Interview mit Samantha Cristoforetti

Foto: Samantha Cristoforetti
Foto: Samantha Cristoforetti

Die Astronautin

Samantha Cristoforetti hat geschafft, wovon viele träumen: Die 35-Jährige bereitet sich als Astronautin der Europäischen Weltraumbehörde ESA im Kölner Astronauten-Zentrum auf ihren ersten Weltraumflug vor. Im Interview erzählt die Ingenieurin, wie sie sich im Auswahlverfahren gegen 8500 Mitbewerber durchsetzte und warum ihr Ingenieurwissen ihr auch im Weltraum weiterhelfen wird. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Samantha Cristoforetti, geboren 1977 in Mailand, wird derzeit bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA als Weltraumfahrerin ausgebildet. Die 35-Jährige studierte in München, Toulouse, Moskau und Neapel Ingenieurwissenschaften sowie Luft- und Raumfahrttechnik. 2001 trat sie in die italienische Luftwaffe ein und schloss 2005 die Luftwaffenakademie im italienischen Pozzuoli ab. Zur Kampfpilotin wurde sie in der amerikanischen Sheppard Air Force Base ausgebildet. Zeitgleich nahm sie am Auswahlverfahren der ESA teil und setzte sich unter knapp 8500 Bewerbern durch. Samantha Cristoforetti ist unter den sechs neuen Astronauten des Europäischen Astronautenkorps die einzige Frau. Ihre Grundausbildung zur Weltraumfahrerin schloss sie im November 2010 ab. Im Juli 2012 gab die ESA bekannt, dass die begeisterte Taucherin und Höhlenforscherin im November 2014 zu einem Langzeitaufenthalt auf der Raumstation ISS starten wird.
Samantha Cristoforetti auf Twitter: @astrosamantha

Frau Cristoforetti, herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Beruf, den sich viele Jungen und Mädchen erträumen!
Ist das noch so? Manchmal denke ich, die meisten möchten heute lieber Fußballer oder Popstar werden. (lacht)

War Astronautin denn Ihr Traumberuf?
Ja. Ich hatte viele Poster im Zimmer, las Science-Fiction-Romane, aber auch schon Sachbücher zu diesem Thema.

Wann haben Sie sich denn entschieden, ganz bewusst auf dieses Karriereziel hinzuarbeiten?
Eigentlich erst, als sich für mich konkret die Möglichkeit ergeben hatte. Astronautin zu werden ist kein normaler Berufsweg. Man kann das nicht planen, da die Anzahl der Astronautenplätze dafür einfach zu begrenzt ist. Den Traum, Astronautin zu werden, hatte ich aber tatsächlich schon als Kind. Also habe ich keinen beruflichen Schritt unternommen, der meine Chancen, diesen Traum einmal zu verwirklichen, verringert hätte. Darum also zunächst ein Ingenieurstudium und dann die Ausbildung zur Militärpilotin.

Und dann ergab sich die Möglichkeit.
Genau. Die Europäische Raumfahrtbehörde (ESA) stellte ein Auswahlverfahren in Aussicht, das für mich genau im richtigen Moment kam. In diesem Augenblick musste ich mich nicht mehr groß entscheiden – schließlich hatte ich schon auf diese Chance gehofft.

Sie haben sich unter 8500 Mitbewerbern durchgesetzt. Was haben Sie, was die anderen nicht hatten?
Eine schwierige Frage, die man vielleicht besser denen stellen sollte, die mich ausgewählt haben. (lacht) Ich denke, es gehört viel Glück dazu. Hätten andere ESA-Experten das Auswahlverfahren geleitet, hätten sie sich vielleicht für ein anderes Profil begeistert als meines.

