Interview mit Bruder Paulus

"Bremse einbauen"

Bruder Paulus, Foto: W. Bergmann
Bruder Paulus, Foto: W. Bergmann

(Aus Berufsziel 1.2009) In seiner Institution wird die Moral verwaltet. Bruder Paulus leitet das Kapuzinerkloster Dieburg bei Darmstadt (bis April 2009, heute ist er Guardian des Kapuzinerklosters Liebfrauen in Frankfurt am Main. Anm. der Red.). Der medien affine Referent, Buchautor und TV-Talker bietet Online-Seelsorge auf www.bruderpaulus.de an und Predigten per RSS. BERUFSZIEL bat ihn um ein Wort zum Samstag.

Viele sehen in der Finanzkrise eine moralischethische Krise.
Viele haben ja auch nach dem Motto gelebt: „Wenn jeder an sich selber denkt, ist an jeden gedacht.“ Das hat sich als falsch erwiesen. Wir können nicht ein Marktsystem aufbauen, in dem sich nur der Stärkste durchsetzen kann. Wir gedenken dieses Jahr Charles Darwin, da ist es wichtig, noch einmal zu betonen, dass der Mensch nicht darauf angelegt ist, nach einem Ausleseverfahren mit dem anderen zu leben. Wenn alle nur auf Kosten des anderen zu Reichtum kommen wollen, muss irgendwo eine Bremse eingebaut werden, die besagt: Nein, das mache ich nicht.

Was hilft, sich alter Tugenden zu besinnen?
Tugend kommt von tauglich: Der Mensch braucht etwas, mit dem er sich tauglich macht für ein wertorientiertes Leben. Die alten Kardinaltugenden Glaube, Hoffnung und Liebe sind es, mit denen der Mensch sich fit dafür macht, dass er nicht als Maschine lebt und automatisch reagiert. Er ist vielmehr ein vom Geist Bewegter, jemand, der die Herzensgründe achtet.

Bruder Paulus im Web:
www.bruderpaulus.de

Was würde sich ändern, wenn wir uns mehr vom Geist lenken lassen?
Wir würden unser Leben kreativer gestalten, weil wir merken, dass wir wirklich Individuen sind.
Führende Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Volksökonomie daran krankt, dass wir einer Mathematisierung erlegen sind. Wir glauben, dass wir alles ausrechnen und vorhersagen können. Das ist aber eben nicht so: Der größte Unsicherheitsfaktor ist der Mensch. Er muss zu einer freien Entscheidung eingeladen werden, die sich an Werten orientiert und nicht an Bilanzen.

Was bekommen die Verzocker aus der Wirtschaft beim Jüngsten Gericht zu hören?
Ich glaube, jeder Einzelne hat die Wirtschaftswelt verzockt. Wer ein T-Shirt für drei Euro kauft, hat die gleiche Mentalität wie die vielgescholtenen Bankenmanager. Wir werden alle zur Rechenschaft gezogen, weil wir glauben, nur unseren persönlichen Vorteil aus dem Leben ziehen zu dürfen. Übrigens: Die Hölle ist ja nicht etwas, das später kommt, sie ist eine Strafe Gottes, die wir jetzt schon erleben. Schauen Sie, wie viel Angst die Menschen voreinander haben: all die Sicherheitssoftware, Ketten und Zäune. Es macht ja auch wirklich Angst, wenn man den Eindruck hat, dass der andere immer möglichst viel aus einem herausholen will.

Welchen Zinssatz halten Sie für moralisch vertretbar?
In der Bibel gibt es das Zinsverbot. Dies war damit begründet, dass wir unsere Gaben von Gott empfangen haben und wir sie anderen zur Verfügung stellen sollen, damit sie auch wirtschaften können. Zinsen müssen heute so gut berechnet sein, dass der Ausleihende selber nicht zu Schaden kommt, aber daran auch nicht reich wird. Mit Geld Geld zu verdienen, ist eines der unmoralischsten Dinge, die ich mir vorstellen kann. Ich kenne aber auch Menschen, die Studenten Geld für ein Studium zur Verfügung stellen. Was für eine Investition vom Menschen in den Menschen!

Würde in Ihrem Zeugnis stehen, dass Sie ehrlich, pünktlich und fleißig waren?
Darin würde stehen: Wenn er ein Wort gesagt hat, dann deshalb, weil er davon überzeugt war, dass es gesagt werden musste – ohne Rücksicht auf Verluste. Er kam auch mal zu spät, wenn es erforderlich war, den Menschen höher zu stellen als irgendwelche übergeordneten Erwartungen. Und hoffentlich würde darin stehen, dass ich zuverlässig war und man von mir nichts verlangen konnte, das meinen Werten widersprach. Dass ich eher bereit war, arm und moralisch als reich und unmoralisch zu sein.