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Barrierefreiheit digital prüfen

Amelie Hofer entwickelte im Rahmen ihrer Masterarbeit in Architektur an der Universität Stuttgart die App DiNable. Mit ihr wird das barrierefreie Bauen aufgrund digitaler Normprüfungen wesentlich einfacher. Die Lösung überzeugt auch die Jury von buildingSMART Deutschland beim BIM Champions Wettbewerb 2025. Amelie Hofer wurde von ihr in der Kategorie „Arbeiten von Auszubildenden/ Studenten“ zur Siegerin gekürt. Im Interview erklärt sie, wie sie auf die Idee zur Entwicklung der App kam und was die Herausforderungen waren und sind. Die Fragen stellte Christoph Berger, buildingSMART Deutschland

Frau Hofer, Sie haben mit DiNable© ein Tool geschaffen, das IFC-basierte Wohnungsplanungen auf Barrierefreiheit überprüft. Zum allgemeinen Verständnis: Die Industry Foundation Classes (IFC) sind ein offener, internationaler Standard für den Datenaustausch zwischen verschiedenen BIM-Software-Anwendungen in der Bauwirtschaft, der es ermöglicht, digitale Bauwerksmodelle und deren Eigenschaften plattformübergreifend zu teilen. Was war der ursprüngliche Impuls, dieses Projekt zu initiieren?
Der Impuls kam im Rahmen eines Praxissemesters in einem Architekturbüro. Ein Kollege kam auf mich zu und fragte: „Amelie, braucht es die Fläche wirklich in der Wohnung, wenn man im Rolli sitzt?“ Damals wurde mir klar, dass es zwar die Regelungen für Barrierefreiheit gibt, Planer aber trotzdem oftmals nicht verstehen, warum und, dass mein Kollege mit Sicherheit nicht der Einzige ist, der sich diese Frage stellt. Ich konnte ihm damals erklären, dass die Regelungen durchaus Sinn machen, wenn ich mich zum Beispiel mit dem Rolli umdrehen will.

Wie ging es dann weiter?
In meinem Masterstudium habe ich mich auf die Suche nach Softwarelösungen gemacht, die Pläne im Hinblick auf Barrierefreiheit prüfen. Ich habe kein digitales Tool gefunden, das solch eine Normprüfung übernimmt und zugleich noch erklärt, warum die Regelung verletzt wird. Da ich mich neben der Barrierefreiheit auch das Thema BIM sehr interessiert hat, fing ich an, mich mit IFC auseinanderzusetzen. Und mit dem Programmieren. Davon hatte ich damals keine Ahnung, ich konnte keine Programmiersprache.

Sie vereinen in Ihrer Person inzwischen technisches Know-how als Architektin, Betroffenheit durch eigene Rollstuhlnutzung und digitale Kompetenz. Wie hat sich diese besondere Perspektivenkombination auf die Entwicklung der App ausgewirkt?
Ich glaube, dass nur durch diese Kombination die Idee überhaupt entstehen und Wirklichkeit werden konnte.

Wir brauchen viele neue Ideen und Menschen, die nicht nur reden, sondern machen.

Ein zentrales Ziel von DiNable© ist es, die DIN 18040 nicht nur in Plänen abzuprüfen, sondern sie auch erfahrbar und verständlich zu machen. Wie genau gelingt das?
Indem die App zum einen prüft, ob ein Verstoß gegen die Norm vorliegt, zum anderen zeigt sie anhand von Nutzungsanimationen, was durch fehlende Bewegungsflächen passiert: dass sich Rollstuhlfahrer zum Beispiel nicht mehr umdrehen können. Diese Animationen machen es gerade visuell arbeitenden Menschen leicht, schnell zu verstehen. Außerdem zeigt die App direkt die entsprechende Passage in der Norm zum Nachlesen, gegen die gerade verstoßen wird.

Man lädt also die IFC-Datei mit dem 3D-Gebäudemodell in die App und erhält direkt eine Bewertung?
Genau. In einer Tabelle werden die einzelnen Fehlermeldungen angezeigt. Die Planer können dann in der App direkt Wände oder Möbel verschieben, um zu sehen, wie sie den Regelverstoß aufheben können, sie erhalten direkt digitales Feedback.

