Innovationen sind facettenreich

Innovation Kanzlei, Foto: AdobeStock/metamorworks
Foto: AdobeStock/metamorworks

Innovationen in Kanzleien zeigen sich auf vielen Ebenen. Klar: Vor allem in der Einführung von technologischen und automatisierten Lösungen. Doch dieser Technologie-Change strahlt in zahlreiche weitere Bereiche, die von dem Wandel mitgezogen werden. Von Christoph Berger

Kommt man in der Rechtsbranche auf Innovationen zu sprechen, fallen schnell die Begriffe Digitalisierung und Legal Tech. Zu Recht, wie Dr. Daniel Halft, einst Richter, heute Anwalt, Kanzleiberater und Autor, auf die Frage „Was zeichnet für Sie eine innovative Kanzlei aus?“ antwortet: „An erster Stelle steht natürlich die Nutzung digitaler Werkzeuge zur Effektivitätssteigerung und Arbeitserleichterung.“

Ähnlich sieht es Ava A. Moussavi, die seit Oktober 2022 die Position Head of Legal Operations & Tech in der Kanzlei GvW Graf von Westphalen besetzt. Eine ihrer Aufgaben ist es, digitale Lösungen zur Erweiterung der Beratungsleistungen auf den Weg zu bringen und mit ihrem überörtlichen, interdisziplinären Team sogar eigene Tools zu entwickeln. Gegenüber dem karriereführer sagt sie: „Sämtliche Aufgaben im Bereich der Digitalisierung gehören zu meinen Aufgaben. Dabei geht es sowohl um die interne Digitalisierung bei GvW als auch um den externen Bereich, darum, wie wir unsere Mandanten beraten. Meinen Fokus richte ich darauf zu schauen, wo die jeweiligen Herausforderungen in der Arbeit liegen und wie diese Stellen sich mit Hilfe der Digitalisierung optimieren lassen. Bei der Optimierung ist es wichtig, eine herausfordernde Stelle in einem Arbeitsprozess nicht getrennt zu betrachten. Sie ist Teil eines gesamten Arbeitsprozesses, der insgesamt optimiert werden soll.“

Werden derartige Maßnahmen zielgerichtet umgesetzt, kommt es laut einer 2022 in den USA durchgeführten Studie zu einer ganzen Reihe von Vorteilen. Der „2022 Trends in Legal Transformation and Technology Report“ zählt Produktivitätssteigerungen, eine Verringerung von Datenschutz- und Sicherheitsrisiken, Kostensenkungen und bessere Chancen auf einen günstigen Ausgang von Rechtsstreitigkeiten auf.

Schritt für Schritt-Einführung

Doch um was geht es bei der Digitalisierung genau, wie erleichtert sie die Arbeit der Anwälte, was führt zu den anvisierten Effizienzsteigerungen? Konkret nennt Ava A. Moussavi zum Beispiel digitale Lösungen, die Anwälte in ihrem Alltag oder Mandanten selbst ohne anwaltliche Unterstützung bedienen können. Beispiele sind Dokumentengeneratoren, Analysesoftware, Projektmanagementsysteme oder auch Plattformen, auf denen die Anwälte und Mandanten kollaborieren können, beispielsweise in Massenverfahren oder Transaktionen. Dafür kommen diverse Technologien zum Einsatz – von sogenannten Low-Code Technologien hin bis zu Künstlicher Intelligenz. Oder die Kombination mehrerer. Dafür brauche es eine Offenheit gegenüber Technologien, weiß Moussavi. Die sollte in der Partnerschaft beginnen und sich von dort über die gesamte Kanzlei ziehen. Die Digital-Expertin fügt an: „Man muss die Kanzleien natürlich auch Schritt für Schritt in diese Richtung bringen. Das gilt auch für die Einführung von neuen Technologien, die neue Arbeitsmethoden und komplexe Systeme mit sich bringen. Wandel bedeutet, dass er Schritt für Schritt durchgeführt wird.

