karriereführer künstliche intelligenz 2019.2020 – Jetzt geht´s los!

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Cover karriereführer künstliche intelligenz 19-20

KI: Jetzt geht´s los!

Lange war die künstliche Intelligenz (KI) eine theoretische Möglichkeit – jetzt kommt sie in der Praxis an. Unternehmen nutzen sie, um zu optimieren, Risiken besser einzuschätzen und Fehler zu reduzieren. Dabei verändern die KI-Methoden im großen Stil die Arbeit. Ein Blick auf neue Job-Profile, innovative Anwendungen und auf das, was als nächstes kommt: Qubits, die nicht mehr entweder null oder eins sind – sondern zur gleichen Zeit alles zusammen.

Künstliche Intelligenz: Jetzt geht’s los!

Lange war die künstliche Intelligenz (KI) eine theoretische Möglichkeit – jetzt kommt sie in der Praxis an. Unternehmen nutzen sie, um zu optimieren, Risiken besser einzuschätzen und Fehler zu reduzieren. Dabei verändern die KI-Methoden im großen Stil die Arbeit. Ein Blick auf neue Job-Profile, innovative Anwendungen und auf das, was als nächstes kommt: Qubits, die nicht mehr entweder null oder eins sind – sondern zur gleichen Zeit alles zusammen. Von André Boße

Menschen mit Hang zur Nostalgie erinnern sich gerne an Berufe zurück, die es heute nicht mehr gibt. An den Wagner zum Beispiel, der im 18. und 19. Jahrhundert Räder oder ganze Wagons aus Holz herstellte. Den Köhler, der in einem aufwendigen Verfahren aus Holz Kohle generierte. Oder den Böttcher, der in den Dörfern die Aufgabe hatte, Fässer, Bottiche oder andere Gefäße herzustellen. Wagner, Köhler, Böttcher – man kennt diese früheren Berufe heute noch als deutsche Nachnamen. Wäre es weiterhin so, dass sich deutsche Familien nach den Berufen der Eltern benennen, dann würde es in zehn Jahren allerhand neue Namen geben. Dann würde in einer Straße die Familie Data Detective neben der Familie Man Machine Teaming Manager wohnen. Und gegenüber wären die Highway Controllers Nachbarn der Familie Quantum Machine Learning Analyst.

Ist KI wirklich so bedeutsam ?

Über kaum eine technische Entwicklung wird so intensiv diskutiert wie die KI. Aber lohnt sich das überhaupt? Ist die KI ökonomisch wirklich so prägend? Eine Studie des deutschen, international aufgestellten Datendienstleisters Statista prognostiziert, dass KI das Potenzial besitze, das Bruttoinlandsprodukt von Staaten um zehn Prozent und mehr zu erhöhen, vor allem dank verbesserter Produkte und gesteigerter Effizienz. In der Liste der Branchen, die besonders profitieren, liegt laut Statista-Studie der Handel auf Platz 1, es folgen Transport und Logistik sowie die Touristik-Branche. Vordere Plätze belegen auch die Automotive- sowie die Gesundheitsindustrie und die Finanzbranche.
Es gehört zu den größten Mythen rund um die künstliche Intelligenz, anzunehmen, sie nehme uns Menschen die Arbeit weg. Die Wahrheit ist wohl: Manche Jobs fallen weg, das stimmt. Aber erstens nicht alle. Und zweitens werden neue entstehen. Das global tätige IT-Dienstleistungsunternehmen Cognizant hat in seinem Report „21 Jobs Of The Future“ allerhand neue Berufsprofile definiert, die in den kommenden zehn Jahren entstehen werden. Zum Beispiel die Data Detectives, die wie eine Art „Sherlock 4.0“ riesige Big Data-Landschaften von Unternehmen durchfahnden, um nach Ideen für Innovationen und Lösungen für Probleme zu suchen. Als Man Machine Teaming Manager wiederum stehe man vor der Aufgabe, ein Interaktionssystem zwischen Menschen und Maschinen aufzubauen. Denn wenn, was die New Work- Experten wie Prof. Dr. Dirk Wagner sagen, Mensch und Maschine im Unternehmen zu Kollegen werden, dann muss zwischen beiden eine Kommunikation etabliert werden. Von der Fabrik der Zukunft auf die Straßen einer Stadt. In naher Zukunft werden Autos autonom fahren, der Luftraum wird von Drohnen und fliegenden Taxis befahren werden, kurz: Es wird voll! Damit das Versprechen eines urbanen Lebens ohne viele Staus und Unfälle auch tatsächlich eingehalten werden kann, wird man weiterhin Menschen benötigen, die der KI dabei helfen, die Lage im Griff zu behalten. Die Highway Controller von morgen werden – so das von Cognizant entwickelte Job-Profil – also nicht mehr am Straßenrand stehen, sie sitzen in bestens ausgestatteten Kontrolleinheiten, von wo aus sie Zugriff auf das gesamte KI-gesteuerte Verkehrssystem besitzen.

Qubits: der nächste Schritt

Worauf die Autoren des Reports zudem hinweisen: Die KI ist nicht irgendwann da und bleibt dann so, wie sie ist. KI ist ein Prozess, der sich weiterentwickeln und sich schon bald in Themenbereiche wagen wird, die heute kaum vorstellbar sind. Hier schlägt dann die Stunde der Quantum Machine Learning Analysts: Statt auf Basis der herkömmlichen digitalen Informatik rechnen die Quantencomputer auf Grundlage der Gesetze der Quantenmechanik – was zu abenteuerlichen KI-Möglichkeiten führt. Denn während digitale Bits entweder Eins oder Null darstellen können, sind Qubits in der Lage, gleichzeitig beide Zustände darzustellen – sowie alle möglichen Zustände dazwischen.

KI und Deutschland

Ende 2018 ließen zwei Meldungen aufhorchen: Erstens berichtete zum Beispiel die FAZ im Oktober, Deutschland habe bei der Digitalisierung „den Anschluss bereits verloren“. Im November kündigte die Bundesregierung Investitionen in Höhe von sechs Milliarden Euro bis 2025 für die Entwicklung der KI an, um hier weltweit führend zu sein. Eine berechtige Hoffnung? Zumindest zitierte das Handelsblatt Anfang Februar 2019 aus einem Bericht des Nationalen Kompetenz Monitoring (NKM), nach dem Deutschland bei fast allen Schlüsselkompetenzen in der Data Science zu den führenden Ländern zähle. Deutlich werde aber die Dominanz der USA, was auch eine Statista-Untersuchung der Zahl von KI-Start-ups zeigt: Hiernach gebe es (Stand: 2018) davon in den USA knapp 1400, in China knapp 400 und in Deutschland nur knapp über 100.
Klingt wie Science Fiction, ist aber ein Thema der Gegenwart: Seit 2018 kooperiert der Volkswagenkonzern mit dem kanadischen Quantencomputern-Pionier D-Wave, um das Potenzial von Quantencomputern auszuloten. Und dieses Potenzial sei riesig, heißt es: „Alle Möglichkeiten für die Lösung eines Problems können gleichzeitig ausgetestet werden“, definiert Christian Seidel, Data Scientist im Data:Lab von Volkswagen in München. „Sollte es gelingen, viele Qubits stabil miteinander zu verschränken, ergäbe sich daraus eine enorme exponentielle Rechenleistung, die völlig neue Anwendungsfelder eröffnen würde.“ So haben KI-Spezialisten von Volkswagen die Maschinen von D-Wave dazu benutzt, eine Verkehrsflussoptimierung in der chinesischen Mega-Metropole Peking anzuschieben. Mit den Fahrdaten von einigen hundert Taxis wurden optimale Routen berechnet, auf denen die Taxis Staus umgehen konnten. Weitere bereits erprobte Anwendungen sind die Berechnung von Fluchtwegen bei Tsunamis oder die Simulation der Batterienutzung in Elektrofahrzeugen. „Die Abläufe auf mikroskopischer Ebene sind hier so komplex, dass Experten derzeit noch physische Prototypen bauen müssten, was Zeit und Geld kostet,“ heißt es in einer Pressemitteilung von Volkswagen. „Mit Quantencomputern könnte es möglich werden, die Batteriechemie realistisch zu simulieren – was entscheidend ist für die Weiterentwicklung neuer Batterien für die E-Mobilität der Zukunft.“