Was mussten Sie denn im Rahmen des Auswahlverfahrens leisten?
Im ersten Schritt wurden, basierend auf den Lebensläufen, 1000 unter den 8500 Bewerbern ausgewählt. Da war es von Vorteil, wenn man bereits Flugerfahrung gesammelt hat, mehrere Sprachen sprechen kann oder Sportarten ausübt, die einem auch als Astronaut etwas bringen. Die 1000 Bewerber wurden dann nach Hamburg eingeladen, wo wir einen Tag lang in ganz verschiedenen Bereichen getestet wurden. Es ging um Englischkenntnisse oder grundlegendes technisches Verständnis, aber auch Tests zum visuellen und zum Hörgedächtnis, zur Konzentrationsfähigkeit oder zum dreidimensionalen Vorstellungsvermögen. Das Niveau dieser Tests war ungemein hoch; ich weiß noch, dass wir alle das Gefühl hatten, ziemlich mies abzuschneiden. In die nächste Runde kamen dann 200 Bewerber, die zu einem psychologischen Assessment eingeladen wurden. Da ging es darum, uns als Individuen sowie unsere Kommunikations- und Teamfähigkeit zu beurteilen. Dann war ich unter den letzten 45. Wir wurden eine Woche lang medizinisch getestet, und die Kandidaten mit den besten Ergebnissen wurden dann vom ESA-Management zu intensiven Interviews eingeladen. Na ja, und ganz am Ende stand der Anruf, dass ich dabei sein würde.

Welchen dieser vielen Schritte empfanden Sie als besonders herausfordernd?
Gar nicht unbedingt die Assessments selber, sondern das Warten. Man benötigt eine Menge Geduld, die gesamte Bewerbungsphase hat ein Jahr gedauert. Und das normale Leben hört in dieser Zeit ja nicht auf, zumal ich zeitgleich eine sehr herausfordernde Ausbildung als Pilotin absolviert habe.

Sprich: Mit den Füßen noch im alten Beruf, mit dem Kopf aber schon im Weltraum.
So ungefähr, ja. Diese Balance wurde immer schwieriger, je näher ich meinem Ziel kam.

Wir haben schon einige Talente genannt, die Sie als Astronautin mitbringen müssen. Welche weiteren sind wichtig?
Durchsetzungsvermögen sowie keine Probleme damit, in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Primadonnen hatten es dagegen genauso schwer wie Bewerber, die entweder mit der Teamarbeit Schwierigkeiten hatten oder eben nur im Team funktionierten. Man muss sich auch mal selbst genügen. Zudem das Talent, sich auf ein großes Ziel fokussieren zu können – auch, wenn dieses noch in der fernen Zukunft liegt. Man darf sich aber auch nicht zu sehr von dem Fernziel beherrschen lassen. Ich denke, einige Bewerber sind genau deshalb nicht weitergekommen. Bessere Chancen hatten Kandidaten, die eine gute Balance aufwiesen: das Ziel vor Augen – aber dennoch im alltäglichen Leben präsent.

Gab es Wissen aus Ihrem Ingenieurstudium, das Sie während der Bewerbungsphase anwenden konnten?
Auf jeden Fall. Wir haben uns sehr intensiv mit den technischen Systemen der internationalen Raumstation und der Raumschiffe beschäftigt. Wer da die Fähigkeit mitbringt, diese Dinge aus der Perspektive eines ausgebildeten Ingenieurs zu betrachten, besitzt einen großen Vorteil. Man kennt die Begriffe und weiß, wie die Komponenten des Systems arbeiten, sodass man einen echten Vorteil gegenüber anderen Kandidaten mitbringt, die diesen Background nicht haben.

Zu Ihren Hobbys gehören Aktivitäten wie Tauchen und Höhlenforschung, Klettern und Bergsteigen. Welche Sinne schärfen diese Sportarten?
Sie schulen, dass man verantwortungsvoll mit Prozeduren und der Ausrüstung umgeht. Tut man das nicht, hat das Konsequenzen – und das ist natürlich beim Fliegen oder im Weltraum genauso. Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein sind sehr wichtig; die Leute müssen darauf vertrauen können, dass ich genau das durchführe, was für mich vorgesehen ist.

Die ESA

Die deutsche Seite der ESA: www.esa.int/esaCP/SEMYEF56JGG_Germany_0.html

ESA bei YouTube: www.youtube.com/esa

ESA bei Twitter: www.twitter.com/ESA_de

Wissen Sie schon, welche konkreten Aufgaben Sie auf der ISS erwarten werden?
Ich werde als Bordingenieurin für den Start, das Andocken an die ISS sowie den Wiedereintritt in die Atmosphäre verantwortlich sein. Zudem besitze ich in dieser Position die tiefsten Einblicke in das technische System des Raumschiffs, sodass ich den Kommandanten vor allem bei der Lösung von unerwarteten Problemen unterstützen kann. Der Kommandant trägt zwar zu jeder Zeit die Verantwortung für die Sicherheit des Schiffes, aber er darf sich durchaus auf die Kenntnisse seines Bordingenieurs verlassen.

Ist die Technik in einem Raumschiff und auf einer Raumstation mit der eines Flugzeugs zu vergleichen, oder ist das eine ganz andere Komplexität?
Es ist schon wesentlich komplizierter. Ein großer Unterschied: Während ich als Pilotin das Flugzeug im Normalfall zusammen mit dem Co-Piloten steuere, wird die Raumstation von der Erde aus gesteuert. Wir Astronauten sind für alles zuständig, was nur von Hand und nicht vom Computer gesteuert erledigt werden kann. Das sind zumeist Wartungstätigkeiten. Dennoch müssen wir darauf vorbereitet sein, kritische Situationen zu lösen, wenn der Kontakt zum Boden abgebrochen ist.

Gibt es ein Klischee, das man sich über Astronauten erzählt, das jedoch mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat?
(lacht) Ich denke, viele Leute glauben, Astronauten würden zur Vorbereitung auf ihren Weltraumflug täglich mehrere Stunden in einer Zentrifuge trainieren. Das ist jedoch eine falsche Vorstellung, denn das macht man eigentlich nur ein einziges Mal, nämlich wenn man im sogenannten Sternenstädtchen in Moskau, dem russischen Ausbildungszentrum für Kosmonauten, den Wiedereintritt in die Atmosphäre trainiert. Dort wird dann geübt, diesen Wiedereintritt in einer kritischen Situation manuell durchzuführen – und das macht man sinnigerweise in einer Zentrifuge, da dort die Beschleunigungswerte, die beim Wiedereintritt auftreten, simuliert werden können. Ansonsten spielt die Zentrifuge bei der Vorbereitung jedoch keine Rolle.

Zum Abschluss: Was glauben Sie, werden Sie in der Nacht vor dem Abflug ins All gut schlafen können?
Wie ich mich kenne, wird es das größere Problem sein, pünktlich aus dem Bett zu kommen. Aber: Ich werde mir einen Wecker stellen.

Die Europäische Weltraumorganisation ESA soll die Entwicklung der europäischen Raumfahrt koordinieren und fördern – und damit sicherstellen, dass die diesbezüglichen Investitionen allen Europäern dauerhaften Nutzen bringen. Aktuell gehören der ESA 18 Mitgliedsstaaten an. Indem sie die Finanzmittel und das Know-how der einzelnen Länder bündelt, ermöglicht sie die Realisierung von Programmen und Projekten, die keiner der Mitgliedsstaaten im Alleingang auf die Beine stellen könnte. Das Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt (DLR) vertritt die Interessen Deutschlands bei der ESA. Die Astronauten der ESA nehmen wichtige Aufgaben beim Betrieb der Raumstation ISS wahr – einer Art wissenschaftlichem Labor im Weltraum, das gemeinsam von Europa, Japan, Russland, den USA und Kanada betrieben wird. Der Niederländer André Kuipers ist im Sommer 2012 wieder von der ISS zurückgekehrt, während sich der Italiener Luca Parmitano und der Deutsche Alexander Gerst zurzeit auf ihre Langzeitmissionen ab Mai 2013 beziehungsweise Mai 2014 vorbereiten.