Bau visiert Klimaschutz an

AdobeStock /guy
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Laut dem Zukunftsinstitut ist Neo-Ökologie ein Megatrend, der in jeden Bereich unseres Alltags hineinreicht und der unternehmerisches Denken und Handeln in seinen elementaren Grundfesten verändern wird. Dazu zählt auch die Fokussierung auf die Energiewende – eine Reaktion auf den Klimawandel. Die Baubranche arbeitet an dieser komplexen Herausforderung in unzähligen Bereichen mit. Von Christoph Berger

Es ist bestimmt nicht untertrieben: Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Handeln ist also gefordert. Die Politik hat auf die Situation unter anderem folgendermaßen reagiert: 2015 haben die Vereinten Nationen im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen globalen Temperaturniveau zu begrenzen. Das Europäische Parlament rief 2019 den Klimanotstand aus. Deutschland einigte sich gemeinsam mit seinen europäischen Partnern auf ein Verfahren, in Europa den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Dazu wurden verbindliche Ziele vereinbart, die bis 2030 erreicht werden müssen. An erster Stelle steht das Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 in Europa.

Diese Ziele haben für das Bauwesen eine besonders große Bedeutung, gehört das Bauen sowie die Bauwerke doch zu den Hauptemittenten von CO2. 28 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland sind alleine auf den Gebäudesektor zurückzuführen. Allerdings ist die Bewertung des CO2-Fußabdrucks besonders komplex, da Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen über den gesamten Lebenszyklus der Bauten erforderlich werden – inklusive der sogenannten „Grauen Energie“. Doch genau Letztere kommt oftmals noch zu kurz. In einer aktuellen Studie des Steinbeis- Transferzentrums für Energie-, Gebäude- und Solartechnik und des Fraunhofer- Instituts für Bauphysik (IBP) im Auftrag der Bundesregierung wird die bisherige Vernachlässigung der „Grauen Energie“ bei Wohngebäuden, also der an die Materialien gebundenen Energie, die zur Herstellung, Instandsetzung und Entsorgung benötigt wird, kritisiert. Stattdessen wird eine ganzheitliche energetische Betrachtung der Gebäude über den gesamten Lebenszyklus gefordert. Durch eine klimagerechte und energieoptimierte Wahl der Baumaterialien und der Baukonstruktionen könnten allein im Neubaubereich etwa sieben Millionen Tonnen CO2 jährlich eingespart werden, schreiben die Autoren.

Und dies auch noch kostenneutral oder zu geringen Mehrkosten. Eine Forderung an die auch das Bauwende-Bündnis, eine Denkfabrik und ein Impulsgeber für Klimaschutz und Ressourcenschonung am Bau, anknüpft. Die Diskussion zum geplanten Gebäudeenergiegesetz zeige, dass ordnungsrechtliche Änderungen langwierig seien. Bei der KfW-Förderung zum Bauen und Sanieren müsse daher jetzt mit der Berücksichtigung der „Grauen Energie“ ein erster Schritt gemacht werden, anschließend seien die Förderprogramme auf eine gesamtenergetische Betrachtung über den ganzen Lebenszyklus umzustellen.

Klimaneutralität wird angestrebt

Weniger ins Detail geht die Kernaussage des GLOBE Konsens, der jüngst von einer internationalen Expertengruppe verabschiedet wurde, die im Auftrag von sieben führenden internationalen Institutionen im Bereich des Bauingenieurwesens an dem Meilenstein, wie sie ihn nennen, gearbeitet hat. Dafür ist sie umso aufrüttelnder. So heißt es in dem Konsens unter anderem: „Eine erfolgreiche Umsetzung nachhaltiger Entwicklung in der globalen Gesellschaft sowie die Verringerung der verheerenden globalen und lokalen Folgen des Klimawandels erfordern nicht weniger als eine weltweite, transformative und einheitliche Anstrengung aller Akteur*innen des Bauwesen.“

