„Schwimmoper“ Hamburg Sanierung mit Fingerspitzengefühl

0

Die Alsterschwimmhalle ist einer der größten Schalenbauten Europas. Da das 1973 eingeweihte Gebäude an die Oper in Sydney erinnert, wird sie von den Hamburgern liebevoll „Schwimmoper“ genannt. Mit Spannweiten von bis zu 96 Metern zählt das spektakuläre Schalendach bis heute zu den weltweit größten seiner Art. Das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Gebäude dürfte in der bestehenden Form nicht mehr gebaut werden. Jedoch genießt es Bestandsschutz, solange es nicht verändert wird. Da wundert es wenig, dass die Sanierung die Konstrukteure vor einige Herausforderungen stellte. Von Dr. Marion Steinbach

Die Alsterschwimmhalle im Überblick

Grundfläche: 4.500 qm Schalendach: 96 Meter Spannweite Höhe: bis zu 24 Meter Dicke: teilweise 8 cm Drei Stützfundamente

Beteiligte Unternehmen (Auswahl)

Bauherrschaft Bäderland Hamburg GmbH Architekten gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg Tragwerksplanung schlaich bergermann partner (sbp) Haustechnik/ TGA Eneratio GbR Bauphysik von Rekowski und Partner mbB (vRP) Fassadenberatung DS-Plan GmbH Brandschutz Ing. T. Wackermann GbR Landschaftsplanung Lichtenstein;Landschaftsarchitekten & Stadtplanung PartGmbB   Vollständige Liste der beteiligten Firmen: https://www.gmp.de/ash
Die Schalenkonstruktion des Hallendaches, das aus zwei hyperbolischen Paraboloiden besteht, schwingt sich auf einer Grundfläche von 4.500 Quadratmetern an den Spitzen 24 Meter weit in die Höhe. Gehalten wird sie von drei Diagonalstützen. Zwei der drei Stützenfundamente sind durch ein Zugband unterhalb des Schwimmbads verbunden.

Alarm bei Erschütterung

Die große Herausforderung hinsichtlich der Statik bestand darin, Teile des Schwimmbades abzureißen und neu zu bauen, ohne dabei das bestehende Dach zu verändern oder durch die Bauarbeiten zu sehr zu erschüttern. Schließlich ist die Dachschale teilweise nur acht Zentimeter dünn. Schale und Zugband durften während der Baumaßnahmen nicht erschüttert werden. Das Zugband zwischen den Fundamenten durfte nicht berührt werden und musste während der gesamten Bauarbeiten ständig überwacht werden. Bei zu großen Erschütterungen des Bandes wurde Alarm ausgelöst und die Baustelle war sofort zu evakuieren. Dies geschah während der Abrissarbeiten manchmal mehrfach am Tag.

In enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz

Die Sanierung erfolgte in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz, beispielsweise auch bei der Festlegung der neuen Abdichtung für das Dach. Es wurde ein Kathodisches-Korrosionsschutz-System (KKS) installiert. Es schützt das Dach mit Schwachstrom gegen Korrosionsschäden durch das aufsteigende Chlor, die hohe Luftfeuchtigkeit und die warmen Temperaturen im Schwimmbad. Um die originalen Aluminium-Fachwerkstützen der Glasfassade erhalten zu können, wurde ein neues, belastungskonformes Teleskop-Kolben-Auflager als beweglicher Anschlusspunkt zwischen Fassade und Dach entwickelt. So können temperatur- und windbedingte Verformungen der Dachschale ausgeglichen werden.

Einsatz von BIM

Bei der Sanierung der Alsterschwimmhalle setzten das Team und die Fachplanenden Building Information Modeling (BIM) ein, um die komplexen Anforderungen effizient zu bewältigen. Die Planung begann mit der Modellierung gemäß der Bestandsunterlagen. Diese wurde präzisiert durch wiederholten Abgleich mit Punktwolken Aufmaßen. Dabei werden mithilfe von 3D-Scannern Punktwolken erzeugt, die eine sehr genaue Konstruktionsgrundlage für ein Gebäude simulieren.. Tragwerksplaner, Haustechniker, Fassadenplaner und Planer der Unterdecke arbeiteten gemeinsam im BIM-Modell. Das ermöglichte eine nahtlose Integration aller Gewerke. Kollisionsprüfungen anhand des Koordinationsmodells halfen, potenzielle Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu beheben. So erfolgte zum Beispiel die Schalplanerstellung basierend auf dem Architekturmodell. Auch die Bauablaufplanung wurde modellbasiert abgestimmt. Informationen zu Abbruch- und Erstellungsterminen wurden direkt an den Modellelementen verknüpft, und Visualisierungen der Bestandseingriffe und Zwischenzustände dienten der Abstimmung mit allen Beteiligten. Unter Wahrung der Balance zwischen Erhalt, funktioneller Umgestaltung und Nutzungsanpassung der Schwimmhalle wurde ihre bauliche Identität erhalten. Im November 2023 wurde sie nach dreijähriger Sanierung wiedereröffnet.

Weltweit erste Netzwerkbogenbrücke mit Carbonhängern im Eisenbahnverkehr

0

2024 wurde das größte brandenburgische Brückenvorhaben abgeschlossen. 130 Meter spannt sich die Netzwerkbogenbrücke stützenfrei über die Oder bei Küstrin. An die Strombrücke schließen sich drei Vorlandbrücken an. Insgesamt erreicht die Brücke so eine Länge von 260 Metern. Das Netzwerk aus sich kreuzenden Zugstäben im großen Brückenbogen besteht aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (Carbon). Damit ist das neue Bauwerk die weltweit erste Netzwerkbogenbrücke mit Carbonhängern im Eisenbahnverkehr. Von Dr. Marion Steinbach

Die Oderbrücke an der deutsch-polnischen Grenze zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn wurde bereits 1867 errichtet. Die Eisenbahnüberführung als Teil der sogenannten Ostbahn ist ein Symbol für das Zusammenwachsen Europas und ein Ort, an dem sich Deutschland und Polen in der Mitte eines Flusses begegnen. Die neue Oderbrücke ist – wie die alte Brücke – zweigleisig und zudem auf die nachträgliche Elektrifizierung der Strecke ausgelegt. Sie besteht aus einem 130 Meter langen Stromfeld. Damit ist der überspannte Bereich des Flusses gemeint. Daran schließen sich drei Vorlandbrücken an. Dabei handelt es sich um Brücken über den Bereich, der zum Flussbett gehört und nur zeitweise mit Wasser gefüllt ist. Diese Vorlandbrücken reichen bis zur alten Küstriner Festungsmauer am Ostufer. Insgesamt verfügt das Bauwerk über 88 Hänger. Jeder Hänger wiegt 96 kg, kann aber eine Last von bis zu 300 Tonnen tragen. Durch den elastischen Stoff und die innovative Bautechnik besteht das Bauwerk aus einer materialsparenden und umweltfreundlichen Konstruktion. Sowohl bei der Planung als auch dem Bau benötigte die neuartige Konstruktion viel Fingerspitzengefühl. Eine große Rolle spielten vor allem die Umwelteinflüsse, genauer gesagt die nicht vorhersehbaren Pegelstände der Oder. Bereits beim Abbau der alten Brücke, beim sogenannten Ausschwimmen, hat sich gezeigt, dass die Wasserstände der Oder eine größere Herausforderung darstellten als ursprünglich durch die Expertinnen und Experten angenommen. Um mögliche Risiken für den Aufbau der neuen Brücke zu minimieren, wurde die Bautechnologie so angepasst, dass das Einschwimmen und der Einbau unabhängig vom Wasserstand der Oder ablaufen konnten.
Ziel des Infrastrukturprojekts ist es, die Streckenkapazitäten zu erhöhen und deutlich verkürzte Fahrtzeiten zu ermöglichen.
Nach knapp zweijähriger Bauphase erfolgte im Herbst 2023 der Einschub der 130 Meter langen Stahlkonstruktion der neuen Brücke über die Oder. Beim Einschub glitt die neue Brücke über Wippen in ihre endgültige Position. Nach weiteren Arbeiten in den Folgemonaten wurde die Brücke im Juli 2024 samt der Odervorflutbrücke als leistungsfähige Grenzverbindung in Betrieb genommen. Ziel des Infrastrukturprojekts ist es, die Streckenkapazitäten zu erhöhen und deutlich verkürzte Fahrtzeiten zu ermöglichen. So können Züge statt mit bisher 30 km/h das Bauwerk mit einer Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h passieren.
Ausschreibung Brückenwettbewerb: 2015
Baubeginn Hauptbauarbeiten: 16. November 2021
Inbetriebnahme:td> 2024
Gesamtlänge (drei Vorlandbrücken, Stromfeld): 260 m
Länge Netzwerkbogenbrücke (Stromfeld): 130 m
Gewicht der alten Brücke: 200 t
Gewicht der neuen Brücke: 1.000 t
Gleise 2
Elektrifizierung berücksichtigt
Zulässige Geschwindigkeit: 120 km/h
Materialverbrauch: Beton 10.400 m3, Stahl 2.350 t
88 Carbon-Hänger: 1.150 m
Verschubtechnologie: Self-Propelled Moving Transport
Zuglinien: 2024 RB 26
Gesamtwertumfang: rund 50 Mio. Euro
Architekten: Schüßler-Plan und Knight Architects
Ausführungsplanung: Schüßler-Plan und schlaich bergermann partner (sbp)
Bauausführung: Sächsische Bau GmbH Mammoet Deutschland GmbH Mostostal Wechta Sp.z.o.o Buchwald GmbH Gerüstbau Otto GmbH Peri Vertrieb Deutschland GmbH

