Interview mit Dr. Regina Ruppert

Die Talentspäherin

Regina Ruppert, Foto: selaestu
Regina Ruppert, Foto: selaestu

Als Vizepräsidentin ist Dr. Regina Ruppert beim Bund Deutscher Unternehmensberater (BDU) für das Talentmanagement zuständig. Im Interview analysiert sie, wie sich der Wandel der Wirtschaft auf die Unternehmens- und Personalberatungen auswirkt und wie es den beratenden Unternehmen gelingen kann, weiterhin die besten Talente für sich zu gewinnen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Regina Ruppert studierte von 1982 bis 1987 an der Uni Göttingen BWL. In ihrer Dissertation behandelte sie das Thema „Individualisierung von Unternehmen“. Seit fast 20 Jahren arbeitet sie in der Personalberatung. Regina Ruppert führt seit zehn Jahren ihre eigene Executive Search Gesellschaft in Berlin, rekrutiert und evaluiert Führungskräfte, unter anderem für die Consultingbranche und die Industrie. Sie ist Vizepräsidentin des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU), dem europaweit größten Verband der Unternehmens- und Personalberater. Dort legt sie ihren Fokus unter anderem auf das Talentmanagement.

Frau Dr. Ruppert, es wird viel darüber gesprochen, dass sich die Unternehmen verändern müssen, um sich den neuen Bedingungen des Marktes anzupassen. Gilt das analog auch für die Unternehmensberatungen?
Treiber in den Unternehmen, ob bei Mittelständlern oder Konzernen, sind heute vor allem technische Weiterentwicklungen. Das Stichwort ist hier die Digitalisierung, die alte Strukturen aufbricht und danach verlangt, neue zu schaffen. Hierarchien werden immer weniger zum Thema, alte Konzernstrukturen werden obsolet. Diesem Struktur- und Prozesswandel der Mandanten stellen sich die beratenden Unternehmen, begleiten aktiv den Wandel in den Unternehmen. Aber auch innerhalb der Beratungsbranche selbst wird dieser Wandel sichtbar, alte Strukturen lösen sich auf.

Die Branche fährt also zweigleisig: Sie ändert sich selbst – und begleitet den Wandel bei den Kunden.
Genau. Das ist eine herausfordernde, aber auch sehr spannende Zeit.

Was bedeutet das für die Anforderungen an den Nachwuchs?
Zwei mehr denn je bedeutsame Qualitäten sind in meinen Augen Intelligenz und Belastbarkeit. Mit Intelligenz meine ich zunächst einmal die kognitive Intelligenz im Sinne von logischem Verständnis, schneller Auffassungsgabe sowie der Fähigkeit, komplexe Probleme lösen zu können. Wichtig ist aber auch die emotionale Intelligenz. In dieser digitalen Zeit sind wir ständig dabei, über E-Mail und andere elektronische Kanäle zu kommunizieren. Also häufig nonverbal. Aber gerade dann, wenn die verbale Kommunikation von Angesicht zu Angesicht seltener wird, weil viele andere Kanäle eingesetzt werden, nimmt die Bedeutung des persönlichen Gesprächs mit Kunden oder auch mit Mitarbeitern zu. Menschen wollen mitgenommen werden. Und das klappt am besten face to face.

Warum sind kommunikative Fähigkeiten heute so wichtig?
Durch das Internet und elektronische Portale ist das fachliche Know-how eines Unternehmensberaters häufig auch öffentlich zugänglich. Die klassischen Mandanten von Unternehmens- oder Personalberatungen, aber auch von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verfügen über immer mehr Optionen, sich schon im Vorfeld selbst zu informieren. Kern der Arbeit eines Beraters ist es daher heute, diese Informationen nicht nur zu vermitteln, sondern adäquat im direkten Gespräch mit dem potenziellen Kunden aufzubereiten. Er muss die besonderen Bedürfnisse des Kunden erkennen. Das gelingt mit Empathie. Und es erfordert ein gewisses diplomatisches Geschick, weil es eben auch darum geht, den Kunden dort abzuholen, wo er steht – und ihn weder zu über- noch zu unterfordern. Auch hier lässt sich übrigens eine Analogie zum Strukturwandel in den Unternehmens- und Personalberatungen erkennen.

