Autisten gesucht

Foto: Fotolia/wolfelarry
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Software-Tests, Programmierung oder Datenerfassung – die Specialist People Foundation des Dänen Thorkil Sonne bringt autistische menschen mit ihren oftmals außergewöhnlichen Talenten in den IT-Arbeitsmarkt. Der ehemalige IBM-Manager Matthias Prössl führt die Stiftung in Deutschland an. Aufgezeichnet von Stefan Trees

Matthias Prössl, Foto: Privat
Matthias Prössl, Foto: Privat

Matthias Prössl,
53 Jahre, Geschäftsführer
Projekt: Specialisterne Deutschland gemeinnützige UG
Ort: Deutschlandweit
Web: http://specialisterne.com/

Wie alles begann
Als mein Sohn im Kindergarten war, wurde bei ihm ADS diagnostiziert. Für uns war diese Diagnose nie so ganz stimmig. Vor sechs Jahren, mit Eintritt ins Gymnasium, lautete die Diagnose dann: Asperger-Autismus. Für uns eine sehr viel stimmigere Aussage, die uns geholfen hat, anders mit ihm umzugehen, ihn an bestimmten Stellen gewähren zu lassen, weil es nicht anders geht, und an anderen Stellen zu unterstützen, wo es ihm nützt.

Über meine familiären Beziehungen nach Dänemark bin ich damals auf den Dänen Thorkil Sonne und sein Projekt „Specialisterne“ aufmerksam geworden. Auch bei dessen Sohn wurde eine Form von Autismus diagnostiziert, und Thorkil erkannte bald, dass autistische Menschen oft mit überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet sind, allerdings im Zusammenspiel mit unterdurchschnittlichen Fähigkeiten im Bereich der Sozialkompetenzen.

Ich habe mit Thorkil Kontakt aufgenommen, um mich über seine Idee auszutauschen. Vor zweieinhalb Jahren bekam ich seine Einladung zur Specialisterne- Konferenz in Kopenhagen. Thorkil hatte viele Anfragen für sein Konzept erhalten, nun war für ihn die Zeit gekommen, es zu verbreiten. 40 Teilnehmer aus 25 Nationen kamen dort zusammen. Seit Februar 2013 bin ich nun Geschäftsführer der Specialisterne Deutschland gUG.

Warum ich das mache
Ich habe meinen beruflichen Weg Anfang der 80er-Jahre in der IT-Branche begonnen. Mein damaliger Mentor war im Dialog brillant, aber er ging nie mit zum Essen. Bei der Begegnung auf dem Flur schaute er mich nicht an, stattdessen lief er mit dem Finger an der Wand entlang und schaute auf den Boden. Heute habe ich einen Namen für sein Verhalten – damals war es einfach nur ein schräger Vogel.

Ich habe erlebt, dass diese Menschen im Laufe der Zeit ihre Daseinsberechtigung in Teilen der IT-Branche verloren haben. Auf einmal war der junge, dynamische, eloquente Entwickler gefragt, der auch gut präsentieren kann und teamfähig ist. Viele autistische Menschen sind genau das nicht – sie reden zu viel, sie reden zu wenig, sie sagen für unser Empfinden unpassende Dinge.

Weil unsere sozialen Leitplanken immer enger werden, fallen diese Menschen oft aus den Unternehmen heraus, obwohl sie in einer Nische brillant sind und dort wertvolle Arbeit leisten. Autismus ist keine Behinderung – die Behinderung findet durch die Umwelt statt. Wenn man erkennt, dass hinter den Schwierigkeiten im Umgang eine spezielle Fähigkeit oder spezielles Nischenwissen liegt, fällt es leichter, tolerant zu sein.

Was es bislang gebracht hat
Menschen mit diesen speziellen Fähigkeiten verhelfe ich ins Berufsleben – gut achtzig Prozent sind arbeitslos –, allerdings sind nicht alle in unserem Markt arbeitsfähig. Aber wenn wir nur wenige Prozent erreichen und ihnen einen Job anbieten können, der ihren intellektuellen Fähigkeiten und Neigungen entspricht, ist schon viel gewonnen.

Unser Modell sieht vor, dass diese Spezialisten bei uns in der Stiftung angestellt sind und wir sie als Consultant in ein Unternehmen vermitteln. Das ist in vielen Fällen schwierig, denn Arbeitsplätze für Autisten stehen in keinem Personalplan. Die Arbeitsumgebung ist für meine Mitarbeiter dann ideal, wenn sie hochindividuell ist. Wir schaffen diese Arbeitsplätze, indem wir die Unternehmen ausführlich beraten.

Meine Consultants haben im Laufe der Zeit gelernt, sich anzupassen. Doch das ist anstrengend für sie. Arbeitsplätze, an denen sie sich nicht mehr verstellen müssen, sondern so sein können, wie sie sind, sind deshalb sehr wertvoll. Erst dann hat mein Mitarbeiter Ressourcen zur Verfügung, die er sonst nicht hat. Das ist der Gewinn.

Redaktions-Tipp: Die Autismus-App

LetMeTalk – die erste, internationale, professionelle, kostenfreie Applikation für Android für Special Needs, inbesondere für Menschen mit Autismus zur unterstützten Kommunikation. Pro Bono, Non Profit. Entwickelt von einem Team um Doreen Kröber, Mutter eines autistischen Sohnes.

Let me Talk-App