FOUR: Vertical City mit DGNB-Zertifikat

0

FOUR Frankfurt ist ein herausragendes Hochhausquartier mitten in der Frankfurter Innenstadt mit einem europaweit einzigartigen Nutzungskonzept: Wohnungen, Hotels sowie vielfältige Gastronomie-, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten sollen in den vier Türmen untergebracht werden. 2024 sind die ersten Mieter eingezogen, 2025 soll der Gebäudekomplex fertig sein. Von Dr. Marion Steinbach

Zahlen und Fakten

2018 Die ehemaligen Gebäude der Deutschen Bank werden abgerissen. 2019 Beginn der Tiefbauarbeiten. Aushebung der Baugrube sowie Erstellung der unterirdischen Stockwerke und Tiefgarage. 2022 Beginn Hochbau 2024 Einzug der ersten Mieter 2025 Fertigstellung   233 Meter misst der Turm 1 und ist eines der höchsten Gebäude Deutschlands. 53 Stockwerke über der Stadt liegt die Dachterrasse in Turm 1 213.000 Quadratmeter Geschossfläche 97.000 Quadratmeter Büroflächen Ca. 300 Firmen waren am Bau beteiligt.
Die vier Wolkenkratzer fußen auf einem mehrstöckigen Podium, das den Kern des neuen Viertels bildet. Auf den ca. 213.000 Quadratmetern werden bis zu 1.000 Menschen wohnen und ca. 4.000 Beschäftigte arbeiten.

Vier Türme zum Wohnen, Arbeiten und Leben

Turm 1 ist mit 233 Metern eines der höchsten Gebäude Deutschlands. Auch der zweite Turm stellt einen Rekord auf: Er zählt mit seinen 173 Metern zu den höchsten Wohnhochhäusern in Deutschland. Etwa die Hälfte der entstehenden Flächen ist für neuen Büroraum vorgesehen. Daneben werden ca. 600 Wohnungen sowie Hotels, Gastronomie, Einzelhandel und öffentlich zugängliche Erholungsflächen entstehen. Darüber hinaus entstehen zwei neue Stadtplätze, eine Kita, eine Foodhall und ein Dachgarten.

Letzte Herausforderungen

Mit dem Einzug der ersten Mieter2024 ist das Projekt in eine entscheidende Phase getreten. Fast alle Gewerke arbeiten parallel auf der Baustelle – vom Rohbau über die Fassade bis hin zum Ausbau und der Fertigstellung der Außenanlage. Täglich sind nahezu 1.500 Beschäftigte aus über 300 beauftragten Firmen auf der Baustelle am Werk. Bis zu 90 LKWs fahren täglich auf die Baustelle, um entladen zu werden.

Zentrales Thema Nachhaltigkeit

Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit handelt es sich bei FOUR um ein innovatives Projekt: Zum ersten Mal seit dem Bestehen vergab die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) 2020 ein Rückbau-Zertifikat an das Hochhausquartett. Denn das Thema Nachhaltigkeit wird beim Projekt FOUR auch nach dem Rückbau großgeschrieben. Während des Bauprozesses werden DGNB-konforme Materialien verwendet, wo möglich wird das Cradle- to-Cradle-Prinzip angewendet. In Sachen Materialien setzen das Team von Groß & Partner und der GP Con zum Beispiel auf Alu-Glas-Fassaden und möglichst nachhaltigen Stahlbeton – für diesen wird ausschließlich Zement genutzt, der CO₂-arm hergestellt und vom CSC zertifiziert wurde. Der verwendete Stahlbeton wird im Anschluss in der sogenannten Stahlbeton-Skelett- Bauweise verarbeitet.

Fakten zur Nachhaltigkeit

FOUR hat als erstes Projekt für den kompletten Rückbauprozess die DGNBPlatin-Zertifizierung für einen nachhaltigen Rückbau erhalten. Das FOUR erhält als erste Quartiersentwicklung das DGNB-Zertifikat „Vertical City“, das alle relevanten Themen des nachhaltigen Bauens erfasst. Bei der Erstellung der FOUR wird für den Stahlbeton ausschließlich Zement verwendet der CO₂-arm hergestellt und vom (CSC) zertifiziert wurde. FOUR ist von der Allergy Friendly Buildings Alliance GmbH (AFBA) mit dem ECARF-Qualitätssiegel für allergikerfreundliches Bauen zertifiziert worden. Das Qualitätssiegel wird vergeben von der European Centre for Allergy Research Foundation (ECARF). www.4frankfurt.de baustelle.4frankfurt.de

The Cradle – der Name ist Programm

0

Über 50 Prozent der weltweiten Abfallproduktion und fast 40 Prozent der globalen CO₂-Emissionen entfallen auf die Immobilien- und Baubranche. Diese harten Zahlen zeigen den Handlungsbedarf und auch die Verantwortung, die die Branchen mit sich tragen. Von Sascha König, Arrow Global Germany GmbH

Das Projekt The Cradle im Düsseldorfer Medienhafen steht als Leuchtturmprojekt für nachhaltige Baukultur. Der Name verdeutlicht die hochgesteckten Ziele einer engagierten Umsetzung des Cradle- to-Cradle-Konzepts. Das Gebäude ist Ausdruck einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Zukunft. Die Einhaltung des Cradle-to-Cradle-Prinzips hat bei The Cradle höchste Priorität: Demnach dürfen die Materialien und Verbindungen keine giftigen Stoffe enthalten, wofür eine sogenannte „banned list“ die Grundlage ist. Dieses konsequente Vorgehen kommt der Umwelt und der Gesundheit der Nutzerinnen und Nutzer im Gebäude zugute. Die banned list führt jene Chemikalien und Substanzen auf, die für die Verwendung in Cradle to Cradle Certified™-Produkten verboten sind. Darüber hinaus wurden mehrere Substanzen aufgrund von gefährlichen Eigenschaften ausgeschlossen, die mit ihrer Herstellung, Verwendung und Entsorgung verbunden sind. Somit soll sichergestellt werden, dass keiner dieser Inhaltsstoffe in Produkten verbaut und das Gebäude bzw. die Nutzerinnen und Nutzer gesundheitlich belastet werden. Darüber hinaus können so Materialien wieder im Sinne der Kreislaufwirtschaft zurückgeführt werden. Das wohl markanteste Merkmal von The Cradle ist der Rohstoff Holz, der in den Geschossdecken und mit der imposanten Holzfassade zum Ausdruck gebracht wird. Holz steht als Sinnbild für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, da Holz ein nachwachsender Rohstoff ist, der endliche Rohstoffe wie Beton oder Kunststoff ersetzt. Zum anderen bindet Holz CO₂ und wirkt sich positiv auf das Raumklima sowie das Herz-Kreislauf-System aus. In Verbindung mit feinstaubabsorbierenden Teppichböden, Lehmwänden und grünen Wänden wird so eine deutlich bessere Luftqualität erreicht.