Von der Theorie auf den Marktplatz

Was wir heute als KI in den Unternehmen erleben, ist zwar erst der Anfang, aber die von der KI ausgelöste Welle ist bereits spürbar. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) beschreibt in ihrem aktuellen Report zur künstlichen Intelligenz den Status Quo im Frühjahr 2019 wie folgt: „Die künstliche Intelligenz bewegt sich aus dem Reich der Theorie auf den globalen Marktplatz.“ Andrew Ng, einer der führenden Denker der KI-Entwicklung und CEO des Service-Unternehmens Landing Ai, bringt es als Gastautor im WIPO-Report auf den Punkt: „Künstliche Intelligenz ist die neue Elektrizität. Ich kann mir kaum eine Industrie vorstellen, die nicht von KI transformiert werden wird.“ Ablesen kann man diese Kraft an der Zahl der Patente, die in diesem Bereich angemeldet werden: Seit 2013 steige die Zahlt der Patente mit KI-Bezug rapide, heißt es in der WIPO-Studie, insgesamt gebe es weltweit knapp 340.00 solcher Patente, wobei die Hälfte von ihnen nach 2013 veröffentlicht wurden.
Künstliche Intelligenz ist die neue Elektrizität. Ich kann mir kaum eine Industrie vorstellen, die nicht von KI transformiert werden wird.
Interessant ist das Verhältnis zwischen den Patenten und den wissenschaftlichen Publikationen zu dem Thema: Noch 2010 kam auf acht theoretische Arbeiten lediglich ein Patent, 2016 lag das Verhältnis nur noch bei drei zu eins. Hier zeigt sich, dass die künstliche Intelligenz in der Praxis angekommen ist. Aber wo genau findet man sie schon heute – und morgen noch verstärkt? In einem Gastbeitrag im WIPO-Report nennt der schweizerische KI-Experte Boi Faltings von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne neben der Industrie drei weitere bedeutsame Felder. Erstens sei die KI als „Verteiler“ in der Lage, das Teilen von Ressourcen zu optimieren, ohne dass die Kunden sich dabei in ihrem Nutzungsverhalten einschränken müssten. Beispiele dafür seien Ladeplätze für Elektroautos, die mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz dort stationiert werden, wo sie wirklich sinnvoll sind. Als Verteiler trete die KI aber auch in intelligenten Infrastrukturen auf, wo sie zum Beispiel den Energiebedarf steuere. „Diese Smart Grids verbinden intelligente Geräte wie Trockner- oder Waschmaschinen mit Energieversorgern, sodass die Nachfrage der Geräte nach Strom kontinuierlich mit dem Angebot an erneuerbarer Energie abgeglichen werden kann – und zwar ohne, dass der Nutzer dabei eine wesentliche Einschränkung erfährt“, schreibt Faltings.

Frauen und KI

Eine vom Weltwirtschaftsforum und dem Netzwerk LinkedIn durchgeführte Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen gerade mal 22 Prozent der KI-Professionals ausmachen. Diese Lücke sei dreimal größer als in anderen Talentpools der Branche. Die Analyse deute demnach auch darauf hin, dass Frauen in der KI nicht nur drei zu eins unterlegen sind, sondern auch weniger wahrscheinlich in Führungspositionen positioniert sind oder eine Signalkompetenz in hochkarätigen, aufstrebenden KI-Fertigkeiten besitzen. Die Auswertung der LinkedIn-Daten gebe zudem den Hinweis darauf, dass Frauen mit KI-Kenntnissen eher als Datenanalytiker, Forscher, Informationsmanager und Lehrer beschäftigt würden, während Männer eher Softwareingenieure, technische Leiter, IT-Leiter und Geschäftsführer seien. Quelle: www.weforum.org
So könne die KI dafür sorgen, dass das größte Problem der erneuerbaren Energie – nämlich ihre Fluktuation sowie die Schwierigkeiten bei der Speicherung – zu großen Teilen gelöst wird. Ein zweites wesentliches Feld sei die digitale Medizin: Es sei möglich, mit Hilfe einer App und der Kamera des Smartphones Hautkrebs in einem sehr frühen Stadium zu erkennen; tragbare Sensoren seien in der Lage, Daten über den körperlichen Zustand eines Patienten zu sammeln, sodass frühzeitig Diagnosen getroffen und Therapien begonnen oder angepasst werden könnten. Als dritten großen Bereich nennt Boi Faltings den Dienstleistungssektor, wo immer bessere Übersetzungstools Erinnerungen an den fiktiven „Babelfisch“ in Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die Galaxis“ aufkommen lassen: Sie sorgen dafür, dass das babylonische Sprachenwirrwarr auf der Erde aufgelöst wird, ohne dass dafür alle die gleiche Sprache sprechen müssen. „Das“, so Faltings, „führt zu vielen neuen Möglichkeiten, nicht nur für gute Geschäfte, sondern auch dafür, das Leben der Menschen zu bereichern.“

Besser prüfen und beraten – dank KI

Industrie, Mobilität, Medizin, Services – das sind die bekannten Zukunftsbereiche. Was aber passiert in den Feldern, die man in Sachen Fortschritt nicht unbedingt vorne erwartet? Auch dort tut sich etwas. Viele Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften haben erkannt, dass die KI auch ihre Branche verändern wird. Die Steuer- und Rechtsberatungsgesellschaft WTS hat zusammen mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) eine Innovationsstudie durchgeführt, um KI-Potenziale zu analysieren und herauszufinden, wie sich dadurch die Arbeit in der Steuerberatung ändert. Das Ergebnis: Ob bei zolltariflichen Warenanmeldungen, Rechnungsprüfungen bei der Umsatzsteuer oder im Bereich des Risikomanagements: KITechnologien helfen, „Informationen zu klassifizieren, Fehler zu reduzieren, Zeit zu sparen, Anomalien zu erkennen, relevante Kennzahlen zu überwachen.“ Kurz: „Steuerrisiken lassen sich erheblich reduzieren.“ Und was, um zum Mythos der KI als Job-Killer zurückzukommen, machen dann die Berater? „Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz werden Aufgaben automatisiert, die nur geringe soziale Intelligenz, Kreativität und Umgebungsinteraktionen erfordern“, heißt es in der Studie. „Demzufolge sind weitreichende Veränderungen des Tätigkeitsspektrums innerhalb der Steuerberatung zu erwarten.“
Es gehört zu den größten Mythen rund um die künstliche Intelligenz, anzunehmen, sie nehme uns Menschen die Arbeit weg.
Kurz gesagt: In der Beratung hat man dank der KI endlich die Zeit, eine sozial intelligentere Beratung zu bieten. Weshalb der Optimist auch sagt: Die künstliche Intelligenz bietet das Potenzial, dass wir uns selbst vornehmen können, immer besser zu werden. Übrigens, Sie, liebe Leser*innen, dürfen sich sicher sein, dass dieser Text noch von einem Autor geschrieben worden ist. Doch mit dieser Sicherheit könnte es schon bald vorbei sein: GPT-2 ist der Name eines KI-Programms, das in der Lage ist, Texte zu schreiben. Was man dem Algorithmus, der aus Basis von Deep Learning-Ansätzen programmiert worden ist, lediglich an die Hand geben muss, ist ein Einleitungssatz. Danach macht sich die Maschine an die Arbeit und entwirft einen Text. Die Redaktion der britischen Tageszeitung „The Guardian“ hat das KI-Tool in der Praxis ausprobiert, als Vorlage gab es einen dieser typischen Nachrichteneinstiege zum Thema Brexit: „Brexit hat der Wirtschaft des Vereinigten Königreichs seit dem Referendum schon jetzt 80 Milliarden Pfund gekostet, und viele Industrie-Experten gehen davon aus, dass der Schaden durch den Brexit deutlich größer werden wird.“ Nach dieser Vorlage schrieb die Maschine weitere Absätze, die sich auf den ersten Blick total schlüssig lasen: In der Deep Learning- Methode hatte die KI Millionen Brexit-Artikel analysiert, sie wusste also, welche Themen nun in der Regel folgen. Was die Maschine nicht weiß: Ob sie hier die Wahrheit verbreitet – oder doch Lügen. Weshalb die Entwicklergruppe von GPT-2 – die Non-Profit-Organisation OpenAI, mitgegründet von Elon Musk – selbst vor ihrem Tool warnte.

