Der Wirtschafts-Umdenker Prof. Dr. Niko Paech im Interview

Prof. Dr. Niko Paech, Foto: Michael Messal
Prof. Dr. Niko Paech, Foto: Michael Messal

„Wer nicht lernen will, muss fühlen“: Niko Paech stellt im Interview sofort klar, dass für ihn die Pandemie auch eine Folge einer zügellosen Weltwirtschaft ist. Der renommierte Postwachstums-Theoretiker betrachtet die Corona-Krise zudem als Chance: Der Mensch sei ein übendes Wesen – und absolviere aktuell ein unfreiwilliges Trainingsprogramm, das ihm noch zugutekommen wird. Auch, wenn es darum geht, Unternehmen zu organisieren und zu beraten. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Niko Paech ist einer der führenden Theoretiker der Postwachstumsökonomie. Er absolvierte ab 1987 an der Universität Osnabrück sein Studium der VWL und promovierte dort im Jahr 1993. Bis 1997 arbeitete er als Unternehmensberater im Bereich Umweltmanagement und Marketing für ökologische Lebensmittel. Danach zog es ihn nach Oldenburg, wo er von 1998 bis 2001 bei der Stadt Beauftragter für die „Agenda 21“ war und ab 2001 an der Carlvon- Ossietzky-Universität im Förderschwerpunkt „Betriebliche Instrumente für nachhaltiges Wirtschaften“ tätig war. 2008 wurde Paech in Oldenburg Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt, seit 2018 ist er außerplanmäßiger Professor an der Uni Siegen im Studiengang Plurale Ökonomik.

Herr Paech, angenommen, die Corona- Krise ist ausgestanden, welche ökonomischen Erkenntnisse werden wir rückblickend gewinnen?
Wer nicht lernen will, muss fühlen. Denn ohne die auf Wachstum und blindwütiger Digitalisierung basierende Globalisierung des Personen- und Güterverkehrs wäre aus einer chinesischen Epidemie mit ziemlicher Sicherheit keine Pandemie geworden. Corona ist ein Teil jener Rechnung, die für das ausufernde Wohlstandsparadies zu begleichen ist. Weitere Teile werden in immer kürzeren Abständen folgen. Dabei wäre zumindest das sich anbahnende ökonomische Fiasko vermeidbar gewesen, wenn wachstumskritischen Positionen mehr Bedeutung beigemessen worden wäre. Schließlich ist es weitaus weniger schmerzhaft, einem Crash- Szenario geordnet und sozial verträglich zuvorzukommen, um die absehbar ohnehin nicht zu verhindernde Reduktion abzufedern, statt unvorbereitet abzustürzen. Zudem wiederholen sich bereits jetzt – also mit erstaunlich geringer Wirkungsverzögerung – die Erfahrungen der Lehman-Krise: Kaum werden Produktionsraten und Verkehrsströme reduziert, erholen sich immer mehr Teilsysteme der Ökosphäre. Auch die Gesundheit jener Menschen steigt, die direkt unter der Umweltbelastung leiden.

Wird uns also durch diese extreme und globale Krise die Chance, einen anderen Weg zu gehen, auf dem Silbertablett serviert?
Von seiner Natur her ist der Mensch ein übendes Wesen. Daraus ergibt sich, dass er nur umzusetzen und beizubehalten vermag, was er durch Übung verinnerlicht hat. Einsicht und Willensbekundungen allein reichen eben nicht. So gesehen können die Corona-Maßnahmen als unfreiwilliges Trainingsprogramm für Genügsamkeit und kreative Betätigungen jenseits von Konsum und Reisen aufgefasst werden. Weiterhin werden zwangsläufig Praktiken eingeübt, die dazu verhelfen, sich mit eingeschränkten Versorgungsstrukturen zu arrangieren. Also zum Beispiel eigene Leistungen zu erbringen, statt alles benötigte bequem abzurufen. Es besteht somit die Chance, dass am Ende dieser Probephase die Anzahl jener Menschen, die dem ruinösen Steigerungswahn zu entsagen bereit sind, zunimmt.

Welche Veränderungen werden dabei auf deutsche Unternehmen zukommen?
Erstens wird ein flexibleres Personalmanagement nötig sein, um Produktionsrückgänge durch Arbeitszeitverkürzung und -umverteilung abzufedern. Zweitens wird sich das Supply Chain-Management verändern müssen, um künftig ökonomische Verletzlichkeit zu mildern. Dies setzt eine Tendenz zur Komplexitätsverringerung, zur graduel len De-Globalisierung der Lieferketten sowie zu veränderten Produktdesigns voraus. Letzteres könnte etwa bedeuten, Nutzungsdauerverlängerung und Gemeinschaftsnutzung – zwei Wertschöpfungsbereiche, die prädestiniert für kurze Distanzen zwischen Anbieter und Nachfrager sind – stärker zu akzentuieren. Drittens wird zukünftig das Verhältnis zwischen Produktion und Konsum neu auszubalancieren sein. Das bedeutet, Konsumenten darin zu unterstützen, eine Nebenexistenz als Ko-Produzenten oder Prosumenten aufzubauen. So würde sich die Wertschöpfung des Unternehmens erweitern, nämlich um die die Befähigung zur Resilienz und Autonomie. Damit schält sich eine neue Rolle des Unternehmertums heraus.

