Media-Markt-Gründer Walter Gunz im Interview

Walter Gunz, Foto: SHOOT Bernhard Spöttel photography
Walter Gunz, Foto: SHOOT Bernhard Spöttel photography

Zusammen mit Geschäftsfreunden gründete Walter Gunz 1979 den Media Markt, für den legendären Spruch „Ich bin doch nicht blöd“ gab er den entscheidenden Impuls. Was aber muss kluger Handel leisten? Welche Qualitäten sind wichtig – und was hat das mit einem Basar in Marrakesch oder einer kleinen Buchhandlung auf Sylt zu tun? Das Gespräch mit einem der erfolgreichsten deutschen Handelsunternehmer aller Zeiten führte André Boße.

Zur Person

Walter Gunz (geboren 1946) studierte in seiner Geburtsstadt München Philosophie. Schon während der Studienzeit bewarb er sich bei Karstadt, wo er sich Schritt für Schritt bis zum Abteilungsleiter hocharbeitete. 1979 war er Co-Gründer der Elektromarkt-Kette Media Markt, zu der später auch Saturn gehörte. Der legendäre Slogan „Ich bin doch nicht blöd“ basiert auf einem Impuls von ihm. 2000 schied er aus der Unternehmensgruppe aus, seitdem ist er als Berater und Business-Angel tätig, zudem saß er im Vorstand von Bild.T-Online und war Geschäftsführer der Axel Springer E-Commerce GmbH. Walter Gunz lebt abwechselnd am Tegernsee und in Marrakesch in Marokko.

Herr Gunz, Sie waren – so haben Sie es mal gesagt – kein guter Schüler. Glauben Sie daran, dass die Schulbildung eine Aussage hat?
Ich denke, dass die Schulbildung schon eine Aussage besitzt. Allerdings keine sehr hohe. In der Schule werden wichtige Elemente für das spätere Leben nicht oder kaum vermittelt. Vor allem wird Kreativität vernachlässigt. Auch Werte werden nicht oder in zu geringem Umfang vermittelt. Der Pflichtstoff ist oft zu umfangreich, vieles wird für Prüfungen auswendig gelernt, aber nicht wirklich verstanden und verinnerlicht. Der Unterricht ist zudem häufig praxisfern und bereitet nicht auf das reale Leben vor. Kurz gesagt: zu viel Leistung, zu wenig Freude.

Als junger Mann haben Sie bei Karstadt angefangen, wie haben Sie diese Kaufhauswelt damals wahrgenommen, was hat Sie fasziniert?
Fasziniert haben mich die vielen Menschen und das riesige Sortiment. Ich stand schon als kleiner Junge vor dem Münchner Kaufhaus Oberpollinger und bestaunte das Menschengewühl am Eingang.

Schritt für Schritt sind Sie auf der Karriereleiter nach oben geklettert, was haben Sie damals richtiggemacht?
Ich hatte Freude an der Arbeit und verstand sehr schnell, dass Führen auch Dienen heißt. Ich war von neuen Ideen und Produkten begeistert und konnte diese Begeisterung auf mein Team übertragen. Ich habe den Menschen vertraut, ihnen Freiheit, aber auch Verantwortung übergeben.

Waren Sie eher ein angepasster Mitarbeiter? Oder sind Sie früh Ihren eigenen Weg gegangen?
Sowohl als auch. Sinnvolle Strukturen und Vorgaben habe ich gewissenhaft erledigt. Allerdings habe ich schon früh ganz eigene Ideen verfolgt. Für viele, auch für meine Vorgesetzten, war ich ein verrückter Kerl, den man nur weitermachen ließ, weil ich eben Erfolg mit meiner Art der Arbeit hatte. Zentrales Wirtschaften sowie die starken Hierarchien haben mich nicht überzeugt, bisweilen auch bedrückt. Kreativität war innerhalb dieser Strukturen weniger gefragt, es ging vor allem um Funktionalität. Der Mensch war nicht Mittelpunkt des Seins, sondern mehr Mittel zum Zweck. Das hat mir damals nicht gefallen.

Wenn Sie heute ein Kaufhaus betreten, haben Sie da noch das Gefühl von damals?
Tja, leider nicht so richtig. Ich erschrecke mich häufig, wenn ich die Kaufhäuser und Abteilungen meines früheren Wirkens betrete. Man hat viele Entwicklungen verschlafen, wenig erneuert. Kurz: Man hat den Erfolg verspielt. Der Ruin begann schon bald nach meinem Ausscheiden 1978. Man sagt, der Fisch stinke vom Kopf her – mein Gott, die Vorstände und sonstigen Leader haben in kurzer Zeit den langjährigen Erfolg vergeigt. Durch mangelnde Empathie, fehlende Visionen und Ziele. Auch eine Fülle von Eitelkeiten und wenig Sachverstand waren Gründe.

Der Konsument stellt heute andere Ansprüche, zum Beispiel in Sachen Umweltbewusstsein, Schnelligkeit, Sortimentsvielfalt und Lieferung per Mausklick.