Buchtipp

cover MeinKopfGehoertMir„Mein Kopf gehört mir“ von Miriam Meckel Grundlage der KI ist das Deep Learning-Verfahren, dessen Kern es ist, einen Computer so vernetzt lernen zu lassen, wie es das menschliche Gehirn von Hause aus kann. Miriam Meckel, Professorin, Publizistin und Herausgeberin der Wirtschaftswoche, dreht den Spieß nun um. Provokant fragt sie: „Was, wenn es technisch möglich ist, unser Gehirn zu optimieren, es direkt ans Internet anzuschließen?“ In ihrem neuen Buch „Mein Kopf gehört mir. Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking“ begibt sich Miriam Meckel auf die Reise in eine Zukunft der superintelligenten Hirnnetzwerke und Brainchats, bei denen Gedanken nicht erst formuliert werden müssen, bevor sie geteilt werden. Miriam Meckel: Mein Kopf gehört mir. Piper 2018, 22 Euro Jetzt kaufen bei Amazon

Der KI-Kenner Prof. Dr. Dirk Nicolas Wagner im Interview

Wenn Mensch und Maschine Teams bilden, entstehen neuartige Kooperationen. Prof. Dr. Dirk Nicolas Wagner beschäftigt sich mit den Folgen für Organisationen und deren Kunden. Im Interview erklärt er, warum die künstliche Intelligenz mehr als nur ein weiteres digitales Hilfsinstrument ist und welche Kompetenzen für Einsteiger wichtig sind, um zusammen mit dem „Kollegen KI“ zu agieren. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Dirk Nicolas Wagner ist Professor für Strategisches Management an der Karlshochschule International University in Karlsruhe und Geschäftsführer des Karlshochschule Management Instituts. Zuvor war er in Deutschland und Großbritannien in leitenden Positionen in der Industrie tätig. Seit den 1990er-Jahren beschäftigt Wagner sich mit Fragestellungen rund um das Thema Mensch und Maschine. An der Universität Fribourg (CH) promovierte er zum Thema „Software Agents and Liberal Order“. Er ist regelmäßiger Autor von Beiträgen für das Zukunftsinstitut.
Herr Wagner, was ist zusammengefasst das Neue und Besondere an Teams, in denen Menschen und KI-Akteure kooperieren? Bisher haben Organisationen IT-Systeme als Instrumente zur Unterstützung ihrer Arbeit genutzt. Mit dem Einzug von künstlicher Intelligenz ändert sich die Rolle von IT nun grundlegend. Der Aktionsradius dessen, was wir heute etwas verkürzt als KI bezeichnen, wird sich schnell ausweiten, wobei Menschen in diese Aktivitäten immer weniger eingreifen werden. Eine auf künstliche Intelligenz basierende IT ist daher nicht mehr länger als Hilfsinstrument, sondern als eigenständiger Akteur zu betrachten. Da menschliche und maschinelle Akteure unterschiedliche Eigenschaften mitbringen, müssen wir auch unsere Organisationsformen weiterentwickeln. Wie müssen diese neuen Organisationsformen gestaltet sein? Das ist noch weitgehend offen und wird stark vom weiteren technischen Fortschritt abhängen. Gewisse Entwicklungslinien sind jedoch bereits jetzt absehbar. So wird KI zukünftig von den meisten Unternehmen zugekauft und nicht selbst entwickelt werden. In der Folge wirken nicht nur die KI-Akteure autonom in der Organisation dieser Unternehmen, sondern indirekt eben auch die fremden Softwareunternehmen, die diese KI-Akteure entwickelt haben. Wenn man so will, erschließen wir neue Formen der Zeitarbeit. Sprich: Von Softwareherstellern entwickelte KI-Akteure sind als Helfer im Unternehmen und übernehmen Aufgaben auf Zeit? Allerdings mit dem gewaltigen Unterschied, dass Softwaregiganten wie Google, Amazon oder Microsoft ganz andere Einblicke ins eigene Unternehmen erhalten, als das klassische Zeitarbeitsfirmen mit ihren Mitarbeitern möglich wäre.
Der Aktionsradius dessen, was wir heute etwas verkürzt als KI bezeichnen, wird sich schnell ausweiten, wobei Menschen in diese Aktivitäten immer weniger eingreifen werden.
Es bilden sich also ganz neue Herausforderungen für die Sicherheit von Daten sowie für Betriebsgeheimnisse. Ja, und dadurch wird der Umgang mit Chancen und Risiken zu einer interdisziplinären Gestaltungsaufgabe, nicht nur für Softwareingenieure, sondern auch für Wirtschaftswissenschaftler, Psychologen, Soziologen, allgemein Sozial wissenschaftler, Juristen oder auch Designer. Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen, in denen heute schon KI-Akteure an Schlüsselstellen tätig sind – einmal mit Blick auf die internen Prozesse, aber auch mit Fokus auf den Endkunden? Die aktuelle Herausforderung besteht für Unternehmen vor allem darin, schnell und erfolgreich mit Hilfe von experimentellen Schritten zu lernen, ohne dabei den Kunden zu verärgern, Prozesse lahmzulegen oder ausufernde Fehlinvestitionen zu tätigen. Experimentieren – und dabei negative Folgen ausschließen: Wie ist das möglich? Intern wie extern gilt es, ständig zu fragen: „Was kann – und was soll auch tatsächlich automatisiert werden?“ Die Antworten können für Unternehmen sehr unterschiedlich ausfallen. So entscheidet sich heute zum Beispiel die eine Hotelkette für, eine andere wiederum gegen automatisierte Chat- und Beratungsangebote im Internet.
Denn je mehr wir automatisieren, desto größer ist auch die Hebelwirkung menschlicher Teams auf Erfolg oder Misserfolg.
Noch einmal zurück zu Teams, in denen KI-Akteure und Menschen kooperieren. Mit Blick auf Einsteiger, wie ließe sich schon heute eine Art von „Teamfähigkeit“ schulen, welche Kompetenzen sind dafür wichtig? An der Schnittstelle zur KI wird es sicherlich ganz neue Teamerfahrungen geben. Für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit KI werden grundlegende Kenntnisse darüber wichtig sein, wie KI Entscheidungen fällt, welche Fehler und Probleme auftreten können und wie man damit umgehen kann. Von enormer Bedeutung sind aber auch altbekannte Kompetenzen für die erfolgreiche Teamarbeit mit anderen Menschen, zum Beispiel, angemessen zu kommunizieren, zu organisieren und zu führen. Denn je mehr wir automatisieren, desto größer ist auch die Hebelwirkung menschlicher Teams auf Erfolg oder Misserfolg. Noch sind solche Teams aus KI und qualifizierten Mitarbeitern recht abstrakt. Können Sie Beispiele aus der Praxis nennen, in denen diese neuen Formen der Kooperation schon sehr bald erlebbar sein werden? Zum Beispiel wird sich weltweit die medizinische Versorgung weiter verbessern, und doch werden Patienten seltener bei einem Arzt vorstellig werden, sondern häufiger bei niedriger qualifizierten Kräften im Team mit KI in Behandlung sein. Es gibt bereits eine Reihe von Anwendungsbereichen, in denen die anstehenden Änderungen recht leicht vorstellbar sind. Schwieriger ist es, sich schon heute ein Bild von einer Entwicklung zu machen, die noch deutlich weiterreicht: KI wird sich ausnahmslos in allen Bereichen des öffentlichen, professionellen und privaten Alltags zwischen den Menschen einnisten. Wird die KI – wie heute schon die IT – zu einem ständigen Begleiter? Ja, wobei schon heute die fehlende Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger, Kundinnen und Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine große Herausforderung darstellt. Denn die KI agiert vor allem hinter den Kulissen der Nutzeroberflächen. Ein Blick nach China zeigt uns, welchen Einfluss zum Beispiel der Staat nehmen kann. Aber auch in Deutschland lässt ein aufmerksames Verfolgen der Entwicklungen bei sprachgesteuerten Anwendungen wie Alexa, Siri & Co. ahnen, wohin die Reise mit Blick auf die einflussreichen privaten Technologiegiganten gehen wird.

KI in der Wirtschaftsprüfung

Daten sind schon immer das Geschäft der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gewesen. Durch den KI-Einsatz im Umfeld großer Datenmengen lassen sich Tendenzen, Fehler oder auch Betrugsversuche leichter aufdecken.