Mehr erfahren

 
Foto: Ralph Richter, Düsseldorf
Foto: Ralph Richter, Düsseldorf
www.the-cradle.de
Wenn man die gesamte Bau- und Nutzungsphase einbezieht, wird die CO₂- Reduktion des Gebäudes auf über ein Drittel im Vergleich zu herkömmlichen Gebäuden berechnet. Darüber hinaus wurde auch das Thema Mobilität im Sinne der Shared Economy neu gedacht. Ein Mobilitätshub steht nicht nur den Nutzerinnen und Nutzern von The Cradle, sondern auch der Nachbarschaft zur Verfügung. The Cradle wurde mit einem interdisziplinären Team aus Architekten, Fachplanern und Beratern als zukünftiges werthaltiges Rohstofflager konzipiert. Die verwendeten Materialien sind kreislauffähig, werden entsprechend verortet und sind rückholbar. Voraussetzung ist, dass durch intelligente Verbindungstechniken eine sortenreine Trennbarkeit gegeben ist und die Stoffe keine Schadstoffe enthalten. Das Gebäude fungiert sozusagen als Materiallager. Der Material Passport dient als digitalisierter Bauteilkatalog, in dem die Materialien in Hinblick auf Recyclingfähigkeit, Gesundheitsklasse, Schadstoffgehalt, Trennbarkeit und CO₂- Verbrauch erfasst werden. Dadurch kann nachverfolgt werden, welches Bauteil an welcher Stelle und zu welcher Zeit eingesetzt wurde und wann dieses gegebenenfalls erneuert werden muss. Die Materialien sind klar nach ihrer Identität für den biologischen oder technischen Kreislauf gekennzeichnet und sind nach Nutzung reintegrierbar. Wesentlich ist hierbei die Trennbarkeit der Baustoffe, ihre Rezyklierbarkeit und ihre eindeutige, schadstofffreie Materialität.
Foto: Olaf Wiechers
Foto: Olaf Wiechers

Nachhaltigkeit ist Trumpf

0

Wo in Deutschland und Europa gibt es aktuell die spannendsten und nachhaltigsten Baustellen? Wir stellen einige von ihnen vor. Von Sabine Olschner

Wavehouse in Heidelberg

54 Meter lang, 11 Meter breit und 9 Meter hoch: In Heidelberg entstand im vergangenen Jahr das größte 3D-gedruckte Gebäude Europas. Rund 170 Druckstunden brauchte es, bis das Rechenzentrum im 3D-Druckverfahren errichtet war, anschließend folgte der Innenausbau. Mit einem speziellen 3D-Baudrucker wurden die vertikalen Elemente des Servergebäudes gefertigt. Die Fassade wirkt wie ein welliger Vorhang und gab dem markanten Bau seinen Namen: Wavehouse. Das mineralische Material für das Projekt beinhaltet ein Bindemittel, das 55 Prozent weniger CO₂ erzeugt als reiner Portlandzement und zu 100 Prozent recycelbar ist. Rund 450 Tonnen des eigens für den 3D-Betondruck entwickelten Hightech- Baustoffs wurden verarbeitet.

Adidas Arena in Paris

Adidas Arena in Paris, © David Chavez-Monroy
Adidas Arena in Paris, © David Chavez-Monroy
Anlässlich der Olympischen Spiele 2024 wurde in der Nähe der Porte de la Chapelle in Paris die Adidas Arena gebaut. Das sechsgeschossige Gebäude mit einer Gesamtfläche von 12.000 Quadratmetern umfasst eine Sport- und Veranstaltungshalle mit 8.000 Plätzen sowie zwei Turnhallen, die von den ansässigen Bewohnern genutzt werden können. Für das Projekt wurde eigens vor Ort ein Betonwerk eingerichtet. Dadurch konnte die Zusammensetzung des Betons je nach Wetterlage täglich angepasst werden. 30 Prozent des für den Bau verwendeten Betons stammt aus kohlenstoffarmen Sektoren. Während der Bautätigkeiten wurden von den 944 Tonnen Baustellenabfall, die angefallen sind, mit Hilfe eines hochmodernen Sortiersystems vor Ort über 900 Tonnen recycelt. Die Wände der Empfangshalle bestehen aus Roherdeziegeln, die bei Ausgrabungen im Großraum Paris gewonnen wurden. Die Sitze in der Arena wurden aus sechs Millionen gebrauchten Plastikverschlüssen produziert. 80 Prozent der Flächen im Gebäude sind begrünt.

Gas-Tank wird zum Think-Tank

Gasometer Schöneberg, © Marco Döpke
Gasometer Schöneberg, © Marco Döpke
78 Meter ragt der Gasometer Schöneberg in die Höhe. Das zylinderförmige Bauwerk mit 15 Etagen und insgesamt 34.000 qm Fläche wird als transparentes Bürogebäude dienen. Das historische Stahlgerüst von 1910 wurde unter Einsatz von Sandstrahltechnik denkmalgerecht saniert. So hat die filigrane Stahlstruktur ihr ursprüngliches Erscheinungsbild zurückerhalten und dient als Gerüst für den runden Neubau. Aus Respekt vor dem Industriedenkmal hat dieser gläserne Neubau, dessen Architektur dem einst auf- und abfahrenden Gasbehälter nachempfunden ist, einen Abstand von einem Meter zur Stahlkonstruktion. Es beherbergt den Think-Tank der Deutschen Bahn, um unter anderem mit dem Programm „Digitale Schiene“ die Mobilität der Zukunft zu entwickeln. Zudem ist der Gasometer auch eine hochmoderne Eventlocation mit multifunktionalen Eventflächen, mit Amphitheater und Skylounge. Anfang 2024 erfolgte die Fertigstellung. Seit dem Erwerb des Geländes im Jahr 2008 entwickelt die EUREF AG das Stadtquartier rund um den Gasometer zu einem Reallabor der Energiewende. Übrigens: Das Gebäude ist CO₂-neutral und erfüllt höchste energetische und technische Standards. Der EUREF-Campus erfüllt bereits seit 2014 die CO₂-Klimaziele der Bundesregierung für das Jahr 2045.

Fährhafen in Puttgarden

Die Fahrt zwischen Puttgarden und Rødby in Dänemark wird künftig mit einer Elektrofähre durchgeführt. Diese ergänzt die vier bereits vorhandenen Hybridfähren auf der Route. Die neue Güterfähre kann 66 Frachteinheiten mit rund 1200 Lademetern transportieren, die herkömmlichen Hybridfähren nur knapp 30 Einheiten. Damit auch das obere Deck der Elektro-Doppelendfähre mit 33 Lkw beladen werden kann, wird derzeit ein Fährbett im Hafen Puttgarden umgebaut. Eine Stahlrampe soll die Lkw auf das Oberdeck führen. Außerdem wird die Vorstellfläche für Lkw an Land um mehrere Hundert Meter verlängert. Zudem ist eine automatisierte Fahrzeugerkennung geplant, um die Abfertigung zu beschleunigen. Für den Stromladevorgang der Elektrofähre muss die Infrastruktur im Hafen verändert werden: Um die notwendige Kapazität des Stromanschlusses zu gewährleisten, soll eine elf Kilometer lange Kabeltrasse vom Umspannwerk Burg zum Fährhafen verlegt werden.

