Frauen in Führungspositionen sind inzwischen keine Ausnahme mehr – aber das war nicht immer so. Die Frauen, die sich als Erste in ihren Disziplinen durchsetzten und auf diese Weise neue Berufsfelder für Frauen eröffneten, geraten oft in Vergessenheit. Wer also waren sie, die Vorreiterinnen, die sich für Frauenrechte einsetzten, die Wissenschaften für Frauen öffneten, sich als selbstständige Unternehmerinnen einen Namen machten und als Sportlerinnen Erfolge feierten? Wir stellen Ihnen eine kleine Auswahl solcher Frauen vor – Teil 2 finden Sie im karriereführer frauen in führungspositionen Ausgabe 2013.2014. Von Leonie Pohlmann
Olympe de Gouges – die erste Frauenrechtlerin (* 1748, † 1793) Die französische Revolution gilt als Geburtsstunde der Menschenrechte in Europa. Allerdings wissen viele nicht, dass die Menschenrechte der französischen Nationalversammlung auf Männer beschränkt waren, Frauen waren vom politischen Leben weitestgehend ausgeschlossen. Diese Ausgrenzung stieß bei vielen Frauen auf Widerstand – auch bei Olympe de Gouges, einer der bekanntesten Frauenrechtlerinnen der Zeit: Sie wurde 1748 geboren und veröffentlichte nach Ausbruch der Revolution politische Texte, Flugblätter und Plakate. Ein Thema hatte für sie höchste Priorität: die Rechte der Frauen. Weil sie gegen die Jakobiner war, aber auch wegen ihres Einsatzes für die Frauenrechte, wurde sie im Sommer 1793 verhaftet und hingerichtet. Marie Curie – die erste Nobelpreisträgerin (* 1867, † 1934) Die sich im 18./19. Jahrhundert herausbildenden Naturwissenschaften waren zunächst eine reine Männerdomäne, auch, weil Frauen erst spät Zugang zur höherer Bildung bekamen. Von dieser Benachteiligung war auch die Nobelpreisträgerin Marie Curie betroffen: Sie wurde 1867 in Warschau geboren. Da Frauen in ihrer Heimat nicht zum Studium zugelassen wurden, schrieb sie sich 1891 an der Sorbonne in Paris ein, wo sie mit der Erforschung radioaktiver Substanzen begann. Sie entdeckte das strahlende Element Radium und wurde zur Pionierin auf dem Gebiet der Radioaktivität. Für ihre Arbeit erhielt sie 1903 als erste Frau den Nobelpreis für Physik und 1911 einen weiteren für Chemie. Sie war damit die erste Person, die zwei Nobelpreise erhalten hatte. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie 1908 als erste Professorin an der Sorbonne auf dessen Lehrstuhl für Allgemeine Physik berufen. Marie Curie starb 1934 nach langer Krankheit, die vermutlich auf ihre intensive Arbeit mit radioaktiven Elementen zurückzuführen ist. Charlotte Hildegard Hass – die erste gefilmte Taucherin (* 1928) Charlotte „Lotte“ Hass gelangte als Taucherin in den 1950er-Jahren zu Berühmtheit. Geboren 1928 in Wien, arbeitete sie zunächst als Sekretärin ihres späteren Ehemanns, des Naturforschers, Tauchpioniers und Dokumentarfilmers Hans Hass. Lange träumte sie davon, eine Tauchexpedition zu begleiten – möglich wurde dies erst, als eine Filmgesellschaft auf eine weibliche Hauptdarstellerin für Hans Hass‘ nächsten Dokumentarfilm bestand, um den Film damit attraktiver zu machen. 1950 ging sie für mehrere Monate ans Rote Meer, tauchte und wurde dabei gefilmt. Der Film wurde ein voller Erfolg, die Presse riss sich fortan um die junge Frau. Sie war schon bald auf den Titelseiten internationaler Magazine zu sehen. Lotte Hass war aber keinesfalls lediglich ein Unterwassermodel – durch ihre Taucheinsätze schrieb sie Sportgeschichte und machte das Tauchen auch für Frauen populär. 1970 veröffentlichte sie ihre Autobiografie „Ein Mädchen auf dem Meeresgrund“, die 2010 mit Yvonne Catterfeld in der Hauptrolle verfilmt wurde. Erna Baumbauer – die erste Schauspielagentin (* 1919, † 2010) Erna Baumbauer schaffte ein völlig neues Berufsfeld in Deutschland: Sie machte sich selber zur Schauspielagentin. Geboren 1919 in München, arbeitete sie zunächst als Journalistin und Theaterkritikerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte sie ihre Kontakte am Theater für ein paar Freundschaftsdienste: Sie vermittelte Schauspieler und handelte Verträge für sie aus. Daraus entwickelte sich schon bald mehr: Erna Baumbauer gründete ihre eigene Agentur und wurde zur ersten und einflussreichsten Schauspielagentin der Bundesrepublik. Sie vermittelte nicht nur, sondern war stets darum bemüht, ihre Klienten gut zu beraten: So überredete sie drei ihrer Schauspieler – Ulrich Mühe, Ulrich Tukur und Sebastian Koch –, bei dem Erstlingswerk des damals noch unbekannten Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck „Das Leben der Anderen“ mitzuwirken – ein voller Erfolg, der Film bekam 2007 sogar einen Oscar. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Bayerischen Verdienstorden, das Bundesverdienstkreuz, und beim Deutschen Filmpreis 2006 wurde sie mit dem Ehrenpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Karin Stilke – das erste deutsche Topmodel (* 1916) Nicht erst seit „Germany’s Next Topmodel“ träumen viele junge Mädchen von einer Laufsteg-Karriere. Zu den Pionierinnen der Modelbranche gehört Karin Stilke, das erste deutsche Model mit internationalem Erfolg. 1926 in Bremen geboren, absolvierte sie nach dem Schulabschluss in Berlin eine Dolmetscherausbildung, bis sie 1936 von der Fotografin Yva auf dem Kurfürstendamm entdeckt wurde. Sie ließ sich zu Modefotos überreden, und schon war ihre Karriere in vollem Gange. Bis 1957 stand sie für die bedeutendsten Modefotografen der Zeit vor der Kamera, war auf zahlreichen Titelblättern zu sehen. 2007 wurde ihr zu Ehren im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung „Karin Stilke: Ich bin ein Sonntagskind“ gezeigt. Elly Beinhorn – die erste Alleinpilotin rund um die Welt (* 1907, † 2007) Die Entwicklung des Flugzeugs um 1900 zog eine weitverbreitete Begeisterung fürs Fliegen nach sich. Elly Beinhorn gehörte damals zu den wenigen Frauen, die im Cockpit Platz nahmen. Sie absolvierte 1929 ihren Flugschein und träumte von einem Langstreckenflug. Im Januar 1931 startete sie dann zu ihrem ersten Afrikaflug. Beim Rückflug nach Deutschland musste sie im Sumpfgebiet des Niger notlanden und blieb vier Tage verschollen. Dadurch wurde die Pilotin weltberühmt. 1931 erfüllte sie sich einen weiteren Traum und startete zu einem Flug um die Welt. Trotz vieler Schwierigkeiten schaffte sie ihr Vorhaben und stellte somit einen Rekord auf: Als erste Fliegerin vollendete sie eine Weltumrundung ohne Begleitung. Elly Beinhorn stellte noch viele weitere Rekorde auf und erhielt zahlreiche Ehrungen, darunter das Bundesverdienstkreuz. Erst im Alter von 72 Jahren gab sie ihren Pilotenschein freiwillig ab.Interview mit Hubertus Meyer-Burckhardt
(Aus BerufSZiel 2.2012) Brüche in der Biografie? Stehen für ein pralles Leben. Krisen? Müssen nicht sein. Hubertus Meyer-Burckhardt – TV-Produzent, Hochschulprofessor, Gastgeber der NDR Talk Show und Romanautor – kennt einige Rezepte, die vor schwarzen Löchern schützen. Immer wieder aufzubrechen zum Beispiel. Lustvoll Entscheidungen zu treffen. Oder: sich künstlich in Existenzangst zu versetzen. Wie das zusammenpasst, erzählt er im Gespräch mit André Boße.
