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StartDigitalVice President SAP SE Christine Regitz im Interview

Vice President SAP SE Christine Regitz im Interview

Christine Regitz ist Vice President SAP SE und leitet die Initiative „SAP Women In Tech“. Zudem ist sie Präsidentin der Gesellschaft für Informatik. Eine Bilderbuchkarriere. Aber: eine ohne Plan. Im Gespräch verrät die Spitzenkraft, wie es auch im Zickzackkurs nach oben gehen kann und warum es in der Softwareentwicklung auf vielfältiges Know-how ankommt. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Christine Regitz (Jahrgang 1966) leitet als Vice President bei SAP die Initiative „SAP Women In Tech“. Seit 2016 gehört sie dem SAP-Beirat für Nachhaltigkeit an und war knapp zehn Jahre lang Mitglied des SAP-Aufsichtsrates. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Physik in Saarbrücken und Bari nahm sie eine Beratertätigkeit im IT-Bereich auf. 1994 wechselte sie zu SAP, seitdem ist sie dort in unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen tätig. Seit 2007 engagierte sie sich in der Gesellschaft für Informatik, deren Präsidentin sie heute ist. 2021 wählte sie das Handelsblatt in die Liste „100 Frauen, die Deutschland bewegen“.

Frau Regitz, Sie haben einmal gesagt, Sie hätten zum Start Ihrer Karriere keinen Plan gehabt – und das sei richtig gewesen. Warum?
Ich bin ein Mensch, der gerne und öfter etwas Neues macht. Und der zur Ungeduld neigt, wenn ich beginne, mich zu langweilen. Mit diesen Charaktereigenschaften war es für mich als Jugendliche schwer, zu sagen: Was will ich eigentlich mal werden? Und was muss ich dafür studieren? Denn ich konnte mir vieles vorstellen. Besser gesagt: Ich konnte mir kaum etwas nicht vorstellen. Das machte die Wahl schwer.

Inwiefern?
Weil ich als junger Mensch dachte: Wenn ich mich jetzt entscheide, ob ich im Studium den Weg A oder B gehe, dann lege ich mich in diesem Moment für mein ganzes Leben fest.

Was ja gar nicht stimmen muss.
Genau, aber das wusste ich damals noch nicht. Und es wurde mir von vielen Seiten auch anders vermittelt.

Ist Deutschland ein Land, in dem dieses „keinen Plan haben“ nur wenig goutiert wird?
(überlegt) Ich glaube da ist was dran, ja. Ich denke, das hängt stark mit der Arbeitskultur in Deutschland zusammen, die sehr stark vom Wunsch nach Konstanz geprägt wird, nach dem Motto: Wenn du einmal bei VW oder bei der Post bist, dann bleibst du da immer. Hinzu kommt, dass viele junge Menschen zu wenig über den konkreten Berufsalltag in dieser digitalen Gesellschaft wissen. Wäre das anders, würde ihnen bewusstwerden, dass man mit einer guten Grundausbildung in fast allen Branchen tätig sein kann. Natürlich gibt es auch weiterhin sehr spezialisierte Berufe, eine Chirurgin muss selbstverständlich Medizin studiert haben. Es entstehen aber immer mehr akademische Jobs, in denen das, was man studiert hat, keine so große Rolle mehr spielt. Weil andere Fähigkeiten zählen.

Welche?
Seine Neugier einzubringen. Lust haben, etwas zu lernen und zu verändern. Nun tun sich die Deutschen auch mit Veränderungen eher schwer. Change ist nicht positiv besetzt. Ein Beispiel ist die Sprache: Es gibt den deutschen Begriff der „Technologiefolgenabschätzung“. Eine „Technologiechancenabschätzung“ dagegen gibt es nicht. Das wäre aber doch der bessere Weg: die Chancen zu sehen, und nicht alles, was neu ist, sofort in die kritische Ecke zu stellen. Das Mindset stimmt nicht. Und das führt zu Fehleinschätzungen, gerade was die Digitalisierung betrifft.

