von Impfstoffen oder Hilfsgütern, die Steuerung der Atomwaffenarsenale oder die detaillierten Abbildungen eines Lebens durch Likes und Kommentare in den sozialen Medien, die es nicht gäbe, wenn Programme nicht die Funktionsweise von Programmen überprüfen könnten. Dass sie das können, hat wiederum mit Gerhard Gentzen zu tun. Dietmar Dath: Gentzen oder: Betrunken aufräumen. Matthes & Seitz 2021, 26 Euro

Projekt UNICORN

Cover Pojekt UnicornNach einer folgenschweren Panne bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung wird Maxine, eine leitende Softwareentwicklerin, unverschuldet in das berüchtigte Projekt Phoenix strafversetzt. Dort verzweifelt sie fast an einem bürokratischen Monsterapparat mit endlosen Meetings und hochkomplizierten Regeln – bis sie von firmeninternen Rebellen angeworben wird, die die bestehende Ordnung umstürzen wollen: Damit Entwicklerinnen und Entwickler wieder echte Freude an ihrer Arbeit haben. Die kluge und kämpferische Maxine und ihre rebellischen Kolleginnen und Kollegen rufen Projekt Unicorn ins Leben und setzen dabei auf die »Fünf Ideale«. Damit verändern sie grundlegend, wie die Business- und Technologiebereiche des Unternehmens zusammenarbeiten – und geraten in das Fadenkreuz einflussreicher und gefährlicher Gegner. Gelingt es ihnen, das Überleben von Parts Unlimited in einem Wettrennen gegen die Zeit zu sichern? Packend beschreibt Gene Kim, Autor des Bestsellers »Projekt Phoenix«, die Herausforderungen, denen sich Unternehmen – und alle, die in ihnen arbeiten – im Zeitalter von Digital Disruption stellen müssen: in der Softwareentwicklung und als lernende Organisation. Gene Kim: Projekt Unicorn. O‘Reilly 2020, 24,90 Euro

Gamification-Testspiel

Cover GamificationDer leidenschaftliche Gamer Mirko geht in der Virtual Reality seiner Spiele auf. Er wird Teil einer Community, die das Prinzip der „Gamification“ lebt – Unterhaltung über alles, Brot und Spiele. Und die Arena besteht längst nicht nur aus Nullen und Einsen. Leo Hartmann: Gamification-Testspiel. Novum 2021, 17,90 Euro

Demokratie

Demokratie gerät zunehmend unter Druck: zum einen durch autoritär Denkende, zum anderen durch das Ungleichgewicht zwischen sozialen und bürgerlichen Freiheiten. Es scheint nicht mehr das wichtigste Ziel jedes demokratischen Staates zu sein, das beste Leben für die größtmögliche Zahl seiner Bürger zu verwirklichen. Was aber macht Demokratie im Kern aus, woher kommt sie und wie muss sie sich reformieren, um ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben zu können? Alexander Görlach: Demokratie. Reclam 2021, 10 Euro

Das Ende des Individuums

Cover Das Ende des IndividuumsUm herauszufinden, wie es um die Zukunft im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz steht, begibt sich der französische Philosoph und Essayist Gaspard Koenig auf eine Weltreise. In mehr als 120 Gesprächen mit Wissenschaftlern, Politikern, Unternehmern, Investoren, Aktivisten und einem Zauberer lotet er die künstliche und die menschliche Intelligenz aus. Er erforscht, was den freien Willen und die Werte der Aufklärung bedroht, und skizziert eine Politik, die dem Ende des Individuums begegnen kann. Gaspard Koenig: Das Ende des Individuums. Galiani 2021, 24 Euro.

E-Paper karriereführer ingenieure 2.2021 – Machen & managen: Ingenieurberuf vor dem Wandel

0


Ausgabe als PDF downloaden

karriereführer ingenieure 2.2021 – Machen & managen: Ingenieurberuf vor dem Wandel

0

Cover karrierefuehrer ingenieure 2-2021

Machen & managen: Ingenieurberuf vor dem Wandel

Gute Ideen für die Rettung des Klimas gibt es viele. Nun gilt es, in die Umsetzung zu kommen. Das Berufsbild von Ingenieur*innen muss sich wandeln: Sie sind zukünftig nicht mehr nur Macher*innen, sondern auch Manager*innen, die das Lösen der Probleme in den Fokus nehmen und daraus Innovationen, Geschäftsmodelle und nachhaltige Unternehmensstrategien ableiten. Eine wichtige Komponente auf dem Weg zur CO2-Neutralität ist der Antrieb mit Wasserstoff. Daniel Teichmann erklärt im Interview, wie sich mit seiner LOHC-Technologie Wasserstoff so einfach handhaben lässt wie flüssiger Kraftstoff. Auch die Digitalisierung gilt als Hoffnungsträger, um den globalen Energiebedarf zu verringern. Ein weiteres großes Problem der Welt ist die zunehmende Menge an Müll. Ein Kölner Start-up geht derzeit in Äthiopien mit einer Recyclingfabrik für Plastikflaschen an den Start. Und das Rhein-Ruhr-Gebiet will zum Circular Valley für die Kreislaufwirtschaft werden. Vielversprechende Ansätze, die sich vielerorts auftun.

