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Neuland: Karl-Heinz Land im Interview

Karl-Heinz Land beendet jede seiner E-Mails mit der Widmung „Digitally yours“. Man erkennt damit sofort: Der Kölner nimmt den digitalen Lifestyle ernst. Seine Firma Neuland berät Unternehmen bei allen Themen der digitalen Transformation. Sein Appell: Wer sich jetzt nicht kümmert, setzt das wirtschaftliche Überleben aufs Spiel. Die Zukunft sieht Land komplett digitalisiert. Was das für IT-Experten bedeutet, erklärt er im Gespräch. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Karl-Heinz Land, Jahrgang 1962, startete seine Karriere Mitte der 80er-Jahre beim Softwarehersteller Oracle. Danach sammelte er Erfahrungen in der digitalen Ökonomie als Co-Gründer, Vorstand oder CEO bei Internet-Start-ups wie VoiceObjects, Angel, MT oder Grand Centrix. 2006 erhielt er den Technology Pioneer Award auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Karl-Heinz Land ist Co-Autor des Bestsellers „Digitaler Darwinismus – Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke“ sowie des Buchs „Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt“. Im Juni 2016 rief er die Initiative Deutschland Digital ins Leben www.initiative-deutschland-digital.de; Ende 2012 gründete er sein eigenes Beratungsunternehmen Neuland.

Herr Land, auf Ihrer Visitenkarte stehen zwei Bezeichnungen: Darwinist und Evangelist. Was hat es damit auf sich?
Wir kennen Charles Darwin als Entwickler der Evolutionstheorie. Meine Aussage ist: Wir erleben einen digitalen Darwinismus, also eine digitale Evolution. Das ist nicht unbedingt eine beruhigende Analyse, denn Evolution bedeutet: Adapt or die – passe dich an oder stirb. Es geht für Unternehmen also um die Frage: Überleben oder aussterben? Der Evangelist hingegen ist im Neuen Testament der Überbringer der frohen Botschaft.

Wie lautet Ihre?
Du kannst etwas tun. Aber: Tust du nichts, gilt das Gesetz des digitalen Darwinismus. Und dann wirst du Probleme bekommen. Interessant dabei ist: Die Digitalisierung frisst auch ihre eigenen Kinder. Denken Sie an Yahoo oder AOL, das sind Unternehmen, die mit dafür verantwortlich waren, dass das Internet groß und größer wurde – und die heute dramatisch an Bedeutung verloren haben oder komplett unter die Räder gekommen sind.

Wir sprechen bei der Digitalisierung auch von der vierten industriellen Revolution. Wie weit wird diese noch gehen?
Wir stehen erst am Anfang. Zum einen erleben wir gerade die ersten Schritte der Dematerialisierung. Gegenstände wie Schlüssel und Bargeld verschwinden und werden zur App auf dem Smartphone. Hinzu kommen meine drei Grundthesen der digitalen Revolution: Erstens, alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Zweitens, alles, was vernetzt werden kann, wird miteinander vernetzt. Drittens, was digitalisiert und vernetzt ist, kann auch automatisiert werden. Bringen wir beide Aspekte zusammen, stehen wir also vor einer dematerialisierten und komplett automatisierten Welt. Und diese wird dramatische Veränderungen mitbringen, über deren Ausmaße sich die wenigsten eine klare Vorstellung machen.

Wie sieht sie aus, diese neue Welt?
Ökologisch wunderbar, denn eine dematerialisierte Welt macht deutlich weniger Dreck. Ökonomisch dagegen scheinbar katastrophal. Durch die Urbanisierung, das autonom fahrende Auto und die Sharing-Economy wird es für immer mehr Menschen in den Städten zum Beispiel überhaupt nicht sinnvoll sein, ein eigenes Fahrzeug zu besitzen. Das Statussymbol Auto verschwindet, stattdessen entstehen automatisierte Fahrgastzellen, mit denen man von A nach B fährt. Davon werden viele Millionen weniger benötigt, was für die Umwelt eine wunderbare Nachricht ist.

Es wird Negativwachstum geben. Wir müssen uns daran gewöhnen, in einer arbeitsfreien Zeit zu leben.

Für die Ökonomie ist das hingegen ein Schreckensszenario.
Auf dem ersten Blick, ja. Es wird Negativwachstum geben. Wir müssen uns daran gewöhnen, in einer arbeitsfreien Zeit zu leben. Das ist nur schlimm, solange man davon ausgeht, dass der Mensch zum Arbeiten geboren wurde. Aber sind Sie das? Ich nicht! Ich möchte leben – und wenn überhaupt, dann Dinge tun, die mir Spaß machen. Daraus folgt, dass die digitalen Maschinen in Zukunft unser Einkommen bezahlen müssen.