Viele glauben, Digitalisierung bedeute, analoge Prozesse digital zu machen. Stimmt aber nicht. Digitalisierung bedeutet, Prozesse in einer digitalen Welt neu zu denken.

Welche zum Beispiel?
Viele glauben, Digitalisierung bedeute, analoge Prozesse digital zu machen. Stimmt aber nicht. Digitalisierung bedeutet, Prozesse in einer digitalen Welt neu zu denken. Wobei es dabei durchaus vorkommen kann, dass der Prozess hinterher ganz anders gestaltet wird.

Sie sind vor mehr als 30 Jahren als Softwareentwicklerin eingestiegen. Wie hat sich dieser Job in den vergangenen Jahren geändert?
Ich hatte damals auch noch das Vorurteil, bei einem Unternehmen wie SAP auf einen Kollegenkreis mit fast ausnahmslos Informatikern zu treffen. Mit mir als Wirtschaftsinformatikerin, immerhin. Aber dann begegnete ich dort gar nicht so viel Informatikern, sondern Physikern, Mathematikern, Chemikern. Das hat mich damals sehr überrascht, ist aber, wenn man darüber nachdenkt, nur logisch.

Warum?
Bei der Entwicklung von Software geht es darum, die Probleme, die ein Kunde in der realen Welt hat, mit Hilfe einer Software zu lösen. Egal, ob die Unternehmen Autos produzieren oder Versicherungen vermitteln: Mit unserer Software bilden wir deren Geschäftsprozesse ab. Um bei der Entwicklung dieser Software mitzuhelfen, ist natürlich ein betriebswirtschaftliches Verständnis wichtig. Und, klar, die Software muss auch programmiert werden, hier sind klassische Informatiker gefragt.

Die Software muss aber dann auch vertrieben werden. Es muss Schulungsmaterial erstellt werden, müssen Workshops abgehalten werden. Das Programmieren ist daher in der reinen Softwareentwicklung nur ein kleiner Teil. Und er wird von Jahr zu Jahr immer kleiner, weil die Programmiertools auch dank der Künstlichen Intelligenz immer besser werden. Mit der Folge, dass wir Softwareentwickler uns immer mehr auf die kreativen Aspekte unserer Arbeit fokussieren können. Nämlich die Lösung des eigentlichen Problems.

Welche Fähigkeiten muss man mitbringen, um diese kreativen Aspekte einbringen zu können?
Man muss erstens Teamplayer sein, um sich in den divers besetzten Teams gut einzubringen. Bei SAP schaut man zum Beispiel in den Bewerbungen darauf, ob jemand unter den Freizeitaktivitäten eine Teamsportart aufgezählt hat, denn bei einer solchen lernt man Dinge, die auch in der Teamarbeit wichtig sind. Zweitens muss man das Gespür dafür mitbringen, dass bei allem, was wir tun, die Endbenutzer im Mittelpunkt stehen. Es gibt einen Use-Case, den wir lösen wollen. Damit das gelingt, müssen wir uns in den Endnutzer hineinversetzen. Wir müssen dafür wissen, was seine Arbeitsbedingungen sind – denn diese sind in Büros ganz anders als in einer Produktionshalle, in einem hochsterilen Labor oder im Straßenbau. Wichtig ist auch eine gewisse Überzeugungskraft. Ich erwähnte ja schon, Digitalisierung heißt nicht, den Menschen ein iPad in die Hand zu geben. Es kann dazu kommen, dass die Lösung, die wir einem Kunden bieten wollen, nicht diejenige ist, die er sich vorgestellt hat. Vielleicht muss sich der Endbenutzer nun umstellen. Müssen die Menschen im Unternehmen Dinge anders machen. Dann gilt es, im Sinne der Lösung Überzeugungsarbeit zu leisten.