Herr Professor Meyer-Burckhardt, was war der bislang bahnbrechendste Aufbruch Ihres Lebens? Die Entscheidung, Vater zu werden. Denn das ist die einzige Verantwortung, die man nie wieder abgeben kann. Ehen kann man scheiden, von Firmen kann man sich trennen. Selbst gute Freunde kann man in die Wüste schicken – oder von ihnen in die Wüste geschickt werden. Aber Vater oder Mutter bleiben Sie Ihr Leben lang. Ich bin das jetzt seit 20 Jahren – und zwar sehr gerne und mit großer Dankbarkeit. Fällt es Ihnen leicht, Entscheidungen zu treffen? Ich finde es ungemein wichtig, Entscheidungen lustbetont zu treffen. Das Wort Krise steht im Griechischen für die Begriffe Meinung, Beurteilung – und eben auch Entscheidung. Man kann der negativen Bedeutung des Wortes Krise ausweichen, indem man sich mit Freude für etwas entscheidet und sagt: Ich gehe jetzt dorthin – und akzeptiere damit auch, dass meine Entscheidung für eine Sache automatisch auch bedeutet, dass ich mich damit gleichzeitig gegen Tausend andere Sachen entscheide. Je mehr Lust ich auf das Neue habe, desto weniger lasse ich negative Gefühle wie Verlustangst oder Reue zu. Sind Sie generell ein Typ für Aufbrüche ohne Rückfahrkarte? Es geht bei mir gar nicht anders. Aufbrüche machen Spaß. Aber sie ängstigen auch. Wichtig ist mir, dass mich diese Angst niemals daran hindert, immer wieder den Aufbruch zu wagen. Was ist Ihnen wichtiger: wegzukommen oder anzukommen? Zweiteres, definitiv. Es gab eine Zeit im vergangenen Jahrhundert, als viele Frauen heirateten, um mit diesem Schritt ihrem eigenen Elternhaus zu entkommen. In dieser Art von Aufbruch steckt eine Tragik: Man kann einen Aufbruch nicht nur damit erklären, dass man irgendwo wegwill. Man sollte schon irgendwo hinwollen. Darum mag ich auch den Begriff des Auswanderns nicht. Viel spannender ist doch die Frage: Warum wandert jemand ein? Ging es Ihnen also bei Ihren beruflichen Wechseln auch darum, neue Ufer zu erreichen statt alte Zöpfe abzuschneiden? Genau. Ich habe nie die Frage beantwortet, warum ich ein Unternehmen verlassen habe. Ich gab aber gerne Auskunft darüber, warum ich mich für das neue Unternehmen entschieden hatte. (überlegt) Man sagt, das Leben hat keinen Sinn, es sei denn, man gibt ihm einen. Man sollte bei der Sinnstiftung also selber aktiv werden – und das tue ich, denn ich bin der festen Überzeugung, dass es meinem Leben Sinn gibt, immer wieder zu neuen Destinationen aufzubrechen. Was keineswegs Unternehmen sein müssen. Was auch schon Young Professionals kennen: kein Aufbruch ohne skeptische Stimmen, die einen dazu bewegen möchten zu bleiben. Was entgegnen Sie diesen Stimmen? Gemeinhin gar nichts. Der Skeptiker lebt sein Leben, und es kann für ihn sinnvoll sein, in einer bestimmten Position zu verharren. Ich möchte das gar nicht bewerten: Mein Leben ist nicht besser, nur weil ich ein Reisender bin. Es gibt Menschen, die – ganz unironisch gemeint – Vergnügen darin finden, ihr Leben lang Beamte im Rathaus der Stadt Ulm zu sein. Warum denn nicht? Ich finde es jedoch schade, wenn Menschen schon in jungen Jahren ihre Aufbruchbereitschaft und auch ihre Kreativität abtöten, weil es sie ängstigt. Sie verbringen Ihre Ferien gerne in Irland. Warum brechen Sie dorthin auf? Weil ich dort Ruhe finde. Und in der Ruhe entstehen die Ideen. Den Iren wohnt die Eigenschaft inne, immer wieder aufzubrechen, um dann in der Ferne nostalgisch ihre Heimat zu besingen. Kennen Sie dieses Gefühl auch? Um zunächst kurz bei den Iren zu bleiben, da trifft folgender Satz zu: Leistung entsteht durch Mangel. Die Iren waren zumeist ein bettelarmes Volk, die Insel war viele Hundert Jahre lang von den Briten besetzt. Die Iren hatten gar keine andere Wahl, als aufzubrechen. Zu Ihrer Frage: Ja, derjenige, der aufbricht, vermisst das Zuhause. Und derjenige, der zu Hause ist, vermisst die Ferne. Das steckt wohl in jedem. Und auch in mir. Sie haben gerade gesagt, Leistung entstehe durch Mangel. Sind Sie besser und kreativer, wenn es Ihnen an etwas fehlt? Ja. Ich gehe sogar so weit, dass ich Existenzangst in mir künstlich erzeuge. Wie funktioniert das? Indem ich mich mental nicht auf das besinne, was mir Sicherheit gibt, sondern auf das, was in meinem Leben schiefgehen könnte. Daraus ziehe ich Energie. Sie malen also vorsätzlich schwarz? Nicht im Sinne des Pessimismus. Ich male nicht schwarz, um mich daraufhin in mein Schneckenhaus zu verkriechen. Ich glaube zutiefst daran, dass nichts im Leben sicher ist. Kein Job der Erde, keine Beziehung – und schon gar nicht eine anhaltende Gesundheit. Ich erinnere mich, dass wir als Kinder immer an einem Bach in Kassel gespielt haben, der Drusel. Unser Ziel war es, einen Staudamm zu bauen, der niemals Wasser durchlassen wird. Das war unsere kindliche Illusion der Perfektion: Wir wollten die Drusel „anhalten“. Hat natürlich nie funktioniert. Nein, irgendwann brach sogar der bestgebaute Damm. Das war eine frühe Lektion dafür, dass nichts sicher, alles in Bewegung ist. Daher betrachte ich das Leben als eine ziemlich riskante Sache. Ich könnte daran verzweifeln. Ich kann aber auch sagen: Risiko bringt Spaß – und genau an diesem Punkt wird für mich Existenzangst zu einem Aphrodisiakum. 99 Prozent der Menschen versuchen, sich in Krisensituationen zunächst einmal zu beruhigen. Da liefern Sie mit Ihrer künstlich hergestellten Existenzangst ein Gegenmodell. Definitiv. Weil ich mir nicht selbst etwas vorspielen möchte, denn es ist eben nicht alles gut. Sie können auch als überaus talentierte Nachwuchskraft gefeuert werden. Sie können berufliche Rückschläge erleben. Von Ihrem Partner verlassen werden. Krank werden. Auf dieser Welt zerbrechen Dinge, das können Sie nicht ändern. Ich sage mir: Zu einem gelebten Leben gehören Siege und Niederlagen. Daher empfinde ich Niederlagen als nichts Verwerfliches. Schadenfreude hingegen schon. Übrigens ein typisch deutscher Begriff, ein englisches Wort dafür existiert gar nicht. Es ist nicht schlimm, wenn man mal 0:2 zurückliegt. Das kann passieren. Die Amerikaner sagen sehr häufig: „Das Leben ist ein Spiel.