Ingenieurberuf: Machen und managen

Der Ingenieurberuf steht vor einem bahnbrechenden Wandel. Selbstbewusst und mit hoher Kompetenz stellen sich Ingenieur*innen der Aufgabe, Innovationen voranzutreiben und das Wirtschaftssystem nachhaltiger zu machen. Die Kraft dafür finden sie in der Tiefe ihres Wissens und in ihren Denkstrukturen. Denn wenn technische Kompetenz zu einem führt, dann zu dem Talent, zu jeder Zeit die Lösung im Blick zu haben. Ein Essay von André Boße

An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg sollen die Studierenden im Studiengang Maschinenbau und Produktion ihre Kenntnisse künftig direkt auf die Straße bringen. „Digital Engineering & Mobility“ heißt eine neue Studienrichtung, das Ziel formuliert die Hochschule in einer Pressemeldung wie folgt: „Innovative Lösungen für reale Aufgabenstellungen zu erarbeiten“. Das klingt zunächst einmal nicht revolutionär, schließlich ließe sich das Job-Profil von Ingenieur*innen genau so beschreiben. Neu jedoch ist, dass bereits Bachelorstudierende sehr konkret dazu angeleitet werden, Produkte im Zukunftsfeld der digitalen Mobilität zu entwickeln. „Mit der neuen Studienrichtung bilden wir Ingenieur*innen aus, die mobile und digitalisierte Produkte verstehen und gestalten wollen – samt den zugehörigen Prozessen und Systemen“, wird Tankred Müller, Professor für Elektrotechnik an der HAW, in der Pressemitteilung zitiert. Sein Kollege Dr. Hans-Joachim Schelberg, Professor für Produktentwicklung, ergänzt: „Im Studium stehen für uns drei Aspekte im Vordergrund: Praxisbezug, Kreativität und Innovationsfreude.“

Wissen in die Anwendung bringen

Richtig gelesen: Die Theorie hat Professor Schelberg nicht mit in die Aufzählung genommen. Zwar gebe es selbstverständlich auch weiterhin klassische Lehrangebote, darüber hinaus aber nehmen die Studierenden an interdisziplinären Projekten teil und bekommen professionelle Werkzeuge für die Projektplanung an die Hand. „Um die digitale Zukunft des Maschinenbaus zu gestalten, sind fundierte Kenntnisse in Robotik und künstlicher Intelligenz ebenso erforderlich wie das nötige Know-how im Bereich der Entwicklung und Anwendung“, heißt es in der Meldung der HAW. Diese Kompetenzen sollen in der neuen Studienrichtung vermittelt werden – und zwar mit Blick auf sehr konkrete Anwendungsfälle: „Man denke nur an elektrische Fahrzeuge für den Transport von Menschen und Waren, die speziell auf den Einsatz in Städten zugeschnitten sind – emissionsarm und über digitale Servicesysteme flexibel verfügbar“, nennt Tankred Müller ein Szenario. Auch „schwarmfähige mobile Service-Roboter, die künftig unsere Grünflächen pflegen“ oder „Roboter, die technische Systeme autonom warten“ schweben den Verantwortlichen des neuen Studiengangs vor. Keine Frage: Hier blickt der Maschinenbau in die Zukunft – und zeigen die Ingenieurwissenschaften,, worauf es heute und in den kommenden Jahren ankommen wird: Gesucht sind Macher*innen, die mit ihrem fachlichen und interdisziplinären Know-how die technische Zukunft mitgestalten. Als Ingenieur*innen, Projektmanager* innen, Unternehmer*innen.

Lange galt das Thema Nachhaltigkeit in erster Linie als Kostentreiber, mit dem sich höchstens Imagegewinne erzielen ließen. Doch das ändert sich gerade.

Dass für Ingenieur*innen die Zeit für Gründungen, in Top-Positionen oder als CEOs gekommen ist, daran glaubt Henning Groß, Ingenieur mit Schwerpunkt Technische Informatik und Managing Director des Technik-Consulting-Unternehmens Zeile Sieben. Nach beruflichen Erfahrungen in technischen Unternehmen wie VW sowie in einem Medienkonzern, wo er Digitalisierungsprozesse verantwortete, arbeiten er und seine Agentur zusammen mit den Kunden daran, neue Strukturen zu schaffen und somit Prozesse in den Bereichen Digitale Transformation, New Leadership oder New Work umzusetzen. Was er dabei beobachtet: Themen, die noch vor wenigen Jahren ein „nice to have“ waren, sind heute „Schlüssel-Enabler für unternehmerischen Erfolg“. Das zeige sich insbesondere im Bereich Nachhaltigkeit: Lange galt das Thema in erster Linie als Kostentreiber, mit dem sich höchstens Imagegewinne erzielen ließen. „Es schien“, sagt Henning Groß, „aufgrund seiner idealistischen Ideen sogar im Widerspruch zu kapitalistischen Werten zu stehen, also zum Streben nach Gewinn.“ Doch das ändere sich gerade. Groß: „Unternehmen verstehen, dass es ökologisch, aber auch ökonomisch nicht nachhaltig ist, immer mehr oberflächliche Produkte zu launchen, die niemals in die Tiefe gehen und deren Wertschöpfung begrenzt ist.“

Ingenieur*innen besser im Management?

