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Interview mit Henner Mahlstedt

Baustellen faszinierten ihn schon immer, und auf seinem Weg in die Vorstandsetage des Baukonzerns Hochtief hat er im Laufe der Jahre manche Baustelle besucht, geleitet und koordiniert. Im karriereführer erzählt Henner Mahlstedt, wie sich der Beruf des Bauingenieurs gewandelt hat, wo der Kernbereich der Zukunft liegt und warum bei öffentlichen Bauten so oft die Kosten explodieren. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Henner Mahlstedt (Jahrgang 1953) studierte Bauingenieurwesen an der Technischen Universität in Braunschweig. Anschließend begann er bei Strabag Bau in Hamburg eine praktisch orientierte Laufbahn. Er war zunächst Statiker und Projektkoordinator, später dann Projekt-, Bau- und Bauoberleiter.
Seine erste Führungsposition war die des Leiters der Strabag-Niederlassung Hamburg/Schleswig-Holstein. Nach weiteren Führungsstationen bei Unternehmen aus der Bauindustrie in Berlin, Köln und München kam Henner Mahlstedt schließlich 2003 zu Hochtief Construction nach Essen, wo er die Leitung des Bereichs Ost übernahm. Im Jahr 2005 rückte er in den Vorstand auf, seit April 2007 ist er Vorstandsvorsitzender.

Herr Mahlstedt, wie äußert sich die Freude an Ihrem Beruf an einem ganz normalen Tag wie diesem?
Als Bauingenieur schafft man etwas. Etwas zum Sehen und Anfassen, etwas von Bestand. Und ich spüre immer eine große Befriedigung, wenn ich durch die Stadt fahre und ein Gebäude sehe, an dem ich in irgendeiner Form mitgearbeitet habe – ob nun früher als junger Ingenieur, später als Bauleiter oder heute in verantwortlicher Position. Zudem begeistern mich bis heute Baustellen, weil sie täglich anders aussehen und uns vor technische oder planerische Herausforderungen stellen.

Finden Sie denn die Zeit, die vielen Baustellen von Hochtief zu besuchen?
Das ist zwangsläufig weniger geworden, aber mir gelingt es, regelmäßig die größeren zu besuchen. Um mich dort einzubringen, aber auch zu den schönen Anlässen wie Grundsteinlegung, erster Spatenstich, Richtfest oder Übergabe.

Diese alten Traditionen sind auch heute noch unverzichtbar, oder?
Ja, weil wir darauf bestehen und sich kein Auftraggeber traut, damit zu brechen. Wobei man sagen muss, dass diese Anlässe vor allem bei gewerblichen Bauten natürlich dazu genutzt werden, ein wenig Werbung für das Projekt zu machen.

Mit dem Blick eines Bauingenieurs: Haben Sie derzeit eine Lieblingsstadt?
Berlin. Die Stadt hat nach der Maueröffnung eine unglaubliche Entwicklung erfahren. Nehmen Sie den Bereich zwischen Hauptbahnhof und Potsdamer Platz: Anfang der Neunzigerjahre war da noch grüne Wiese, heute ist es ein Gebiet, auf dem sich nahezu alle weltweit bekannten Architekten verewigt haben. Aber es sind nicht nur die sichtbaren Projekte, die mich begeistern. Wenn ich am Eingang des Gotthard-Tunnels mit einer Kleinbahn 25 Kilometer tief in den Berg zur Ortsbrust fahre, dann ist das schon sehr spannend, weil das Bauteam dort nie genau weiß, auf was es stoßen wird, wenn der Bohrer einmal läuft.

Wie nehmen Sie die Natur wahr, die sich Ihnen bei solchen Projekten in den Weg stellt?
Sie verlangt uns einiges ab. Das gilt auch, wenn wir nahe an der Küste oder, wie es verstärkt kommen wird, offshore arbeiten. Wenn da der Wind bläst und hoher Seegang herrscht, sind Mensch und Gerät gefordert. Wer da keinen Respekt hat und kein Risikobewusstsein entwickelt, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren. Wir sprechen nicht ohne Grund von Naturgewalten.

Wenn Sie auf den Beginn Ihrer Laufbahn zurückblicken, welchen grundlegenden Wandel hat die Baubranche in den vergangenen Jahren erlebt?
Früher war es üblich, dass man als Bauingenieur für den Rohbau sowie erweiterte Rohbauarbeiten zuständig war. Man hat das mit dem eigenen Personal erledigt – und dann zog man weiter. Heute dagegen erschaffen wir ganzheitlich. Bauingenieure erbringen heute zu einem großen Teil eine Managementleistung. Sie müssen daher fachlich breit aufgestellt sein, und ich empfehle angehenden Bauingenieuren, diese Anforderung schon im Studium im Blick zu haben.