„Big Data und KI werden dazu führen, dass zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr auf den Arbeitsmärkten nachgefragt werden. So viel ist sicher.“ Diese Sätze sind in dem vom Bitkom und DFKI 2017 veröffentlichten Positionspapier „Entscheidungsunterstützung mit Künstlicher Intelligenz“ nachzulesen. Demnach sind davon auch solche Berufsgruppen betroffen, „in denen sich bisher viele Mitarbeiter als Wissensarbeiter auf der ‚sicheren Seite‘ wähnten. Gerade solche Berufsgruppen – von Sachbearbeitung bis Wirtschaftsprüfung – stehen aktuell im Fokus“. Ob es für die Wirtschaftsprüfer tatsächlich so gravierend wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. So kommt das Marktforschungsunternehmen Lünendonk und Hossenfelder in seiner Studie „Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs-Gesellschaften in Deutschland“ zu dem Ergebnis, dass die Digitalisierung die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einerseits zwar vor große Herausforderungen stelle, gleichzeitig böten sich den Unternehmen aber auch neue Chancen. Eine solche Chance wird zum Beispiel im KPMG-Blog „Klardenker“ aufgeführt. So könnte der Abgleich von gebuchten Sachverhalten mit den der Buchung zugrundeliegenden Unterlagen im Rahmen der Abschlussprüfung zukünftig von KI-Technologie erledigt werden. Bisher sei es üblich, dass die Informationen externer Dokumente händisch mit den elektronischen Informationen des Mandanten abgeglichen, das Ergebnis gewürdigt und dokumentiert werde. KI wird also zu einem unterstützenden Instrument für Wirtschaftsprüfer. Das Fazit des Autors fällt dann aber differenziert aus: „Erfahrene Experten wie Wirtschaftsprüfer bleiben unverzichtbar, um die Ergebnisse der KI Analysen im zunehmend komplexeren Kontext der Geschäftstätigkeit sowie des wirtschaftlichen und rechtlichen Umfelds des zu prüfenden Unternehmens kritisch zu würdigen und sich dabei kontinuierlich über die Analyseergebnisse mit den Adressaten auszutauschen.“ Und was die Herausforderungen betrifft, so offenbart die Lünendonk-Studie einen im Kontext der Digitalisierung ganz entscheidenden Aspekt: die Rekrutierung. HR-Verantwortliche müssten heute und künftig Mitarbeiter finden, die Kenntnisse sowohl in der Rechnungslegung als auch in der Informatik mitbringen. Die Mitarbeiterstruktur der von den Berufsträgern geprägten Unternehmen werde sich ebenso ändern wie die Partnerstrukturen. So hätten Immer mehr Mitarbeiter einen Studienabschluss einer Technischen Hochschule, Kooperationen mit IT-Unternehmen und Startups würden zunehmen, und es würde über eine weitere Reformierung des Zugangs zum Arbeitsmarkt sowie über eine Steigerung der Attraktivität nachgedacht.

KI und die Nachhaltigkeit

Künstliche Intelligenz im Einsatz für Mensch und Umwelt: Laut den Ergebnissen zweier Studien hat KI das Potenzial, die großen gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen der Menschheit besser zu bewältigen. Wie sie das macht beziehungsweise machen könnte, wird anhand zahlreicher Beispiele beschrieben. Von Christoph Berger

Eine KI-basierte Smartphone-App, die Blinden hilft, sich in ihrer Umgebung besser zurechtzufinden; KI-Systeme, die enorme Datenmengen aus unkonventionellen Quellen verarbeiten, um zu ermöglichen, dass in Entwicklungsländern Millionen von Menschen ein Bankkonto eröffnen können; Lösungen, die Satelliten- oder Drohnenaufnahmen mit KI-Technologien auswerten, um zum Beispiel nach einem Hurrikan überflutete Straßen zu ermitteln. Das sind nur einige Beispiele für einen im Dienst der Nachhaltigkeit stehenden KI-Einsatz. Ausgehend von 160 gesellschaftlichen und sozialen Anwendungsfällen kommt das McKinsey Global Institute in seiner im Dezember 2018 veröffentlichten Studie „Notes from the AI frontier: Applying AI for social good“ zu dem Ergebnis, dass KI-Fähigkeiten wie das maschinelle Sehen oder die Verarbeitung natürlicher Sprache, also das Natural Language Processing, kurz: NLP, eine weitreichende Verbesserung bei allen 17 UN-Nachhaltigkeitszielen bewirken können – dazu zählen beispielsweise Bildung, Sicherheit und Justiz, Gleichstellung und Integration.

Die Studien

Der im Dezember 2018 veröffentliche Studien-Report „Notes from the AI frontier: Applying AI for social good“ steht frei beim Mc Kinsey Global Institute zum Download zur Verfügung (PDF). Weitere Informationen zur Studie „Fourth Industrial Revolution for the Earth“
Zwar sei künstliche Intelligenz kein Allheilmittel für die Probleme dieser Welt, wie KI-Experte und McKinsey Seniorpartner Peter Breuer betont, aber die Technologie könne erheblich zum Wohl der Gesellschaft beitragen, bestehende soziale Bemühungen erweitern und in einigen Fällen revolutionäre Verbesserungen bewirken. Die größte Herausforderung liege darin, diese Lösungen weiterzuentwickeln und einsatzreif zu machen. Von revolutionären Entwicklungen bei der Kombination von Nachhaltigkeit und künstlicher Intelligenz ist auch in der von PwC gemeinsam mit dem Weltwirtschaftsforum veröffentlichten Studie „Fourth Industrial Revolution for the Earth“ die Rede. „Wenn es uns gelingt, die Technologie im Kampf gegen Klimawandel und Umweltverschmutzung richtig einzusetzen, werden wir damit eine Nachhaltigkeits- Revolution auslösen“, sagt Hendrik Fink voraus, Partner und Leiter Sustainability Services bei PwC. Auch in dieser Studie wurden 80 Einsatzmöglichkeiten identifizert – für Klimawandel, Luftverschmutzung und Artensterben. So kann KI beispielsweise für präzise Prognosen des Wasserbedarfs und der Wetterentwicklung sorgen sowie die Wasserqualität von Flüssen in Echtzeit überwachen. Oder KI kann bei der Bekämpfung illegaler Fischerei, der Überwachung von Meeresverschmutzungen und der Kartierung sensibler Ökosysteme helfen. Oder künstliche Intelligenz ermöglicht es, eine intelligente Stromversorgung einzusetzen, die Elektromobilität voranzubringen und durch Modellierung präzise Aussagen über den Klimawandel zu treffen. Oder, oder, oder…

Die UN-Nachhaltigkeitsziele

Insgesamt wurden von der UN 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung identifiziert, die bis 2030 von allen UNOMitgliedstaaten erreicht werden sollen: www.bmz.de/de/ministerium/ziele/2030_agenda/17_ziele/index.html