Auf dieser Weise wird der Erfolg davon sichergestellt.“ Doch es sind längst nicht nur Softwaretools und Technologien, die den Weg hin zu einer auf die Zukunft ausgerichteten Kanzlei ebnen. Daniel Halft führt als weiteren Baustein den Begriff Legal Design aufs Feld. Der hat zwar Schnittmengen zur Digitalisierung, fokussiert sich aber vorrangig auf Prozesse. „Anwaltskanzleien haben sich das nie so richtig bewusst gemacht. Oft lohnt sich aber die Frage: Wie können wir unsere Prozesse besser designen?“

Neue Kanzleistrukturen und -kulturen

Klar ist bei all dem: Ändern sich die Arbeitsweisen, Prozesse und Kommunikationsformen, verändert sich auch die Arbeitskultur in den Kanzleien. Mal abgesehen von den Wünschen und Anforderungen der jungen Generationen an die Profile ihrer Arbeitgeber, die längst nicht mehr nur das Gehalt in den Mittelpunkt ihrer Arbeitgeberwahl stellen, sondern auch Sinn oder die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. So treten junge Kanzleien auf den Markt, die neben dem hochprofessionellen Beratungsansatz das menschliche und verantwortungsvolle Arbeitsumfeld in den Mittelpunkt heben.

Das machen auch etablierte Großkanzleien, doch gehen manche jungen Kanzleien noch weiter: Sie brechen die klassische Kanzleistruktur auf. Auf der Internetseite von PXR heißt es beispielsweise: „So hat PXR keine traditionellen Kanzleihierarchien, lebt eine offene, diverse und wertegetriebene Kanzleikultur und ist in agilen Teams organisiert.“ Das Partnerprinzip gehört bei dieser gewählten Struktur der Vergangenheit an. Für Daniel Halft zeigt diese Entwicklung nicht nur Innovationsbereitschaft, sie führt regelrecht zu neuen, weiteren Innovationen: „Sie beflügelt das unternehmerische Denken, das sich alle auf die Fahnen schreiben, ermöglicht ein Agieren und Kommunizieren auf Augenhöhe, schafft Vertrauen, führt zu verantwortungsvollem Handeln und motiviert, sich an der Entwicklung von Lösungen zu beteiligen.“ Er fügt an: „Dieser Schritt ist schon extrem mutig.“

Weniger mutig, aber ebenso innovativ und zeitgemäß ist die Einführung variabler Arbeitszeitmodelle. Auch hier spielen Vertrauen und die Übergabe von Verantwortung an die Beschäftigen eine entscheidende Rolle. „Allerdings reicht es nicht, die 40-Stunden-Woche anzubieten, wenn damit der Aufstieg in den Partnerstatus verschlossen und weniger Gehalt verbunden ist“, sagt Halft. Es gehe um tatsächliche Alternativen zur Vollzeitstelle, um Sabbaticals und vielleicht sogar um work from anywhere. Bei gleichbleibenden Karrierechancen.

Gemeinsam zu Innovationen

Dass innovative Konzepte in der heutigen Zeit schließlich auch Kollaboration und Plattformökonomie bedeuten, zeigt eine Mitteilung aus dem Januar 2023. Darin kündigen die Kanzleien Ebner Stolz, Lutz Abel, Menold Bezler und Thümmel Schütze eine strategische Zusammenarbeit im Legal Automation & innovation (Legal Ai) Network unter der Koordination von OMM Solutions an. Ziel sei es, die zukünftigen Bedürfnisse der Mandanten über einen offenen Innovationsprozess vor dem Hintergrund der Digitalisierung systematisch zu identifizieren, erste Prototypen zu testen und marktnahe Lösungsansätze im Segment Legal Tech zu entwickeln oder zu finden, heißt es. Dabei würde die effiziente und gezielte Einbindung verschiedener Akteure – in das Netzwerk sind Vertreter*innen aus den Bereichen Recht, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft integriert – eine intensive Kollaboration und ein besseres Verständnis für die Rechtsberatung der Zukunft ermöglichen. Außerdem: „Für die Aufnahme weiterer Kanzleien ist das Legal Ai Network ausdrücklich offen.“ Es reicht demnach nicht mehr, still und heimlich vor sich hinzutüfteln, um so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Eine vernetzte Welt verlangt Vernetzung – zumal gilt: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser das Ergebnis. Schon allein dafür ist in der heutigen Zeit Kollaboration unerlässlich.

Wobei ein Grundsatz niemals vergessen werden sollte: Egal um welche Innovationsform es auch geht, für Daniel Halft gehört im Vorfeld einer jeden Umsetzung von Innovation die Frage nach deren Sinn: „Brauchen wir das überhaupt – und hilft es uns weiter?“