Logistik-Campus in Schwäbisch Gmünd

Logistik-Campus in Schwäbisch Gmünd, © Rendering: Michelgroup
Logistik-Campus in Schwäbisch Gmünd, © Rendering: Michelgroup
Der Logistikneubau des Naturkosmetikherstellers Weleda ist besonders nachhaltig geplant. Mehrere kleinere Gebäude fügen sich natürlich in die Umgebung ein und können klimaneutral betrieben werden. Nur rund 20 Prozent des etwa 72.000 Quadratmeter großen Areals werden bebaut. Werkstoffe sind unter anderem Glas, Holz und Stampflehm. Auf dem Parkplatzdach, den Gebäudedächern und an der Fassade des Funktionsgebäudes sind Photovoltaikanlagen verbaut. Die Solarpaneele an den Hauswänden gewinnen Energie und beschatten gleichzeitig die Glasfronten. Das Lager besteht aus einer unterirdisch liegenden Stahlbetonwanne, auf der eine acht Meter hohe, massive Stampflehmfassade steht. Diese stammt aus Erdaushub der Baustelle und kann Schwankungen von Feuchtigkeit und Temperatur auf natürliche Weise ausgleichen, sodass keine mechanische Be- und Entfeuchtung des Lagers nötig ist. Das Gebäude hat das Zertifikat GNB-Platin erhalten, die höchste Bewertungsstufe der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.

Estrel Tower in Berlin

Der Estrel Tower soll mit 176 Metern Höhe Berlins höchster Wolkenkratzer werden und gleichzeitig Deutschlands höchstes Hotel mit 525 Zimmern. Neben dem Hotel wird der Turm Apartments und Büros beherbergen. Das begrünte öffentliche Atrium ist für eine Bäckerei, eine Galerie und einen Inkubator für Start-ups vorgesehen. Über einen Tunnel gelangen Besucher in das nebenstehende Estrel Congress Center. Das Hochhaus wird 45 Etagen haben, im 43. und 44. Stock sind ein Restaurant und eine Skybar mit Außenterrasse geplant. Die oberen vier Etagen sind als flexible Eventfläche vorgesehen. Für die Nachhaltigkeit sorgen begrünte Dächer, Photovoltaikanlagen und ein CO₂-sparendes Energiekonzept. Für den Innenausbau werden regionale Hölzer und recycelte Materialien verwendet.
+++ Bei Stuttgart 21 wird Ende 2025 eine einjährige Testphase beginnen. Eröffnung soll im Dezember 2026 sein. +++ Das neue Zwischengeschoss im U-Bahnhof Sendlinger Tor in München ist offiziell eröffnet. Bis Mitte 2024 erfolgten noch Restarbeiten. +++ Im Sommer 2024 wurde die Sanierung der Mehrzweckhalle Hyparschale in Magdeburg abgeschlossen. Ab 2025 sollen dort Tagungen und Kongresse stattfinden. +++

Als Trainee ins Ausland

Das Traineeprogramm bei ZÜBLIN bereitet auf eine spätere Position im Konzern vor und gewährt buchstäblich grenzübergreifende Einblicke in den gesamten Konzernverbund. Denn es sieht unter anderem einen dreimonatigen Auslandseinsatz vor. Niklas und Iris haben ihre Auslandsstation schon absolviert und geben Einblicke in ihre Erfahrungen. Die Fragen stellte Dr. Marion Steinbach.

Zum Tunnelbau nach Chile Niklas hat das technische Traineeprogramm bei ZÜBLIN Timber absolviert. Es führte ihn zu einem herausragenden Tunnelbauprojekt in Chile. Wie hast du dich auf den Aufenthalt vorbereitet? Mit der Einheit vor Ort und der Website des Auswärtigen Amts habe ich Fragen bezüglich Einreisebestimmungen, Impfungen, Medical Check und Arbeitserlaubnis geklärt. Gleichzeitig habe ich meine Spanischkenntnisse anhand einer Sprach-App etwas aufgefrischt und damit begonnen, eine Packliste für Outfits und sämtliche Eventualitäten zusammenzustellen – von der Weihnachtsfeier über den Arbeitstag bis hin zur Wochenendwanderung in der Atacama- Wüste. Eine persönliche Schutzausrüstung und andere Arbeitsmittel wurden mir vor Ort gestellt. Was waren die größten Herausforderungen vor Ort? Nach einem umfangreichen Medical Check am ersten Tag folgten einige Sicherheitslehrgänge, Führungen, viel fachlicher Input und Kennenlerngespräche. Das gesprochene Spanisch weicht stark von meinem deutschen Schulspanisch ab. Da es bei den Lehrgängen insbesondere um sicherheitsrelevante Fragestellungen ging, wurde ich anfangs von einem Spanisch-Englisch-Übersetzer begleitet. Danach war Eigeninitiative gefragt. Das hieß: ein zweites Mal nachfragen, abendliches Vokabellernen und die ein oder andere Überstunde. Was sind die Hauptunterschiede zwischen der Arbeit in Chile und in Deutschland? Grundsätzlich muss man differenzieren zwischen der Arbeit im STRABAG Konzern und dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Arbeit im Konzern in Chile ist meinem Eindruck nach sehr vergleichbar mit jener in Deutschland. Was war das Highlight während deines Aufenthaltes? Mich hat die offene, freundliche, hilfsbereite und professionelle Art der Kollegen und Kolleginnen sehr beeindruckt. Ich wurde ab dem ersten Tag als ein Teil des Teams wahrgenommen. In Erinnerung bleiben aber natürlich auch die Wochenendausflüge in die Atacama- Wüste, nach Pichilemu, in die Wüstenstadt Iquique oder die Einladungen der Kollegen und Kolleginnen zum Familienbarbecue. Welche Erfahrungen für die weitere Arbeit hast du mitgenommen? Mir hat der Auslandsaufenthalt gezeigt, dass grundsätzlich jede Aufgabe und Lebenssituation zu bewältigen ist. Selbst wenn ganze Themengebiete wie die Minerie oder die Verwaltung eines Maschinenparks neu sind – nach einer intensiven Auseinandersetzung findet man stets eine Lösung, auch wenn man vielleicht einen Gedankengang noch einmal verwerfen muss. Hast du drei Tipps zur Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt? 1. Sprachkenntnisse. Je besser man die Sprache beherrscht, desto einfacher ist es. 2. Aufgeschlossenheit. Auf fremde Menschen in einem fremden Land mit einer fremden Sprache zugehen zu können ist essenziell. Man sollte sich aber auch öffnen, denn schließlich stößt man als „der Neue“ auch auf viel Interesse. 3. Gelassenheit. Viele Dinge im Alltag können sich anders gestalten als man es gewohnt ist. Abläufe bei Behörden, Fahrdienstanbietern etc. sind gegebenenfalls etwas weniger transparent, langsamer oder nicht ganz nachvollziehbar. Bleibt man bestimmt, freundlich und fragt einen Ortskundigen um Rat, so kommt man stets ans Ziel.
Foto: HS2
Foto: HS2