“ Also: Spiele es! Der Held Ihres Debütromans sieht sich zunächst nicht als Spieler, sondern als Karrierefunktionär – und fällt nach der Kündigung in ein tiefes Loch. Wie gelingt es einem, dies zu vermeiden? Man sollte sich immer wieder klarmachen, dass es so etwas wie eine sichere Karriereplanung nicht geben kann. Und auch, dass das Leben nicht immer gerecht ist. Wer sich davon frei macht, gewinnt Freiheit. Überlegen Sie doch einmal, wie viele von den wirklich wichtigen Begegnungen, die Sie im Leben hatten, tatsächlich geplant waren. Fragen Sie doch mal intakte Liebespaare, unter welchen Umständen sie die Liebe ihres Lebens kennengelernt haben. Bei 80 Prozent wird ein Partner sagen, er sei auf einer Fete gewesen, auf die er gar nicht gehen wollte, und da habe er den anderen Partner halt am Kühlschrank getroffen. Sie sehen: Das Leben ist nicht zu planen, nicht zu zähmen. Nicht die Liebe. Und auch nicht der berufliche Lebensweg. Was raten Sie Nachwuchskräften, die sich zumindest eine gewisse berufliche Stabilität wünschen? Erstens, fleißig sein. Ich glaube, ein guter beruflicher Lebensweg zeichnet sich durch vier Fünftel Fleiß und ein Fünftel Talent aus. Zweitens, eine gute Menschenkenntnis zu entwickeln. Zu wissen, wer es gut mit mir meint und von wem ich mir etwas abschauen kann. Und noch ein dritter Punkt bringt Stabilität, oder, um es anders zu sagen, Reichtum in der Seele und im Charakter: Bildung. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Reichtum dazu führt, schärfer und feiner auf Ihr Leben und das Leben der anderen zu blicken. Können Sie das erläutern? Wer ins Theater geht, ein Gedicht liest oder sich eine Ausstellung ansieht, sensibilisiert sich für andere Schicksale und Perspektiven. Das ist wichtig, verliert aber in den Lebensentwürfen der jungen Generation leider an Bedeutung. In der Folge entsteht eine Generation von Pragmatikern. Von gestressten Karriereplanern. Wie langweilig! Was fehlt denen, die aalglatt vor sich hin leben, im Gegensatz zu denen, die zu ihren Brüchen stehen? Ein pralles Leben! Rock ’n’ Roll! Sind diese Pragmatiker auch krisenanfälliger? Möglich. Dabei gibt es viele Möglichkeiten der Prävention. Ich empfehle an dieser Stelle – neben rauer Rock ’n’ Roll-Musik – die Lyrik! Ich kann mir das Lächeln im Gesicht einiger Leser bildlich vorstellen: Ich und Lyrik? Ja, bitte. Lesen Sie die Gedichte der drei großen deutschen Lyrikerinnen Else Lasker- Schüler, Nelly Sachs und Rose Ausländer. Es wird Ihnen guttun! Es ist eine günstige Gelegenheit, Urlaub von der Karriereplanung zu nehmen. Warum ist diese Sensibilisierung für das Leben anderer denn so wichtig? Weil ich über diese Geschichten und Perspektiven zum Beispiel erfahre, dass es Zeiten gab, in denen die ständige Suche nach dem Glück keine Rolle gespielt hat. Für einen hart arbeitenden nordhessischen Bauern Anfang des 20. Jahrhunderts bedeutete Glück, die einzigen arbeitsfreien Minuten eines langen Tages Pfeife rauchend vor seiner Scheune zu verbringen. Das ständige Streben nach Glück in unserer Zeit ist ein grässliches Wohlstandsthema. Diese Suche ist nicht sinnstiftend, weil sie vom Wesentlichen ablenkt: Es ist nicht schlimm, wenn einem mal ein Unglück widerfährt. Leben darf auch mal schieflaufen. Sie dürfen dabei nicht vergessen: Hier spricht ein überzeugter Optimist. Denn zum Optimismus gibt es keine vernünftige Alternative. Ihr Tipp: Wie lässt sich Optimismus gewinnbringend im beruflichen Leben anwenden? Gehen Sie in ein schwieriges Geschäftstelefonat mit der Überzeugung: Ich werde mich behaupten. Nun kann es natürlich passieren, dass Sie sich behaupten – und dennoch verlieren. Na und? Kommt vor. Und ob diese objektive Niederlage überhaupt eine subjektive Niederlage ist – das ist eine ganz andere Frage. Ich habe zum Beispiel aus allem, was andere als Niederlage bewerten würden, für mich persönlich eine Menge gelernt. Und diese Lernerfolge verhindern Krisen, weil ich erfahre, wie ich mich künftig entscheiden muss, damit es funktioniert. Ihr Roman ist Spiegel-Bestseller und erschien auch als Taschenbuch. Stellen wir uns vor, Sie erwischten Ihren Protagonisten Simon Kannstatt dabei, wie er sich das Buch kauft. Welche Widmung würden Sie ihm hineinschreiben? Einen Ratschlag, den ich nicht nur allen Simon Kannstatts dieser Welt, sondern jedem geben möchte: Lebe, lese, lache! Und von mir aus: Trinke!Zur Person
Prof. Hubertus Meyer-Burckhardt wurde 1956 geboren, studierte zunächst Geschichte und Philosophie in Berlin und Hamburg und wechselte dann zur Hochschule für Fernsehen und Film nach München. Nebenbei arbeitete er als Regieassistent am Theater bei Boy Gobert. 1988 stieg er als Creative Director und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Werbeagentur BBDO ein und ging danach in die Filmbranche. Als Filmproduzent erhielt er u. a. mehrere Grimme-Preise. Von 2001 bis 2006 bekleidete er Vorstandspositionen bei der Axel Springer AG und ProSiebenSat.1 Media AG. Seitdem ist er Vorsitzender Geschäftsführer der Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft. Parallel dazu besitzt er seit 2005 eine Professur an der Hamburg Media School. Nebenbei engagiert sich der Vater von zwei Kindern im Beirat seiner Heimatstadt Kassel.