„Wir als Menschen müssen die Grenzen setzen“

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hat zum Jahresstart 2019 acht Leitlinien für den Umgang mit künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Grund: Angesichts der massiv steigenden Relevanz von KI sollen diese Leitlinien die Handlungsgrundlage für die Digitale Wirtschaft in Deutschland bilden. Der karriereführer sprach darüber mit Harald R. Fortmann, dem Leiter des Ressorts Arbeitswelt der Zukunft im BVDW. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Harald R. Fortmann, Foto: five14
Harald R. Fortmann, Foto: five14
Harald R. Fortmann ist neben seiner Leitung des Ressorts Arbeitswelt der Zukunft im BVDW Executive Partner bei five14, einer auf die Digitalwirtschaft spezialisierten Personalberatung. Er ist in Frankreich und Deutschland aufgewachsen und seit 1996 in der digitalen Wirtschaft aktiv. Sein erstes Unternehmen gründete Fortmann bereits mit 23 Jahren, es folgten Start-up-Gründungen und Geschäftsführerpositionen bei namhaften Unternehmen wie AOL und Pixelpark. Als Unternehmer und Lehrbeauftragter wurde er mehrfach ausgezeichnet. Bei five 14 ist er insbesondere für die Beratung von Konzernen und marktführenden mittelständischen Unternehmen bei der Neubesetzung von Führungsgremien zuständig und begleitet diese bei der strategischen Planung und Umsetzung ihrer digitalen Transformation. Acht Leitlinien für künstliche Intelligenz (PDF)
Herr Fortmann, was war die Motivation des Verbandes, sich an die Formulierung der Leitlinien zum Umgang mit künstlicher Intelligenz zu setzen? Mit den Leitlinien greifen wir eine Entwicklung auf, dass wir mit künstlicher Intelligenz vor einer Veränderung stehen, die es in dieser Form und mit diesen Auswirkungen lange nicht gegeben hat. Als Digitale Wirtschaft haben wir die Verantwortung, diese Veränderungen nicht einfach passieren zu lassen, sondern gewisse Rahmenbedingen festzulegen und uns selbst diese Leitlinien aufzuerlegen, wie mit künstlicher Intelligenz umzugehen ist. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Chancen der Technologie wahrnehmen. So kann KI nämlich auch zu einem echten wirtschaftlichen Treiber für Deutschland und Europa werden – insofern wir das Thema richtig anpacken. Es ist nämlich mitnichten so, dass wir den Wettbewerb bereits gegen die USA und China verloren haben. Stand die ethische Dimension zum Umgang mit KI im Mittelpunkt Ihrer Überlegungen? Unter anderem, aber nicht nur. Es geht auch darum, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Immerhin verbindet die Mehrzahl der Menschen mit KI den Wegfall von Jobs. Diese Befürchtung ist natürlich einerseits richtig: Durch die Automatisierung und Robotisierung werden wir viele Jobs verlieren. Sehr viele Jobs werden sich auch verändern, sodass es einen Großteil der Jobs, wie wir sie heute kennen, in fünf bis zehn Jahren nicht mehr geben wird. Das bedeutet, dass sich die Menschen umorientieren müssen. Aufgabe der Gesellschaft, der Politik und Wirtschaft ist es jetzt, die Menschen auf diese Veränderungen vorzubereiten. In den Leitlinien wird auch betont, dass durch KI neue Jobs entstehen. Ja. Aber auch hier noch einmal: Durch Kommunikation verlieren die Menschen oftmals ihr Misstrauen. Sie müssen wissen, wohin es für sie gehen kann und welche Skills zukünftig von ihnen verlangt werden. Darüber hinaus müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, ihre Mitarbeiter beispielsweise durch Weiterbildungen auf diesem Weg zu begleiten. Seit Jahren predigen wir das ‚Lebenslange Lernen‘, es war nie wichtiger als heute, diesen Satz mit Leben zu füllen. Welche Skills werden zukünftig gefragt sein? Es sind vor allem Neugierde und Kreativität, die benötigt werden und die schon in der Schulzeit gefördert werden müssen. Beides sind eigentlich Fähigkeiten, die in uns Menschen von Geburt an stecken, die dann aber durch unser heutiges Bildungssystem unterdrückt werden. Diese Fähigkeiten müssen wir wieder freilegen. Des Weiteren kommt natürlich die Bereitschaft hinzu, sich verändern zu wollen. Der Großteil der Menschen, die mit digitalen Technologien arbeiten – wir sprechen jetzt nicht von den Spezialisten – müssen eine breite Kenntnis haben und verstehen, dass Technologien miteinander arbeiten können. Dann folgen die Spezialisten, die die Technologien bedienen können. Von denen werden IT-Skills benötigt. Und als Führungskraft muss man verstehen, dass man verschiedene Tools einsetzen kann, um ans Ziel zu kommen. Diese technologische Grundkompetenz, technologische Sachverhalte erfassen und verstehen zu können, sind schon heute ein Pflichtkönnen der Kandidaten, die solche Aufgaben übernehmen. Dieses Wissen muss generiert werden, um die Jobs auch machen zu können.
Das Gros der Anwendungen, die in Deutschland heute als KI bezeichnet werden, fällt eigentlich unter Machine Learning. Das ist jedoch nur die Vorstufe zur künstlichen Intelligenz.
Lassen Sie uns noch einmal auf den ethischen Umgang mit KI zurückkommen. Wir können KI nicht stoppen, sie wird kommen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass es ethisch und mit dem Menschen vereinbar umgesetzt wird. Es sind ja schon einige Fälle aufgetaucht, die zeigen, was mit KI alles passieren kann. Stichwort Scoring. Klar muss aber auch sein, dass die Maschine nicht alleine agieren wird, sondern der Mensch immer noch dazu gebraucht wird, um der Maschine zu sagen, was sie zu tun und zu lassen hat. Daher ist die Frage zu klären: Wie wollen wir Mensch und Maschine zusammenbringen und was sind unsere ethischen Grundsätze, die wir dem zugrunde legen? Und wir brauchen eine Antwort darauf, wie wir eigentlich leben wollen. Wir als Menschen müssen die Grenzen setzen. Das Thema Künstliche Intelligenz hat bereits Fahrt aufgenommen. Greifen Ihre Leitlinien da noch? Auf jeden Fall. Das was an Entwicklungen im Kontext KI möglich ist, da stehen wir noch ziemlich am Anfang. Das Gros der Anwendungen, die in Deutschland heute als KI bezeichnet werden, fällt eigentlich unter Machine Learning. Das ist jedoch nur die Vorstufe zur künstlichen Intelligenz. Somit ist die Frage nach dem Umgang, auch hinsichtlich der Ethik, hochaktuell.  

Culture data: Kultur-, Buch- und Linktipps

MACHT EUCH DIE MASCHINEN UNTERTAN

Cover MAcht Euch die Maschinen untertanNoch weiß niemand, wie künstliche Intelligenz unser Leben verändern wird. Da wundert es nicht, dass es zu den am heftigsten diskutierten Themen gehört. Der Leiter des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung, Andrian Kreye, hat die wichtigsten Protagonisten dieser Debatte getroffen, Euphoriker wie Pessimisten. Und er hat sich ein Bild vom Stand der Dinge gemacht. Was kann künstliche Intelligenz? Wohin geht die Entwicklung? Und wie kann man dafür sorgen, dass diese Technologie den Menschen dient und ihnen nicht schadet? Andrian Kreye: Macht Euch die Maschinen untertan, Süddeutsche Zeitung Edition 2018, 12,90 EuroJetzt kaufen bei Amazon

KI IM RECRUITING

Digitale Technologien verändern unsere Arbeitswelt. So auch das Recruiting. Prof. Dr. Markus H. Dahm, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FOM Hochschule und Leiter Digital Change & Transformation bei IBM, hat zusammen mit dem Psychologen Alexander Dregger Studierende gefragt, wie Bewerber auf KI reagieren: Unter anderem wurde gefragt, ob KI-basierte Tools akzeptiert werden, ob es Skepsis gibt oder sie gar grundsätzlich abgelehnt werden. Dazu Markus H.Dahm: „Insgesamt zeigt die Studie, dass die Einführung von KI-Systemen selbst bei einer jungen Zielgruppe kein Selbstläufer ist. Gleichzeitig verdeutlichen die Ergebnisse aber auch, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, mittels Produktdesign und Change-Management die Akzeptanz solcher Systeme zu fördern: Ein zentraler Faktor ist die Art der verwendeten KI. Eine ‚Autonomous Intelligence‘ wird von den Nutzern nicht komplett abgelehnt, aber sie stößt auf stärkere Skepsis als eine ‚Assisted bzw. Augmented Intelligence‘.“ Weitere Infos unter: www.fom.de

SCHUBERTS SINFONIE NR. 8 – DIE UNVOLLENDETE

Der chinesische Kommunikationsausrüster Huawei hat mit künstlicher Intelligenz Franz Schuberts Sinfonie Nr. 8 vollendet. Bis heute ist unklar, weshalb der Komponist die auch unter dem Namen „Die Unvollendete“ bekannte Sinfonie nicht fertiggestellt hat. Nun hat dies ein Smartphone des Unternehmens mithilfe von KI getan – „komponiert“ hat es den dritten und vierten Satz des Stücks. Das Smartphone „hörte“ sich dafür die ersten beiden Sätze der Sinfonie an, analysierte ihre wichtigsten musikalischen Elemente und generierte dann auf der Grundlage dieser Analyse die Melodien für den fehlenden dritten und vierten Satz. Am 4. Februar 2019 wurde die so erstellte Version im Rahmen einer Live-Darbietung in der Cadogan Hall in London präsentiert. Mehr Infos unter: https://consumer.huawei.com/de/campaign/unfinishedsymphony/

DIE RETTUNG DER ARBEIT

Cover Die-Rettung-der-ArbeitWie werden wir in Zukunft arbeiten? Künstliche Intelligenzen und Roboter übernehmen schon jetzt immer mehr Aufgaben und sorgen für Existenzängste, die in die Hände von Populisten spielen. Dabei sollten wir die Zukunft der Arbeit nicht dem Markt überlassen – sie ist eine Frage der politischen Gestaltung, die gerade jetzt couragiert beantwortet werden kann. Arbeit hält Gesellschaften zusammen, sie ist etwas fundamental Menschliches. Lisa Herzog, Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München, zeigt, wie sie in digitalen Zeiten gerechter und demokratischer werden kann, als sie es je war – für alle, nicht nur für wenige Privilegierte. Ihr Buch gibt neue Antworten auf eine der großen Fragen unserer Zeit und gibt wichtige Impulse für eine bessere Politik. Lisa Herzog: Die Rettung der Arbeit. Hanser 2019, 22 EuroJetzt kaufen bei Amazon

MENSCH, ROBOTER!