Zu einem der größten Infrastrukturprojekte Europas nach London

Iris bewarb sich bereits ein Jahr vor Beendigung ihres Bauingenieur-Studiums in Biberach auf ihre Traumstelle: das technische Traineeprogramm bei ZÜBLIN Timber. Ihr Auslandspraktikum führte sie während ihrer Traineezeit nach London zu einem der größten Infrastrukturprojekte Europas: zum spektakulären HS2-Projekt. HS2 ist eine Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke, die den Norden Großbritanniens besser an die Hauptstadt London anbinden soll. Iris tauchte also sprichwörtlich tief ein und übernahm Bauleitertätigkeiten im Tiefbau. Wie hast du dich vorbereitet? Da das Projekt so bekannt ist, konnte ich mir über Artikel und Videos einen sehr guten Überblick über das Bauvorhaben verschaffen. Bei den organisatorischen Fragen, beispielswiese der Einholung eines Arbeitsvisums, den Flügen, der Wohnung oder der Versicherung haben mich meine Ansprechpartner in England tatkräftig unterstützt. Was waren die größten Herausforderungen? Das war definitiv die Sprache. Das Englisch auf der Baustelle ist nochmal eine andere Herausforderung. Nicht nur die Fachbegriffe haben mich in den ersten Wochen sehr gefordert, sondern auch die unterschiedlichen Dialekte und die Akzente der Menschen aus den verschiedenen Nationen, die bei so einem Großprojekt zusammentreffen. Doch durch das Wiederholen oder erneutes Nachfragen konnte ich sprachliche Probleme immer wieder schnell lösen.
Foto: Iris Feuchtmüller
Foto: Iris Feuchtmüller
Was sind die Hauptunterschiede der Arbeit in London und Deutschland? Das ist vor allem die unterschiedliche Herangehensweise. So brauchten wir in Großbritannien deutlich mehr Genehmigungen, um Tätigkeiten auf der Baustelle auszuführen und mussten sehr viel mehr Dokumentationen erstellen. Was war das Highlight des Aufenthalts? Das waren definitiv der Start der Tunnelbohrmaschinen und die Betonage der Bodenplatte, die insgesamt 24 Stunden gedauert hat. Welche Erfahrungen für die weitere Arbeit hast du mitgenommen? Es war sehr spannend, in einem internationalen Team zu arbeiten. Gut ist natürlich auch, dass ich mein Fachenglisch verbessern konnte. Hast du drei Tipps zur Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt? 1. Du solltest Interesse an der Baustelle, dem Land und der Kultur des Zieleinsatzes mitbringen. 2. Sei offen für Neues. 3. Sei bereit, Dinge zu organisieren und dich immer wieder in Themengebiete einzuarbeiten. Das erfordert viel Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und persönliche Offenheit.

Generationentandems für Innovation

Offenheit und Chancengerechtigkeit gehören zum Selbstverständnis der Strabag. Denn Vielfalt, so der Konzern, ist ein Schlüssel zum Erfolg. Bestandteil seiner EDI-Strategie (Equality, Diversity und Inclusion) ist auch Generationenvielfalt. Das bedeutet: Die Mitarbeitenden werden unabhängig von ihrem Alter gefördert und wertgeschätzt. Auch im Hinblick auf das Alter setzt die Strabag auf diverse Teams als eine wichtige Voraussetzung, um Innovationen zu fördern. Wir haben mit Katrin gesprochen. Sie hat Bauingenieurwesen studiert, hat dann auf der Baustelle gearbeitet und ist seit fünf Jahren bei der Strabag. Zusammen mit Walter, der seit 37 Jahren bei der Strabag ist, bildet sie ein Generationentandem.

Was sind die Vorteile von altersgemischten Teams? Vielfalt in jeglicher Hinsicht bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen ermöglichen allen Mitwirkenden, ihr Potenzial voll auszunutzen und führen so zum besten Ergebnis in einem Projekt bzw. Team. Was braucht man, damit die Zusammenarbeit klappt? Empathie, Verständnis, Respekt, die Fähigkeit zu reflektieren und sich in andere hineinversetzen zu können. Ich denke, diese Eigenschaften braucht man in jeder zwischenmenschlichen Beziehung.

Die Altersstruktur der Belegschaft in der Strabag im Jahr 2023

Unter 30 Jahre: 18% 30-50 Jahre: 52% Über 50 Jahre: 30%
Wo kann es Konflikte geben?Und wie kann es gelingen, diese zu lösen? Konflikte kann es geben, wenn nicht von allen Teammitgliedern zumindest versucht wird, das Gegenüber zu verstehen oder wenn jemand stur auf seiner Meinung beharrt. Im Speziellen kann es bei einem großen Altersunterschied zwischen Kolleginnen und Kollegen auch dazu kommen, dass die Älteren gerne die Rolle der Lehrmeister einnehmen oder die Jüngeren durch das Annehmen der Rolle der Schülerinnen und Schüler in ihrer Kreativität oder Meinungsbildung eingeschränkt werden. Ich denke, wenn alle Beteiligten offen für Neues sind, dann gibt es auch wenig Konfliktpotenzial. Was macht es für einen Unterschied, wenn man als junge Frau in einem älteren Team arbeitet? Ehrlich gesagt: keinen! Es kommt nur darauf an, wie die innere Einstellung zum Arbeitsumfeld ist – unabhängig davon, ob dieses Arbeitsumfeld aus älteren oder jüngeren Kolleginnen und Kollegen besteht. Oft wird angenommen, dass man die Assistenz oder eine Mitarbeiterin der älteren Kollegen ist. In so einem Fall muss man einfach die Rollen klarstellen. Eine gute Mischung aus eigener Durchsetzungskraft und Anerkennung des Erfahrungsschatzes der älteren Generation führt zu harmonischer Zusammenarbeit im Team. Was für Tipps können Sie anderen jungen Bauingenieurinnen aus Ihrer Erfahrung mit auf den Weg geben? Am wichtigsten finde ich folgende Punkte:
  • Such dir Mentorinnen und Mentoren! Ein Mentor oder eine Mentorin kann wertvolle Einblicke und Unterstützung bieten.
  • Übernimm Verantwortung! Zeige Initiative und trau dir zu, Verantwortung für Projekte oder Aufgaben zu übernehmen.
  • Bau dir ein Netzwerk auf! Knüpfe Kontakte innerhalb und außerhalb deines Unternehmens! Das kann neue Perspektiven eröffnen!
  • Bleib am Ball! Die Baubranche entwickelt sich ständig weiter. Bleib neugierig und offen für neue Technologien und Methoden! Regelmäßige Fort- und Weiterbildung ist ein Muss!
Katrin schätzt die Vorteile des Generationentandems – für die eigene Entwicklung und für die Arbeit, Foto: STRABAG SE
Katrin schätzt die Vorteile des Generationentandems – für die eigene Entwicklung und für die Arbeit, Foto: STRABAG SE

Nachhaltig bauen mit Digitalisierung

0

Wir stehen vor enormen Veränderungen. Diesmal steht Bauen im Mittelpunkt. Der Wuppertaler Vordenker Jörg Heynkes sagt, wir retten die Welt entweder digital oder gar nicht. Damit sind zum einen Klimaschutz und Nachhaltigkeit als gesellschaftlicher Auftrag für eine lebenswerte Existenz aller im Einklang mit der Natur gemeint und zum anderen die dafür notwendige Digitalisierung als wichtigstes Mittel zum Zweck. In seiner Kolumne entwickelt Dr. Bernhard Hauke, Chefredakteur von „nbau.Nachhaltig Bauen“, praxisnahe Vorschläge, wie das gelingen kann.