Für diese Tiefe sowie für eine nachhaltige Wertschöpfung können Ingenieur*innen sorgen. „Wir erleben aktuell eine Renaissance von erfolgreichen Unternehmen, die von Technikern, Ingenieuren und Wissenschaftlern gegründet und geführt werden“, sagt Henning Groß. Über Jahrzehnte habe das abgenommen: „Obwohl die Firmenhistorie vieler großer Unternehmen zurückgeht auf Menschen, die erfinderisch und begeistert Probleme gelöst und die Lösung in Produkte überführt haben, haben wir lange angenommen, ein BWL-Studium sei eine bessere Qualifikation für eine Firmengründung als die Begeisterung für ein Thema, für Probleme und deren Lösung.“ Dabei sei dies doch die Grundlage, die offensichtlich zum Erfolg führe. „Ich bin daher überzeugt, dass wir mehr Ingenieure in der ersten Reihe sehen werden, dass die Business-Profis dabei als Enabler der Unternehmensführung fungieren – und dass diese Struktur zu mehr Nachhaltigkeit beitragen wird.“

Was Ingenieur*innen mit Blick auf die großen Herausforderungen dieser Zeit auszeichnet? „Wir sind es gewohnt, das wichtigste und kritischste Problem zu priorisieren, zu isolieren und: zu lösen“, sagt Henning Groß. Das klinge trivial, beinhalte aber die Fähigkeit, „alles andere auszublenden, sich wirklich in ein Problem zu vertiefen, immer wieder zu scheitern – dabei aber nicht den unbedingten Glauben daran zu verlieren, dass es am Ende doch eine Lösung gibt“. Was Ingenieur*innen auch beherrschten: Die Kunst, Probleme zur Seite zu legen – um sie später wieder aufzunehmen. Das, sagt Henning Groß, helfe ihm, dem Ingenieur, beim Management seiner Agentur: „Ich bearbeite an einem Tag bis zu 80 verschiedene Themen. Das sind eine Menge Kontextwechsel, das erfordert eine hohe Taktung. Wie priorisiere ich ein Thema, wie viel Zeit investiere ich, wann muss ich es abschließen, und an welcher Stelle delegiere ich es weiter – die Antworten auf solche Fragen sind in meiner vom Ingenieurdenken geprägten Gehirnarchitektur modelliert. Und ich bin überzeugt: Das macht mich zu einem deutlich besseren Manager.“

Neue Zielsysteme für die Wirtschaft

Welche Kompetenzen müssen technische Fachkräfte auf- und ausbauen, um in Wirtschaft oder Forschung ihre Stärken einzubringen? Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat aktuell unter dem Titel „Automation 2030: Zukunft gestalten – Szenarien und Empfehlungen“ eine Publikation veröffentlicht, die sehr konkret die zentralen Fähigkeiten beschreibt – nicht mit Blick auf individuelle Karrieren, sondern auf die gesellschaftliche Wirksamkeit. Wobei beides gerade für die junge Generation Hand in Hand geht. Grundlage der Handlungsempfehlungen für Ingenieur*innen ist dabei laut VDI die Feststellung, dass „Erfolge und Verdienste der Vergangenheit immer weniger ein Garant für den Erfolg von morgen“ seien, wie es in der Studie heißt. Der Appell der Autor*innen an die Ingenieurgeneration: „Wir müssen neue Zielsysteme für die Wirtschaft erarbeiten.“ Diese seien nötig, denn: „Wirtschaftliche Systeme dauerhaft nach den Prinzipien der minimalen Kosten und des maximalen kurzfristigen Profits auszurichten, erweist sich gerade in diesen Zeiten als wertfreie und nicht nachhaltige Handlungsmaxime.“

Gefragt sind technische Macher*innen und Manager*innen, die das Lösen der Probleme in den Fokus nehmen – und daraus Innovationen, Geschäftsmodelle und nachhaltige Unternehmensstrategien ableiten.

Der VDI macht klar: Die Ingenieur*innen sind gefordert, die Wirtschaft zu wandeln. Gelingen soll dies auf Grundlage von sechs Kompetenzen (siehe Kasten oben), die – verbunden mit Handlungsempfehlungen – „in Summe den gewünschten Zustand einer stabilen und gleichzeitig innovativen und agilen Wirtschaft Deutschlands erreichen“. Was der VDI mit diesem Positionspapier fordert: Ingenieur*innen, die neu denken, die sich einbringen, die dabei auf ihre Fähigkeiten als Treiber einer neuen Wirtschaft setzen und bereit sind, sich in der Lehre und Förderung weiterzuentwickeln. Studierende, Absolvent*innen und Nachwuchskräfte sollten sich daher auf ein ganz neues Arbeitsumfeld vorbereiten: Gefragt sind technische Macher*innen und Manager*innen, die das Lösen der Probleme in den Fokus nehmen – und daraus Innovationen, Geschäftsmodelle und nachhaltige Unternehmensstrategien ableiten. Der Anspruch an diese neue Ingenieurgeneration ist hoch. Ihr Selbstbewusstsein sollte es auch sein: Gesellschaft und Wirtschaft benötigen in diesen komplexen Zeiten genau das, was Ingenieur*innen können.

Klimaschutz macht Kunden froh

Einen Zusammenhang zwischen technischen Maßnahmen zum Klimaschutz und Kundenzufriedenheit stellt eine Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte her. Für den „Climate Check Pulse Survey“ wurden Anfang 2021 insgesamt 750 Führungskräfte in 13 Ländern befragt, darunter 50 in Deutschland. Dabei macht das Top-Managment mehrheitlich die Aussage, dass sich durch Bemühungen der Unternehmen um den Klimaschutz die Kundenzufriedenheit verbessert hat, heißt es in einer Pressemitteilung zur Studie. Auch Profitabilität und Umsatzwachstum entwickelten sich als Folge der Nachhaltigkeitsbemühungen positiv: Fast die Hälfte der Unternehmen habe dank dieser Initiativen eine Verbesserung der Finanzkennzahlen festgestellt, in Deutschland lag der Anteil bei 60 Prozent. „Unsere Studie zeigt, dass Unternehmen mit effizienten Nachhaltigkeitsinitiativen nicht nur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und den Erwartungen ihrer Kunden gerecht werden, sondern auch einen langfristigen, finanziell messbaren Mehrwert schaffen“, wird Volker Krug, CEO Deloitte Deutschland, zitiert.