Das Heinz Nixdorf MuseumsForum hat seine Dauerausstellung erneuert und erweitert, denn künstliche Intelligenz und Robotik spielen eine immer größere Rolle im Alltag. Erfindungen und rasante technische Entwicklungen prägen das Verhältnis von Mensch und Maschine. Im Bereich „Mensch, Roboter! – Leben mit Künstlicher Intelligenz und Robotik“ lernen Besucher*innen Beppo, Pepper, Aibo, Cozmo und weitere spektakuläre Roboter kennen. Wie bewegen sich Roboter? Was sehen sie? Können sie denken und fühlen? Weitere Infos unter: www.hnf.de/veranstaltungen/mensch-roboter.html

MÄNNER SIND LEICHTER DURCH KI ZU ERSETZEN ALS FRAUEN

Männer wären oft leichter zu ersetzen als die meist ziemlich universellen weiblichen Problemlöser. Wie Horizont berichtet, hat dies Professor Jürgen Schmidhuber von der TU München auf dem Innovationstag 2018 gesagt. Demnach könnten Männer zwar eine Sache wirklich gut, allerdings seien sie nicht allzu breit aufgestellt. Das mache sie anfällig für Automatisierungen. Quelle: https://bit.ly/2ChrNG7

DIE MENSCHENFABRIK

cover Die-MenschenfabrikSchon 1890, lange vor Orwell und Huxley, hat Oskar Panizza – Panizza, geboren 1853 in Bad Kissingen, war Nervenarzt und Schriftsteller – sich in „Die Menschenfabrik“ prophetisch, fesselnd und verstörend mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Mensch und Maschine auseinandergesetzt. Seine Erzählung handelt von der Optimierung der Menschheit, von der drohenden Herrschaft der künstlichen Intelligenz – und fragt danach, was den Menschen überhaupt ausmacht. Oskar Panizza: Die Menschenfabrik. Hoffmann und Campe 2019, 14 EuroJetzt kaufen bei Amazon

KI IM HANDEL

Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) hat in einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im September 2018 untersucht, zu welchen Services im Handel künstliche Intelligenz (KI) künftig einen Beitrag leisten wird. Demnach sehen 44 Prozent der Bundesbürger eine steigende Attraktivität des stationären Handels durch KI-Technologien, dort gibt es laut den Ergebnissen hohe Zustimmungswerte für KI-gestützte Kundenservices. Doch die persönliche Beratung vor Ort sollte weiter von Mensch zu Mensch stattfinden. Weitere Infos unter: www.pwc.de/de/digitale-transformation/kuenstliche-intelligenz.html

EIN PORTRÄT VON EDMOND DE BELAMY

Im Rahmen einer Auktion wurde das Bild „Portrait of Edmond de Belamy“ am 25. Oktober 2018 vom Auktionshaus Christie’s für 432.500 US-Dollar versteigert. Damit erzielte das Gemälde einen Wert, der den zuvor erstellten Schätzwert um fast das 45-fache übertraf. „Gemalt“ beziehungsweise hergestellt wurde es von einer künstlichen Intelligenz, hinter dem Gemälde steht das Kollektiv Obvious. Auf deren Internetseite wird Picasso mit den Worten zitiert: „Computers are useless. They can only give answers.“ Die Antwort des Kollektivs folgt direkt: „Well Picasso (1881–1973), it’s a disagreement.“ Weitere Infos unter: http://obvious-art.com

Das letzte Wort hat: Holger Volland

Holger Volland ist sich sicher: Wir stehen vor einer zweiten kopernikanischen Wende! Wir müssen erkennen, dass wir nicht die einzigen kreativen Denker auf dieser Welt sind. Die Fragen stellte Christoph Berger

Holger Volland, Foto: Bernd Hartung
Holger Volland ist Gründer des digitalen Kulturfestivals THE ARTS+ und Vice President der Frankfurter Buchmesse. Er studierte Informationswissenschaft und arbeitete als Internetpionier bei Pixelpark in Berlin und New York. Später war er Partner und Geschäftsführer einer Unternehmensberatung und führte die New Economy Business School. Parallel lehrte er an der Hochschule Wismar Gestaltung und kuratierte große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland. Holger Volland lebt in Frankfurt und ist ein gefragter Sprecher und Moderator zu Themen rund um den digitalen Wandel und Kultur.
Herr Volland, wie lautet Ihre Definition von Kreativität? Kreativität ist die Fähigkeit, etwas Originelles zu erschaffen, das gleichzeitig einen Nutzen mit sich bringt. Ihr Buch heißt „Die kreative Macht der Maschinen“. Schließt sich eine Symbiose der Begriffe „Maschine“ und „Kreativität“ nicht schon von Beginn an grundsätzlich aus, kann eine Maschine an sich überhaupt kreativ sein? Einer Maschine fehlt vor allem die Persönlichkeit, um wirklich originell sein zu können. Allerdings finde ich wichtiger, dass wir viele kreative „Outputs“ von Maschinen, wie Texte, Bilder, Stories, nicht mehr von menschlichen unterscheiden können. Wir geben Maschinen damit die Macht, uns mit diesen Inhalten auch emotional zu berühren. Wenn eine Technologie alles von Menschen Erschaffene reproduzieren kann und eventuell auch neu miteinander mischt, ist sie dann vergleichbar mit dem Unbewussten von uns Menschen? Man kann sicher davon ausgehen, dass wir KI im kreativen Bereich anhand ihres Trainings und Verhaltens bestimmte Prägungen zuschreiben werden. Liegt die zukünftige Aufgabe des Menschen vor allem darin, Ideen zu entwickeln und tatsächlich kreativ zu sein – und sich dabei eventuell auch von aus KI entstandenen Produkten inspirieren zu lassen? Wir beginnen gerade das Zeitalter der Zusammenarbeit von KI und Mensch. Noch sehen wir das vor allem in der Wissenschaft oder Medizin, bald schon werden wir aber sicher Co-kreationen von gemischten Teams sehen. Viele Künstler, wie etwa Roman Lipski aus Berlin, lassen sich heute schon von KI inspirieren. Doch wie kann sich der Mensch diese Kreativität erhalten, wenn künstliche Intelligenz einfach sehr viele Bereiche unseres Lebens beeinflussen wird und sich eventuell sogar selbst dauernd verändert oder weiterentwickelt? Das ist die Gretchenfrage. Denn wenn der Mensch die besseren Fotos, Kompositionen oder Texte mit Hilfe von KI-unterstützten Apps erhält, wird er diese auch nutzen und so das Training seiner eigenen Kreativität darunter leiden lassen. Zum Problem wird das, da bei kreativen Prozessen oft der Weg das Ziel ist und uns die überraschendsten Entwicklungen oft während dieses Weges gelingen. In einem Interview zu einem Event sagten Sie einmal, dass viele Menschen hoffen würden, es gäbe im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz Hoffnung für den Menschen. Handelt es sich dabei um eine Illusion? Unser größter Feind werden noch lange wir selbst sein! Denn Maschinen wollen keine Herrschaft über Menschen. Es sind vielmehr Menschen und Firmen, die dieses Interesse haben und dafür Technologie einsetzen. Sollte den Menschen die Technik eines Tages über den Kopf wachsen, wird es dann den Power-Knopf geben, der gedrückt werden kann, um KI zu stoppen? Sollte es wirklich dazu kommen, wird es keinen Aus-Knopf mehr geben. Sie können ja heute schon verteilte Strukturen wie das Internet nicht mehr für alle abschalten.

Buch DieKreativeMachtBuchtipp

Holger Volland: Die kreative Macht der Maschinen. Beltz 2018, 19,95 EuroJetzt kaufen bei Amazon

karriereführer recht 1.2019 – Juristen bringen das Vertrauen zurück

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Cover karriereführer recht 1-19_1068

Juristen bringen das Vertrauen zurück

Cyber-Sicherheit und Datenschutz sind längst keine juristischen Randthemen mehr. Für viele Unternehmen stellen sie heute die größten Risiken da, in eine Krise zu geraten. Das Positive: Gegen diese Krise ist Vorbeugung möglich. Juristen mit Cyber- und Daten-Know-how helfen Unternehmen dabei. Vertrauen wird dabei zur ultimativen Währung.

Juristen bringen das Vertrauen zurück

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Cyber-Sicherheit und Datenschutz sind längst keine juristischen Randthemen mehr. Für viele Unternehmen stellen sie heute die größten Risiken da, in eine Krise zu geraten. Das Positive: Gegen diese Krise ist Vorbeugung möglich. Juristen mit Cyber- und Daten-Know-how helfen Unternehmen dabei. Vertrauen wird dabei zur ultimativen Währung. Ein Essay von André Boße

Vor zehn Jahren war die Krise noch allgegenwärtig: Ausgehend von der globalen Finanzkrise poppten monatlich neue Krisen auf, von der Kreditkrise über die Euro-Krise bis hin zur Konjunkturkrise. Seit fünf Jahren jedoch ist das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland stabil, die meisten Unternehmen stellten den Krisenmodus aus, dachten wieder überwiegend vorsichtig-optimistisch an morgen, packten hoffnungsvoll die große Herausforderung der digitalen Transformation an. Die Geschäfte liefen ordentlich bis gut. Und sie laufen bis heute in vielen Fällen zufriedenstellend, trotz der wahrscheinlichen Wachstumsdelle in diesem Jahr. Und doch hat sich in den vergangenen Monaten etwas geändert: Der Begriff der Krise ist zurück.

Krise mit digitalen Risiken

Ein wesentlicher Aspekt unterscheidet die Krise von heute von der Krise von gestern. Damals traf sie die Unternehmen von außen: Insbesondere die Pleite der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers löste eine Sturmwelle aus, die viele Akutere mit sich riss, große Schäden verursachte. Die Krise, über die wir heute reden, ist dagegen eine Form von Problem, die häufig intern in den Unternehmen selbst entsteht. Zum Beispiel, weil digitale Risiken falsch eingeschätzt worden sind. Der Vorteil: Krisen von innen lassen sich auch intern bekämpfen. Daher gewinnt das Krisenmanagement von Unternehmen an Bedeutung, im Idealfall verbunden mit einer verbesserten Risikoabwägung. Und weil die Krisen von heute in vielen Fällen mit Regularien oder Sicherheitslücken zu tun haben, ist das Know-how von Juristen gefragt. Im Fokus steht dabei die Digitalisierung, deren Auswirkungen vielen Akteuren erst jetzt bewusst werden: Auf der einen Seite müssen die Unternehmen selbst dafür sorgen, dass sie mit den Daten ihrer Kunden und Mitarbeiter gemäß des Rechts umgehen, auf der anderen Seite müssen sie ihre eigenen Daten vor Cyber-Angriffen schützen. Benötigt wird also ein Krisenmanagement an zwei Fronten.

Checkliste M&A und DSGVO

Die von der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle zusammengestellte Checkliste mit den wichtigsten Aspekten im Zusammenspiel von Unternehmenstransaktionen und der DSGVO steht im Netz zum Download bereit. Das Papier bietet auf drei Seiten einen Eindruck davon, welche Datenschutz-Aspekte beim Thema M&A relevant sind und geben jungen Juristen somit eine Idee von den Arbeiten, die in diesem Bereich von anwaltlichen Beratern sowie von den Legal-Tech-Lösungen der Kanzleien übernommen werden.
Die Studie „Crisis Management“ der Kanzlei Noerr und des „Center for Corporate Compliance“ der EBS Law School hat untersucht, welche Risiken für Unternehmen heute das größte Bedrohungspotenzial besitzen. Anhand von Umfragen mit Entscheidern und Mitarbeitern fanden die Studienautoren heraus, dass die Verletzung von Datenschutzbestimmungen für die nächsten zwei Jahre das Unternehmensrisiko mit dem größten Bedrohungspotenzial darstellt. Vor allem die seit Mai 2018 geltenden EU-weiten Datenschutzbestimmungen im Rahmen der DSGVO leisteten einen großen Beitrag zu dieser ausgeprägten Verunsicherung. Ein weiteres Top-Risiko laut den Umfragen seien Cyber-Security-Vorfälle. „Mehr als jedes dritte Unternehmen ist in den vergangenen beiden Jahren bereits einmal Opfer einer Hacker-Attacke oder anderer Cyber- Security-Vorfälle geworden“, heißt es in der Studie. 50 Prozent der Unternehmen halten einen solchen Vorfall in den kommenden zwei Jahren für möglich – auch dann, wenn sie in den vergangenen zwei Jahren noch nicht betroffen waren. „Insgesamt gelten damit in gut vier von fünf Unternehmen Cyber- Security-Risiken als potenzielle Auslöser von Unternehmenskrisen“, heißt es in der Studie. Was auf die Krise folgt? Auch danach hat die Studie Unternehmen gefragt. Das Resultat: Umsatzeinbußen seien die häufigste unmittelbare Einzelauswirkung von Unternehmenskrisen, sie betreffen laut Report fast die Hälfte der von Krisen betroffenen Großunternehmen. Während man diese finanziellen Rückschläge recht zügig ausgleichen kann, gibt es auch Krisenfolgen mit langfristigem Schadenspotenzial: das Image des Unternehmens nimmt Schaden, qualifizierte Mitarbeiter gehen. Eine besondere Stellung nehmen Bußgelder ein: Zwar seien von den von einer Krise betroffenen befragten Unternehmen nur 20 Prozent mit Strafzahlungen belegt worden, jedoch sei die „absolute Belastung angesichts einer zunehmend umsatzabhängigen Bemessung der Geldbußen als hoch einzustufen“.

Compliance als Bedrohung

Ein weiteres wichtiges Bedrohungsfeld sind Verstöße gegen die Compliance. Die Studie hat herausgefunden, dass jedes fünfte Unternehmen in den vergangenen Jahren schon einmal von staatsanwaltlichen oder aufsichtsbehördlichen Ermittlungen betroffen war, zum Beispiel von Ermittlungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin oder ausländischer Aufsichtsbehörden. In den meisten Fällen war der Auslöser für diese Ermittlungen: „Non-Compliance mit Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien.“ Mehr als vier von fünf Unternehmen, 83 Prozent, haben solche Krisensituationen in der einen oder anderen Form in der jüngeren Vergangenheit bereits durchgestanden oder halten sie in den nächsten beiden Jahren für möglich.
Aber worum geht es eigentlich bei den drängenden Themen Datensicherheit und Cyber-Kriminalität? Geht es nur um den Schutz von Daten, um sich nicht anklagbar zu machen? Nein, es geht um weit mehr.
Wie bereits erwähnt: Das Gute an den beschriebenen Krisen von heute ist, dass Unternehmen ihnen proaktiv begegnen können. Die Studie der Kanzlei Noerr zeigt, dass Unternehmen, die eine spezielle Abteilung oder Funktion für Krisenmanagement in verschiedenen Bereichen vorweisen können, seltener von Krisensituationen betroffen sind. Sind im Rahmen einer solchen planmäßig angelegten Krisenmanagementfunktion auch externe Spezialisten wie zum Beispiel Rechtsanwälte oder Steuerberater personell eingebunden, würde sich dieser Präventiveffekt noch verstärken – was unter anderem damit zusammenhänge, dass diese externen Dienstleister häufig eine wichtige Aufgabe übernehmen würden: „Sie erkennen die Notwendigkeit, verstärkt auf die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachabteilungen hinzuwirken und diese ebenfalls in das Krisenmanagement einzubinden.“

Juristen als Sicherheitsstrategen

Sprich: Juristen und steuerliche Berater nehmen in den Unternehmen die Rolle als externe Verbindungsleute wahr, indem sie das Krisenmanagement mit den inhaltlich betroffenen Bereichen zusammenbringen – eine kommunikativ anspruchsvolle, aber wichtige Aufgabe, die der „Idee“ von wenig gelungener Krisenbewältigung widerspricht, dass die einen ausbaden müssen, was die anderen zu verantworten hätten. Aber worum geht es eigentlich bei den drängenden Themen Datensicherheit und Cyber-Kriminalität? Geht es nur um den Schutz von Daten, um sich nicht anklagbar zu machen? Nein, es geht um weit mehr. Es geht sogar um alles, da sind sich Omar Abbosh, Group Chief Executive Accenture Communications, und Kelly Bissell, Senior Managing Director Accenture Security, sicher.

Risikobewusstsein des Top-Managements sinkt

Wie der aktuelle Deloitte Cyber Security Report (Teil 2) zeigt, ist das Risikobewusstsein in Bezug auf Cyber- Angriffe in den Führungsetagen von Unternehmen gegenüber 2017 gesunken. 60 Prozent der Befragten gaben in der aktuellen Untersuchung an, dass Hackerangriffe bei ihnen keine besonders großen Schäden anrichten würden. 2017 waren es noch 54 Prozent, 2016 dann 46 Prozent. Aufgrund des geringen Risikobewusstseins von Geschäftsleitungen werden auch nicht alle Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr ausgeschöpft. Dabei zeigen Ergebnisse des Reports auch, dass 93 Prozent der Befragten bereits einmal Opfer von Cyberattacken geworden sind. 21 Prozent gaben wöchentliche, 25 Prozent sogar tägliche Angriffe an. Die Hälfte der Führungskräfte erklärte zwar, dass ihr Unternehmen nur selten oder nie angegriffen wird, allerdings geht ein Drittel davon aus, dass Angriffe auf ihr Unternehmen unbemerkt bleiben.
Die beiden leitenden Denker beim Thema Digitalisierung und Sicherheit sind Autoren eines Reports des Beratungs- und IT-Dienstleisters Accenture, der der Frage nachgeht, worum es wirklich geht, wenn Unternehmen vor die Aufgabe gestellt werden, Daten ihrer Kunden und Mitarbeiter zu schützen und sich auch selbst vor Cyber-Angriffen zu schützen. „Wenn jemand einen Online-Account eröffnet, auf einer Seite im Internet etwas kauft oder sich eine App herunterlädt, dann handelt es sich dabei nicht nur um einen Austausch von Daten, Waren oder Dienstleistungen. Es entsteht eine Transaktion in der ultimativen Währung: Vertrauen. Und das wirkliche Risiko der Gegenwart ist, dass das Vertrauen in die digitale Ökonomie erodiert.“ Den Grund dafür sehen die Autoren in einer Veränderung des Internets: „Das ehemals offene und globale Internet ist über seinen ursprünglichen Sinn, ein Werkzeug zur Kommunikation und zum Teilen von Informationen zu sein, hinausgewachsen. Als das Netz immer komplexer wurde, konnten adäquate Sicherheitssysteme gegen Cyber-Kriminalität nicht mehr mit den von der Digitalisierung befeuerten Innovationen mithalten.“ Kurz: Die Schutzsysteme gegen Angriffe haben den Anschluss verloren. Nun sei es Aufgabe der Entscheider in den Unternehmen, diese Lücke schnell zu schließen. Bevor das Vertrauen ganz verloren geht. Doch diese Aufgabe ist kompliziert. Laut dem Accenture-Report verstehen sich die Unternehmen mittlerweile gut darauf, Schäden zu reparieren, auffällige Lücken zu schließen und punktuell vorzubeugen. „Diese Versuche haben aber nicht das eigentliche Problem gelöst, nämlich die grundsätzliche Verwundbarkeit des Internets. Angreifer benötigen nur einen einzigen glücklichen Versuch, während die Verteidiger konstant wachsam gegen jede Art von möglichen Attacken sein müssen.“ Doch deshalb zu kapitulieren, zählt nicht. Im Gegenteil, Abbosh und Bissell fordern die Unternehmen auf, ihre bruchstückhaften Ansätze zu beenden: „Die Themen Vertrauen und Sicherheit gehören an die vorderste Front der Unternehmensstrategie.“

M&A: Achtung beim Datenschutz

Doch die Fallstricke bei den Themen Datenschutz und Cyber Security liegen nicht nur im Kontakt mit Kunden. Die Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle weist darauf hin, dass die EU-Datenschutz-Grundverordnung auch bei M&A-Prozessen zu beachten ist. „In der Vergangenheit wurden datenschutzrechtliche Themen bei der Strukturierung von M&AProzessen oftmals nur am Rande berücksichtigt“, schreiben die CMS Hasche Sigle-Partner Dr. Axel Funk und Dr. Tobias Grau in einem Blog zum Thema. „Dies lag sicherlich auch an den bisher signifikant geringeren Sanktionen. Mittlerweile spielt der Datenschutz auch hier eine zentrale Rolle.“ So werden datenschutzrechtliche Verstöße unter anderem mit Bußgeldern von bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes sanktioniert.

DSGVO: Viel Arbeit für Juristen

Obwohl sich die Unternehmen seit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung mit neuen Regeln im Datenschutz auseinandersetzen müssen, fehlt dafür das passende Personal. Eine Bitkom-Studie zeigt, dass sechs von zehn Unternehmen (59 Prozent) dafür weniger als eine Vollzeitstelle zur Verfügung haben. 31 Prozent haben dafür eine Vollzeitstelle vorgesehen. „Wer die Expertise nicht im eigenen Haus hat, muss auf externe Beratung zurückgreifen“, sagt Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsführung für Recht und Sicherheit. Für viele Kanzleien und Rechtsberater mit Datenschutz-Know-how sei das vergangene Jahr 2018 daher sehr arbeitsintensiv gewesen. „Bis heute sind viele noch damit beschäftigt, ihre Geschäftsprozesse an die DSGVO-Vorgaben anzupassen.“
Eine Herausforderung für den Datenschutz seien vor allem M&A-Aktionen in Branchen, in denen sensible Kundendaten im Spiel sind. „Denn die DSGVO findet immer dann Anwendung, wenn die Verarbeitung personenbezogener Daten von sogenannten natürlichen Personen, also Menschen, betroffen ist“, so Funk und Grau. Bei Unternehmenstransaktionen komme dies insbesondere bei Mitarbeiter-, Lieferanten- und Kundendaten in Betracht, einschließlich der Daten von Nutzern von Apps oder anderen digitalen Dienstleistungen. „Im Bereich Automotive spielt dies zum Beispiel beim Carsharing eine Rolle, wo Bewegungsprofile erstellt, Zahlungsverhalten registriert und geahndete Verkehrsverstöße gespeichert werden können. Hochsensibel sind auch Gesundheitsdaten, die von Healthcare Apps verwaltet werden. Entsprechendes gilt für finanzielle Informationen im Bereich von Fintechs“, schreiben Funk und Grau. Wichtig sei in diesen Bereichen eine juristische Beratung, wobei die Wirtschaftskanzleien bei der Lösung des Datenschutzproblems selbst auf digitale Hilfsmittel zugreifen, um die Prozesse möglichst effizient zu halten: „So kann die Personenbezogenheit von Daten und damit die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts durch Schwärzung von Dokumenten eliminiert werden. Aus Kosten- und Zeitgründen unterstützt hier zunehmend Legal Tech.“ Den Herausforderungen der Digitalisierung wiederum mit digitalen Tools zu begegnen: Die Entwicklung zeigt, dass Juristen bei diesem Thema mittendrin sind. Gefragt sind sie gleichermaßen als Helfer in der Not sowie als strategische Risikoanalysten für die nahe Zukunft. Und weil das Internet in den kommenden Jahren wohl kaum an Komplexität einbüßen wird, sondern im Gegenteil, immer neue Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, Blockchain-Technologie oder Kryptowährungen anstehen, sind juristische Job-Profile in diesem Bereich vor allem eins: krisenfest.

Buchtipps

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