Zur Person

Der Ingenieur, Journalist und Nachhaltigkeitsexperte Dr. Bernhard Hauke ist gelernter Baufacharbeiter, hat an der TU Darmstadt Bauingenieurwesen studiert und mit einem Monbusho- Stipendium an der Univ. Tokyo promoviert. Anschließend war er je eine Dekade Leiter Tragwerksplanung bei Hochtief Engineering in Frankfurt und danach Geschäftsführer von bauforumstahl in Düsseldorf. Seit 2018 ist er Editorial Director des Bauingenieur- Fachverlages Ernst & Sohn und hat 2022 die Zeitschrift „nbau. Nachhaltig Bauen“ gegründet. www.nbau.org
Der Bau- und Immobiliensektor trägt den Löwenanteil zu umweltschädlichen Emissionen wie Treibhausgasen bei, verbraucht auch die meisten Ressourcen und verursacht nach wie vor riesige Mengen an Abfällen. Wir haben also den größten Hebel und damit die maximale Verantwortung. Auch ist bekannt, dass sich die Bauwirtschaft in den zurückliegenden Dekaden technologisch und produktiv langsamer als nahezu alle anderen Sektoren entwickelt hat. Daraus ergeben sich drückende Notwendigkeiten zur Innovation und gleichzeitig enorme Chancen, gerade für eine junge Generation an Bauingenieurinnen. Bei genauerem Hinsehen tut sich inzwischen tatsächlich etwas in der kleinteiligen Branche. Unter die zahlreichen Traditionsunternehmen mischen sich zunehmend quietschfidele Start-ups mit neuen technischen oder geschäftlichen Ideen in Sachen Klimaschutz, Digitalisierung und Bauwende. Vieles muss und wird sich also weiterentwickeln beim Bauen. Was nicht mehr geht, ist ein bisschen Informatik und Nachhaltigkeit als Nebenfächer oder nur für Spezialisten. In nahezu allen Bereichen des praktischen Berufslebens wie des Studiums werden sich die Schwerpunkte und Ziele verändern oder haben dies bereits. Natürlich bleiben Sicherheit, Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit essenziell für unser Tun und Handeln als Bauingenieure. Aber das gilt nun in gleichem Maße auch für Klimaschutz, Ressourcenschonung oder Biodiversität. Aber ohne Digitalisierung auf allen Ebenen wird vieles nicht effizient machbar sein. Das heißt nicht, dass klassische Baustoffe wie Beton, Stahl oder Ziegel nicht mehr gebraucht werden und wir zukünftig bspw. nur noch mit Holz bauen. Aber alle müssen die Herausforderungen konsequent annehmen, klimafreundliche Herstellverfahren und kreislaufgerechte Konstruktionen voranbringen. Auch wird es mehr bio- und geobasierte Baustoffe geben, mehr Zirkularität, mehr Ressourceneffizienz. Und wir müssen weg vom Neubau auf der grünen Wiese und ungehemmtem Flächenverbrauch hin zu mehr Umbau, Sanierung, Anbau und Aufstockung des Bestandes. So können wir die grauen Emissionen des bereits Gebauten erhalten und unsere Baukultur als goldene Energie begreifen.
Die Möglichkeiten und Entwicklungen künstlicher Intelligenz werden hier rasanter sein, als wir uns das heute vorstellen können.
Keines dieser Themenfelder bietet für sich alleine eine universelle Lösung. Eines der wichtigsten Kriterien zur Ermittlung des jeweils besten Wegs ist hingegen die angewandte Ökobilanzierung, deren Methoden Grundwissen sein sollten. Aber auch die unerlässlichen Tools und Konzepte jenseits der Spielwiesen von IT-Freaks gehen mit einer konsequenten Digitalisierung und insbesondere der Nutzung künstlicher Intelligenzen einher. Die Möglichkeiten und Entwicklungen werden hier rasanter sein, als wir uns das heute vorstellen können. Die großen Veränderungen beim Bauen gingen oft mit neuen Werkzeugen einher, so Festigkeitslehre und TM im 19. oder FEM und CAD im 20. Jahrhundert. Nicht jede*r Bauingenieur*in muss Expertin oder Experte für Nachhaltigkeit und Digitalisierung sein. Unser Beruf bietet eine Vielzahl spannender Tätigkeitsfelder. Aber Klimaschutz und Bewahrung der Umwelt sind essenzielle Aufgaben, zu denen wir alle beitragen müssen. Und ohne KI-basierte digitale Methoden wird es nicht gehen. Immer sind wir verantwortlich für unser Handeln.

Wer, wenn nicht wir…

0

Dr. Stefanie Weidner ist Vorständin der Werner Sobek AG. In ihrem Gastbeitrag appelliert sie an die junge Generation der Bauingenieure, sich für Nachhaltigkeit stark zu machen.

Zur Person

Stefanie Weidner ist promovierte Architektin mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeitsstrategien. Seit Sommer 2024 ist sie Vorständin der Werner Sobek AG. Vorher leitete sie bereits das Kopenhagener Büro des Unternehmens. Sie ist außerdem DGNB Consultant und ehrenamtliche Beirätin des Start-up-Unternehmens Optocycle.
Endlich, nach jahrelanger Vorbereitung: Der Einstieg ins Berufsleben und die ersten eigenen Projekte. Eine aufregende und spannende Zeit. Oft aber auch eine Zeit der ersten Krisen, der Fragen nach dem Sinn. Ist das, was ich da im Beruf mache, eigentlich das, worauf ich mich all die vergangenen Jahre vorbereitet habe? Wieso ist das alles so kompliziert – und wieso sind meine Projekte nicht so nachhaltig, wie ich mir das immer vorgestellt habe? Hinzu kommen die negativen Schlagzeilen, denen wir permanent begegnen: explodierende Materialpreise, abrupt steigende Zinsen, insolvente Projektentwickler, immer komplexere Regularien und Vorschriften. Entwicklungen, die der Lust auf eine Tätigkeit im Bauwesen einen empfindlichen Dämpfer verpassen können. Deshalb hier fünf Gründe, warum es sich lohnt durchzuhalten. Denn: Wer sich intensiver mit der Nachhaltigkeit in der gebauten Umwelt beschäftigt, der merkt schnell, dass dieser Bereich vorrangig von den Jüngeren vorangetrieben wird.

1) Nicht zu bauen ist auch keine Lösung

Immer wieder hört man den Ruf nach einem Stopp jeglicher Neubauprojekte. Für einige Regionen und Gebäudetypologien (Stichwort: Einfamilienhäuser und monofunktionale Kaufhäuser …) mag dies der richtige Ansatz sein, verallgemeinern lässt sich eine solche Forderung aber sicher nicht. Die Ballungsräume erfahren einen steten Bevölkerungszuwachs. Das bedeutet, dass nicht nur zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden muss (aktuell fehlen je nach Schätzung bis zu 1.000.000 Wohnungen), sondern auch mehr Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, mehr Nahversorgung, mehr Infrastruktur etc. Hierfür brauchen wir neue Lösungen und Konzepte, mehr (Nach-)Verdichtung, Möglichkeiten zur Aufstockung, Sharing- Modelle und Strategien für ein inklusives, gesundes Leben auf begrenzter Fläche. Hierauf müssen wir Planenden uns einstellen – sei es bei Neubauten, Bestandssanierungen oder manches Mal auch durch die Empfehlung, gar nicht zu bauen. Egal, in welche Richtung es geht: Unsere Expertise ist gefragt!  Übrigens: Global gesehen ist der Bedarf an gebauter Umwelt noch viel größer, müssen doch in den kommenden Jahren über zwei Milliarden zusätzliche Menschen beherbergt werden. Hinzu kommen Millionen Menschen, die wegen steigender Meeresspiegel und sich ausbreitender Wüsten (sowie wegen Kriegen und Konflikten) in andere Regionen der Erde migrieren.

2) Sanieren will gelernt sein

Leerstand findet sich meist nicht da, wo neuer umbauter Raum benötigt wird. Ist dies allerdings doch einmal der Fall, dann sollte vor einer Entscheidung für Abriss und Neubau sorgfältig geprüft werden, ob sich nicht auch die alten Gemäuer für die geplante neue Nutzung eignen. Sehr häufig wird dies der Fall sein – und sollte dann auch die bevorzugte Option der Planenden sein. Eine Sanierung kann bis zu 60 % der sog. grauen Emissionen einsparen. Bei Infrastrukturbauten liegt der Prozentsatz sogar noch höher. Dazu werden auch deutlich weniger Primärmaterialien benötigt als für einen Neubau. Doch warum zögern immer noch viele Bauherren vor diesem Schritt, selbst wenn die grundsätzlichen Rahmenbedingungen (wie z. B. der Zustand der Bausubstanz und die Geschosshöhe) dafür sprechen? Die Erfahrung zeigt: Sanierungsprojekte sind ökologisch vorteilhaft, aber oft komplizierter und anspruchsvoller als Abriss und Neubau. Und im Bauwesen bedeutet „kompliziert“ häufig auch, dass etwas wesentlich teurer wird als erwartet. Schubladenlösungen funktionieren hier nicht. Die Kostenfalle kann nur vermeiden, wer mit exzellenten Planerinnen und Planern arbeitet und auf smarte, technologiegestützte Lösungen setzt, die den Bestandserhalt vereinfachen.