Wie soll das funktionieren?
Ganz einfach, wir alle erhalten ein bedingungsloses Grundeinkommen, und immer, wenn eine Maschine für uns arbeitet oder wir eine digitale Transaktion durchführen, fallen dafür Steuern an.

Welche Rolle spielen in dieser Welt IT-Experten?
Natürlich werden sie einige Zeit lang sehr gefragt sein. Schließlich muss diese digitale Landschaft aufgebaut werden, gerade in Bereichen, in denen Computer heute noch keine Aufgaben übernehmen. Denken Sie an den Arzt-besuch. Der Doktor nutzt zwar hier und da digitale Geräte, die Diagnose trifft er jedoch aus seinem Wissenstand heraus. In zehn Jahren werden Computer in der Lage sein, deutlich bessere Diagnosen zu erstellen. Das System der digitalen Diagnose werden Informatiker aufbauen, kurzfristig werden sie hier dringend benötigt. Aber machen wir uns nichts vor: Auch ITler werden irgendwann arbeitsfrei haben. Die kognitiven Fähigkeiten von Computern sind bereits heute so groß, dass sie schon bald jede Form von Arbeit erledigen können. Rechner entwickeln eine Software, die einen Roboter steuert, der wiederum eine verbesserte Maschine baut. Auch die Informatik wird automatisiert, wenn auch später als andere Industrien.

Zurück in die Gegenwart: Schätzen die Unternehmen heute die Tragweite der digitalen Revolution richtig ein?
Nein, das gelingt nur den allerwenigsten. Wir Menschen denken linear. Die digitale Welt dagegen entwickelt sich exponentiell: eins, zwei, vier, 16, 256… Das ist das Tempo. Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr haben die Erfolge von WhatsApp und Skype die europäischen Telekommunikationsunternehmen zwischen 10 und 15 Milliarden Euro Umsatz gekostet, weil die Leute einfach weniger SMS gesendet haben. Dieser Einbruch war 2015 noch unvorstellbar. Aber: Es ist passiert. Und es wird wieder passieren. Wenn wir uns in einem Jahr erneut sprechen, werden wir uns über eine neue Revolution unterhalten können, die heute kaum vorstellbar ist.

Wie können Unternehmen auf dieses digitale Wahnsinnstempo reagieren?
Sie müssen jetzt anfangen, komplett digital zu denken. Noch ist es nicht zu spät. Das ist, wie eingangs erwähnt, die frohe Botschaft. Es gibt Experten, die sagen, bei der Digitalisierung sei nun die erste Halbzeit vorbei und Deutschland liege gegen die Apples, Googles und Facebooks dieser Welt klar zurück. Okay, mag sein. Aber ich glaube nicht, dass wir schon Halbzeit haben. Entschieden ist der Bereich des Consumer Internets. In meinen Augen ist das aber nur das erste und kleinste Drittel. Nun folgt das Industrial Internet, sprich das Feld der kommunizierenden Maschinen und der Automatisierung. Dieses Feld ist deutlich größer als das Consumer Internet. Und dieses Spieldrittel können die deutschen Unternehmen noch gewinnen, allen voran die Hidden Champions, also die mittelständischen Weltmarktführer.

Und das dritte Drittel?
Ist das Consumer-Industrial-Internet. Ein Bereich, der noch einmal um ein Vielfaches größer sein wird. Der Kunde wird zum Produzenten und Konsumenten. Er stellt sich sein Produkt selbst zusammen und lässt es dann von einem Dienstleister mit 3-D-Drucker ausdrucken. Soweit sind wir zwar noch lange nicht. Deutlich wird hier aber: Es gibt noch zwei Stufen über dem Consumer Internet – und damit im Bereich der Digitalisierung noch sehr viel zu gewinnen.

Zum Unternehmen

Karl-Heinz Lands Beratungsunternehmen Neuland mit Sitz im Kölner Mediapark unterstützt Unternehmen in der Gestaltung einer neuen digitalen Strategie und begleitet die Kunden durch den gesamten Transformationsprozess. Die Firma beteiligt sich zudem an Analysen wie dem „Digital Readiness Index“ sowie dem „Digital Transformation Report“, die den digitalen Reifegrad deutscher Unternehmen unter die Lupe nehmen. Zusammen mit der Foto-Galeristin und Künstlerin Priska Pasquer betreibt Neuland außerdem einen Kunst-Raum für Workshops und Ausstellungen, in dem sich Führungskräfte über die Kunst neue Dimensionen unternehmerischen Denkens erschließen sollen.

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