Dr. Dipl.-Ing. Wolfram Schmidt von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und Mitglied des Editor Boards von der International Union of Laboratories and Experts in Construction Materials, Systems and Structures stellt dabei die Schlüsselrolle von Bauingenieuren heraus: „Mit zunehmender Urbanisierung und wachsendem Baubedarf bei gleichzeitig immer stärker limitierten Ressourcen, werden Bauindustrie und Bauingenieure zu wesentlichen Triebfedern positiver sozio-ökonomischer, ökologischer Entwicklungen und nachhaltiger Prozesse. Allerdings sind sich die meisten Verantwortlichen ihrer Rolle und Verantwortung dabei gar nicht wirklich bewusst. Deshalb stellt der GLOBE Konsens einen Meilenstein dar, indem er die Akteure im gesamten Umfeld des Bauwesens unmittelbar anspricht und dazu ermutigt Vorboten positiver Entwicklungen für eine bessere Zukunft zu werden.“

Doch die Brisanz des Klimawandels und die Dringlichkeit zu handeln, scheint vermehrt anzukommen. So ist der Klimawandel als eines von vier Leitthemen des Branchenevents BAU 2021 ausgerufen worden. Ein anderes läuft unter dem Titel „Ressourcen und Recycling“. Vonseiten des Veranstalters, der Messe München, heißt es Energieeffizienz, Recycling, Nachwachsen und Resilienz seien die Zutaten, mit denen die Klimaneutralität von Gebäuden und Städten realisierbar sei.

Vielfältige Einflussmöglichkeiten

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat vor diesem Hintergrund selbst Handlungsfelder und Stellschrauben analysiert, um aktiv einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Zertifizierung von Gebäuden nach höchsten Standards der Nachhaltigkeit (z. B. DGNB Platin), serielle Sanierungskonzepte, innovative regenerative Energieerzeugungsanlagen, CO2-bindender Asphalt sind Beispiele für derartige Möglichkeiten. Verbunden sind in diesen Maßnahmen sowohl bauingenieurtechnische Kompetenz als auch der Klimaschutz.

55 saubere Technologie-Initiativen

Capgemini Invent, die weltweite Beratungseinheit der Capgemini-Gruppe für digitale Innovation und Transformation, hat Mitte Oktober 2020 die Studie „Fit for NetZero: 55 Tech Quests to Accelerate Europe‘s Recovery and Pave the Way to Climate Neutrality“ veröffentlicht, die aufzeigt, wie die ambitionierten EU-Klimaziele erreicht werden können. Dabei wird auch gezeigt, wie gezielte Investitionen die Innovationszyklen beschleunigen können, um so zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen, 12,7 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen und eine Bruttowertschöpfung von fast 800 Milliarden Euro zu generieren. Ein Schwerpunktthema der Studie ist „Gebäude und Bauwesen“.

Und natürlich darf auch die Wissenschaft bei der Bearbeitung des Themas mit seinen komplexen Herausforderungen nicht außen vor gelassen werden. Leichtbaukonstruktionen wie sie zum Beispiel am IBP erforscht werden oder die auf dem Gelände des Flughafens Tegel geplante Bauhütte 4.0 sind nur zwei Beispiele. Sobald Tegel 2021 endgültig schließt, soll dort ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien sowie ein Stadtquartier für mehr als 10.000 Bewohner*innen entstehen. Nachhaltiges Bauen steht dabei im Fokus. „Langfristiges Ziel ist die Förderung von Stadtquartieren in Holzbauweise, um gezielt auf die steigenden Treibhausgasemissionen in urbanen Ballungsräumen zu reagieren“, so Prof. Raoul Bunschoten, Leiter des Fachgebiets CHORA conscious city – Städtebau und nachhaltige Stadtentwicklung an der Technischen Universität Berlin. In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) und der Tegel Projekt GmbH soll ein Cluster für den innovativen Holzbau entstehen, in dem Akteure der Zivilgesellschaft, Forstwirtschaft, Forschung und Entwicklung, Bauindustrie und Stadtentwicklung zusammenkommen, um nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern.