StartRechtKanzlei-Karriere: Mit Sinn und Verstand

Kanzlei-Karriere: Mit Sinn und Verstand

Wenn die junge Juristengeneration heute an Karriere denkt, geht es nicht nur um Geld und Statussymbole. Die Sinnhaftigkeit des Tuns nimmt an Bedeutung zu, gerade mit Blick auf die dringenden globalen Themen. Wollen Kanzleien für die Top-Talente attraktiv sein, müssen sie darauf reagieren. In den Fokus geraten dabei Mandate, die ethischen Standards entsprechen und nachhaltige Entwicklung fördern. Ein Essay von André Boße

Wenn Kanzleien heute nach hervorragendem Nachwuchs suchen, dann bewerben sich diese Talente nicht bei den potenziellen Arbeitgebern. Eher läuft es so: „Typischerweise bewerben wir uns um die besten Nachwuchstalente. Wir müssen als attraktiver Arbeitgeber die jungen Talente überzeugen“, sagt Dr. Tim Odendahl. Der Anwalt ist Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz in Köln, dort für die Bereiche M&A, Gesellschaftsrecht und Nachfolgeplanung zuständig. In den Gesprächen mit jungen Kandidaten hat er vor einiger Zeit eine Veränderung festgestellt: „Die Frage der Nachhaltigkeit wird immer häufiger in den Gesprächen thematisiert.“ Ein besonders wichtiger Punkt sei dabei die nachhaltige Ausrichtung der juristischen Tätigkeit in der Kanzlei. „Wobei“, sagt Tim Odendahl, „sich Nachhaltigkeit nicht nur auf Umweltaspekte, sondern auch auf soziale Aspekte wie Diversity, Work-Life-Balance oder Pro-Bono-Tätigkeiten für Non-Profit-Organisationen bezieht.“

Der Nachwuchs will zwar auch weiterhin Karriere machen und gutes Geld verdienen, aber nicht um jeden Preis. Dafür bitte: mit Sinn.

Konkret hatte sich dieses neue Bewusstsein zuletzt auf einer Bewerbermesse an der juristischen Fakultät der Universität Köln gezeigt, wie Tim Odendahl erzählt. Dort wurde er von Interessierten gefragt, inwieweit die Kanzlei Ebner Stolz papierlos arbeite. „Wer hier keine authentische und überzeugende Antwort liefern kann, hat im Rennen um die besten Talente heute keine Chance mehr.“ Dr. Jörg Schneider-Brodtmann, Partner der Stuttgarter Kanzlei Menold Bezler, bestätigt, dass sich Bewerber heute mit neuen Themen beschäftigen. „Noch vor ein paar Jahren hat kaum ein junger Jurist im Bewerbungsprozess nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder nach alternativen Karrieremodellen gefragt. Inzwischen sind diese Fragen Standard, und als Kanzlei stellen wir uns längst darauf ein.“

Spaß und Sinn wichtiger als Geld

Umwelt und Soziales, Ressourcenschonung und Klimaschutz – durch das, was jungen Juristinnen und Juristen heute mit Blick auf ihre Karriere wichtig ist, ergibt sich ein neues Bild: Der Nachwuchs will zwar auch weiterhin Karriere machen und gutes Geld verdienen, aber nicht um jeden Preis. Dafür bitte: mit Sinn. Belegt wird diese Entwicklung von den aktuellen Zahlen des Trendence Absolventenbarometers 2020, das die Wünsche und Bedürfnisse junger Juristen analysiert. An Bedeutung gewonnen hat dabei neben der Innovationskraft des Arbeitgebers auch dessen ethischer Anspruch: „Das Wechselspiel von Gewinnstreben und moralischen Idealen wird kritischer betrachtet, was zum allgemeinen Trend in der Gesellschaft passt“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Dieser Punkt zeige sich insbesondere bei Frauen.

Absolventenbarometer: Weniger Arbeit gewünscht

Sind junge Juristen in den Beruf eingestiegen, steigt bei ihnen der Wunsch nach mehr Freizeit und finanziellen Möglichkeiten, um diese Zeit entsprechend nutzen zu können. Zu diesem Ergebnis kommt das Trendence Absolventenbarometer 2020: Seit 2017 sank die Wunscharbeitszeit bei Referendaren und Volljuristen jährlich um etwa eine Stunde, die Erwartung an das Gehalt stieg dagegen von 2018 auf 2020. „Hier wird ein gesellschaftliches Umdenken sichtbar, in dem Arbeit nicht mehr den Stellenwert genießt wie noch vor wenigen Jahren“, sagt Trendence-Geschäftsführer Robindro Ullah. „Arbeitgeber, die diesen Trend anerkennen und berücksichtigen, können nachhaltig punkten.“

Fragt man die junge Juristen-Generation nach ihrer Definition, was für sie im Job „persönlicher Erfolg“ bedeutet, belegt die Antwort „Schaffen von Sinnvollem“ Rang zwei – so wichtig war dieser Aspekt beim Absolventenbarometer noch nie. Darüber steht auf Platz eins lediglich noch der Spaß an der Arbeit. Zwei Dinge sind bemerkenswert: Erstens ist der Aspekt „ein hohes Einkommen“ auf Rang fünf zurückgefallen, zweitens unterscheiden sich bei diesen Einschätzungen Juristen von Bewerbern aus den Wirtschaftswissenschaften: Hier liegt das hohe Einkommen weiterhin auf Platz zwei.

Was bedeutet dieser Wandel für die Kanzleien? „Es ist Zeit für ein Umdenken“, heißt es in der Zusammenfassung der Ergebnisse des Absolventenbarometers. Wer als Arbeitgeber seine Attraktivität steigern möchte, müsse sich dem Kulturwandel stellen – „und wenn er bereits erfolgt sein sollte, ist eine von dieser Kultur geprägte Kommunikation unerlässlich.“ Heißt konkret: Es reicht heute nicht mehr aus, verlässliche und finanziell lohnende Karrieren sowie spannende Einstiegsmöglichkeiten zu bieten. Gefragt ist auch, über das „Warum“ zu erzählen: „Warum sollte ich in Ihrer Kanzlei anfangen, und was kann ich damit Sinnvolles bewirken?“, nennt Trendence-Geschäftsführer Robindro Ullah die zwei entscheidenden Fragen.

Nachhaltigkeit bestimmt Mandate

Worauf sich Kanzleien heute zudem gefasst machen sollten: Auf klare Fragen zur Sinnhaftigkeit von Mandaten. „Verantwortungsvolle, langfristig denkende Juristen haben sicher schon immer ihre Mandate ganzheitlich beurteilt, nicht nur nach dem monetären Erfolg“, ordnet Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler, ein. „Wir erleben im Moment aber, dass sich die junge Generation besonders intensiv mit der Zukunft unseres Planeten beschäftigt. Das mag über kurz oder lang auch in die Beratung hineinspielen. “Hinzu komme, dass es auch jenseits der rechtlichen Grenzen ethische Maßstäbe gibt, die es zu achten gelte. „Ich denke da nur an die sogenannte Cum-Ex-Thematik, bei der Wirtschaftsanwälte eine unrühmliche Rolle gespielt haben“, sagt Jörg Schneider-Brodtmann.

Was treibt Unternehmen an?

Allein durch Profit angetrieben zu sein, funktioniert laut dem Anbieter von Fachinformationen, Software und Services Wolters Kluwer heute nicht mehr. Immer häufiger reife die Erkenntnis, dass wir sinnstiftend handeln müssen und dass wir alle Mitglieder derselben globalen Gemeinschaft sind. Der Purpose unterstütze uns dabei, einige grundlegende Fragen über unser Rolle in dieser Gesellschaft zu beantworten. Warum existieren wir als Unternehmen überhaupt? Wo ist unser Platz in der Gesellschaft? Was tragen wir zum Wohlergehen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unserer Kundinnen und Kunden und der Welt insgesamt bei? Weitere Infos unter: www.wolterskluwer.de

Tim Odendahl von Ebner Stolz bestätigt die nachhaltigen Auswirkungen dieses schließlich öffentlich gemachten organisierten und milliardenschweren Steuerbetrugs: „Im Steuerrecht hat die Erfahrung des Cum-Ex-Skandals gezeigt, wie gefährlich eine wirklichkeitsfremde aggressive Optimierungsberatung sein kann.“ Es sei damals vorgekommen, dass die Kanzlei eine solche Cum-Ex-Beratung abgelehnt habe – „teilweise damals zur Verärgerung mancher Mandanten, die uns heute danken“. Die Debatte mit den Cum-Ex-Fällen wirkt in der Kanzlei bis heute noch, sagt Tim Odendahl: „Die Auseinandersetzungen damit haben tatsächlich unseren Blick auf die Mandate noch einmal geschärft: Wie ethisch vertretbar ist eine bestimmte Gestaltung und kann sich der Wind gegebenenfalls drehen?“

Dass sich beim Blick auf die Ethik die Ansprüche der jüngeren und älteren Generation unterscheiden, erlebt man nicht nur bei der Debatte um „Fridays For Future“: Auch in der anwaltlichen Praxis komme es zu ethisch orientierten Generationenkonflikten, sagt Tim Odendahl. Zum Beispiel bei der Nachfolgeberatung in Familienunternehmen: „Teilweise akzeptieren neue Generationen bestimmte Beteiligungen der Familienholding, etwa in der Kohle- oder Waffenindustrie, nicht mehr.“ In diesen Fällen geht es explizit nicht um juristische, sondern um ethische Argumente – wobei sich das mit Zunahme der Regularien sowie steigenden Risiken bei ethisch kritischen Beteiligungen ändern kann.

Für Jörg Schneider- Brodtmann von Menold Bezler gewinnt daher die Kompetenz an Bedeutung, für den Mandanten ein Berater auf Augenhöhe zu sein, mit Verständnis für sein Anliegen und einen Blick auf nachhaltige Lösungen. „Anwälte müssen sich flexibel auf ihr Gegenüber und dessen Anforderungen einstellen und sich selbst manchmal mehr zurücknehmen. Ich glaube, das fiel früheren Anwaltsgenerationen noch etwas schwerer als jungen Kollegen heute.“

Mit Recht die Welt verbessern

Immer, wenn sich Gesellschaften mit ihren Infrastrukturen und Techniken wandeln, rücken neue Rechtsfragen auf die Agenda. Kanzleien sind dann gefragt, mit ihrem juristischen Know-how Entwicklungen zu prüfen und voranzubringen – wobei der Fokus heute mehr denn je auf Ansätze gerichtet ist, die Nachhaltigkeit fördern und gegen Ungleichheiten ankämpfen. Im Kern steht dabei die Frage, inwieweit das Recht eine globale nachhaltige Entwicklung fördern sollte, insbesondere beim Kampf gegen die Erderwärmung.

Völkerrechtsblog

Der Völkerrechtsblog versteht sich als eine internationale Plattform für Beiträge zu Fragen des internationalen öffentlichen Rechts und der internationalen Rechtswissenschaft. Die Initiative zur Gründung entstand im Rahmen des Arbeitskreises junger Völkerrechtswissenschaftler* innen (AjV). Der Schwerpunkt der Einträge und Diskussionen liegt dabei auf Themen, die sich mit dem Kampf gegen den Klimawandel und globale Fragen der sozialen Gerechtigkeit beschäftigen. Der Blog ist somit auch ein Forum, das zeigt, welchen Beitrag Juristen zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten können.

www.voelkerrechtsblog.org

Wie das in der Praxis ausschaut, zeigt ein Mandat der Kanzlei Kümmerlein aus dem Ruhrgebiet, die als Projektmanager für die Planung von Stromtrassen tätig ist. „Als Projektmanager stehen wir hier im Lager der Genehmigungsbehörde und unterstützen diese dabei, eine rechtmäßige Entscheidung über ein beantragtes Projekt zu treffen“, sagt Dr. Michael Neupert, Partner bei Kümmerlein mit den Schwerpunkten Öffentliches Wirtschaftsrecht, Umwelt- und Planungsrecht sowie Baurecht. Die Anwälte sind bei diesem Mandat nicht beliehen, „das heißt, die Verantwortung für die Entscheidung bleibt bei der Behörde“, präzisiert Neupert. „Unser Job besteht darin, das Material, das im Laufe eines solchen Verfahrens zusammenkommt so zu strukturieren und aufzubereiten, dass die Behördenmitarbeiter schneller und zielgerichteter zu den Fragen kommen, über die sie entscheiden müssen.“