3) Normierungen und Vorschriften – der Dschungel muss sich lichten

Es existieren derzeit circa 3.900 baurelevante Normen. Davon beziehen sich zwar „nur“ circa 350 auf den Geschosswohnungsbau, die Menge an zu beachtenden Regelungen und Empfehlungen ist dennoch enorm. Hinzu kommen je nach Zertifizierungssystem oder Förderprogramm noch eine Vielzahl an weiteren Aspekten, die begriffen und eingehalten werden müssen. Natürlich bedarf es allgemeingültiger Regeln, die dafür sorgen, dass kein Risiko für Leib und Leben und für die Natur besteht. Doch die Zahl und Komplexität der Normen steigt immer weiter an. Und mit jedem Anstieg wird das Bauen nicht nur komplexer und komplizierter, sondern auch teurer und meist materialintensiver. Genau dieser zuletzt genannte Aspekt lässt viele Planende, denen an einer Material- und Emissionsreduktion gelegen ist, regelmäßig verzweifeln. Die Architektenkammer Bayern wagte mit ihrer Initiative Gebäudeklasse E einen interessanten Vorstoß. Wir brauchen mehr solcher Initiativen. Wer, wenn nicht die neuen Generationen an Planenden sollten sie anstoßen?

4) Digitalisierung tut Not!

Die Digitalisierung in Deutschland muss sektorübergreifend ausgebaut werden. Das gilt auch und insbesondere für das Bauwesen. Zwar ist mittlerweile BIM Level 1 relativ verbreitet, das volle Potenzial von digitalen Zwillingen nicht nur während der Planung, sondern auch bei der Ausführung, dem Betrieb, der Instandhaltung und beim Rückbau wird allerdings bei Weitem nicht ausgeschöpft. Die Hoffnung besteht, dass mit den neuen Planenden-Generationen auch mehr digitale Affinität in die Planungs- und Baubüros einzieht und dadurch Prozesse vereinfacht, Softwarelösungen programmiert, Bauwerke optimiert und somit Zeit und Ressourcen gespart werden. In interdisziplinären Teams arbeiten wir auch bei Werner Sobek an Softwarelösungen, die uns simultan Lebenszyklusdaten und Optimierungsvorschläge aufzeigen, um so deutlich nachhaltiger bauen zu können.

5) Nachhaltigkeit kommt nicht von ungefähr

Nachhaltigkeit muss zwingend holistisch gedacht werden, und zwar von der ersten Entwurfsidee an. Was ist wirklich notwendig? Wo kann eingespart werden (Stichwort: Tiefgarage!)? Welchen Mehrwert kann das Projekt bieten? Was sind die zentralen Ziele, die erreicht werden sollen? Die Weichen hin zu mehr Nachhaltigkeit werden zu Beginn gestellt – das heißt aber nicht, dass im Lauf des Projekts keine Rückschläge zu befürchten sind, ganz im Gegenteil. Daher heißt es: Dranbleiben, Finger heben, Alternativen aufzeigen, Probleme lösen und Netzwerke aktivieren. Das ist anstrengend, komplex und facettenreich; ein multidisziplinäres Unterfangen, das insbesondere von Berufsanfängerinnen und -anfängern sehr viel abverlangt – das sich aber allemal lohnt. Es gibt noch sehr viel zu tun, wenn wir die Transformation unserer gebauten Umwelt hin zu mehr Nachhaltigkeit zeitnah bewerkstelligen wollen. Aber was für eine Perspektive: Wir können heute durch unseren Einsatz für ein besseres Bauen nicht nur etwas für unseren beruflichen Erfolg tun, sondern ebenso einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unseren Planeten für kommende Generationen zu bewahren. Der Beruf der Planenden hat sich weiterentwickelt, birgt ungeahnte Herausforderungen und fordert neue Kenntnisse, aber er ist und bleibt irrsinnig spannend! Auch wenn die ersten Jahre nach der Hochschule also anstrengend sein sollten – werft auf keinen Fall die Flinte ins Korn, zum Wohle von uns allen!

Zum Unternehmen

Die Werner Sobek AG ist ein weltweit tätiges Fachplanungsbüro für nachhaltiges Engineering und Design im Bauwesen mit Hauptsitz in Stuttgart. Das 1992 gegründete Unternehmen umfasst mehr als 450 Mitarbeitende und hat Büros in Europa, Nordamerika und dem Mittleren Osten. Die Arbeiten des Unternehmens zeichnen sich durch hochwertige Gestaltung und ausgeklügelte Konzepte zur Minimierung von Emissionen sowie von Energie- und Materialverbrauch aus.

Neue Wege zur Reduktion von C02-Emissionen bei Baustoffen

0

Die Bauindustrie befindet sich in einer Phase des tiefgreifenden Wandels. Innovative und nachhaltige Technologien zur Herstellung und zum Recycling von Baustoffen gewinnen immer mehr an Bedeutung. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP arbeitet schon seit Jahren kontinuierlich daran, zukunftsweisende Materialien und Verfahren zu entwickeln und diese in die praktische Anwendung zu überführen. Dabei hat das Institut drei zentrale Ansätze verfolgt, die zusammen eine umfassende Strategie zur Reduktion von CO₂-Emissionen in der Bauindustrie bilden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Integration von Werkstoffen, die aktiv zur Entnahme von CO₂ aus dem atmosphärischen Kreislauf beitragen können. Wie das gelingen kann, erläutern Katharina Engels und Christian Kaiser vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP.

Ein Beispiel ist die Verwendung von Pflanzenkohle, die nicht nur das Treibhausgas in Form von Kohlenstoff dauerhaft bindet, sondern auch positive Effekte auf die bautechnischen Eigenschaften der Materialien haben kann. Pflanzenkohle wird durch Pyrolyse organischer Materialien wie landwirtschaftlichen Reststoffen, Holz- oder Pflanzenabfällen hergestellt. Dabei wird die Biomasse bei Temperaturen zwischen 200 und 1000 °C in sauerstoffarmer Umgebung thermochemisch zersetzt. Aufgrund ihrer großen Materialströme eignen sich Baustoffe prinzipiell gut als bedeutende Kohlenstoffsenken. Die Herausforderung liegt darin, diese Potenziale zu nutzen und die oftmals heterogenen Pflanzenkohlen in die reglementierten Herstellungsabläufe der Baustoffe zu integrieren. Das Fraunhofer IBP hat deshalb Verfahren entwickelt, um das Handling der feinen und staubenden Kohlenstoffmaterialien zu vereinfachen. Zudem konnten die Forschenden zeigen, dass eine gezielte Aktivierung der mineralischen Bestandteile der Biomasse während der Pyrolyse die Betoneigenschaften verbessert. Darüber hinaus wird auch an Methoden gearbeitet, welche zusätzlich eine größere Verwertung mineralischer Reststoffe ermöglicht. Trotz des bedeutenden Potenzials von Pflanzenkohle als Carbon Capture Material bleibt Zement der Hauptverursacher von CO₂-Emissionen in der Bauindustrie. Deshalb arbeitet das Fraunhofer IBP parallel intensiv an Zementersatzstoffen, sogenannten Supplementary Cementitious Materials (SCMs), wie etwa kalzinierten Tonen oder alkalisch aktivierten Bindersystemen, auch bekannt als Geopolymere. Letztere setzen verstärkt auf sekundäre Stoffströme und unterstützen so die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. In verschiedenen Projekten wurde gezeigt, dass diese Bindersysteme gegenüber zementgebundenen Systemen technische Vorteile bieten, wie z.B. höhere Früh- und Druckfestigkeiten sowie eine hohe Säure- und Hitzebeständigkeit. Dadurch kann unter anderem der Bindemittelanteil reduziert und der Baufortschritt beschleunigt werden. Die Technologien lassen sich problemlos kombinieren, wodurch in der Praxis der CO₂-Fußabdruck von Baumaterialien wie Beton erheblich verringert werden kann. Schlussendlich wird der Fortschritt in der Entwicklung und Implementierung solcher innovativen Materialien und Technologien entscheidend dafür sein, wie schnell die Transformationen der Bauindustrie zu einer klimafreundlichen Zukunft erfolgen.

