Suffizienz am Bau

Foto: Fotolia/VRD
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Suffizienz gehört zum großen Themenkomplex der Nachhaltigkeit. Der Begriff beinhaltet Verzicht im Sinne einer Drosselung von Konsum und Verbrauch – und in ihm steckt auch der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen. Für den Bau, auf den 40 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs fallen, wird die Auseinandersetzung mit dem Thema daher immer mehr zu einer Schlüsselherausforderung. Von Christoph Berger

Die weltweit zur Verfügung stehenden Ressourcen sind endlich. Für Alice Wildhack wird daher die Frage, auf was wir als Menschen verzichten können, zu einer immer entscheidender werdenden Schlüsselherausforderung – sowohl im Privaten als auch in ihrem Job. Wildhack ist Leiterin des Bereichs Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Technische Gebäudeausrüstung bei der Bilfinger Bauperformance GmbH und beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit: „Der Anspruch von Suffizienz im Vergleich zu Nachhaltigkeit im Allgemeinen ist höher, weil die Analyse des Verbrauchs viel genauer erfolgt. Und von den positiven Folgen der Suffizienz profitiert weniger der Einzelne als vielmehr die Gesellschaft ins gesamt“, erklärt sie. Suffizienz sei daher auch weit mehr als ein Geschäftsmodell. Vielmehr könne man von einer Einstellung, von Werten, von einer Haltung sprechen – mit dem strategischen Vorteil, dass Ressourcen erhalten bleiben oder wieder aufgebaut werden können.

Wenn Wildhack von einer „Analyse des Verbrauchs“ spricht, dann meint sie die Ökobilanz jedes einzelnen Bauteils – von der Gebäudehülle bis zum Bodenbelag. Betrachtet werden die Umweltauswirkungen von Herstellung, Nutzung und Rückbau, also der gesamte Lebenszyklus des Bauteils. „Wir haben einen erheblichen Einfluss darauf, welche Emissionen letztendlich in die Atmosphäre gehen“, sagt Wildhack. Auch darauf, was in der Nutzungsphase produziert wird und im Gebäude verbleibt. „Wenn ein Gebäude energieeffizienter als der Standard ist, produziert es auch weniger CO2-Emmissionen. Darüber sollte ich mir im Vorfeld Gedanken machen, auch im Hinblick darauf, welche Materialien ich einbaue, um zum Beispiel weniger Sonderdeponiematerial und mehr Recyclingmaterialien wie Holz zu verwenden. Das sind Gedanken, die beim Bauen eine immer wichtigere Rolle spielen“, sagt sie. Auch Politik, Gesellschaft, Bauherren und Investoren erwarten, dass sich die Bauunternehmen mit dem Thema auseinandersetzen und zum Beispiel die Anforderungen der sich ständig verschärfenden Energieeinsparverordnung und die von der Bundesregierung formulierten Energieeinsparziele umsetzen. „Große Immobiliengesellschaften zeigen in ihren Nachhaltigkeitsberichten, wie sie in nachhaltige Gebäude investieren beziehungsweise wie ressourcenschonend sie ihre Portfolios bewirtschaften. Des Weiteren ist das Thema Carbon Footprint, das ist der CO2-Verbrauch eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus, nach wie vor in aller Munde“, sagt Alice Wildhack. Vieles dreht sich also um das Thema Suffizienz. Allerdings, auch das fügt die Nachhaltigkeitsexpertin an, sei trotz aller Erwartungen bisher nur ein Bruchteil der Projekte unter dem reinen Suffizienzgedanken gebaut worden. Der Wunsch nach Nachhaltigkeitszertifikaten für Gebäude sei dagegen bereits in vielen Bauausschreibungen enthalten. Zukünftig werde sich dann eher die Frage stellen: Wer hat ein Zertifikat und ist gleichzeitig auch dem Suffizienzgedanken gefolgt?

„Wenn wir uns mit Nachhaltigkeitsprojekten befassen, beginnen wir im Idealfall mit der Beratung zur Zieldefinition und unterstützen beim Aufsetzen des Prozesses für das Projekt“, erklärt Wildhack die Vorgehensweise bei Bilfinger Bauperformance. „Im weiteren Projektverlauf müssen wir dem Kunden die richtigen Alternativen zum Standard aufzeigen können.“ In der Projektsteuerung müssen diese Ziele dann beibehalten und gegebenenfalls nachgebessert werden. Als Hilfsmittel in der Planung spielt neben der Ökobilanzierung auch die thermische Simulation, also die zeitliche Simulation der thermischen Vorgänge in Räumen und Gebäuden, eine ganz wesentliche Rolle. Mit ihr ist die Analyse komplexer Systeme und technischer Problemstellungen möglich.

Allerdings muss für diese Vorgehensweise auch Überzeugungsarbeit bei vielen Kunden geleistet werden. „Gerade die intensive und zeitaufwendigere Planungsphase ist natürlich auch teurer. An dieser Stelle kann es zu Zielkonflikten kommen“, sagt Wildhack. Nicht alle Kunden hätten diese Kapazitäten, manche nur enge Zeitfenster zur Umsetzung ihrer Projekte. Später, im weiteren Verlauf des Lebenszyklus eines Baus, zahle sich die Anfangsinvestition allerdings wieder aus. Dann wird auch klar: Plant man richtig, muss am Ende auch kaum auf etwas verzichtet werden. „Die Baubranche ist so weit entwickelt, dass es für fast sämtliche Standards inzwischen Alternativen und andere Lösungen gibt. Es geht also um die Beratung zum Verzicht an den richtigen Stellen“, erklärt Wildhack. Einbußen in Komfort, Lebensdauer oder Gebrauchstauglichkeit dürfen nicht in Kauf genommen werden, denn es zählt immer der Mensch, welcher sich im Gebäude befindet.

Für Bauingenieure bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Thema Suffizienz schließlich, sich nicht mit dem Standard des Planens und Bauens zufriedenzugeben. „Studierende und Absolventen sollten immer weiterdenken und neue Wege gehen, um weitere Suffizienzlösungen zu finden“, rät Alice Wildhack. „Immer wichtiger werden in diesem Zusammenhang die Materialkenntnisse und die Auswirkungen auf den Lebenszyklus von Bauten.“ Bauingenieure sollten das Thema also so breit gefächert wie möglich und nicht nur aus einer Richtung betrachten.

Zur Person

Alice Wildhack studierte Architektur an der TU Darmstadt und arbeitete einige Zeit im Architekturbüro. Sie merkte jedoch schnell, dass ihr der rein architektonische Blick auf das Bauen zu begrenzt ist. Daher absolvierte sie berufsbegleitend das Masterstudium „Real Estate Management and Construction Project Management“ in Wuppertal – ein bauingenieurwissenschaftliches Studium, das auch die immobilienwirtschaftlichen Aspekte beinhaltet. 2009 kam Wildhack zu Bilfinger – damals in das im Bilfinger Hochbau angesiedelte „Building Technology Center“. Inzwischen ist sie bei der Bilfinger Bauperformance, einer 100-prozentigenTochter der Hochbau- Sparte, mit etwa 200 Mitarbeitern. Hauptaufgaben sind das Planen, Beraten und Steuern mit Ingenieur-Know-how. Wildhack ist Auditorin für die Zertifizierungssysteme LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) und BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology). Seit Januar 2014 ist sie Leiterin der Abteilung Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Technische Gebäudeausrüstung (TGA) bei Bilfinger Bauperformance.