Koordinieren statt schaffen – befürchten Sie, dass das eigentliche Bauen in einem Unternehmen wie Hochtief immer weniger Gewicht bekommt?
Das Pendel ist tatsächlich etwas zu weit ausgeschlagen. Aber ich erkenne bereits einen Trend zurück zur eigenen Wertschöpfung, damit Bauunternehmen am Bau weiter ihre „Hausmacht“ behalten. Man darf aber nicht verkennen, dass sich die Herausforderungen unwiderruflich geändert haben. Was heute in einem Gebäude an Fassaden-, Regelungs- und Haustechnik verlangt wird, ist schon enorm. Wir haben vor 25 Jahren Häuser gebaut, deren Energiebilanz heute nicht mehr ausreichend ist. Wer schätzen soll, wer das meiste CO2 produziert und die meiste Energie verbraucht, nennt zumeist das Auto. Stimmt aber nicht. Es sind die Gebäude. Da gibt es einen riesigen Bedarf, etwas zu tun. Die Sanierung von Häusern ist einer der großen Kernbereiche von morgen.

Man fordert von Ihnen Gebäude, die einerseits nachhaltig sein sollen, andererseits aber wenig kosten dürfen. Wie kommen Sie aus dem Dilemma heraus?
Indem wir uns bei einem Bauvorhaben möglichst früh mit unserer Kompetenz einbringen. In einer frühen Planungsphase können wir dem Architekten und dem Bauherrn Vorschläge machen und das Gebäude optimieren. Wenn draußen erst einmal gebaut wird, können Sie nicht mehr viel ändern. Für den Bauingenieur von heute bedeutet das: Er muss planerisch fit sein und ganzheitlich denken. Ein Großteil der Kosten entsteht nicht in der Bauphase, sondern im späteren Betrieb.

Beim Bau der Elbphilharmonie in Hamburg kam es zu einem heftigen Streit zwischen Ihnen und der Politik, da trotz intensiver Vorplanung die Baukosten in den Himmel stiegen: 241 Millionen waren es 2006, 378 Millionen werden es nun wohl werden. Das ist fast das Doppelte. Was ist da schiefgelaufen?
Was sich die Politik in Hamburg mit der Elbphilharmonie vorgenommen hat, ist der Bau eines Unikats. Es werden auf der Welt nicht viele Philharmonien gebaut, das ist kein Routinevorhaben. Am Opernhaus in Sydney hat man 14 Jahre gebaut, die Kosten waren am Ende fast 15mal so hoch wie geplant. Sie können bei Vorhaben dieser Qualität schlichtweg nicht bis ins letzte Detail planen und Vorhersagen treffen. Dafür ist ein Gebäude dieser Art viel zu komplex und einzigartig – zumal wenn es, wie in Hamburg, an einem so herausfordernden Ort wie der Hafencity gebaut wird.

Naiv gefragt: Warum dann nicht die Kosten direkt höher ansetzen?
Ich glaube, das liegt nicht so sehr in unserem Portfolio. Wir bewegen uns im Wettbewerb und bewerben uns auf eine Ausschreibung, die vorgibt, was zu bauen ist. Wenn wir gewinnen, setzen wir das um, wobei in diesem Fall keiner die Komplexität des Vorhabens einschätzen konnte. Auch für die Planer ist dieses Projekt Neuland. Wir gehen noch heute mit großen Modellen auf die Baustelle, um den Arbeitern dort überhaupt darlegen zu können, was genau sie da gerade bauen. Es wird in der Elbphilharmonie erstklassige Konzertsäle, Wohnungen, Restaurants, Geschäfte sowie ein Hotel geben – und 100 Meter entfernt legen riesige Schiffe an und tröten. Damit all das zusammenpasst, wird so ein Gebäude zum Haus der 100.000 Abhängigkeiten.

Zum Unternehmen

Die Hochtief Construction AG ist der praktische Arm des 1875 gegründeten Essener Baukonzerns Hochtief. Hochtief Construction baut weltweit Wohnungen und Industriebauten, Straßen und Flughäfen. Durch prestigeträchtige Bauvorhaben hat sie sich international einen Namen gemacht. Derzeit arbeitet das Unternehmen am St.-Gotthart-Tunnel in der Schweiz, an Wasserkraftwerken in Schottland und Chile sowie an einer achteinhalb Kilometer langen Luxus-Shopping-Meile in Katar.

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