SPIEGEL-Bestseller: Der Roman „Die Kündigung“ von Hubertus Meyer-BurckhardtWenn das Leben die Richtung ändert: Protagonist Simon Kannstatt, Jurist und Volkswirt, führt als Top-Manager im Controlling ein Leben in der „Formel 1 der Geschäftswelt“. Die Arbeit ist sein einziger Lebenssinn. Als ihm gekündigt wird, fällt er buchstäblich aus allen Wolken. Er lebt erst einmal weiter, als sei nichts geschehen und plant einen Rachefeldzug gegen seinen Ex-Chef. Bis er sich entkräftet in ein anderes Leben phantasiert, in dem er ein Flugzeug nach New York besteigt und einen Job in einem Plattenladen annimmt. In der skurrilen Umgebung erinnert sich Kannstatt seiner Ideale. Was bleibt von der Person ohne Funktion? Hubertus Meyer-Burckhardt plädiert in seinem Roman für Individualität und die Verwirklichung von Lebensträumen. Das Buch ist Spiegel-Bestseller. Verlag: Ullstein Taschenbuch. ISBN: 978-3548284576. 8,99 Euro. Mehr
Besser konzentrieren: Pflanzen am Arbeitsplatz
„Es gibt zu wenige Bauingenieure“
Ein Gespräch mit Dipl.-Ing. Klaus Pöllath, Vizepräsident Technik des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie
Für Bauingenieure gibt es nahezu unendlich viele Betätigungsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Verkehrsinfrastruktur, im Energiesektor, im Hochbau rund um das Gebäude. Wo sehen Sie heute die Schwerpunkte der Tätigkeit? Das Aufgabenspektrum von Bauingenieuren hat sich durch die Energiewende noch deutlich erweitert. Die Einsparung von Energie und Ressourcen ist heute der wichtigste Faktor beim Realisieren von Bauwerken. Nahezu alle Baumaterialien lassen sich recyclen. Wir bauen Passiv- und Plus-Energiehäuser und sanieren Altbauten energetisch. Hier gibt es einen großen interessanten Markt für Bauingenieure. Unser bautechnisches Know-how ist aber auch bei der Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien, insbesondere im Offshore-Bereich und beim Speichern von Energie, gefragt. Bauunternehmen übernehmen immer mehr Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks und bieten Dienstleistungen rund um das Bauwerk an, wie zum Beispiel Facility Management oder Industrieserviceleistungen. Diese Ingenieurleistung beginnt bereits in der Planungsphase, damit schon im Vorfeld Fehler vermieden werden können, die später zu Termin- und Kostenüberschreitungen führen würden. Auch aus dem demografischen Wandel in der Gesellschaft ergibt sich für den Bauingenieur ein neues Geschäftsfeld. Hier ist vor allem der Stadtumbau zu nennen. Wir müssen die Verkehrsnetze intelligent weiterentwickeln und auf die Bedürfnisse einer älter werdenden Bevölkerung abstimmen. Und wir müssen die Versorgungsleitungen in Regionen mit rückläufiger Bevölkerung entsprechend anpassen. In all diesen Bereichen ist das Spezialwissen der Bauingenieure höchst gefragt. Welches Know-how und welche Fähigkeiten müssen junge Bauingenieure vor diesem Hintergrund mitbringen? Für einen Bauingenieur ist es nach wie vor sehr wichtig, ein profundes bautechnisches Wissen zu erwerben. Aber auch Grundkenntnisse beispielsweise im Bau- und Planungsrecht, in der Betriebswirtschaft oder der Bewirtschaftung von Immobilien sollte er sich aneignen. Je mehr sich das Betätigungsfeld der Bauingenieure erweitert, desto mehr werden auch Kommunikationsfähigkeiten, Team- und Führungsfähigkeit erwartet. Denn moderne Bauprojekte sind sehr komplex, viele Menschen mit vielen verschiedenen Fertigkeiten und Fachkenntnissen sind daran beteiligt. Sie müssen „unter einen Hut gebracht“ und der anspruchsvolle Bauprozess muss effizient gestaltet werden. Knapp 500.000 Erstsemester gibt es aktuell in Deutschland. 106.000 Studenten davon haben sich für eine Ingenieurwissenschaft entschieden. Überall wird für ein MINT-Studium geworben. Profitiert denn die Bauwirtschaft auch vom steigenden Interesse an Naturwissenschaft und Technik? Ja, auch bei den Bauingenieuren verzeichnen wir seit 2008 einen deutlichen Anstieg der Studienanfängerzahlen. Derzeit studieren 16.300 Erstsemester Bauingenieurwesen. Wir benötigen noch wesentlich mehr. Es gibt zu wenige Bauingenieure. Zusätzlich werden in den kommenden Jahren viele aus Altersgründen ausscheiden. Bauingenieure haben zurzeit glänzende Berufsaussichten. Dafür lohnt es sich schon, sich in Mathematik und Physik durchzubeißen. Die Energiewende bringt viele neue, spannende Aufgabenbereiche mit sich, die einen abwechslungsreichen Arbeitsplatz versprechen. Und man kann als Bauingenieur die Früchte seiner Arbeit sehen, gemäß dem Bauindustrie-Slogan: „Schaffen, was bleibt“. Für Nachwuchskräfte, die jetzt ihre Karriere beginnen, spielt das Thema Work-Life- Balance eine wesentliche Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Wie reagieren die Unternehmen der Bauindustrie auf diese Entwicklung? Wie positionieren sie sich, um zum „Arbeitgeber der Wahl“ zu werden? Die Work-Life-Balance stellt heute ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers dar und spielt deshalb für die Unternehmen eine große Rolle, wenn es darum geht, gute Fachkräfte zu binden. Damit die Arbeitnehmer Arbeit und Privatleben ins Gleichgewicht bringen können, bieten die Bauunternehmen zum Beispiel flexible Arbeitszeitkonzepte und Gleitzeitregelungen, sogar Sabbaticals an. Sie ermöglichen Familien Elternteilzeit oder kooperieren mit Kindergärten und -krippen in der Region. Es gibt ein Gesundheitsmanagement, zum Beispiel betrieblich geförderte Sportangebote, Kurse für Entspannungstechniken, Kooperationen mit Fitness-Studios und ausgewogene Ernährung in den Kantinen. Aber die Bauunternehmen könnten ihre Bemühungen durchaus noch verstärken. Es muss noch besser möglich werden, die Arbeit flexibel auf sich verändernde private Bedingungen anzupassen.Bedarf an Fachkräften ungebrochen
Der dritte Branchenbericht „Der Arbeitsmarkt im Bausektor“ ist erschienen. Dieser stellt die Entwicklung des Bauarbeitsmarktes in den vergangenen zehn Jahren dar und verdeutlicht erneut, dass der demografische Wandel in der Branche angekommen ist. Nachwuchskräfte sind allein aufgrund der Altersstruktur der Branche sehr gefragt. Von Vanessa Thieme, Abteilungsleiterin im Kompetenzzentrum für Berufsbildung und Personalentwicklung im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.
Obwohl sich die Beschäftigtensituation seit 2005 stabilisiert hat und die Bauunternehmen seit 2009 ihr Personal kontinuierlich aufstocken, fehlt es nach wie vor an Fachkräften. Wie sich die Situation weiter entwickeln wird, ist natürlich ungewiss. Doch immerhin sind beim Bauingenieurnachwuchs vorerst positive Signale zu erkennen: So ist das Interesse der Schulabgänger an einem Studium weiter angestiegen. Es ist erfreulich, dass es 2011 erneut deutlich mehr Studienanfänger als noch im Jahr zuvor gab – ihre Anzahl ist von etwa 10.000 Anfängern auf zirka 13.000 gestiegen. Damit hat das Bauingenieurwesen im Vergleich zu allen anderen Studiengängen zwischen 2006 und 2011 die stärksten Zuwachsraten zu verzeichnen. Das kann als ein Indiz für die Attraktivität des Berufs und die damit verbundenen Zukunftschancen gewertet werden. Absolventen sind gefragt Auch die Absolventenzahlen sind mit 6000 Bauingenieuren 2011 erneut positiv ausgefallen. Dies ist eine wichtige Entwicklung vor dem Hintergrund, dass der Bedarf an Bauingenieuren im Jahr 2012 den höchsten Stand seit zehn Jahren zu verzeichnen hatte. Allerdings stehen diese Absolventen nicht alle unmittelbar dem Arbeitsmarkt und somit den Bauunternehmen zur Verfügung. Denn 42 Prozent schlossen ihr Studium zunächst mit einem Bachelorabschluss ab. Laut Absolventenbefragung plant ungefähr die Hälfte der Bachelorabsolventen einen direkten Anschluss des Masterstudiums. Sie werden also erst ein bis zwei Jahre später auf die suchenden Unternehmen treffen. Ein weiterer Indikator für den Bedarf an bestimmten Qualifikationsprofilen ist zudem die Vakanzzeit. Das ist die Zeit, die die Unternehmen momentan benötigen, um eine freie Stelle zu besetzen. Diese liegt mit 83 Tagen bei Bauingenieuren deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Wert. Auch dieser Wert verdeutlicht noch einmal den Mangel an qualifiziertem Personal und zeigt, wie schwierig es sich für Bauunternehmen gestaltet, Stellen mit Bauingenieuren zu besetzen.
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- Der Branchenbericht „Der Arbeitsmarkt im Bausektor“ ist unter www.bauindustrie.de/downloads zu finden.
- Informationen zum Beruf Bauingenieur gibt es unter www.werde-bauingenieur.de.
- Orientierungshilfen zu den Abschlüssen Bachelor und Master im Bauingenieurwesen sowie zu Studienstandards für das Fach Bauingenieurwesen sind unter www.asbau.org aufgeführt.