Wo gehen Sie heute am liebsten einkaufen?
Ich gehe immer noch gerne bummeln und einkaufen, und da freue ich mich, dass es noch Läden mit richtigen Menschen gibt. Ich hoffe, dass der stationäre Handel nicht eines Tages ausstirbt. Besonders gerne einkaufen gehe ich, wenn ich in anderen Ländern und Städten unterwegs bin, zum Beispiel im Souk von Marrakesch …

… das ist ein riesiger Basar, der größte in Afrika. Was könnte der Handel in Deutschland von der Art, wie dort Handel betrieben wird, lernen?
In erster Linie das Bemühen um den Kunden plus Flexibilität und Freundlichkeit.

Was ist für Sie ein wirklich gutes Kauferlebnis, woran machen Sie das fest?
Neulich war ich in einer kleinen Buchhandlung in Keitum auf Sylt. Der Besitzerin, einer feinen, klugen älteren Dame war eine Tüte mit Hundleckerlies umgefallen. Ich habe beim Einsammeln geholfen und kam so mit der Inhaberin ins Gespräch. Ein so netter Laden, eine tolle Frau, wir haben über die Wichtigkeit der Liebe gesprochen. Dann habe ich in ihrem Geschäft ein Buch von Sartre und ein Märchenbuch mit einer Eselsgeschichte gekauft. Das war ein herrliches Einkaufserlebnis. Für mich gehören Begegnungen mit Menschen zu den wichtigsten Ereignissen im Leben, und das kann sich gerade im Alltäglichen mit dem Einkaufen verbinden: der Ort, der Mensch, das Produkt – wenn das alles stimmig ist, ist es perfekt.

Und was muss in Ihren Augen eine Fachkraft im Handel leisten?
Wichtig ist, dass man die Arbeit gerne und mit Freude macht. Man muss sich frei machen vom „Leisten-Müssen“, sonst droht Burnout! Das heißt nicht, dass man sich nicht voll und ganz einbringen soll. Wie in der Liebe, soll auch hier der andere, hier also der Kunde, im Mittelpunkt stehen. Verkaufen als ein Akt der Hingabe, das wäre das Ideal. Der wahre Meister ist der, der seinen Alltag liebend annimmt und meistert. Die Hingabe zu dem, was wir tun, befreit uns vom Ego.

Der Mensch wird im Handel immer eine wichtige Rolle spielen. Handeln kommt von Hand – eine solche hat nur der Mensch.

„Der Kunde ist König“, ein Spruch so alt wie der Handel selbst. Regiert König Kunde heute anders als vor 10 oder 20 Jahren?
Wir haben alle menschliche Schwächen. Auch der König Kunde. Im Prinzip reagiert der Kunde heute noch genau so, wie vor 10 oder 20 Jahren. Aber alles ist im Wandel. Der Konsument stellt heute andere Ansprüche, zum Beispiel in Sachen Umweltbewusstsein, Schnelligkeit, Sortimentsvielfalt und Lieferung per Mausklick. Letzten Endes haben sich zwar die Strukturen, aber nicht der Mensch geändert. Damals wie heute will er spüren, dass man sich um ihn als Kunden kümmert. Spürt er das, ist er dankbar.

Experten der Digitalisierung prognostizieren, dass sich der Handel in den kommenden Jahren komplett verändern wird. Glauben Sie daran?
Der Handel hat sich schon immer verändert, so lange ich denken kann. Angst ist generell ein schlechter Berater, jede Veränderung bringt auch neue Chancen. Lasst uns doch einfach auf das Gute hoffen! Zum Beispiel, dass der Mensch im Zuge der Digitalisierung von stupiden Arbeiten erlöst wird und sich wertvolleren und kreativeren Tätigkeiten zuwenden kann. Der Mensch wird im Handel immer eine wichtige Rolle spielen. Handeln kommt von Hand – eine solche hat nur der Mensch.

Zum Unternehmen

Begonnen hat die Geschichte des Unternehmens im Jahr 1979 in einem Münchner Gewerbegebiet. Die im Prinzip bis heute gültige Grundidee der Unternehmensgründer Helga und Erich Kellerhals, Leopold Stiefel und Walter Gunz war die eines großflächigen Elektrofachmarkts, der außerhalb der Innenstadt gelegen ausreichend Parkplätze für Selbstabholer bietet. Ein Novum war die breite Auswahl aktueller und vorführbereiter Markenprodukte, da es damals nur kleinere Fachgeschäfte und Warenhausabteilungen mit eingeschränktem Sortiment gab. Heute wird Media Markt unter dem Dach der Media-Saturn-Holding GmbH als eigenständige Vertriebsmarke geführt. In Deutschland ist das Unternehmen derzeit mit mehr als 260 Märkten vertreten; Ende 2015 beschäftigte Media Markt hier mehr als 14.100 Mitarbeiter. Insgesamt findet man europaweit in 14 Ländern mehr als 800 Media Märkte mit rund 46.000 Mitarbeitern.