Schließlich dauerten die Genehmigungsverfahren häufig deshalb so lange, weil ihr Volumen so groß ist: „Da kommen schnell einmal ein paar Dutzend Aktenordner Antragsunterlagen, Stellungnahmen, Einwendungen und Gutachten zusammen. Das muss alles im Planfeststellungsbeschluss verarbeitet werden, der wiederum alle möglichen Rechtsgebiete von Abfall- bis zum Wasserrecht betrachten muss und am Ende schnell 500 Seiten dick sein kann.“ Dabei legen die Juristen der Behörde kein fertiges Werk auf den Tisch, sodass die nur noch entscheiden muss. „Wir stehen zeitweise in beinahe permanentem Austausch mit der Behörde.“ Auch der Draht zum Projektträger ist eng, um Nachfragen zu klären oder Präzisierungen vorzunehmen. Neupert sagt: „Letztlich arbeiten also alle Beteiligten gemeinsam an dem Ziel, ein Projekt rechtssicher zu verwirklichen.“

Sinn fördert Zufriedenheit

Stellt sich die Frage, ob einer Juristin oder einem Juristen Tätigkeiten mit Sinn tatsächlich mehr erfüllen. „Man darf sich nichts vormachen: Anwalt zu sein, ist ein stressiger Beruf“, stellt Michael Neupert von Kümmerlein klar. „Und dieser Stress ist erst einmal nicht deshalb geringer, weil ein Projekt zur Energiewende oder sonst einem ‚guten‘ Zweck dient.“ Zudem sollte Juristen ohnehin klar sein, dass man auch diese Themen häufig von zwei Seiten betrachten könne. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien sei dafür ein gutes Beispiel, „denn wir sehen, dass Windenergieanlagen durchaus umstritten sind.“ Dennoch: Ihm persönlich gefalle es, als Jurist Nachhaltigkeit zu fördern. „Mir fällt das berufliche Tun leichter, wenn sich dieses Vorhaben in eine große gesellschaftliche Entwicklung einfügt und in diesem Sinne ein ‚Zukunftsprojekt‘ ist“, sagt Neupert.

Sämtliche dieser jungen Unternehmen formulieren mittlerweile die Förderung der Nachhaltigkeit als Haupt-, mindestens aber als Nebenzweck, kein Businessplan kommt heute ohne die Erläuterung des positiven Einflusses der Geschäftsidee auf die Umwelt aus. (Tim Odendahl)

An solchen Zukunftsprojekten arbeiten insbesondere viele junge Firmen, Tim Odendahl von Ebner Stolz berät solche Start-Ups als Jurist. „Sämtliche dieser jungen Unternehmen formulieren mittlerweile die Förderung der Nachhaltigkeit als Haupt-, mindestens aber als Nebenzweck“, sagt der Partner, „kein Businessplan kommt heute ohne die Erläuterung des positiven Einflusses der Geschäftsidee auf die Umwelt aus.“ Was den Juristen dabei begeistert? „Wenn man Kollegen von neuen Mandanten erzählt – und vor den Umsatzzahlen oder dem Deal-Volumen erst einmal vom CO2-Einsparvolumen berichtet.“ Keine Frage: Hier verschiebt sich etwas. Das tut gut. Und das ist sinnvoll.

Buchtipp

Eine Generation, die lange Zeit als unpolitisch belächelt wurde, steht auf, organisiert Proteste, an denen landesweit Hunderttausende und weltweit Millionen teilnehmen. Angesichts schwindender Ressourcen und globaler Vermüllung stellen sie die Forderung nach nachhaltigem Klima- und Umweltschutz. Acht Autoren und Aktivisten, Mitglieder des Jugendrates Generationen Stiftung, warnen nicht nur vor den Gefahren, denen sich die heutigen 14- bis 25-Jährigen ausgesetzt sehen. In genau recherchierten Beiträgen, die mit den Erkenntnissen anerkannter Wissenschaftler abgeglichen sind, stellen sie konkrete Forderungen, nehmen uns alle in die Verantwortung und entwerfen eine Vision, die die Kraft hat, Generationen zu vereinen. Mit einem Vorwort von Harald Lesch. Der Jugendrat der Generationenstiftung, Claudia Langer (Hrsg.): Ihr habt keinen Plan, darum machen wir einen! Blessing 2019, 12 Euro. (Amazon-Werbelink)

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