Die Digitalisierung bricht alte Strukturen auf  und verlangt danach, neue zu schaffen.

Inwiefern?
Durch die Digitalisierung besitzen auch Führungskräfte heute viele Möglichkeiten, ihre Führung aus der Ferne wahrzunehmen. Wenn aber zu selten persönliche Entwicklungsgespräche unter vier Augen oder innerhalb von Teams durchgeführt werden, entfaltet die Fernführung keine Wirkung. Es fehlt dann die emotionale Bindung.

Sie haben die Belastbarkeit als weitere wichtige Fähigkeit benannt. Wie bewerten Sie aktuell dieses Thema?
Die Mandate für die Unternehmens- und Personalberatungen werden immer komplexer. Dadurch steigt unweigerlich auch die Komplexität der Arbeit eines Beraters. Mitarbeiter müssen sich schneller und ganzheitlicher auf neue Themen einstellen können, Das Teilen von Wissen und Kollaboration werden immer wichtiger. Die Themen werden zudem inhaltlich und strukturell anspruchsvoller – und bearbeitet werden müssen diese mit Klienten, die immer höhere Ansprüche an die Qualität und Transparenz der Beratung stellen. Was das Fachliche betrifft. Aber eben auch mit Blick auf die Kommunikation.

Nun war der Job eines Unternehmensberaters nie einfach. Wenn er jetzt noch komplexer wird, wie gelingt es den Beratungsunternehmen, ihre Mitarbeiter mit der zunehmenden Komplexität nicht zu überfordern?
Die Organisation der Arbeit hat sich verändert. Es gibt in den großen Unternehmensberatungen immer weniger „feste“ Arbeitsorte. Die Arbeit wird mobil organisiert, darauf müssen sich die Einsteiger einstellen. Vielen fällt das nicht schwer. Sie genießen die Flexibilität. Man darf aber auch nicht unterschätzen, dass es durchaus eine Herausforderung darstellt, an beinahe jedem Tag in einer anderen Arbeitsumgebung tätig zu sein. Ohne ein festes Büro mit Routinen, die ja gerade für den Einsteiger auch Halt und Sicherheit geben können.

Welche Erfahrungen machen die Beratungsunternehmen mit der Generation Y, die ja durchaus eigene Einstellungen zum Thema Belastbarkeit und Work-Life-Balance mitbringt?
Zunächst einmal ist die Beraterbranche für talentierte junge Menschen weiterhin hoch spannend, weil sie Einsteigern die Möglichkeit gibt, in ganz verschiedenen Branchen und Segmenten zu arbeiten. So sammeln schon junge Mitarbeiter breit gefächerte Erfahrungen, in dem sie abwechslungsreiche und inhaltlich reizvolle Tätigkeiten übernehmen. Ein Einsteiger, der seine Karriere in einem Industriekonzern beginnt, wird dieses Panorama in den ersten Jahren so nicht erleben. Diese schnelle Lernkurve in den Beratungsunternehmen ist weiterhin ein absoluter Pluspunkt im Kampf um die größten Talente. Mit Blick auf die Generation Y ist es wichtig, dass die Unternehmensberatungen sehr deutlich machen, dass sie die Bedürfnisse der jungen Menschen ernst nehmen und passende Ausgleichsmöglichkeiten bieten. Zum Beispiel mehr Freizeit, mehr Weiterbildung oder klar definierte Auszeiten bei der Gründung einer Familie.

Klar, die Arbeitstage  können lang sein. Es  können auch mal Wochenenden flach  fallen. Aber am Ende steht sehr häufig das Gefühl, etwas sehr  Wertvolles geschaffen  zu haben.

