Interview mit Christoph Schickhardt

Fälle um Bälle

Seine Fälle drehen sie sich um den Lieblingssport der Deutschen. Seine Mandanten: Vereine, Trainer, Spieler. Er hat sich einen Namen gemacht in der Welt des runden Leders, ist dabei aber auf dem Boden geblieben. Freut sich über jeden Fall, der ihn quer durch Deutschland führt. Nach einem Gerichtstermin in Köln kam er uns besuchen und erzählte mit schwäbischem Tonfall von seiner Leidenschaft: dem Fußball. Von Viola Strueder und Anne Thesing, aus karriereführer recht 2004.2005

Zur Person Christoph Schickhardt

Christoph Schickhardt, Foto: Schickhardt

Schwerpunkte der anwaltlichen Tätigkeit von Christoph Schickhardt sind das Recht des professionellen Sports, Wettbewerbsrecht und Maklerrecht.

Über 600 Verfahren vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes zählen zum Erfahrungsschatz des 1983 zugelassenen Anwalts. Zunächst absolvierte Christoph Schickhardt eine Ausbildung im Sportjournalismus bei den Stuttgarter Nachrichten. Gleichzeitig studierte er Rechtswissenschaften an der Universität in Tübingen. Der Ludwigsburger spielte selbst Fußball bis zur A-Jugend bei 07 Ludwigsburg und bezeichnet den Sport als seine große Leidenschaft.

Geboren wurde Christoph Schickhardt am 14.03.1955 in Essen. Aufgewachsen ist er jedoch in Ludwigsburg, wo er auch die Schule und die Referendarzeit bei der Stadt, dem Landgericht und der Staatsanwaltschaft absolvierte.

Es ist Samstag. Anpfiff. Die Fußballwelt sitzt im Stadion oder vor dem Fernseher. Und Sie, Herr Schickhardt?
Ich auch. Mir werden alle Fußballspiele direkt auf den Bildschirm übertragen. Da gibt es ja mittlerweile enorme technische Möglichkeiten – Motion, Slow Motion, Super-Slow-Motion, Standbilder und so weiter. Laufende Bilder und Standbilder der einzelnen Spielszenen werden mir heute per Internet direkt auf den Bildschirm übertragen. Schon am Samstag muss ich die Entscheidungen des Schiedsrichters beurteilen – und immer dabei berücksichtigen, dass er seine Entscheidungen in Sekunden fällt. Das Problem ist, dass sich schon in kürzester Zeit Millionen Zuschauer ein Urteil gebildet haben. Und dass alle Beteiligten äußerst nervös sind. Und je näher das Saisonende kommt, so im April, Mai, umso nervöser werden sie.

Was passiert dann in den Tagen nach den Spielen?
Samstag und Sonntag gibt es die ersten Gespräche, Sonntag mache ich den Schriftsatz, bis Montag Morgen um zehn Uhr sind 80 Prozent der Fälle abgeschlossen. Alle Beteiligten arbeiten hoch-professionell und partnerschaftlich zusammen. Jeder weiß was er vom anderen zu halten hat. Das DFB-Sportgericht, der Kontrollausschuss und die Geschäftsstelle sind absolut hochgradig besetzt. Wenn so schnell keine Einigung zustande kommt, findet dann am Donnerstag die mündliche Verhandlung statt. Alle Fälle werden also in der Folgewoche abgeschlossen.

Ein richtiges Wochenende haben Sie also nicht?
Nein, wie jeder andere Anwalt habe auch ich eine Sieben-Tage-Woche. Wer das nicht akzeptiert, sollte sich einen anderen Beruf suchen. Aber die meisten wollen das auch so.

Und wie gestalten Sie Ihre Arbeitstage?
Nun, da ist zum einen die Schreibtischarbeit, die erledige ich in den Morgenstunden. Manchmal fange ich schon um fünf Uhr morgens an, dann habe ich einfach am meisten Ruhe. Tagsüber ist viel zu viel los. Die Verhandlungen finden oft abends statt, Reisen muss ich Tag und Nacht. Selbst im Urlaub bin ich am Ball.

Und wie sieht Ihre Freizeit aus?
Der Job hat immer Vorrang, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Es ist wirklich keine Seltenheit, dass mich ein Fußballmanager abends um 23 Uhr anruft. Und das ist sein gutes Recht. Schließlich ruft er an, weil der Druck in diesem Moment da ist, etwas zu regeln. So ist nun mal das Geschäft. Wenn einem das nicht passt, muss man sich einen anderen Job mit „16.00 Uhr-Feierabend-Garantie“ suchen.

Das klingt nach einem harten Job.
Ja, aber das ist ein Beruf, den Sie nur mit Haut und Haaren machen können. Wenn Sie mit angezogener Handbremse arbeiten, merken die Mandanten das sofort.

Aber Ihnen gefällt Ihre Arbeit?
Ja, der Anwaltsberuf ist wirklich der Schönste, den es gibt, weil es der Unabhängigste ist. Ich habe keinen Chef, kann mir die Mandanten weitgehend aussuchen und kann jedem das sagen, was ich für richtig halte.
Außerdem bringt der Beruf immer etwas Neues. Ich lerne ungeheuer interessante Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen kennen, die ich sonst nie kennen gelernt hätte und von denen ich viel erfahre und lerne. Viele von ihnen – Vereine, Trainer, Spieler – halten mir seit 20 Jahren die Treue.

Fußball ist ein Sport, der von den Medien lebt. Welche Rolle spielen für Sie die Medien?
Eine sehr große. Viele meiner Prozesse werden im Grunde in den Medien entschieden. Der Erstschlag muss sitzen, und der muss auch medienmäßig professionell begleitet werden. Deshalb macht die Medienarbeit auch einen großen Teil meiner Tätigkeit aus: Kontakte knüpfen, Presseerklärungen vorbereiten, Gespräche mit Journalisten führen, und, und, und. Auch in diesem Bereich ist Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit das größte Kapital.

Gefällt es Ihnen, einen Beruf von öffentlichem Interesse zu haben?
Das hängt davon ab, wie die Fälle laufen (lacht). Natürlich ist das Ganze auch mit einem hohen Risiko verbunden. Wenn Sie einen gravierenden Fehler machen, sind Sie weg vom Fenster und können schnell als Trottel dastehen. In anderen Anwaltsberufen ist das anders – die Fälle eines Scheidungsanwalts stehen zum Beispiel nicht gleich in der Bildzeitung.
Aber insgesamt ist es auf jeden Fall interessanter, in einem Bereich tätig zu sein, der die Öffentlichkeit interessiert.

Fast wären Sie ja selbst Sportjournalist geworden…
Ja, während des Jurastudiums habe ich eine Ausbildung bei den Stuttgarter Nachrichten gemacht. Das war eine sehr gute Ausbildung, die mich sehr geprägt hat. Das „pralle Leben“, sozusagen. Ich habe das Rüstzeug für einen harten Job erhalten. Noch heute hat der Sportjournalismus für mich einen ungeheuren Reiz. Zu den Kollegen von damals bestehen noch heute viele Verbindungen.

Aber Sie haben sich dann doch fürs Sportrecht entschieden.
Erst einmal habe ich mich nach der Ausbildung nur für den Anwaltsberuf entschieden. Mit dem Sport hatte ich damals innerlich schon abgeschlossen. Als ich Anwalt war, kamen aber immer wieder und immer mehr alte Bekannte und neue Mandanten aus dem Sport zu mir, und so nahm das Ganze seine Anfänge.

Damit waren Sie wieder bei „Ihrem Lieblingsthema“?
Ja, die persönliche Leidenschaft für den Fußball ist einfach da und muss auch da sein. In diesem Beruf müssen Sie denken wie einer aus dem Fußballgeschäft. Sie müssen die Sprache der Fußballer sprechen. Rechtlich ist das Ganze gar nicht so besonders schwierig. Wichtig ist, dass ei hier tätiger Anwalt die rechtlichen und wirtschaftlichen „Pferdefüße“ erkennt.

Wie viele Clubs der Bundesliga vertreten Sie?
Zirka zehn Bundesligavereine – mit jeweils unterschiedlicher Intensität. Manche Vereine übertragen mir alle Rechtssachen, andere beauftragen mich nur in größeren und wichtigeren Streitigkeiten mit Öffentlichkeitswirkung, für andere wiederum bin ich nur bei Platzverweisen zuständig. Und Borussia Dortmund war leider immer mein Gegner. Das Geschäft hat auch sehr viel mit Emotionalität zu tun. Sie müssen sich mit breitem Rücken vor die Mandanten stellen, da werden leider auch die Gegner immer mehr.

Geraten Sie nicht in Interessenskonflikte, wenn Sie mehrere Vereine gleichzeitig vertreten?
Nein, bei Fällen, die zwei meiner Mandanten betreffen, halte ich mich ganz raus. Dies wird auch so akzeptiert.

Welcher Fall hat Sie bisher am meisten Nerven gekostet?
Das sind die Prozesse um die Lizenzen der Vereine. Denn da geht es um alles oder nichts, Verlieren oder Gewinnen. Ohne Lizenz ist ein Fußballverein nichts. Das sind schon nervenaufreibende Fälle, die einen wochenlang ausgiebig beschäftigen. Aber das Schöne daran ist, dass auch solche Kämpfe in ein paar Wochen rum sind. Das ist ja beim Fußball was Besonderes. Die Fälle werden sehr aufgebauscht, sind dann aber auch relativ schnell wieder erledigt. Auch wenn der Streit noch so groß ist, sind alle Beteiligten an einer raschen Einigung interessiert. Schließlich muss man auch in Zukunft wieder zusammenarbeiten und sich in die Augen schauen können. Im Fußball-Geschäft brauchen alle Beteiligten gleichzeitig ein hohes Maß an Engagement, Behauptungswillen, Durchsetzungskraft, aber auch Konsens- und Gesprächsfähigkeit.

Welches war bisher Ihr größtes Erfolgserlebnis?
Das kann ich nicht sagen, häufig sind das kleine Sachen, die niemand erfährt. Große Erfolge waren für mich die Lizenzerhaltungen für Hertha BSC, Wolfsburg, Kaiserslautern und Frankfurt. Aber die anderen Erfolge sind im stillen Kämmerlein passiert.

Und wie sieht es aus mit den Niederlagen, hatten Sie auch die?
Dauernd. Ein Anwalt, der sagt, er hat nur Erfolg, der lügt oder er hat nur uninteressante Fälle. Bittere Niederlagen bleiben einem nicht erspart. Jeder Arbeitstag ist mit Erfolgen und Misserfolgen ausgefüllt.

Welche Voraussetzungen sollte ein Sportrechtler mitbringen, um Erfolg zu haben?
Für einen Sportrechtler und für alle Juristen ist aus meiner Sicht ein Prädikatsexamen eine unbedingte Voraussetzung. Da kann in einem Lebenslauf stehen, was will – Doktor, halbes Jahr Amerika, oder was auch immer: Wenn Sie kein Prädikatsexamen haben, schließen die Leute in der Regel bei jeder Bewerbung oder Beurteilung die Akte. Für Jura-Studenten ist deshalb der – schwierige – Kampf ums Prädikat von besonderer Bedeutung.

Halten Sie das für berechtigt?
Ja. Weil das juristische Examen außerordentlich gerecht ist. Es ist streng objektiviert, der Zufall ist durch die zwei Examen und durch die Vielzahl der einzelnen Klausuren weitgehend ausgeschlossen. Gute juristische Kenntnisse kommen für mich in einem Prädikatsexamen zum Ausdruck.
Klar, auch Nebenqualifikationen sind wichtig. Aber ein Student, der meint, er schafft kein Prädikatsexamen, der sollte sich lieber rechtzeitig etwas anderes suchen. Das ist so. Auch ich achte bei den Bewerbungen, die ich bekomme, immer als erstes auf das eine: Wie ist das Examen?

Was ist darüber hinaus wichtig?
Sozialkompetenz. Sie müssen mit den Leuten reden können, Verhandlungsgeschick haben. Auch im größten Streit müssen Sie immer den Gesprächsfaden aufrechterhalten, um später vielleicht doch noch zu einer Einigung zu kommen. Ich erlebe bei Gericht immer wieder, dass Anwälte sprachlos sind. Der eine sagt „Ich will das“ und der andere „Das mache ich nicht“ – und dann ist Schluss. Je schlechter ein Anwalt ist, umso „betonierter“ und unflexibler präsentiert er seine Position. Das geht aber zu Lasten des Mandanten, auch wenn diese das manchmal erst später erkennen.
Das Weitere ist absolute Verlässlichkeit. Alle meine Verhandlungspartner wissen, dass mein Wort gilt – auch im schlimmsten Streit. Was ich zusage wird auch umgesetzt. Dadurch bekommt mein Wort natürlich auch mehr Gewicht. Ein Anwalt, der bei seinen Mandanten kein Gewicht hat, wird auch vom Gegner nicht Ernst genommen.
Und schließlich kann kein Anwalt ohne eine ausgeprägte Persönlichkeit erfolgreich sein. Der Mandant „kauft“ auch ein Stück Lebenserfahrung. Das ist im Übrigen häufig auch der wichtigste Unterschied im Vergleich zu angestellten Juristen.

Wie sind denn die Chancen für junge Juristen, in dieses Rechtsgebiet einzusteigen?
Wer bereit ist, diesen Knochenjob zu machen und einen langen dornigen Weg zu gehen, der hat heute aus meiner Sicht große und intakte Chancen. Das hängt auch mit unserer so genannten Freizeitgesellschaft zusammen. Freizeitbeschäftigungen, und damit auch Sport, gewinnen immer mehr Relevanz. Für Anwälte erschließt sich dadurch ein großes Betätigungsfeld. Denken Sie nur daran, wie viele Tennisclubs wegen Lärmbelästigung einen Nachbarschaftsprozess führen. Oder denken Sie an das Vereinsrecht – zum Beispiel an die Rechten und Pflichten im Verein. Jeder Golfclub braucht heute einen Hausanwalt. Der Freizeitbereich und der Sport nehmen immer mehr Raum ein. Und die Menschen sind immer mehr bereit ihre angeblichen Rechte auch durchsetzen. Für engagierte Anwälte mit langem Atem ist der Sport – professionell und in der Freizeit – ein lohnendes Betätigungsfeld.

Spielen Sie selbst Fußball?
Ja, ich bin begeisterter Fußballer. Fußball ist von Kindesbeinen an meine Leidenschaft. Bis zur A-Jugend bin ich gekommen. Allerdings spiele ich nicht gut. Für eine Profi-Karriere bin ich nie in Frage gekommen. Natürlich verliert man durch den Blick hinter die Kulissen manchmal auch den Enthusiasmus, insbesondere wenn man erfährt, dass es häufig nur ums Geschäft und ums Geld geht. Wenn Sie sich ein Fußballspiel rein privat angucken: Können Sie dann abschalten und Ihren Beruf außen vor lassen?
Na ja, das ist ähnlich wie mit dem Wettbewerbsrecht, das ich früher gemacht habe. Wenn ein Lastwagen mit Werbung auf der Autobahn vor mir herfuhr habe ich mich immer wieder bei der Überlegung erwischt, ob die Werbung zulässig ist.
Natürlich stumpft man etwas ab. Aber wenn es um befreundete Personen geht, wie Trainer, die zum Beispiel auf der Kippe stehen, oder wenn einer meiner Vereine um den Abstieg kämpft, dann ist das für mich immer noch hoch emotional. Der Mandant muss in einer schwierigen Situation das totale Engagement des Anwalts spüren.

Haben Sie einen Lieblingsverein?
Ja, aber den nenne ich nicht (lacht). Oft hängt das aber auch von den Personen ab, mit denen ich befreundet bin. Vereine für sich sind ja nur Hüllen. Die Emotion entsteht durch die persönlichen Beziehungen und Bindungen zu den dort anwesenden Personen. Es ist wie überall. Gute Präsidenten, Chefs und Unternehmensführer schaffen für ihren „Betrieb“ Emotionen. Und meine Arbeit ist einfach von engsten persönlichen Vertrauensverhältnissen geprägt. Vertrauen genießen und rechtfertigen – das ist das schönste an diesem Beruf.