Wie gut sind die Unternehmen mit Blick auf diese Veränderungen aufgestellt?
Sie sind bemerkenswert schlecht aufgestellt, was ihre Resilienz gegenüber jenen Krisenszenarien anbelangt, von denen die derzeitige Pandemie nur eine Variante unter vielen ist.

Unternehmen werden, um sich zukünftig legitimieren zu können, Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Risikominderung und -vorsorge vorweisen müssen.

Sehen Sie nicht auch die Gefahr, dass der Kapitalismus nach der Krise erst recht wieder große Fahrt aufnimmt – und alle „Weniger-ist-mehr“-Gedanken beiseitegeschoben werden?
Diese Gefahr besteht durchaus, zumal die größte aller großen Koalitionen darin besteht, dass sich alle Parteien, ganz gleich ob links, grün, neo-liberal oder konservativ, in einem Punkt sehr einig sind: im gnadenlosen Durchpeitschen eines Wachstumskurses, der notwendigerweise mit entsprechenden Risiken einhergeht.

Welche Art von externer Beratung wird in einem Post-Corona-Szenario an Bedeutung gewinnen?
Logischerweise alles, was Resilienz, Autonomie und Krisenbeständigkeit fokussiert. Das betrifft nicht nur die bereits von mir genannten drei Bereiche, also die betriebswirtschaftliche Sicht. Unternehmen werden, um sich zukünftig legitimieren zu können, Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Risikominderung und -vorsorge vorweisen müssen. Dies werden Politik und Bürger in zunehmendem Maße von den Unternehmen verlangen. Denn die Gründe für Krisenangst können absehbar nur wachsen.

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Welche Berater-Skills sind notwendig, um diese Consulting-Leistungen erbringen zu können?
Zunächst mal stellt sich spätestens ab jetzt eine Herausforderung, die eigentlich schon durch die Peak-Everything- Debatte und die Lehman-Krise offenkundig wurde, dann aber verdrängt worden ist: der Zielkonflikt zwischen Effizienz und Resilienz. Oder etwas prosaisch formuliert: Der Spatz in der Hand ist gegen die Taube auf dem Dach abzuwägen. Eine Schönwetterökonomie, die nur unter perfekten Lehrbuchbedingungen stabil und funktionsfähig bleibt, taugt nicht länger als Leitbild. Daraus folgt, dass sich die wirtschaftswissenschaftliche Lehre und Ausbildung – gerade auch den Consulting- Bereich betreffend – grundlegend wandeln muss. Daran arbeiten meine Kolleg*innen und ich an der Universität Siegen im Bereich der Pluralen Ökonomik: Wir loten das Spektrum sowohl diverser Zielorientierungen als auch sich ergänzender Analysemethoden aus. Die tradierte, längst zur Dogmatik erstarrte Ökonomik erweist sich zunehmend als blind für die Implikationen der neuen Verletzlichkeiten.

Kern der Krise ist eine ständige Abwägung der Folgen bestimmter Maßnahmen. Wurde es höchste Zeit, dass sich die Wirtschaft in dieser Debatte endlich mal wieder mit anderen Bereichen wie Gesundheit oder Ethik messen muss?
Absolut. Während vorangegangene Kontroversen rund um das zeitgenössische Ökonomieverständnis zumeist nur Verteilungskonflikte und die Ökologie in den Blick nahmen, kehren nun Belange auf die gesellschaftspolitische Agenda zurück, die längst als überwunden galten: Gesundheit, also körperliche Unversehrtheit, und Versorgungssicherheit – also die substantiellsten aller Grundbedürfnisse. Ausgerechnet deren Erfüllung erscheint plötzlich nicht mehr sicher. Damit dreht sich das Rad der Geschichte unweigerlich rückwärts. Womöglich waren wir nie modern, sondern nur fortschrittsbesoffen.

Nascent

Niko Paech ist seit 2020 Leiter des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekts Nascent, das nach neuen Chancen für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft durch transformative Wirtschaftsformen sucht. Dabei untersucht das Projekt die Potenziale von neuen Wirtschaftsformen und -initiativen wie Urban Gardening, solidarischer Landwirtschaft oder Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften, damit diese nicht weiter in der Nische bleiben, sondern ökonomische Innovationsprozesse in Gang bringen. Mit Blick auf die Folgen der Coronoa-Krise lässt sich schon jetzt erkennen, dass die Bedeutung dieser Ansätze zunehmen wird.
www.nascent-transformativ.de