Gut, dass ich es versucht habe
Der Schweizer Toni Rüttimann baut seit 26 Jahren Hängebrücken für Menschen in den ärmsten Regionen dieser Welt. Und will nicht einmal Geld dafür. Aufgezeichnet von Stefan Trees
Wie alles anfing Zwei Wochen vor meinem Abitur bebte in Ecuador die Erde. Ich habe die Bilder der Zerstörung gesehen und wusste: Da will ich hin. Helfen. Etwas Sinnvolles tun. In der Nacht meiner Abiturfeier bin ich losgereist, erspartes und gespendetes Geld im Gepäck, insgesamt 9000 Schweizer Franken. Bis ins Erdbebengebiet am Vulkan Reventador habe ich mich durchgekämpft, dann war Schluss. Am reißenden Río Aguarico warteten viele Menschen, die dort nicht mehr über den Fluss kamen. Da wusste ich, was ich mit meinem Geld anfangen würde: eine Brücke bauen. Ich lernte den holländischen Ingenieur Hugo van Drunen kennen, und zusammen mit der Bevölkerung bauten wir in vier Monaten eine Hängebrücke über den Río Shushudué. Da habe ich erkannt, dass ich etwas beitragen kann. Zurück in der Schweiz habe ich mich an der ETH Zürich für ein Ingenieurstudium eingeschrieben. Doch nach sieben Wochen meldete ich mich wieder ab. Ich hatte mich entschieden, Brückenbauer der Armen zu werden – gemeinsam hatten mein Herz und mein Verstand meine Ängste um eine unsichere Zukunft besiegt. Studium, Freunde, Sport, die Lichter der Bahnhofstraße mit den Schaufenstern voll von Weihnachtsluxus – all das schaffte es nicht, den eindringlichen Ruf aus der Tiefe zum Schweigen zu bringen. Im Gegenteil: Sie verstärkten den Kontrast zu den Erinnerungen meiner sechs Monate im Erbebengebiet in Ecuador. Das ist nun fast 26 Jahre her. Warum ich das mache Erstens, weil ich das Leiden der Leute hinter den Flüssen sehe, und weiß, wie ich es lindern kann. Zweitens, weil ich zum Brückenbauer geboren wurde. Ich schaue zurück und erkenne den Weg. Drittens, und am wichtigsten: weil ich es wirklich tun will. Jeden Tag. Denn auch wenn man weiß, wie es geht, und auch wenn es Schicksal zu sein scheint – wenn man es nicht tun will, passiert gar nichts. Es ist für mich wichtig, mein Leben hinzugeben für andere. Jede Brücke ist eine Verantwortung, und wie immer wird sie einen Teil meines Lebens abverlangen. Für den Preis eines Stückchens meines Lebens kann ich Leben erleichtern für ganze Dörfer. Für 5000 bis 10.000 Menschen, manchmal mehr. Was für ein gutes Geschäft. Was es bislang gebracht hat Bis heute haben wir weltweit 640 Hängebrücken gebaut, in Ecuador, Honduras, Mexiko, Kambodscha, Laos, Myanmar, Indonesien und anderswo, im Dienste von 1,8 Millionen armen Bauern, mit geschenkten und wiederverwerteten Stahlröhren und Stahlseilen. Die Bevölkerung trägt einen ebenso großen Teil bei mit Sand, Kies, kostenloser Arbeit und oftmals mit dem Langstreckentransport der Brückensets vom nationalen Schweißlager in ihre Dörfer. Ich finde keine exakte Beschreibung, um zu definieren, was wir tun. Denn wir sind keine NGO, keine Firma, keine politische oder religiöse Gruppierung, wir haben weder ein Büro, ein Zuhause, eine Fahne noch einen Facebook-Account. Wir – das sind meine einheimischen Team-Kollegen und ich sowie ein weltweites unsichtbares Netz an Menschen guten Willens. Normalerweise arbeiten wir gleichzeitig an 20 bis 30 Brücken auf zwei Kontinenten. In jedem Land finde und trainiere ich drei bis vier Schweißer sowie einen praktisch begabten, hingebungsvollen und bescheidenen Kollegen, der über die Jahre hinweg an meiner Seite zum Brückenbauer wird. Es ist mir wichtig, einheimische Kollegen zu trainieren und mit ihnen zu arbeiten: Sie bleiben in ihrem Land, so wie die Brücken, und werden auch nach vielen Jahren noch bereit sein, den Bauern zu Hilfe zu eilen, falls deren Brücken eine Reparatur nötig haben. Die lokalen Behörden in Vietnam haben einmal die Brücken-Überquerungen der 58 Hängebrücken im Mekong-Delta gezählt: Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang haben 38.126 Personen die Brücken überquert: zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Motorrad oder im Rollstuhl. Mehr als die Hälfte sind Schüler, die anderen gehen zur Arbeit, zum Markt, in die Krankenhäuser oder in die Regierungsbüros. Das bedeutet, dass jedes Jahr 13,9 Millionen Menschen über diese Brücken in Vietnam gehen. Und dabei zählen wir noch nicht einmal die Überquerer der Nächte dazu. Ich habe noch keine reale Verkehrszählung der anderen Brücken in Kambodscha, Laos, Myanmar und Indonesien, auch nicht in Ecuador oder den anderen lateinamerikanischen Ländern. Dennoch: Mit der Referenz von Vietnam schätzen wir vorsichtig, dass jede Sekunde mindestens eine Person über eine unserer Brücken läuft. Heutzutage tun wir also jede Sekunde jemandem einen Gefallen. Jede Sekunde wird einem Menschen ein Leid erspart oder zumindest eine Mühsal. Der Gedanke bringt mich zum Staunen: Wie einfach wäre es gewesen, es nicht zu versuchen, nicht zu hoffen, nicht den ersten Schritt und dann all die folgenden zu tun. Gut, dass ich es versucht habe.Toni Rüttimann Aufgabe: Brückenbauer Ort: Weltweit Web: keine Adresse
Martina bohrt sich durch
Nach zwei Jahren ist es vollbracht. So schnell bohrte der Erddruckschild „Martina“ des südbadischen Unternehmens Herrenknecht zwei parallel laufende Röhren des Sparvo-Tunnels in Italien an der Autobahn A1 zwischen Bologna und Florenz. Von Christoph Berger
Gleich zweimal konnte in den vergangenen zwei Jahren gefeiert werden. Erstmals Ende Juli letzten Jahres: Damals erblickte der Herrenknecht- Erddruckschild „Martina“ zum ersten Mal nach zwölf Monaten wieder das Licht der Erde. Bis zu 22 Meter pro Tag hatte sich der Schild mit dem Weltrekord- Durchmesser von 15,55 Metern bis dahin unter Tage voranbewegt und dabei jeweils 4215 Kubikmeter Erdreich abgetragen. Massen, die auch für das Baustellenmanagement eine enorme Herausforderung waren. Aber schon damals erklärte Alfonso Toto, Vorstand und Geschäftsführer der Toto Costruzioni Generali, dem führenden Partner des für den Ausbau beauftragten Joint Ventures: „Mit der größten TBM (Tunnelbohrmaschine) der Welt haben wir uns an Rekorde gewöhnt, zwei davon sind ihre Größe und ihre Vortriebsgeschwindigkeit.“ Nachdem die erste Röhre geschafft war, wurde „Martina“ samt dem Nachläufer um 180 Grad gedreht. Und von da an kam sie noch schneller voran. In nur acht Monaten bohrte sie sich zurück. So viel Zeit wurde für die zweite, parallel laufende Röhre benötigt, die sich in einem Abstand von 20 Metern zur ersten befindet. Auf dem Rückweg kam sie bis zu 24 Meter pro Tag voran. Der finale Durchbruch bei dem italienischen Großprojekt gelang am 29. Juli dieses Jahres. Der Sparvo-Tunnel gehört zum Ausbau des vielbefahrenen Teilabschnitts „Variante di Valico“ der Autostrada A1 zwischen Bologna und Florenz und wird eine neue Ausweichstrecke darstellen. Ziel dieser Alternativroute ist es, die Reisezeit für bis zu 90.000 Fahrzeuge täglich erheblich zu reduzieren. Bauherr ist das italienische Bauunternehmen Toto Costruzioni Generali mit Sitz in Chieti; Lizenznehmer und Auftraggeber ist die Autostrade per l’Italia. Der Tunnel selbst ist 2413 Meter lang und besteht aus zwei Röhren. Jede bietet Platz für zwei Fahrbahnen und jeweils einen Standstreifen. Der Vortrieb des Tunnels galt nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch aufgrund der geologischen Bedingungen als anspruchsvollster Teil des Gesamtprojektes. Die Geologie in der Tunneltrasse besteht vorwiegend aus Ton, Tonstein, Sandstein und Kalkstein. Zudem gibt es dort Grubengas in teilweise hohem Ausmaß. Um die notwendige Sicherheit sowie Schnelligkeit beim Bau erreichen zu können, hatte sich Toto für den Einsatz von maschineller Tunnelvortriebstechnik entschieden und 2010 eine Tunnelbohrmaschine bei Herrenknecht in Auftrag gegeben. Mit Hilfe des 4300 Tonnen schweren – so viel wiegen zehn Boing 747 zusammen – und 130 Meter langen Herrenknecht-Erddruckschilds, das mit 12.000 Kilowatt Antriebsleistung ausgestattet ist, wurden die Röhren schließlich fertiggestellt.
