Interview mit Dr. Udo Oels

Forschung und Familie

Dr. Udo Oels, Mitglied des Vorstands der Bayer AG, ist heute zuständig für die Koordinierung der Forschung im gesamten Konzern. Er ist verantwortlich für Innovation, Technologie und Umwelt und betreut die Region Asien. Er hat seine beruflich gesteckten Ziele erreicht und dabei den Einklang mit seiner Familie nie aus den Augen verloren. von Heike Jüds

Herr Dr. Oels, welcher Arbeitstag ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Dr. Udo OelsDer 24. Januar 1996. An diesem Tag hat mir unser damaliger Vorstandsvorsitzender, Dr. Manfred Schneider, mitgeteilt, dass der Aufsichtsrat mich zum Mitglied des Vorstands berufen hatte. Dieser Tag wurde in seiner Bedeutung für mich nur übertroffen vom Tag der ersten Begegnung mit meiner Frau und von den Geburtstagen meiner beiden Kinder.
Zum 1. Februar 1996 bin ich dann in den Vorstand aufgerückt. Damit ging für mich ein Traum in Erfüllung, an dessen Realisierung ich nie geglaubt hätte. Ich denke, jeder junge Mensch träumt irgendwann von einer großen Karriere. Aber allen ist klar, dass nur ganz wenige in Führungsetagen vorstoßen können. Denn dazu gehört neben fundiertem Wissen, Können und Erfahrung auch eine ganze Menge Glück – und mir war Glücksgöttin Fortuna augenscheinlich sehr wohl gesonnen.

Wenn Sie sich an Ihre Studienzeit zurück erinnern. Welche Ziele hatten Sie sich gesteckt?
Ich wollte immer schon Chemiker werden. Seit meiner frühesten Jugend habe ich mich sehr für Naturwissenschaften interessiert, deshalb habe ich nach meiner Schulzeit an der Technischen Universität in Hannover Chemie studiert. Als Student sah ich in der Forschung und Technik mein angestrebtes Ziel. Ich habe in der Innovation den Schlüssel für den Fortschritt schlechthin gesehen. Nach dem Examen habe ich konsequenterweise eine Tätigkeit als Leiter einer Forschungsgruppe Biotechnologie an der Universität angenommen. 1976 bin ich dann zur Bayer AG gegangen – zunächst auch als Verfahrensentwickler in der Zentralen Forschung und Entwicklung des Uerdinger Werkes. Damals glaubte ich bereits, am Ziel meiner Träume zu sein, denn Forschung und deren Realisierung unter industriellen Bedingungen schien mir überaus erstrebenswert.
Im Laufe einer Industriekarriere lernte ich immer wieder neue Berufe dazu. Ich wurde mit wechselnden und mitunter sogar unterschiedlichsten Aufgaben konfrontiert. So habe ich zwar häufig die Funktion gewechselt, aber die Forschung zieht sich wie ein roter Faden durch meine bisherigen 27 Bayer-Jahre.

Als Sie sieben Jahre bei Bayer waren, sind Sie für das Unternehmen nach Texas gegangen. Welche Erfahrungen, die Sie in den USA gemacht haben, haben Sie am meisten geprägt?
Einer der Gründe, zu Bayer zu gehen, war für mich damals die Herausforderung, in einem großen Konzern vielleicht auch international eingesetzt zu werden. Als es dann tatsächlich soweit war, war ich zunächst skeptisch, vielleicht sogar ängstlich. Aber am Ende der Aufenthaltszeit – bei Bayer bleibt man zwischen drei und fünf Jahren im Ausland – wollte ich gar nicht mehr zurück in die Heimat. Meine Familie und ich haben die Zeit in den USA sehr genossen, haben vieles gelernt und Freunde gefunden, mit denen wir noch heute sehr eng verbunden sind. Außerdem habe ich geschäftlich sehr viel mit Amerikanern zu tun. Da profitiere ich ganz besonders von meinen interkulturellen Erfahrungen. Wenn man vor Ort gelebt hat, erleichtert es das Verständnis untereinander und das Umgehen miteinander extrem.

Wie hat sich dieser Auslandsaufenthalt auf Ihre weitere Karriere ausgewirkt?
Das müssten Sie diejenigen fragen, die darüber zu befinden hatten. Aber generell kann man sagen, dass wir von unseren oberen Führungskräften im Allgemeinen internatio-nale Erfahrung erwarten. Bayer ist ein Global Player, also ein Unternehmen, das auf allen Märkten der Welt vertreten ist. Deshalb ist es für Führungskräfte erforderlich, sich auf internationalem Parkett bewegen und auf spezifische kulturelle Unterschiede reagieren zu können. Wo könnte man diese Erfahrungen besser sammeln, als während eines längeren Aufenthaltes im Ausland?

Halten Sie es sinnvoll, schon während des Studiums ein „Auslandsjahr“ einzulegen?
Das kann sinnvoll sein, erscheint mir aber nicht zwingend notwendig. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen würde ich zwar jedem Studenten dringend raten, eine Auslandsstation fest in die Berufs- und damit auch in die Lebensplanung einzubeziehen. Das kann aber auch im Anschluss an ein Studium geschehen oder im Rahmen eines Post-doc-Jahres. Und wer die Chance bekommt, für ein internati-onales Unternehmen zu arbeiten, kann diese Erfahrungen auch während des Berufslebens machen – dann sogar unter Praxisbedingungen.

Kommen wir noch einmal zurück zur Forschung. Worin lag für Sie der Reiz, Forschungschef der organischen Chemie zu sein?
Zunächst einmal kann man sich für diese Tätigkeit nicht bewerben, allenfalls empfehlen. Denn über die Besetzung von derartigen Positionen entscheidet normalerweise der Vorstand. Ich habe mich seinerzeit sehr gefreut, als bei Bayer 1989 die Wahl auf mich fiel, denn so kam ich auch im fortgeschrittenen Teil meines Berufsweges quasi zurück zu den Wurzeln. Ich fand es besonders spannend, an verantwortlicher Stelle alle Aktivitäten in diesem Bereich zu koordinieren, Impulse zu setzen und die Auswahl der Forschungsgebiete aktiv beeinflussen zu können. Die Suche nach neuen Möglichkeiten und Verfahren hat mich eben immer gereizt.

Wie verbinden Sie Ihre Aufgaben als Vorstand, in dem Sie für Innovation, Technik und Umwelt verantwortlich sind, und Ihre Aufgabe als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses „Technik und Umwelt“ im Verband der Chemischen Industrie?
Das ist eine ideale Kombination, denn in beiden Bereichen ist ein Großteil der Zielvorgaben identisch. Nehmen Sie das Beispiel Umweltschutz: Die Chemische Industrie in Deutschland hat in den vergangenen 20 Jahren Großes geleistet und gilt als Vorreiter des Umweltschutzes weltweit. Dies kann nur gelingen, wenn nicht ein Unternehmen sich anstrengt, sondern eine ganze Branche. Da Stillstand bekanntlich Rückschritt bedeutet, wollen wir in Deutschland auch in Zukunft in den Bereichen Umweltschutz, Sicherheit, Gesundheit und Nachhaltigkeit Maßstäbe setzen – im Verband wie in unserem Unternehmen.

Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit bewirken?
Die Chemie war und ist eine Schlüsselindustrie, ohne deren Produkte und Entwicklungen es in vielen anderen Branchen keinen Fortschritt geben würde. Dennoch steht sie mitunter im Brennpunkt der öffentlichen Kritik. Wir arbeiten sehr intensiv daran, solche Vorurteile abzubauen – was bereits sehr gut gelungen ist, wie jüngste Meinungsumfragen beweisen. Dennoch müssen wir immer wieder deutlich machen, welche Rolle dieser Industriezweig für die Gesellschaft spielt, denn die Produkte der Chemie prägen den gesamten Alltag. Nehmen Sie nur das Beispiel Auto: Ein Wagen besteht heutzutage bis zu einem Drittel aus Chemiewerkstoffen, die dazu beitragen, die Fahrzeuge sicherer, langlebiger, komfortabler und vor allen Dingen sparsamer im Verbrauch und damit umweltverträglicher zu machen. Chemie und Umweltschutz schließen sich nämlich nicht aus – ganz im Gegenteil: Erst Entwicklungen aus der Chemie haben dazu beigetragen, den Schutz der Umwelt in vielen Bereichen zu verbessern. Und unsere Branche selbst setzt auch Zeichen: Nehmen Sie nur die weltweite Diskussion über die Treibhausgase. Während manche Nationen sich nicht einmal um die Vorgaben der Kyoto-Vereinbarung kümmern, gehört Deutschland zu den Musterknaben. Wir bei Bayer zum Beispiel haben schon heute die nationalen und internationalen Ziele, die für das Jahr 2010 vorgegeben waren, nicht nur erreicht, sondern sogar schon deutlich übertroffen.

Wo liegen Ihre beruflichen Schwerpunkte in der Region Asien?
In meiner Funktion als Vorstandsmitglied bin ich unter anderem zuständig für die Koordination unserer Aktivitäten in Asien. Das ist aus unserer Sicht ein besonders wichtiger Markt der Zukunft, speziell China. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von neuen Projekten in dieser Region gestartet. Allein in China werden wir in nächster Zeit zahlreiche neue Produktionsanlagen bauen, denn mit der Öffnung zum Westen wir das Interesse an neuen Produkten sprunghaft steigen. Deshalb engagieren wir uns im Reich der Mitte besonders stark, denn man muss in diesen Märkten auch vor Ort mit eigenen Produktionsstätten und Gesellschaften vertreten sein.

Betreuen Sie die Region aus der Ferne oder auch vor Ort?
Natürlich auch vor Ort. Ich bin zwischen sechs- und achtmal pro Jahr in Asien. Manchmal fliege ich sogar nur für einen Tag nach China oder Singapur, wenn wichtige Veranstaltungen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft meine Präsenz erforderlich machen. Gerade in Asien legt man großen Wert auf persönliche und direkte Kontakte.

Wie lautet Ihr Lebensmotto?
Beruf und Familie in Einklang bringen! Das ist nicht immer einfach, gerade in Positionen mit zunehmender Verantwortung und zeitlicher Belastung. Ich war auch beileibe nicht immer erfolgreich, aber meine Familie hat stets schon den Versuch als guten Willen gewertet.

Was wollten Sie in Ihrem Leben immer erreichen?
Ich bin mit dem Erreichten mehr als zufrieden. Demnächst werde ich 60 – da sollte man sich keine allzu großen Ziele mehr setzen. Aber wenn auch Träumen erlaubt ist: Wenn ich ab und an Zeit zum Golfspiel habe, träume ich wie sicherlich alle Golfer von einem Hole-in-one. Aber das wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch immer ein Traum bleiben.