Thema Freizeit: Wie geht das zusammen mit der höheren Belastung durch komplexere Tätigkeiten?
Es gibt in Unternehmens- und Personalberatungen für Teams und einzelne Berater immer Spitzenzeiten, wenn es wirklich darauf ankommt. Es gibt aber auch Phasen danach, in denen es ruhiger zugeht. Die Belastung ist also übers berufliche Jahr verteilt nicht immer gleich hoch. Wir beobachten aber auch, dass diese Spitzenzeiten von den Beratern häufig positiv wahrgenommen werden. In diesen Phasen ist man in enger Anbindung an den Mandanten schöpferisch-kreativ tätig. Man bewirkt etwas Maßgebliches für den Mandanten, treibt etwas nach vorne, stößt wichtige Veränderungen an. Wer gerne Berater ist, genießt diese Tätigkeiten. Klar, die Arbeitstage können lang sein. Es können auch mal Wochenenden flach fallen. Aber am Ende steht sehr häufig das Gefühl, etwas sehr Wertvolles geschaffen zu haben. Wenn man zum Beispiel beim strategischen Wandel eines Unternehmens seine eigene Handschrift erkennt, ist das eine überaus motivierende Erfahrung.

Wie beurteilen Sie aktuell den Status Quo des Themas Frauen in Führungspositionen in den beratenden Unternehmen?
Unserer Branche geht es hier wie anderen: Es ist Luft nach oben. Der Anteil der Führungspositionen in den Beratungsunternehmen, die von Frauen ausgeübt werden, liegt derzeit bei rund 27 Prozent. Hier gibt es also noch etwas zu tun, zumal die Tätigkeiten in den Unternehmensberatungen für Frauen hoch attraktiv sind. Dabei fällt uns auf, dass insbesondere kleine Beratungsunternehmen häufig von Frauen geführt werden. In den mittelständischen Gesellschaften sind Frauen dagegen in den Führungspositionen unterrepräsentiert. In den größeren Beratungen nimmt die Zahl dann wie-der zu. Generell liegt der Rückstand übrigens nicht an dem Geschlechteranteil bei den Bewerbungen für Einsteiger. Hier haben wir teilweise über 50 Prozent Frauen.

Wo hakt es dann?
Frauen neigen dazu, mit Beginn der Familienphase – also mit Anfang bis Mitte 30 – aus der Beratung auszusteigen. Hier müssen die beratenden Unternehmen dringend etwas unternehmen, weil ihnen sonst sehr viele Talente verloren gehen. Und hier sind wir an einem weiteren Punkt angelangt, der die Beraterbranche für Einsteiger interessant macht. Wer zum Beispiel in einer Personalberatung anfängt, hat es ja durchaus selber in der Hand, das Thema Frauen in Führungspositionen voranzutreiben. Das gilt auch für andere wichtige Themen wie Diversity. Auch können Unternehmensberater Themen wie Nachhaltigkeit oder Internationalität in die Unternehmen bringen. Klar, am Ende entscheidet immer der Mandant, was er tut und was nicht. Wer aber in einer Unternehmens- oder Personalberatung tätig ist, kann bei vielen Themen zu einem wertvollen Impulsgeber für die Wirtschaft werden.

Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU)

Der BDU vertritt die deutsche Beraterbranche, die bundesweit einen Umsatz von mehr als 27 Milliarden Euro erzielt und mehr als 150.000 Mitarbeiter beschäftigt. Der Verband hat es sich zum Ziel gesetzt, die Dienstleistung Consulting zu verbessern und das Qualitätsniveau der Beratungsunternehmen zu sichern. Zur Consultingbranche zählen Unter-nehmen von der Strategie- über die Personal- bis hin zur Sanierungs- und IT-Beratung. Der BDU unterstützt seine Mitglieder durch Studien, Zertifizierungen, Leitfäden, Netzwerke und Weiterbildungsmaßnahmen. Aktueller BDU-Präsident ist Hans-Werner Wurzel. Unterstützt wird er von drei Vize-Präsidenten: Regina Ruppert, Klaus Neuhäuser und Ralf Strehlau.