Interview mit Prof. Sabina Jeschke

Die KI-Ingenieurin

Prof. Dr. Sabina Jeschke, Foto: Peter Winandy
Prof. Dr. Sabina Jeschke, Foto: Peter Winandy

Sabina Jeschke ist Professorin für Maschinenbau an der RWTH Aachen und seit Mitte November 2017 im Vorstand der Deutschen Bahn AG verantwortlich für den Bereich „Digitalisierung und Technik“. Als Professorin leitete sie das Cybernetics Lab, eine Forschungsgruppe, die sich intensiv mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) widmet: Wie sehen Unternehmen aus, die komplett von Robotik durchdrungen sind? Und wie gehen wir damit um, wenn auf die künstliche Intelligenz auch ein künstliches Bewusstsein folgt? Das Interview führte André Boße

Zur Person

Sabina Jeschke (49) ist seit 2009 Direktorin des Cybernetics Lab der RWTH Aachen University an der Fakultät für Maschinenwesen. Im Sommersemester 2017 widmete sie sich im Rahmen eines Sabbaticals der Weiterentwicklung ihrer Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz und des künstlichen Bewusstseins und beteiligte sich am Aufbau des Think Tanks „Starke künstliche Intelligenz“. Sabina Jeschke studierte Physik, Informatik und Mathematik an der TU Berlin. Im Juli 2014 wurde sie durch die Gesellschaft für Informatik (GI) mit der Auszeichnung „Deutschlands digitale Köpfe“ geehrt. Im September 2015 erhielt sie von der Internationalen Gesellschaft für Ingenieurpädagogik (IGIP) die goldene Nikola-Tesla-Medaille für ihre Beiträge zu einer modernen Ingenieurausbildung. Seit Mitte November 2017 ist Jeschke im Vorstand der Deutschen Bahn AG verantwortlich für den Bereich „Digitalisierung und Technik“.

Frau Prof. Jeschke, Sie haben in diesem Sommersemester ein Sabbatical angetreten, statt an der RWTH Aachen waren Sie im schwedischen Torslanda und haben in einem Think Tank von Volvo über die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz nachgedacht. Warum diese Auszeit vom normalen Professorinnenjob?
Das Sabbatical ist eine alte Tradition von Hochschullehrern, es war immer schon ein Weg, um aus dem Alltag auszubrechen. Manche Wissenschaftler gehen an eine andere Uni und forschen dort, andere ziehen sich zurück und schreiben ein Buch. Ich bin überzeugt: Wenn ich mich nicht alle vier bis fünf Jahre ganz anderen Einflüssen aussetze, dann entwickele ich mein Wissen nur graduell weiter.

Und das reicht nicht?
Mir nicht, nein, ich will Sprünge machen.

Was war Ihr großer Leistungssprung in diesem Sabbatical?
Ich bin zu einem neuen Konzept von „Cognitive Enterprises“ gekommen.

Das müssen Sie bitte erklären.
Ich bin Expertin für künstliche Intelligenz, hier verstehe ich mein Handwerk. Was wir bisher leisten konnten, war die Lösung von punktuellen Problemen: Sie möchten, dass Ihr autonom fahrendes Auto nicht gegen einen Baum fährt? Oder dass Ihr Roboterkollege links von Ihnen besser mit Ihnen zusammenarbeitet? Für solche Probleme entwickeln mein Team und ich konkrete Lösungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Wir stehen aber vor anderen Herausforderungen, wenn ein Industriekunde sagt: Wir möchten ein komplett anderes Unternehmen werden, wie geht das, wie können wir von der künstlichen Intelligenz durchdrungen werden, wie kann diese Art des Denkens Teil unserer Unternehmenskultur werden? Gefragt ist dann ein Gesamtkonzept, aus dem sich die Lösungen der einzelnen konkreten Fragen fast wie von selbst ergeben.

Stehen also vor allem die traditionellen technischen Unternehmen vor weiteren großen Umwälzungen?
Das bringt die Zeit, in der wir uns gerade befinden, mit sich. Etablierte Unternehmen sind dann besonders stark, wenn wir uns in einer Phase zwischen den technischen Revolutionen befinden. Schauen Sie sich an, wie sich der Automobilbau in den vergangenen 60 Jahren schrittweise verbessert hat: mehr Effizienz, mehr Sicherheit, leichtere Bauweisen – das ist beeindruckend. Zwischen den industriellen Revolutionen bilden sich Traditionsunternehmen, die alle Prozesse graduell auf ein höheres Niveau führen. In den Phasen der Revolution ändert sich das, da kommen plötzlich Firmen um die Ecke, die neu sind oder die man bestenfalls aus anderen Bereichen kannte. Wer hätte etwa vor zehn Jahren geglaubt, dass das erste autonome Auto mit einer Straßenzulassung nicht von General Motors oder Daimler gebaut wird – sondern von Google, einer Suchmaschine im Internet, einem Softwarekonzern?