Klimaneutrales Deutschland: Fünf Jahre früher

Eine Studie der drei Klimaschutzorganisationen Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende kommt zu dem Schluss, dass Deutschland seine für 2050 gesteckten Klimaziele fünf Jahre früher erreichen könnte, um somit bis 2045 treibhausgasneutral zu werden. Das Gutachten mit dem Titel „Klimaneutrales Deutschland 2045“ zeige laut einer Pressemeldung, dass ein um fünf Jahre vorgezogenes Zieljahr knapp eine Milliarde Tonnen CO2-Emissionen einsparen würde. Voraussetzung: Klimaschutztechnologien wie Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Elektrifizierung und Wasserstoff müssten noch schneller hochgefahren werden. „Die globalen Leitmärkte in Nord-Amerika, Europa und Asien orientieren sich jetzt alle am Leitbild der Klimaneutralität. Wenn die deutsche Industrie der Technologielieferant für die Welt in Sachen Klimaneutralität sein will, muss sie der Entwicklung in anderen Ländern immer ein Stück voraus sein“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.

Automation 2030: Sechs wichtige Kompetenzen

1 Emotionale Kompetenz: „Veränderungen sind nötig. Seien wir offen für neue Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft. (…) Nutzen wir unser Wissen und seien wir stolz darauf, schneller und besser zu sein.“

2 Technologische Kompetenz: „Nutzen wir alle zugänglichen Informationen und Technologien konsequent. (…) Offenheit von Anfang an erlaubt lebenslange Flexibilität.“

3 Geschäftsmodell-Kompetenz: „Nutzen wir unseren Wissensvorsprung aktiv. Entwickeln und realisieren wir innovative Geschäftsmodelle, die sich im Lebenszyklus weiterentwickeln und Daten produktiv nutzen.“

4 Forschungs- und Entwicklungskompetenz: „Entwickeln wir die vier Enabler ‚Modularität‘, ‚Konnektivität‘, ‚digitaler Zwilling‘ und ‚Autonomie‘ zielgerichtet und gestalten sie.“

5 Organisatorische Kompetenz: Schaffen wir ein innovatives Umfeld und messen wir unsere Organisationen daran, dass sie zügiges Handeln ermöglichen, risikobehaftete Entscheidungen zulassen und angemessene Freiräume einrichten.“

6 Personelle Kompetenz: „Entwickeln wir Spitzen-Führungskräfte – durch (…) attraktive Studiengänge, ständige Weiterbildungsanstrengungen sowie eine systematische Förderung und Forderung. Toptechnologie erreichen wir nur mit gut ausgebildeten Fachkräften.“

Quelle: VDI: „Automation 2030 – Zukunft gestalten: Szenarien und Empfehlungen“, April 2021

Der Wasserstoff-Pionier Daniel Teichmann im Interview

Zusammen mit seinen Doktorvätern von der Universität Erlangen hat Dr. Daniel Teichmann die LOHC-Technologie mitentwickelt, mit der sich Wasserstoff als Energieträger so einfach handhaben lässt wie flüssiger Kraftstoff. Als Gründer und Geschäftsführer des Start-ups Hydrogenious LOHC Technologies führte der promovierte Wirtschaftsingenieur die Innovation in den Markt ein. Im Interview erzählt er, worauf es ankommt, wenn aus einer technischen Idee eine erfolgreiche Firma werden soll – und warum unternehmerische denkende Ingenieur*innen heute mehr denn je gefragt sind. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Daniel Teichmann studierte von 2004 bis 2009 Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Während seiner Promotion entwickelte er zusammen mit seinen Doktorvätern eine Technologie zum Transport und der Lagerung von Wasserstoff. 2013 gründeten sie als Team die Hydrogenious Technologies GmbH, Daniel Teichmann leitet das Unternehmen seitdem als Geschäftsführer. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Wasserstoff- und Automobilindustrie und sammelte unternehmerische Erfahrung bei BMW, McKinsey und Leoni. Zudem ist er Erstautor zahlreicher grundlegender Publikationen über die LOHC-Technologie sowie Urheber umfangreicher technologiespezifischer Patente.

Herr Dr. Teichmann, wie funktioniert das Speichern von Wasserstoff mit dem LOHC-Prinzip?
Im Fokus des Konzepts steht der flüssige Wasserstoffträger, auf Englisch Liquid Organic Hydrogen Carrier, LOHC. Das ist ein Öl, in unserem Fall ein Thermalöl. Mit unserer Technologie gelingt es, den gasförmigen Wasserstoff durch einen chemischen Prozess an dieses Öl zu binden – also einzuspeichern. Ebenso ermöglicht unsere Technologie auch die Freisetzung des Wasserstoffs aus dem Öl, je nachdem, wo der Wasserstoff benötigt wird. Die Technologie sorgt dafür, Wasserstoff kosteneffizient zu transportieren – und zwar in der bestehenden Infrastruktur für flüssige Kraftstoffe.