Filmtipp
In einem Video des italienischen Bauunternehmens Toto Costruzioni Generali wird anschaulich die Arbeit mit der Herrenknecht-Tunnelbohrmaschine beschrieben – auch, wie die Maschine von Deutschland nach Italien kam: www.youtube.com/watch?v=C0EmG9wUYIY
„Viel Potenzial nach oben“
Wann immer von Megatrends die Rede ist, fällt auch der Begriff Demografie. Unsere Gesellschaft altert. Und zwar rasant. Die Bertelsmann-Stiftung hat festgestellt: Während im Jahr 2006 noch jeder zweite Bundesbürger jünger als 42 Jahre alt war, wird die Hälfte der Bevölkerung im Jahr 2025 älter als 47 Jahre sein – in den ostdeutschen Bundesländern sogar älter als 53 Jahre. Doch geht unsere Gesellschaft diesen Wandel mit? Ist diese Entwicklung in unseren Bauten ablesbar? Nein, meint Heike Böhmer. Die Leiterin des Instituts für Bauforschung in Hannover beschreibt ihre Sicht auf die Demografie und die damit zusammenhängende Barrierefreiheit und erklärt, was Bauingenieure damit zu tun haben. Die Fragen stellte Christoph Berger
Diplom-Ingenieurin Heike Böhmer leitet das Institut für Bauforschung in Hannover. Die Bauingenieurin forscht dort mit ihren Kollegen zu den Themen Energieeinsparung, Barrierefreiheit, Qualitätssicherung, Zukunftsentwicklung, Verkehrssicherungspflichten in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Umweltverträglichkeit und Kostendämpfung. Darüber hinaus berät das Institut Unternehmen in diesen Bereichen. Außerdem wird der zertifizierte Fachplanerlehrgang „Barrierefreies Bauen“ gemäß DIN 18040 angeboten. Weitere Informationen unter: www.bauforschung.de
Barrierefreiheit
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt Informationen zum Thema Barrierefreiheit unter der Internetadresse www.einfach-teilhaben.de zur Verfügung. Eine Auflistung mit Auszügen aus der Musterbauordnung und einzelnen Paragraphen zu barrierefreiem Bauen aus den Landesbauordnungen der Bundesländer und eine Liste der Technischen Baubestimmungen zu barrierefreiem Bauen finden sich hier: nullbarriere.de/bauordnungen.htmDIN 18040
Die für das barrierefreie Bauen wesentliche Norm ist die DIN 18040 „Barrierefreies Planen und Bauen – Planungsgrundlagen“. Laut Heike Böhmer ist die Norm „sehr zielorientiert“. Sie setzt viele Kompetenzen voraus und beschreibt weniger, wie etwas ganz genau zu bauen ist. Bauingenieure brauchen ihrer Meinung nach deshalb umfassende Kompetenzen, um Sachverhalte zu verstehen, einzuschätzen und umzusetzen. www.din18040.de[/quote_center]Arbeiten am lebenden Organismus
Auf Bayerns größter Baustelle stehen die Räder nie still. Nicht die der Baumaschinen, und schon gar nicht die der durchschnittlich 58.000 Fahrzeuge, die täglich den Baustellenbereich der Autobahn A8 zwischen Günzburg und Augsburg durchqueren. Das Besondere dieser Baustelle bleibt dem Autofahrer jedoch verborgen: Der Ausbau dieses Autobahn-Teilstücks wird nicht alleine von der öffentlichen Hand finanziert, sondern gemeinsam mit privaten Investoren in Public Private Partnership. Von Stefan Trees
Sechzig Jahre hat die Autobahn A8 auf dem Buckel. Und wer unlängst noch von Stuttgart nach München wollte, zuckelte streckenweise auf zwei Fahrstreifen über große Steigungen und unübersichtliche Kuppen der bayerischen Landeshauptstadt entgegen. Ohne Standstreifen und mit Spitzenbelastungen von bis zu 90.000 Fahrzeugen am Tag waren Staus und Behinderungen an der Tagesordnung. Vor zweieinhalb Jahren hatte daher ein Konsortium, bestehend aus Töchtern des deutschen Hochtief-Konzerns und der österreichischen Strabag, vom Bund nach erfolgreichem Bieterverfahren den Auftrag erhalten, den etwa 58 Kilometer langen Abschnitt der A8 zwischen Ulm und Augsburg neu zu planen, zu finanzieren, auszubauen sowie dreißig Jahre lang zu betreiben und zu erhalten. Das Investitionsvolumen dieses Public Private Partnership-Projekts liegt bei etwa 410 Millionen Euro. Die A8 ist eines von fünf Projekten der sogenannten Ausbau-Modelle, die das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bundesweit ausgeschrieben hat. Die Investitionen der privaten Partner werden refinanziert, indem sie während der Betriebszeit einen Teil der auf dem Autobahn-Abschnitt erhobenen Lkw-Maut erhalten. Hinzu kommt eine staatliche Anschubfinanzierung in Höhe von 75 Millionen Euro.Zur Person
Dipl.-Ing. Carsten Wolf studierte Bauingenieurwesen an der Universität der Bundeswehr in München. Zunächst sammelte er Erfahrung als Bau- und Projektleiter im Gleisbau, später arbeitete er erst als Projekt-, dann als Bereichsleiter beim Spezialisten für Großprojekte Heilit+Woerner. Als deren ehemaliger Niederlassungsleiter in München ist er seit der Angebotsphase mit dem Bauprojekt der A8 vertraut. Vor einem Jahr setzte er seine Karriere auf dem vakant gewordenen Posten des technischen Projektleiters fort.
Public Private Partnership für Ausbau-Modelle
Im Zuge der Arbeiten wird ein 41 Kilometer langes Teilstück der A8 bei laufendem Verkehr von vier auf sechs Spuren ausgebaut. Die übrigen 17 Kilometer der Gesamtstrecke sind bereits heute sechsspurig. Insgesamt entstehen zirka 1,2 Millionen Quadratmeter an neuer Straßenfläche. Hierzu werden 4,2 Millionen Kubikmeter Erde bewegt und 380.000 Kubikmeter Beton für die Fahrbahndecke verbaut. Darüber hinaus entstehen 79 Brückenbauwerke und Lärmschutzanlagen mit einer Gesamtlänge von achteinhalb Kilometern, Park- und Rastplätze sowie Anschlussstellen. Mit der Bauausführung wurde eine Bauarbeitsgemeinschaft betraut, an der Heilit+Woerner Bau mit 35 Prozent und Züblin mit 15 Prozent – beides Unternehmen der Strabag-Gruppe – sowie Hochtief Solutions mit 50 Prozent beteiligt sind.