Die Herausforderung der Nachhaltigkeit

0

Beton ist für 8 % des weltweiten CO₂- Ausstoßes verantwortlich und nach Wasser das meistverwendete Material der Welt. Grund für die hohen Emissionen ist vor allem die immense Menge an Beton, die weltweit eingesetzt wird: Jeden Monat wird einmal die Stadt New York mit Beton nachgebaut. Der Baustoff wird auch in Zukunft unersetzlich bleiben. Es ist daher wichtig, Lösungsansätze zu finden, mit denen die Dekarbonisierung des Betons erfolgreich vollzogen werden kann. Ein Gastbeitrag von Nicolas Ott, alcemy tech

Ausschlaggebend für die CO₂-Emissionen des Baumaterials ist der Zementklinker, der „Klebstoff“ im Beton. Die Herausforderung bei der Dekarbonisierung besteht darin, den Klinkeranteil deutlich zu reduzieren. Dies führt aber zu höheren Qualitätsanforderungen, einem erhöhten Personaleinsatz und dadurch deutlich teurerem Beton. Konsequenz: Die Herstellung von CO₂-reduziertem Beton hat sich bisher nicht rentiert. Genau aus diesem Grund haben Leopold Spenner und Dr. Robert Meyer sich 2018 dazu entschlossen, das Greentech- Start-up alcemy zu gründen und bei dieser Herausforderung anzusetzen. Basierend auf maschinellem Lernen haben sie zwei Softwareprodukte entwickelt, die im Zementwerk und im Transportbetonwerk zum Einsatz kommen und es ermöglichen, Vorhersagen zu relevanten Qualitätseigenschaften zu treffen. Um die Produktion von Zement und Beton nachhaltiger zu gestalten, besteht der größte Hebel in der angesprochenen Reduktion des Klinkeranteils. Genau hier setzt alcemy mit seiner Software im Zement an. Das Start-up nutzt die Daten aus dem Zementwerk, um mithilfe der ML Module die Produktion zu optimieren und zu automatisieren. Diese klinkerärmeren und anspruchsvolleren Zemente können dann mit der Qualitätsüberwachungssoftware im Transportbetonwerk erfolgreich zu Betonen verarbeitet werden.

Hürden und Hindernisse

Doch damit die Dekarbonisierung der Industrie gelingt, muss auch die Nachfrage nach nachhaltigen Betonen zum Standard werden, was bisher leider noch zu wenig passiert. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung sind der Austausch von Informationen und Aufklärung über den Einsatz von nachhaltigem Beton. Ein weiteres Problem ist die Norm, die klar festlegt, welche Betone eingesetzt werden dürfen. Hier ist alcemy mit seinem Kunden Spenner 2024 ein Durchbruch gelungen: Gemeinsam haben sie einen Zement entwickelt, bei dem Zementklinker durch das besonders nachhaltige und gut verfügbare Substitut Kalksteinmehl ersetzt wird. Dieser radikal klinkerreduzierte Zement setzt neue Maßstäbe für nachhaltige Betone und ist bereits mehrfach in Praxisprojekten zum Einsatz gekommen.

Der Schlüssel zu einer klimaneutralen Industrie

Diese Meilensteine sind wichtige Schritte auf dem Weg zu Net-Zero. Die Gründer von alcemy sind überzeugt, dass die Reduzierung des Klinkeranteils im Beton ein entscheidender Hebel zur Dekarbonisierung ist, der bisher zu wenig genutzt wird. Gleichzeitig werden andere Ansätze ebenfalls verfolgt werden müssen: CCU/S Technologie wird ein unumgänglicher Baustein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Industrie sein. Hierfür jedoch muss die nötige Infrastruktur erst noch gebaut werden. Letztendlich braucht es für den Einsatz nachhaltiger Betone die Beteiligung aller Akteure, von den Zement- und Betonherstellern bis hin zur Baustelle. Umso wichtiger ist es, dass sich werdende Bauingenieure mit diesem Zukunftsthema proaktiv befassen, um den Weg für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Industrie zu ebnen.

alcemy

Das grüne Tech-Start-up alcemy wurde 2018 von Leopold Spenner und Dr. Robert Meyer mit der Überzeugung gegründet, dass in der Zement- und Betonherstellung die Reduktion von CO₂ mit der Reduktion von Produktionskosten einhergehen kann und muss. alcemy läuft mittlerweile bei einem Drittel aller deutschen Zementwerke und in über 30 Transport-Betonwerken.

Alles in einem Modell

Die Finalisten des diesjährigen BIM Champions Wettbewerbs in der Kategorie Arbeiten von Azubis und Studenten einte der Bezug zum Thema Nachhaltigkeit. Sema Yilmaz, die Siegerin in der Kategorie, befasste sich in ihrer eingereichten Bachelorarbeit mit BIM und Baustoffen, um eine Ökobilanzierung direkt aus dem Modell erstellen zu können. Die Fragen stellte Christoph Berger, buildingSMART Deutschland.

Sema, wie kamst du auf das Thema? Ich habe Bauingenieurwesen auf Bachelor studiert mit der Vertiefung Baustoffe und Sanierung. Daher kommt der Baustoffanteil in der Arbeit. Der BIM-Bezug kam durch Kommilitonen in meinem Umfeld zustande, die im Baumanagement studierten. So kam es zu den Fragen: Gibt es überhaupt schon eine Verknüpfung zwischen der digitalen Welt, also BIM, und den Baustoffen? Welche Datenbanken gibt es dazu? Ist es möglich, im BIM-Modell eines Gebäudes zu hinterlegen, aus welchem Material zum Beispiel die Wände oder Decken gebaut sind? Und wenn ja: Wie können diese Informationen genutzt werden, um eine Ökobilanzierung in BIM zu erstellen? Mich fasziniert der Ursprungsgedanke, alles in einem Modell machen zu können, von der Kostenschätzung bis hin zur Ökobilanzierung, da ich als Baustofflerin weiß: Eine Betonwand ist nicht gleich eine Betonwand, es macht einen deutlichen Unterschied, welche Zementart darin verbaut ist. Dazu kam dann noch IFC als Standardaustauschformat, damit es keine Fokussierung auf nur eine Software gibt. Hast du zu IFC auch Fragestellungen entwickelt? Ich habe das IFC-Schema dahingehend untersucht, welche Informationen ich in ihm abbilden kann, die für eine Ökobilanzierung wichtig wären – dabei orientierte ich mich an den EPDs, den Environmental Product Declarations, die es für verschiedene Materialien gibt. Wie sieht es mit Blick auf die Baustoffhersteller aus, sind deren Produkte so aufbereitet, dass sie digital eingefügt werden könnten? Die Daten sind da. Was jetzt noch getan werden könnte, wäre, den Herstellern eine Art Vorlage zu geben, die es einfacher macht, die Daten direkt als IFC-Schema zu haben. Derzeit liegen diese Daten meist noch als PDF- oder XML-Datei vor. Diese Dateien sind zwar öffentlich im Internet zugänglich, allerdings hängt es auch hier davon ab: Möchte der Hersteller die Produktinhalte oder den Produktaufbau veröffentlichen oder nicht? Aber ja, viele Daten liegen vor. Welchen Reiz übt BIM auf dich aus, speziell auch Open-BIM? Es ist die Zusammenarbeit an einem Modell und der Austausch von Daten über Softwaregrenzen hinweg. Ich finde es schön und sehr hilfreich, diese Grenzen nicht zu haben. Natürlich ist es aus Sicht eines Softwareherstellers schön, wenn alle das eigene Produkt nutzen und eine Lizenz dafür haben und mit den dazugehörigen Dateiformaten arbeiten. Aber letztendlich geht es ja darum, im Sinne aller den Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten zu fördern – ohne Begrenzung auf eine Lizenz. Daher war es äußerst interessant für mich, IFC zu untersuchen, weil IFC öffentlich und gut ist und tolle Möglichkeiten im Hinblick auf die Ökobilanzierung bietet.

Video über die prämierte Arbeit von Sema Yilmaz

Die Videos aller BIM Champions-Finalisten 2024: