Interview mit Prof. Sabina Jeschke

Die KI-Ingenieurin

Woran erkennen Sie, dass immer mehr Unternehmen diese Sprünge mitmachen?
Als ich vor einigen Jahren meine Vorträge hielt, waren meine Zuhörer in den Konzernen angetan, hielten meine Ausführungen aber für eine Art Science Fiction. Das hat sich vor drei Jahren geändert, seitdem gibt es kaum noch eine Keynote ohne anschließenden Industrieauftrag. Hier zeigt sich: Das, was ich sage, wird Realität, findet Umsetzung.

Ein Aspekt Ihrer Arbeit klingt weiterhin wie Science Fiction. Sie reden über Artificial Consciousness, also über ein künstliches Bewusstsein. Was hat es damit auf sich?
Bewusstsein scheint eine Art Nebenprodukt intelligenter Systeme zu sein. Nicht nur der Mensch besitzt Zustände des Bewusstseins, sondern auch Tiere. Etwas vereinfacht kann man sagen: Je intelligenter die Spezies, desto mehr Bewusstseinszustände sind nachweisbar. Umgekehrt gedacht, wenn ich also eine künstliche Intelligenz entwickele, zum Beispiel ein autonom fahrendes Auto, dann muss ich zumindest in die Überlegung einsteigen, ob ich damit auch als Beiprodukt künstliches Bewusstsein erschaffe.

Was ist denn das, ein künstliches Bewusstsein?
Warum hauen Sie nicht mit Ihrer Hand an eine harte Tischkante? Weil Sie Angst vor Schmerzen haben. Ihr phänomenologisches Bewusstsein schützt Sie davor, sich wehzutun und sich möglicherweise bleibende Schäden zuzufügen, die Ihre Existenz gefährden könnten. Übertragen auf ein Auto: Wenn dieses autonom fahrende System Angst vor Schmerzen besäße, führe es vorsichtiger. Ein weiteres Element von Bewusstsein ist die Fähigkeit, nicht nur denken zu können, sondern sich darüber auch im Klaren zu sein: Ich bin mir bewusst, dass ich reflektieren sowie Optionen abwägen kann, und auf diese Weise meine Umgebung gestalte. Wieder übertragen auf das autonome Auto heißt das, dass es Verantwortung für sein Verhalten übernehmen muss und das auch „weiß“. Ein letzter wichtiger Punkt ist die bewusste Abgrenzung der eigenen Identität von der Außenwelt: Alles, was wir Menschen und andere biologische Wesen tun, dient dazu, unser Überleben zu sichern. Darum passiert uns im Alltag in der Regel nichts, wir passen auf uns auf. Und das wird auch ein KI-gesteuertes Auto tun, wenn es über das Bewusstsein verfügt, sich von der Umwelt abzugrenzen.

Das Auto muss Verantwortung für sein Verhalten übernehmen.

Trotzdem: Das eine ist ein Mensch, das andere bleibt eine Maschine. Oder?
Hier existieren weiterhin mentale Barrieren. Angenommen, Sie erschaffen eine Skulptur. Niemand würde sagen: Na ja, das ist ja nur ein Ding, das hat mit dem Menschen, der es erschaffen hat, nichts zu tun. Im Gegenteil, Kunst gilt als Bildnis des künstlerischen Selbst. Wenn aber ein Ingenieur ein autonomes Auto entwickelt und diesem eine künstliche Intelligenz einprogrammiert, sagen alle: Das ist aber was ganz anderes, das ist und bleibt eine Maschine. Ich sehe zwischen Skulptur und Auto keinen grundsätzlichen Unterschied, sondern nur einen in der Funktion: das eine als ästhetische Bereicherung, während mich das andere von A nach B fährt. Ansonsten sind beides Produkte menschlicher Kreativität und Schaffenskraft.

Beunruhigt Sie die Erkenntnis, dass es künstliche Intelligenz wohl auch ein Bewusstsein entwickelt?
Nein, im Gegenteil, erst dadurch können künstlich-intelligente Systeme sicher werden. Mein Auto und ich – wir leben in gewisser Weise miteinander, wir bilden eine Art „hybrides Team“, und als solches müssen wir miteinander kooperieren. Und ich empfinde dieses Zusammenarbeiten als angenehmer, wenn ich keinen „Dummkopf“ neben mir habe, sondern eine Entität, die nicht notwendigerweise über ein menschliches Bewusstsein verfügt, aber es in Sachen Bewusstsein zumindest mit meiner Hauskatze aufnehmen kann. Bei der weiß ich, dass sie genau weiß, was ihr guttut und was nicht. Und das erwarte ich als Insasse auch von meinem autonomen Auto.