Karriere auf der Großbaustelle kein „business as usual“
„Technisch betrachtet ist unser Bauvorhaben nicht schwierig, wir bauen beispielsweise keine riesigen Talbrücken oder dergleichen. Aber die schiere Menge im Verbund mit den Faktoren Witterung und Zeit – diese drei Punkte muss man in Einklang bringen“, beschreibt Wolf seine tägliche Herausforderung. Nicht immer spielt das Wetter mit: Starke Regenfälle zu Beginn des Jahres hatten Teile der Autobahn überschwemmt und bereits erstellte Arbeiten teilweise zerstört. Für solche Zwischenfälle eine Anpassung der vertraglich vereinbarten Termine zu bekommen, gelingt nicht immer. „Dieses Spannungsfeld macht es schwierig, aber auch interessant“, findet Wolf. Dass alle Arbeiten bei laufendem Verkehr inklusive des bei Brücken querenden Verkehrs geschehen, gleicht dem Arbeiten an einem lebenden Organismus und sei „kein business as usual“, findet Carsten Wolf. Um die Verkehrsströme auf der A8 so wenig wie möglich zu behindern, wurden die ersten 40 Kilometer Richtungsfahrbahn komplett neben die bestehende Autobahn gebaut, also nicht auf der bestehenden Trasse mit entsprechenden Ein- und Ausfädelungen auf die Gegenfahrbahn. Mittlerweile ist der Verkehr auf die neue Fahrbahn umgelegt, nun wird auf der bestehenden Autobahn in drei Abschnitten mit je acht Kilometern weitergebaut. Danach werden die noch offenen Lücken geschlossen. Die frei werdenden Flächen ehemaliger Autobahn werden besät, bepflanzt und bewaldet. Der Bau läuft nach Plan, die Hälfte der Autobahn ist Ende September 2013 termingerecht fertiggestellt worden. Ein weiteres Jahr werden die Ingenieure für die restlichen rund 20 Kilometer Autobahn benötigen. Ende September 2015 soll dann alles fertig sein – und die Autobahn aus Großvaters Zeiten der Vergangenheit angehören.Public Private Partnership (PPP)
Betreiber des 58 Kilometer langen Abschnitts der Autobahn A8 zwischen Ulm und Augsburg ist die eigens gegründete Pansuevia GmbH & Co. KG. Ihre Gesellschafter sind zu jeweils 50 Prozent Hochtief PPP Solutions und Strabag Infrastrukturprojekt. Als Vergütung erhält Pansuevia für die Dauer der Konzession von dreißig Jahren einen Anteil der anfallenden Lkw-Maut auf der Strecke sowie eine staatliche Anschubfinanzierung. Das Betreibermodell sieht hierbei eine Einheitsmaut je Lkw vor – anders als beim ebenfalls privat betriebenen Abschnitt der A8 Augsburg-München, wo die tatsächlich anfallende Lkw-Maut Grundlage für die anteilige Berechnung ist. Mit dieser neuen Struktur soll erreicht werden, dass der Betreiber nur mehr das reine Verkehrsmengenrisiko und nicht mehr, wie beim Betreibermodell Augsburg-München, auch noch zusätzlich das Risiko der Verteilung der Lkw auf die verschiedenen Schadstoff- und Achsklassen trägt.
Das Projekt des Zaren
Im Zentrum von Russlands Sankt Petersburg gibt es seit über 300 Jahren ein Areal, zu dem die Bevölkerung bis vor einiger Zeit keinen Zugang hatte: die Insel Neu-Holland. Doch jetzt wird das einstige militärische Sperrgebiet unter Erhaltung der historischen Bausubstanz unter der Leitung von Drees und Sommer umgebaut. Es soll das neue kulturelle Stadtzentrum von Russlands zweitgrößter Metropole werden. Von Christoph Berger
Sie ist die Wiege der russischen Schifffahrt, diese etwa acht Hektar große Insel in Form eines gleichseitigen Dreiecks inmitten von Sankt Petersburgs Stadtzentrum. Nachdem Zar Peter I. in Holland im 18. Jahrhundert bei einem Werftmeister eine Zimmermannslehre abgeschlossen und sich mit der Konstruktion von Schiffen beschäftigt hatte, plante er, Schiffe von da ab nach holländischem Vorbild in Russland zu bauen, mitten in Sankt Petersburg. So bekam die Insel ihren Namen: Neu-Holland. Allerdings wurden auf dem Eiland nicht nur Schiffe gebaut: Zeitweise waren dort auch ein Kriegshafen, ein Gefängnis und Krankenhaus angesiedelt, einige Jahre war es Standort des einflussreichsten Radiosenders der damaligen Zeit. Zuletzt lag das Areal über 20 Jahre brach. Doch mit dem Ende eines Investorenwettbewerbs Ende 2010 begannen die Neuplanungen. Der russische Geschäftsmann Roman Abramovich leitete mit seiner Londoner Stiftung „Iris Foundation“ und der Projektgesellschaft „New Holland Development“ die Neuentwicklung ein. „Wir schaffen die Grundlage für die Neunutzung“, sagt Steffen Sendler, Partner bei Drees und Sommer, Geschäftsführer des Standortes in Moskau und seit 2011 mit dem Projekt betraut. Das Unternehmen mit Zentrale in Stuttgart begleitet das Vorhaben seit 2011 als Vertreter des Bauherren und als Berater für die bauliche und ingenieurtechnische Entwicklung der Liegenschaft. „Aus technischer Sicht gehören dazu die Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, das Nachsichern der Fundamente sowie der Neubau von Brücken und Hausdächern. Darüber hinaus vertreten wir den Bauherrn in sämtlichen Belangen und leiten das Projektmanagement.“ Das ist eine enorme Koordinationsaufgabe, da unterschiedlichste Gesprächspartner miteinander vernetzt werden müssen. Da ist zum Beispiel das Thema Denkmalschutz: „Es handelt sich um historische Bausubstanz mit wichtiger Bedeutung für die Geschichte Russlands. Gleichzeitig werden hier neueste technische Lösungen, funktionale Entscheidungen und Energieinnovationen auf alte Gemäuer treffen“, erklärt Sendler. Zusammengenommen haben die Gebäude eine Fläche von 50.000 Quadratmetern. Es gibt nur eine beschränkte Kanalisation, eingeschränkte Elektrizität, an wenigen Orten Wasser, keine Fernwärme und keine Heizung. Doch die außergewöhnliche Architektur der Bogengewölbe und Warenlager hat Neu-Holland den Ruf als eine der romantischsten und geheimnisvollsten Ecken Sankt Petersburgs verliehen. Daher sollen Hotels, ein Museum, ein Parkhaus, Geschäfte und ein Konzerthaus in die vorhandene Bausubstanz integriert werden. Steffen Sendler sagt: „So entstehen beispielsweise ganz andere Stromverbräuche. Und es wird Frischwasser benötigt.“ Das Parkhaus wird unterirdisch geplant. Die benötigte Energie wird aus einem neu zu bauenden Energiekomplex kommen, einer Kraft-Wärme- Station. Um den Frischwasserverbrauch zu reduzieren, sollen Grauwasseranlagen für die Nutzung des Regenwassers installiert werden. Zum Einsatz kommen auch neue Fassadentechnologien, die in den Häusern mit den zum Teil eineinhalb Meter dicken Mauern für ein angenehmes Klima sorgen sollen. „Immerhin sind die Holzpfeilgründungen in gutem Zustand“, sagt Sendler. Die gesamte Stadt ist auf sumpfigem Land erbaut worden, Häuser und Straßen werden durch die Gründungen gestützt.