Sie kämpfen seit vielen Jahren dafür, mehr Frauen für Berufe im Bereich der Softwareentwicklung zu gewinnen. Bei SAP leiten Sie die Initiative „SAP Women In Tech“. Wie beurteilen Sie das Tempo des Wandels?
Es wird besser, das kann man schon feststellen. Aber das Tempo ist langsam. Ein Hauptgrund ist sicher auch hier die Schieflage in der Vermittlung des Berufsbildes, über die wir bereits gesprochen haben. Man benötigt für die Softwareentwicklung eine Vielfalt an Kompetenzen; die informatische ist nur ein von vielen. Ich bin der Überzeugung, dass wir die Vielfalt dieser Berufsbilder der Digitalisierung schon früh vermitteln müssen, bereits in der Schule. Und an den Unis muss klar sein, dass die Softwareentwicklung Nachwuchskräfte aus verschiedenen Studiengängen gebrauchen kann. Ist das offensichtlich, werden noch mehr junge Frauen den Weg in diesen Beruf finden, davon bin ich überzeugt.

Das wäre aber doch der bessere Weg: die Chancen zu sehen, und nicht alles, was neu ist, sofort in die kritische Ecke zu stellen.

Wir haben vorhin festgestellt, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere keinen Plan hatten. Nun aber sind sie seit mehr als 30 Jahren bei einem Arbeitgeber. Warum diese Treue?
Weil mein Anspruch, immer wieder etwas Neues zu machen, Teil der SAP-Unternehmenskultur ist. Man wird dazu ermutigt, die Abteilungen, Themen oder Teams zu wechseln. Ich konnte daher immer wieder etwas Neues machen, und das war genau das, was ich gebraucht habe. Ich finde, es ist wichtig, sich als Einsteigerin und Einsteiger darüber klar zu werden: Was ist meine Persönlichkeit, was ist meine Stärke? Liegt es mir, mich tief in ein Thema zu vergraben, um mich dann wirklich auszukennen? Oder sehe ich, wie in meinem Fall, meine Stärke darin, Themen bis zu einem gewissen Punkt vorantreiben.

Und dann?
Freue ich mich, das Thema übergeben zu können – um wieder etwas Neues anzufangen.

Fällt Ihnen das Abgeben nicht schwer?
Nein, ich finde ich es sogar gut, wenn ich bei einem Erreichungsgrad von 80 Prozent erkenne, dass jemand da ist, der die restlichen 20 Prozent erledigen möchte. Ich bin ein 80-Prozent-Typ. Daher wäre die Buchhaltung auch nichts für mich, denn da muss immer alles hundertprozentig stimmen.

Zum Abschluss, Ihr Rat an den digitalen Nachwuchs?
Holt euch Feedback ein, aber nur mit Blick auf eure Stärken. Guckt nicht auf eure Schwächen, und guckt auch nicht, was gerade konform ist. Schaut lieber darauf, was ihr könnt und wollt, dann findet sich auch was. Was man übrigens nicht können muss, obwohl häufig genug danach gefragt wird, auch in Vorstellungsgesprächen: zu sagen, wo man sich in fünf Jahren sieht. Konnte ich noch nie. Zunächst dachte ich, dass das ein Manko wäre. Heute weiß ich: Das ist falsch. Man kann halt auch ohne Plan Karriere machen. Aber eine abwechslungsreiche.

Zu SAP

Als einer der weltweit führenden Anbieter von Anwendungen und KI für Unternehmen ist SAP an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und digitaler Technologie tätig. Mit Hilfe der Software laufen geschäftskritische Abläufe in den Bereichen Finanzwesen, Beschaffung, Personalwesen, Lieferkette und Customer Experience zusammen. Das Unternehmen mit Sitz in Walldorf hat weltweit mehr als 109.000 Beschäftigte in mehr als 100 internationalen Entwicklungsstandorten. Die Geschichte von SAP (das Kürzel steht für „Systeme, Anwendungen und Produkte in der Datenverarbeitung“) begann 1972 als eine Fünf-Personen-Firma. An der Spitze des Konzerns steht Christian Klein, mit 44 Jahren der derzeit jüngste Vorstandschef eines Dax-Unternehmens.

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