Sie sind einer der Pioniere dieser Innovation. Wie verlief der Weg dorthin?
Alles begann mit meiner Doktorandenstelle im Bereich Wasserstoffspeicherung bei BMW. Ich konnte Prof. Wolfgang Arlt, den Direktor des damals neu gegründeten „Energiecampus Nürnberg“, sowie Prof. Peter Wasserscheid, Chemiker und Leibniz-Preisträger, als Doktorväter gewinnen. So entstand eine fruchtbare Kooperation zwischen BMW und der Universität Erlangen. Zum Ende meiner Promotion war mir sehr klar, dass die Energiewende sowie die Transformation hin zu einer erneuerbaren Energiewirtschaft kommen werden – und ich somit an einer vielversprechenden Zukunftstechnologie forsche. Aufgrund unternehmerischer Vorerfahrungen habe ich zudem mehr und mehr den Wunsch verspürt, mich selbst als Unternehmer zu betätigen. Dadurch kam es zum Entschluss, Hydrogenious zu gründen.

Ab wann waren Sie sich sicher: Was wir hier entwickeln, ist nicht nur eine gute Idee – sondern besitzt ein riesiges Potenzial?
Als Gründer glaubt man in der Regel vom Start weg an „seine“ Technologie und Geschäftsidee, sonst würde man das Risiko und die viele Arbeit vermutlich nicht auf sich nehmen. Ohne Zweifel war die erste erfolgreiche Einwerbung einer Finanzierung ein Meilenstein, rund eineinhalb Jahre nach der Gründung. Danach konnten wir die ersten fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen und uns räumlich besser ausstatten. Letztlich ist es aber so, dass wir uns immer wieder neu beweisen müssen – aktuell sogar mehr als je zuvor.

Warum?
Die Transformation der Energiewirtschaft führt dazu, dass sich sehr viele etablierte Großkonzerne aus dem fossilen Zeitalter neu aufstellen – mit viel mehr Ressourcen als wir. Wir befinden uns heute also in einem ständigen Wettbewerb darum, wer welche Potenziale heben kann. Umso wichtiger sind die Meilensteine, die uns über die Zeit immer wieder darin bestärkt haben, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Dazu gehören zum Beispiel die Fördermittel der Bundes- und Landesregierungen, aber auch die Auszeichnung mit dem Innovationspreis der deutschen Wirtschaft oder die ersten Verkäufe von Anlagen in die USA und nach Finnland.

Was waren die größten Hürden, um aus der Idee auf dem Papier ein Unternehmen zu machen, das mit dieser Innovation in führender Position am Markt besteht?
Die Ausgangslage für ein junges Startup im Energieumfeld ist zunächst einmal aussichtsreich, da viel Interesse an neuen Lösungen besteht. Andererseits ist der Weg von der Idee zur echten Firma schon herausfordernd. Eine innovative Technologie zur Marktreife zu bringen und in konkrete Anlagenlösungen zu skalieren, in einem Markt, der sich selbst in einer vollständigen Transformations- und Neuentstehungsphase befindet – das ist schon eine Herausforderung. Wie so häufig ist der Anfang sicher am schwierigsten: Aus welchen Quellen kann man das Vorhaben finanzieren, wie findet man überhaupt Investoren? Auch in der Folge bleibt die Finanzierung der Firma eine stete Herausforderung für die Gründer. Alles in allem kann ich eine Unternehmensgründung aber jedem ans Herz legen, der unternehmerisch denkt und handelt. Es ist eine einmalige Erfahrung, seine eigene Firma Stück für Stück wachsen und sich entwickeln zu sehen. Und Erfahrungen, die man in dem Prozess sammelt, sind gigantisch und auch außerhalb des Start-ups wertvoll und begehrt.

Welche weiteren Skills waren in der Gründungsphase wichtig?
Die Gründungsphase ist nicht mit einer Handelsregistereintragung beendet, darüber muss man sich im Klaren sein. Letztlich dauert sie mehre Jahre an, in denen man als One-Man-Show oder als kleines Team auftritt. Daher gehört unbedingt kaufmännisches Know-how dazu, in einer Bandbreite von Finanzen bis Marketing. Schließlich musste ein Geschäftskonzept her, unsere Idee mussten wir immer wieder vor Investoren und anderen präsentieren. Hier hilft ein technischer Hintergrund natürlich. Insofern muss man als Gründer eigentlich eine Menge von fast allem machen – und genau darin liegt für mich ein Teil des Reizes dieses Karriereweges. Wobei sicherlich hilft, dass ich Wirtschaftsingenieurwesen studiert und mich schon immer sowohl für technisch-naturwissenschaftliche Aspekte als auch für wirtschaftliche Fragestellungen interessiert habe

Die Folgekosten des Klimawandels sind bisher nicht adäquat eingepreist. Sobald dies der Fall ist, sind erneuerbare Energien und Wasserstoff absolut wettbewerbsfähig.

Ihr Ziel ist es, zu einem der zentralen Player einer globalen Wasserstoff- Infrastruktur zu werden. Wird Ihnen bei dieser großen Ambition manchmal ein wenig mulmig?
Meine Ambition und Motivation sind es, mit Hilfe von Wasserstoff die Energiewende möglich zu machen und den Ausstoß von CO2 im Bereich Mobilität und Industrieverbrauch langfristig auf Null zu reduzieren. Unserer LOHC-Technologie kann ein wichtiges Puzzleteil im zukünftigen erneuerbaren Energiesystem werden. Somit befinden wir uns auf einer Mission, die es wert ist, täglich für sie zu kämpfen und sich durch nichts einschüchtern zu lassen. Zu Beginn unserer Firmengründung war es nicht immer einfach, weil Wasserstoff noch nicht wirklich Teil der Diskussion war und wir daher häufig in fragende Gesichter geblickt haben. Mittlerweile aber gibt es ein sehr positives Umfeld in diesem Bereich.