Filmtipp
Neu-Holland wird nach einem Entwurf der „Work Architecture Company“ (Work AC) aus New York, USA, umgesetzt. Das Architekturbüro präsentiert seine Vorstellungen von der Insel in einem kurzen Video: http://vimeo.com/27318391Neu-Holland im Internet
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Abenteuer zwischen Freiheit und Verantwortung
Die Möglichkeiten, im Ausland zu arbeiten, werden immer vielfältiger. Auch deutsche Bauingenieure bewerben sich längst weltweit. Oder arbeiten für deutsche Unternehmen an internationalen Projekten mit. Dabei machen sie spannende Erfahrungen. Von Fabian Hesse, bauingenieure24.de
Afrika, China, Osteuropa – deutsche Bauingenieure finden sich mit ihren Projekten überall auf der Welt wieder. Neben ungewöhnlichen Baustoffen und Bauweisen macht vor allem der Umgang mit fremden Menschen und Kulturen die Arbeit im Ausland interessant. Bauingenieur Martin Friedrich hat diese Erfahrung in Nigeria für Julius Berger International machen können. Und verbindet damit nur Gutes. Über die Bedingungen vor Ort sagt er: „In den firmeneigenen Camps gibt es Krankenhäuser, Supermärkte sowie diverse Sportangebote, alles nach europäischen Standards.“ Die Arbeit bleibt bei allem Service aber natürlich Hauptbestandteil des Aufenthalts. „Sechs Tage die Woche ist man zehn Stunden täglich aktiv.“ Doch Friedrichs Fazit fällt positiv aus: „Ich kann es jedem nur empfehlen. Man arbeitet im Ausland freier und mit mehr Verantwortung. Das motiviert enorm.“ Genau wie Privatfirmen operieren auch viele Hilfsorganisationen im Ausland. Die Alltagswirklichkeit ist für sie oft aber eine ganz andere. „Für einen Ingenieur bei uns gilt in allen Bereichen eine Ressourcenknappheit“, erklärt Roland Zech von den Ärzten ohne Grenzen. Ein Gebäude aus Holz und Ziegelsteinen zu errichten, sei bei der ehrenamtlichen Arbeit wahrscheinlicher, als solide Betonbauten zu konstruieren. Und wie private Bauunternehmen setzen auch humanitäre Organisationen im Ausland auf selbstständige Fachkräfte. Tobias Homann aus Berlin kann dies bestätigen. Er arbeitete als technischer Logistiker für die Ärzte ohne Grenzen im Südsudan. „Vor Ort gibt es zwar immer einen Ansprechpartner. Oft müssen Entscheidungen aber allein getroffen werden. Die Devise lautet: Machen!“ Entscheidend sei schließlich das Ergebnis. „Bei uns richtet sich alles nach der Funktionalität eines Bauwerks“, sagt Roland Zech. „Ein Krankenhaus muss gut durchlüftet und hell sein. Design spielt eine untergeordnete Rolle.“ Wenig Material ist das eine, unausgebildetes Personal das andere. Zech berichtet, dass man als Bauleiter oft Tagelöhner zu führen habe: „Da geht nicht immer alles glatt.“ Eine gute Menschenkenntnis sei daher nötig, um zum Erfolg zu kommen. Wichtig sind nicht zuletzt fundierte Sprachkenntnisse. „Mit Französisch hat man in Afrika gute Chancen“, so Zech. „Die Sprache wird auf dem halben Kontinent gesprochen.“ Tobias Homann beschreibt seinen Auslandseinsatz als eine Kombination aus Abenteuer und „Etwas Gutes tun“. „Es gab jeden Tag neue Überraschungen“, meint der 34-Jährige. Er berichtet, dass Mitarbeiter beispielsweise hin und wieder unpünktlich kamen. Das ist allerdings aufgrund der Umstände nicht verwunderlich, manche hätten einen Fußmarsch von zwei Stunden zwischen ihrem zu Hause und der Baustelle gehabt. „Das sind Tatsachen, für die man Verständnis haben muss“, weiß er seitdem. Ein großes Verständnis für fremde Länder und Leute kam auch Richard Krauss in seinem bewegten Berufsleben zugute. Über 30 Jahre lang war der Diplomingenieur unter anderem in Afrika, Saudi- Arabien, der Karibik, in Bulgarien und der Türkei tätig. Unvorhergesehene Probleme gab es viele, so Krauss: „Während der Arbeiten für ein chinesisches Autobahnprojekt wurde die Fertigstellung für das Bauwerk vorgezogen. Da hat man uns einfach ein halbes Jahr Bauzeit genommen.“ Mit solchen Dingen sei in manchen Ländern zu rechnen. Die bunte kulturelle Vielfalt verlange ebenfalls Rücksicht: „Man muss zum Beispiel akzeptieren, dass in muslimischen Ländern Schweinefleisch tabu ist.“ Seit 1988 unterhält das Familienunternehmen Gauff Engineering Geschäftsbeziehungen nach Afrika. Die Schwerpunkte liegen vor allem auf der Infrastruktur. „Uns geht es um die Mobilität und Grundversorgung der Menschen“, so Andreas Raftis, Leiter Kommunikation bei dem Unternehmen aus Nürnberg. Die wirtschaftliche Lage sei derzeit ausgezeichnet: „Die afrikanischen Märkte boomen mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten.“ Raftis nannte folgende Kernkompetenzen für Mitarbeiter in seinem Unternehmen: „Wir fordern ein generalistisches Denken und die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen.“ Nicht zuletzt zähle eine „große Portion Abenteuerlust“ zu den Grundvoraussetzungen. Richard Krauss relativiert die letzte Aussage: „Viel Zeit für Abenteuer hatte ich nicht. In den meisten Ländern wird samstags gearbeitet.“ Interessant bleibt für ihn das Anforderungsniveau: „Man kann im Ausland die ganze Bandbreite der Ingenieurkunst anwenden.“ Die Größe der Projekte und des Budgets motivierten ihn immer wieder neu: „Die Maßstäbe sind einfach ganz andere als bei uns.“ Und am Ende ist die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, oft eine für das Leben.Hallo Internationalität!
Sarah McNeill hatte immer den Wunsch, viel unterwegs zu sein – alleine schon, um die Komfortzone zu verlassen und so immer wieder aufs Neue gefordert zu sein. Bei einem deutschen Projektdienstleister lebt sie nun diesen Wunsch. Von Christoph Berger

International
– Erste Informationen zu jedem Land finden sich auf der Internetseite des Auswärtigen Amts. Dort gibt es auch Gesundheitstipps zu allen Regionen sowie eine Auflistung aller deutschen Vertretungen: www.auswaertiges-amt.de – Auch die Bundesagentur für Arbeit informiert auf ihrer Internetseite zu Arbeitsmöglichkeiten im Ausland sowie über das Dienstleistungsangebot des internationalen Netzwerkes der Bundesagentur für Arbeit, zu europäischen Projekten und zur Arbeitsaufnahme im Ausland: www.arbeitsagentur.de – Auf der Internetseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit aufgeführt: www.bmz.de/de/ministerium/beruf/berufswunsch/arbeitsmoeglichkeiten_ausland – Auf dem Lexas Information Network gibt es eine Auflistung der Währungen mitsamt eines Währungsrechners: www.laenderdaten.de/wirtschaft/waehrungen.aspx



Wenn das Leben die Richtung ändert: Protagonist Simon Kannstatt, Jurist und Volkswirt, führt als Top-Manager im Controlling ein Leben in der „Formel 1 der Geschäftswelt“. Die Arbeit ist sein einziger Lebenssinn. Als ihm gekündigt wird, fällt er buchstäblich aus allen Wolken. Er lebt erst einmal weiter, als sei nichts geschehen und plant einen Rachefeldzug gegen seinen Ex-Chef. Bis er sich entkräftet in ein anderes Leben phantasiert, in dem er ein Flugzeug nach New York besteigt und einen Job in einem Plattenladen annimmt. In der skurrilen Umgebung erinnert sich Kannstatt seiner Ideale. Was bleibt von der Person ohne Funktion? Hubertus Meyer-Burckhardt plädiert in seinem Roman für Individualität und die Verwirklichung von Lebensträumen. Das Buch ist Spiegel-Bestseller.
Verlag: Ullstein Taschenbuch. ISBN: 978-3548284576. 8,99 Euro.
Toni Rüttimann
Aufgabe: Brückenbauer
Ort: Weltweit
Web: keine Adresse
