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Interview mit Annette Kulenkampff

Annette Kulenkampff leitet den Hatje Cantz Verlag in Ostfildern bei Stuttgart. Als einer der international führenden Fachverlage für Kunst führt er ein umfangreiches Programm zur Alten Kunst, zur Kunst des 20. Jahrhunderts und zur Zeitgenössischen Kunst sowie zu Fotografie, Architektur und Design. Alle Publikationen zur dOCUMENTA (13) erscheinen bei Hatje Cantz. Das Interview führte Wolf Alexander Hanisch.

Zur Person

Annette Kulenkampff wurde 1957 in Hannover geboren. Nach dem Abitur war sie zunächst Stewardess bevor sie ihr Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Archäologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main aufnahm und 1984 mit dem Magister Artium abschloss. 1985 bis 1989 arbeitete sie in einer Galerie in Frankfurt am Main und leitete anschließend bis 1994 die Publikationsabteilung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

1995 stieg sie als Assistentin der Geschäftsführung bei der Verlagsgemeinschaft Hatje Cantz ein und ist seit 1997 Geschäftsführerin des Hatje Cantz Verlags. Ehrenamtliche Tätigkeiten: Vorsitzende des Verwaltungsrates des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart, Mitglied im Vorstand der Freunde der Staatsgalerie Stuttgart, Mitglied im Vorstand des Literaturhauses Stuttgart.

Die künstlerische Leiterin der Documenta, Carolyn Christov-Bakargiev, ist eine Frau mit weitem Horizont: Von Verhaltensforschung über die Gentechnik bis zur Alchemie reichen ihre Interessen. Inwieweit hängt die Schriftenreihe „100 Notizen – 100 Gedanken“, die der Hatje Cantz Verlag anlässlich der 13. Documenta veröffentlicht, mit diesem weit verzweigten intellektuellen Spektrum zusammen?
Beides hat natürlich viel miteinander zu tun. Und dies nicht nur, weil die Kuratorin die Publikationsreihe beauftragt hat. Schließlich bietet „100 Notizen – 100 Gedanken“ Autoren aus vielen unterschiedlichen Disziplinen eine Plattform – von Kunst, Naturwissenschaften, Philosophie und Psychologie über Anthropologie, Ökonomie und Politik bis zu den Literatur- und Sprachwissenschaften. Die Grundidee der Hefte ist die, dass jeder Gedanke sich irgendwann zum allerersten Mal seine Form sucht. Also zum Beispiel dann, wenn sich Albert Einstein am Beginn seiner Überlegungen zur Relativitätstheorie zwei Striche in sein Notizbuch macht. Entsprechend vielfältig präsentieren sich die Formate der Editionen. Sie bestehen zum Teil aus Faksimiles handschriftlicher Aufzeichnungen, aus Essays und Gesprächen oder aus Zeichnungen und flüchtigen Skizzen.

Das heißt, dass man beim Blättern Gedankengebäuden bei ihrer Entstehung zusehen kann?
In ihren ganz frühen Entwicklungsstadien, ja. Man hat es mit einem großen Kaleidoskop aus 100 Teilen zu tun, das mal acht, mal 16, mal 48 Seiten umfasst, und das durch seine Heterogenität eine Art Bestandsaufnahme der gegenwärtigen intellektuellen Welt ist. Und auf diese Gedankenwelt greifen ja Künstler zurück, während sie ihre Werke konzipieren und an ihnen arbeiten. Wenn Sie so wollen, bildet „100 Notizen – 100 Gedanken“ den Nährboden ab, aus dem Kunst, Kultur und vieles mehr erwachsen.

Dazu passt, dass die Autoren der Titel von Carolyn Christov-Bakargiev zu den Künstlern der 13. Documenta gezählt werden. Darunter sind auch längst verstorbene wie Theodor Adorno oder Walter Benjamin …
… und das nicht ohne Grund. Gerade diese beiden Philosophen haben ja Zusammenhänge herausgearbeitet, die konstitutiv sind für die heutige Kunst. Ohne ihre Gedanken und Theorien wäre die aktuelle Kunstszene nicht die, die sie ist. Auch jene nicht, die wir auf der Documenta erleben.

Wenn hier der Kunstbegriff schon so weit gespannt wird: Wäre es da nicht konsequent, auch die Leser Ihrer Schriftenreihe zu Künstlern zu deklarieren – getreu Joseph Beuys’ berühmten Diktum, nachdem jeder Mensch ein Künstler sei? Immerhin entsteht ja jedes Buch erst im Kopf des Lesers …
Das wäre absolut konsequent und richtig. Und dieser Gedanke ist ja gerade auf der 13. Documenta sehr präsent. Die Wechselwirkung zwischen Kunst und Betrachter ist immer hoch spannend und interessiert Carolyn Christov-Bakargiev ungemein. In einer Ausgabe von „100 Notizen – 100 Gedanken“ findet sich etwa ein Gedicht eines Chinesen in verschiedenen Übersetzungen. Alle sind gut – aber alle sind sehr verschieden, obwohl sie vom selben Originaltext ausgehen. Anhand dieser Transformationen kann man sehr schön erleben, wie enorm relativ die Phänomene der Welt sind und wie stark wir alle mit unseren persönlichen Hintergründen involviert sind, wenn es um ihre Bedeutung oder Wirkung geht.

Das erinnert an den Wunsch von Carolyn Christov-Bakargiev, die sagt, dass sich die Besucher etwas unsicherer fühlen sollen, wenn sie die Documenta gesehen haben. Dass sie lernen sollen, alles angeblich Gewusste durcheinander zuwirbeln, um noch einmal von vorn zu beginnen. Ist das ein Plädoyer für den Zweifel, der auch der Buchreihe entspricht?
Durchaus. Skepsis, Infragestellung, Zweifel – all das braucht es ja, wenn etwas Neues entstehen, wenn überhaupt so etwas wie Kreativität Einzug halten soll. Nur eine kritische und manchmal eben auch destruktive Haltung bringt ja erst Dynamik in die Sache. Wenn alles als fertig betrachtet würde – wo soll dann die Bewegung herkommen? Insbesondere die Kunst ist ja immer im Fluss, immer unfertig, immer im Umbruch. Es ist nur bezeichnend, dass Christov-Bakargiev das Vermittlungsprogramm der diesjährigen Documenta „Maybe Communication“ nennt. Während die Aufforderung der aktuellen Marlboro-Werbung „Don’t be a Maybe“ lautet, würde Carolyn Christov-Bakargiev zum Gegenteil aufrufen: „Be a Maybe!“

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