Sie sagen, regenerativ hergestellter Wasserstoff sei das „Erdöl der Zukunft“. Was muss alles noch passieren, damit diese Prognose tatsächlich eintrifft?
Die deutsche Nationale Wasserstoffstrategie gibt die richtige Richtung vor. Aber die Vorhaben müssen in Gesetze gegossen werden, Regularien sind anzupassen. Zudem ist eine europaübergreifende Vorgehensweise wichtig. Das größte Problem sehen wir in den derzeit noch höheren Kosten grüner Technologien gegenüber den fossilen. Deswegen braucht es einen adäquat hohen CO2-Preis, um dadurch die Kostennachteile von Wasserstoff gegenüber fossilen Energien abzubauen. Zumal diese ja teilweise auf willkürlichen Subventionen oder der fehlenden Berücksichtigung gesellschaftlicher Kosten beruhen. Alles in allem sind die Folgekosten des Klimawandels bisher nicht adäquat eingepreist. Sobald dies der Fall ist, sind erneuerbare Energien und Wasserstoff absolut wettbewerbsfähig.

Der Zweck Ihres Unternehmens ist klar: Es geht darum, eine Infrastruktur für saubere Energie aufzubauen. Wenn Sie mit jungen Ingenieur*innen sprechen: Wie wichtig ist der jungen Generation diese Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit?
Diese Sinnstiftung ist von elementarer Bedeutung. Was großartig ist, weil die Energiewende nur zu schaffen ist, wenn möglichst viele junge Ingenieur* innen hier beruflich wirken wollen. Wir brauchen das Know-how und die Leidenschaft solcher top-qualifizierten Macher und Macherinnen.

Zum Unternehmen

Basierend auf der Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC)-Technologie mit Benzyltoluol als Trägermedium ermöglicht Hydrogenious eine flexible Wasserstoffversorgung von Verbrauchern in Industrie und Mobilität, die anderen nicht-leitungsgebundenen Wasserstofftransporttechnologien überlegen ist – vor allem, weil sie konventionelle Infrastruktur für Flüssigbrennstoffe nutzt. Das in Erlangen ansässige Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten wurde mit dem „Innovationspreis der deutschen Wirtschaft“ ausgezeichnet, ist seit 2018 unter den „Global Cleantech 100“ platziert und zählte beim „Deutschen Gründerpreis“ 2021 zu den drei Finalisten.

Nachhaltigkeit in Äthiopien und in Deutschland

0

Der Polymer-Chemiker Dr. Kalie Cheng (35) und der Kunststofftechniker Abiye Dagew (42) haben 2018 das Start-up Plastic2Beans gegründet. Ihre Ziele: in Äthiopien die erste PET-Recyclingfabrik des Landes aufzubauen und in Deutschland das Thema Nachhaltigkeit voranzubringen. Wie es dazu kam, berichtet Kalie Cheng. Das Interview führte Sabine Olschner

Wie kamen Sie auf die Idee zu Ihrem Start-up?
Abiye Dagew und ich haben uns kennengelernt, als ich in Elternzeit war und er sich für seinen Sohn die Schwimmflügel meiner Tochter ausgeliehen hat. Ich hatte großes Interesse daran, mein Wissen aus der Polymer-Chemie nachhaltig einzusetzen – was in der Kunststoffbranche etwas schwierig ist, denn sie ist nicht unbedingt dafür bekannt, besonders nachhaltig zu sein. Abiye, der damals bei einem Maschinenbauunternehmen arbeitete, erzählte mir von den Chancen in Äthiopien, aber auch von den Problemen des Landes mit dem Recycling angesichts der wachsenden Kunststoffindustrie. Rund sechs Milliarden PET-Flaschen werden pro Jahr in Äthiopien verkauft, aber es gibt keine Möglichkeit, den Kunststoff wiederzuverwerten. Gebrauchte Plastikflaschen werden in Äthiopien nur geschreddert, gewaschen, exportiert und im Ausland wieder aufgearbeitet. Die Wertschöpfung findet also im Ausland statt, und Äthiopien muss teuer neues PET einkaufen, um daraus vor Ort wieder Flaschen herzustellen. Das wollen wir ändern. Also überlegten wir uns, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, und gründeten das Start-up Plastic2Beans.

Woran arbeiten Sie konkret?
Wir haben mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und dem Bundesministerium für Wirtschaft, Entwicklung und Zusammenarbeit Studien über den Recycling-Sektor in Äthiopien erstellt. Nun treiben wir gemeinsam ein konkretes Projekt voran: das PET-Recycling im Land. Wir bringen das Know-how für diese Technologie mit, schreiben den Business Case und erstellen den Finanzplan. Damit überzeugen wir Investoren aus Äthiopien und aus Deutschland, dieses Projekt umzusetzen. Wir suchen Fördergelder und internationale Funding-Projekte sowie Maschinenhersteller, die für das Projekt infrage kommen. Dazu stehen wir im Austausch mit dem Umweltministerium der äthiopischen Regierung, die das Projekt stark unterstützt. Es ist schon ein seltsames Gefühl, dass wir als kleines sechsköpfiges Start-up aus Deutschland in Gespräche zur Gestaltung der neuen Gesetzgebungen für PET-Recycling in Äthiopien mit einbezogen werden.