Die App ist vollständig webbasiert, erlaubt ein direktes Umplanen im Browser und exportiert wieder ins IFC-Format. Wie wichtig war Ihnen die Integration in den gängigen BIM-Workflow – und was waren die größten technischen Hürden?
Die größte Hürde war tatsächlich die IFC-Datenstruktur in den Griff zu bekommen. Da arbeite ich tatsächlich auch noch dran. Das Problem dabei ist, dass jedes CAD-Programm die IFC-Datei ein wenig anders ausgibt. So muss auf sehr viele unterschiedliche Fälle reagiert werden. Die Standardisierung ist da, aber es gibt eben nicht nur einen Fall, wie zum Beispiel eine Wand dargestellt wird, sondern fünf. Außerdem musste ich ja programmieren lernen. Und dann immer wieder Prüfungen durchführen, um die Qualität zu sichern. Dennoch war es mir ein großes Anliegen, die App so gut wie möglich in den BIM-Workflow zu integrieren. Die App soll Arbeit abnehmen und schwellenlos nutzbar sein. Das gelingt mit einer guten Einbindung in den gängigen Arbeitsfluss eines Planers und die Webbasierung. So muss nicht mal eine Software installiert werden, um die App nutzen zu können.

Sie greifen in der App auch die unterrepräsentierte Vielfalt an Behinderungen auf. Warum war Ihnen dieser Aspekt wichtig?
Der eigentliche Mehrwert von DiNable© liegt meines Erachtens darin, sich intensiv mit dem Thema Barrierefreiheit zu beschäftigen, dafür sensibilisiert zu werden. Räume sind nicht einfach nur Rechtecke auf Plänen, dahinter stecken Bedürfnisse von Menschen. Ich glaube, dass diese Connection oftmals im Planungsalttag fehlt.

In Ihrer Arbeit sprechen Sie auch bestehende Herausforderungen an, z. B. hinsichtlich der IFC-Datenstruktur oder die unterschiedlichen Behinderungen. Wie wollen Sie diese Punkte angehen?
Der erste Schritt ist die IFC-Datenstruktur. Aber dann soll es dahin gehen, dass die Nutzungsanimationen auch noch eine größere Vielfalt darstellen können. Zum Beispiel die Bedürfnisse von Menschen mit Krücken oder Sehbehinderungen.

Die Rückmeldungen aus Expert*inneninterviews und Usability-Tests sind sehr positiv. Wie sehen Sie die Chancen, dass DiNable© in der Baupraxis – z. B. in Architektur- oder Planungsbüros – tatsächlich zum Einsatz kommt?
Die Chance dafür bewerte ich als sehr hoch. Jeder und jedem, denen ich davon erzähle, findet die Idee cool und will sie ausprobieren. Ich glaube, dass alles gut ankommt, was die Arbeit erleichtert.

Unterstützt der Gewinn des BIM Champion Wettbewerbs von buildingSMART Deutschland dabei?
Die Nachfrage nach der Siegerehrung ist auf jeden Fall gestiegen und ich habe Unternehmen gefunden, die die App mit mir weiterentwickeln wollen. Außerdem setze ich mich gerade mit der Idee auseinander, selbst ein Start-up zu gründen.

Zum Abschluss: Was möchten Sie Studierenden oder Berufseinsteiger*innen mit auf den Weg geben, die sich ebenfalls mit digitalen Tools und barrierefreiem Bauen beschäftigen möchten?
Ich glaube, der beste Tipp ist: Einfach machen. Es gibt noch so viele Lücken bei so vielen Dingen, mit denen man sich rumquält. Da sind wir als junge Generation gefragt, diese Lücken zu schließen. Wir brauchen viele neue Ideen und Menschen, die nicht nur reden, sondern machen.

Zum BIM Champions Wettbewerb:

Der BIM Champions Wettbewerb von buildingSMART Deutschland findet jährlich statt. Ausgezeichnet werden dabei herausragende Projekte und Arbeiten im Bereich Building Information Modeling (BIM). Ziel des Wettbewerbs ist es, innovative und zukunftsweisende Anwendungen der BIM-Methode sichtbar zu machen und Best Practices aus der gesamten Wertschöpfungskette Bau zu würdigen. Dabei werden jeweils Champions in den folgenden Kategorien gesucht:

  • Planung
  • Bauausführung (inkl. Baubetrieb), Bauzulieferer (Hersteller, Vertrieb, Handel)
  • Betrieb/Unterhalt (inkl. Bewirtschaftung)
  • Technologie / Innovation / Lösungen
  • Arbeiten von Auszubildenden und Studierenden (dotiert mit 2.000 Euro Preisgeld sowie Aufnahme in den buildingSMART CAMPUS)
  • Nachhaltigkeit (Fokus auf Ressourcenschonung und Umweltschutz)

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