Dr. Kalie Cheng (rechts) und Abiye Dagew (3. von rechts) mit ihrem Plastic2Beans-Team, Foto: Plastic2Beans
Dr. Kalie Cheng (rechts) und Abiye Dagew (3. von rechts) mit ihrem Plastic2Beans-Team, Foto: Plastic2Beans

Was sind die größten Herausforderungen in dem Projekt?
Äthiopische Unternehmen haben zu wenig US-Dollar als Fremdwährung. Aufgrund des Devisenmangels können wir also nicht einfach den Technologietransfer durchführen, weil wir von den Unternehmen vor Ort nicht dafür bezahlt werden können – zumindest nicht in US-Dollar. Daher bieten wir unsere Leistungen gegen Bezahlung in der Landeswährung Birr an. Von diesen Birr kaufen wir im Land fair gehandelten Bio-Kaffee direkt von den Kleinbauern. Wir zahlen das Zwei- bis Dreifache des Börsenpreises und erhalten dadurch eine extrem gute Qualität, den sogenannten Specialty Coffee. Diesen verkaufen wir an deutsche Unternehmen für ihre Kaffeeküchen. Unter unseren Kunden befinden sich namhafte Organisationen und Unternehmen wie Aktion Mensch, Spies Packaging, Wildling und das Gründungszentrum der Uni Köln.

Haben Sie noch weitere Absatzmärkte für Ihren Kaffee?
Wir sind eines der ersten Unternehmen, das Kaffeebohnen in Mehrwegflaschen anbietet. Mit dieser Besonderheit gehen wir gerade in den Lebensmitteleinzelhandel hinein. Außerdem haben wir in Köln das Café Impact eröffnet. Wir haben schnell gemerkt, dass wir eine Anlaufstelle brauchen, an der die Menschen unseren Kaffee erleben können. Denn Specialty Kaffee kostet etwa das Doppelte eines normalen Kaffees. Dieser Preis lässt sich schwer vermitteln, wenn man diesen besonderen Kaffee nicht vorher probiert hat.

Nachhaltigkeit ist Ihnen dabei auch in Deutschland ein wichtiges Anliegen?
Ja, in Deutschland wollen wir die Bevölkerung über einen nachhaltigen Umgang mit Kunststoffen aufklären. Dazu gehen wir unter anderem in Schulen und erklären den Kindern, welche möglichen gesundheitlichen Probleme es beim Kunststoff geben kann und welche Klimaprobleme entstehen können. Wir zeigen Möglichkeiten auf, was Konsumenten und Konsumentinnen tun können, um die Plastikschwemme zu verringern. Dazu geben wir auch Workshops zum Thema Zero Waste. In unserem Café nutzen wir zum Beispiel die Hafermilch-Verpackungen, um daraus Teller oder To-go-Boxen für Essen zu machen.

Bei so vielen unterschiedlichen Ideen und Projekten: Wie stellen Sie sicher, dass Sie sich nicht verzetteln?
Wir machen Sprints. Dabei konzentrieren wir uns für ein paar Wochen nur auf ein Thema. Das heißt: nicht alles gleichzeitig abarbeiten, sondern nacheinander. Aber auch wir kommen manchmal ins Rotieren …

Nachhaltigkeit ist ja ein Thema, das viele junge Leute bewegt. Wenn sich jemand wie Sie mit einer sozialen Idee selbstständig machen möchte: Was wären Ihre Tipps?
Wir haben uns direkt zu Beginn ans Gateway Exzellenz Start-up Center der Universität zu Köln gewendet. Die haben uns beraten, welche Fördermittel für uns infrage kommen. Bei uns haben leider nicht die klassischen Förderungen gegriffen, weil wir keine technische oder digitalen Innovationen entwickelt haben. Wir haben ja eine soziale Innovation, die es den äthiopischen Unternehmen ermöglicht, Technologien anzuwenden. Hier sind andere Fördertöpfe zuständig. Außerdem haben wir uns bei Inkubatoren-Programmen angemeldet. Social Impact ist zum Beispiel eine sehr gute Anlaufstelle für Social Start-ups. Hier kann man sich austauschen und die eigenen Ideen voranzubringen. Und wenn die Idee gut ist, man sein Herzblut in das Projekt hineingibt und dazu auch noch die richtigen Leute hat, dann funktioniert so etwas auch.

Kaffee für den guten Zweck

Den Fairtrade-Kaffee, den Plastic2Beans aus Äthiopien importiert, können Kaffeeliebhaber im Kölner Impact Café probieren.
Impact Café
Luxemburger Straße 190
50937 Köln

www.facebook.com/impactcafecgn

Biokunststoff aus Holzreststoffen

0

Biogene Reststoffe für Wirtschaft und Industrie verwertbar zu machen – das ist das vorrangige Forschungsziel des Instituts für angewandte Biopolymerforschung (ibp) an der Hochschule Hof. Nun könnte den Forscherinnen und Forschern ein interessanter Durchbruch gelungen sein. Von Sabine Olschner

Mit Hilfe von Elektronenbestrahlung konnten die Forschenden aus Hof bisher weitestgehend ungenutzte Reststoffe aus der Papierindustrie so behandeln, dass diese als Biokunststoffe zur Weiterverarbeitung eingesetzt werden können. Die so gewonnenen Werkstoffe sind weiterhin vollständig biologisch abbaubar und könnten schon heute für allerlei Produkte verwendet werden. Aber es gibt noch ein ungelöstes Problem: Lignin. Das Biopolymer kommt in der Natur unter anderem in Bäumen vor, wo es für die Verholzung der Zellen und die Zugfestigkeit des Holzes verantwortlich ist.

Bei der Produktion von Papier wird Lignin als Reststoff allerdings ausgeschieden, da es andernfalls zum Vergilben der Papierblätter führen würde. Das so gewonnene Kraftlignin macht 85 Prozent der weltweiten Ligninproduktion aus. Es wird derzeit aber nur zu etwa fünf Prozent genutzt, zum Beispiel als Beimischung in Zement, Tiernahrung oder in Granulaten, die zu spritzgegossenen Bauteilen weiterverarbeitet werden. 95 Prozent dagegen dienen allenfalls zur Energiegewinnung. Das möchten die Forschenden in Hof ändern. Das Problem dabei ist: Kraftlignin war als natürliches Biopolymer bislang für die Industrie schlicht nicht verwendbar, da es sich im Urzustand nicht schmelzen und damit auch nicht formen oder verarbeiten lässt.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Struktur von Lignin so zu verändern, dass man es formen und verarbeiten kann. Eine chemische Behandlung kam dabei für die Forschenden nicht in Frage, da das Endprodukt immer biologisch abbaubar bleiben sollte. Darum haben sie sich für das Experimentieren mit einer Elektronenbestrahlung entschieden. Das Team absolvierte etliche Testreihen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Als Folge der Bestrahlung bilden sich an dieser Oberfläche freie Radikale, die sich bei der Compoundierung mit einem anderen Biokunststoff verbinden und die chemische Struktur in der gewünschten Form verändern.

Allerdings, so räumen die Forschenden der Hochschule Hof ein, sind damit noch nicht alle Probleme bei der Nutzbarmachung des Reststoffes Lignin beseitigt.

Durch dieses Ergebnis wurde es den Forschenden auch möglich, einen thermisch stabilen Lignincompound, also eine neue Verbindung des Biokunststoffes zu entwickeln. Dieser kann nun durch eine formgebende Düse gepresst und somit gestaltet werden. Das entsprechende Verfahren nennt sich Extrusion, mit dem zum Beispiel Schlauchfolien hergestellt werden können. Nach der Extrusion verfügen die Produkte zudem über sehr gute mechanische Eigenschaften wie hohe Zugfestigkeit und eine hohe Bruchdehnung, was die Einsatzmöglichkeiten des Produktes erweitert.

Allerdings, so räumen die Forschenden der Hochschule Hof ein, sind damit noch nicht alle Probleme bei der Nutzbarmachung des Reststoffes Lignin beseitigt: Lignin hat – auch in der bearbeiteten Form – einen leichten Geruch nach Verbranntem an sich. Daher ist es derzeit noch nicht für alle Produkte geeignet ist, insbesondere nicht für solche, die nah am Menschen sind. Hier muss also noch weiter geforscht werden.

Vier Megatrends, ein Studiengang

Dekarbonisierung, Digitalisierung, Dezentralisierung, Demografie – unter diesen vier Schwerpunkten diskutieren Industrie und Forschung den Klimawandel und seine Folgeerscheinungen. Die Hochschule München vereint die Lehre zu den vier Megatrends im neuen berufsbegleitenden Masterstudiengang „4D – Moderne Energiesysteme und Mobilität“. Von Sabine Olschner

Der Klimawandel und seine Folgeerscheinungen, etwa die Zunahme von extremen Wettereignissen und die damit einhergehenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme, verlangen eine schnelle und nachhaltige Reaktion – auch von der Wissenschaft. Im Zuge der Energiewende benötigen viele Branchen dazu gebündelte fachliche Kompetenz. „Wir müssen unseren Umgang mit Energie ändern“, erläutert Prof. Dr. Andreas Rau, der den neuen 4D-Master an der Hochschule München (HM) gemeinsam mit Prof. Dr. Matthias Niessner und dem Weiterbildungszentrum entwickelt hat. „Wir müssen weg von den fossilen Ressourcen hin zu den Regenerativen. Dieses Thema ist global relevant und betrifft eine Vielzahl von Bereichen. Das bedeutet, dass auf dem Arbeitsmarkt eine große Nachfrage nach diesbezüglichem Wissen entstehen wird.“

Zukunftsweisend und interdisziplinär

Die Studierenden des berufsbegleitenden Masterstudiengangs „4D – Moderne Energiesysteme und Mobilität“, der im Sommersemester 2022 startet, werden interdisziplinär auf die Zukunft der Energieversorgung vorbereitet. Absolventinnen und Absolventen können die erlernten Studieninhalte sofort in einen fachübergreifenden Kontext einbinden und praktisch anwenden: „Beispielsweise lehren wir den Umgang mit Wasserstoff, Elektromobilität sowie Energiewandlung im mobilen Bereich für Personen- und Güterverkehr auf der Straße und der Schiene“, erklärt Studiengangsleiter Rau. In einem weiteren Schwerpunkt geht es um die Energiewandlung im stationären Bereich. Hier stellen sich die Studierenden der Frage, wie wir von Großkraftwerken zur dezentralen und idealerweise autonomen Energieversorgung gelangen.

„Vereinfacht gesagt, soll nach dem Studium klar sein, wie man vom Sonnenstrahl zu einem drehenden Rad und einer funktionierenden Steckdose kommt“, fasst Rau zusammen. Ergänzt werden die ingenieurwissenschaftlichen Themen durch Kompetenzen im Bereich Patentrecht, Politik und Ethik. Die Studierenden können Synergien der Teildisziplinen nutzen und setzen diese effektiv für innovative Lösungen ein. Dadurch werden sie für eine Tätigkeit in den Branchen Energietechnik, Bahntechnik, Nutzfahrzeug- und Automobilindustrie sowie für Ingenieurdienstleistungsunternehmen ausgebildet.

Zusätzlich zu den Einsatzgebieten im Mobilitätsbereich sind die Absolvent*innen gut vorbereitet auf ein berufliches Umfeld zum Beispiel in der Kraftwerkstechnik, der Wind- und Sonnenenergie oder der Speichertechnik.