Anzeige
StartConsultingFreiheit all inclusive

Freiheit all inclusive

Effizient im Kerngeschäft, vorne dran bei Neuerungen: Unternehmen müssen heute beides können. Der Fachbegriff dafür lautet: organisationale Ambidextrie. Damit dies gelingt, darf die Idee von Arbeit nicht mehr starr sein, müssen Experimente und Rebellion erlaubt sein. Home-Office als Recht, Selbstbestimmung und Ortsunabhängigkeit als Ziel – das ist der Weg. Die Revolution hat begonnen. Berater unterstützen die Unternehmen bei der Umsetzung, doch auch ihre Arbeit ändert sich in Zeiten von New Work. Ein Essay von André Boße

Die Revolution hat Karriere gemacht. Kaum ein Wort wird in der Werbung häufiger benutzt, es geht hier längst nicht mehr um Politik, die Palette reicht von der Schmink-Revolution im Drogeriemarkt bis hin zur Garten-Revolution. Auch in der Berufswelt hagelt es Revolutionen. Die bekannteste ist die 4. Industrielle Revolution, kurz: Industrie 4.0. Oder auch: Digitale Revolution. Knapp auf den Punkt gebracht bezeichnet sie die Folgen der vierten Welle der digitalen Transformation für die Wirtschaft und die Unternehmen. Künstliche Intelligenz, Big Data, miteinander kommunizierende Maschinen – alle diese Entwicklungen führen dazu, dass sich in den Unternehmen Abläufe ändern.

Work Smart Initiative

In der Schweiz hat sich eine unternehmensübergreifende Initiative gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, flexible Arbeitsformen aktiv zu fördern. Zu den Aspekten von Smart Work – entwickelt von großen Unternehmen des Landes – zählen unter anderem die Förderung des Vertrauens des Unternehmens in die Mitarbeiter, die eigenverantwortliche Gestaltung der flexiblen Arbeitsorte sowie die Beachtung der unterschiedlichen Biorhythmen verschiedener Mitarbeiter.
work-smart-initiative.ch/de

Damit ändert sich die Arbeit: Es gibt Job- Grundsätze, die viele Jahre lang sehr wichtig waren, heute aber keine große Rolle mehr spielen. Ständige Präsenzpflicht im Büro? Überhaupt ein Arbeitsplatz im Büro? Es geht auch ohne. Aber wie kann das funktionieren? Wie kann es Unternehmen und jungen Mitarbeitern gelingen, sich an die Revolution anzudocken? Welche Strategie ist die richtige, um vom Umsturz zu profitieren, statt zu den Verlierern zu gehören? Welche Typen von Beratern werden gesucht, in dieser revolutionären Phase: Business-Rebellen, die mutig voranschreiten, oder vorsichtige Geister, die auch mal auf die Bremse treten, als Mahner auftreten und das eigentliche Kerngeschäft im Auge behalten? Kurz gesagt: Gefragt sind beide Typen.

Organisationale Ambidextrie: Unternehmen mit zwei starken Seiten

Die Personalberatung Hays hat in einer Studie festgestellt, dass viele Fachbereiche in Unternehmen vor einer Zerreißprobe stehen: „Sie sind auf der einen Seite gefordert, das Kerngeschäft weiterzuentwickeln. Auf der anderen Seite gilt es, neue Themen voranzutreiben“, heißt es in der Studie „Zwischen Effizienz und Agilität“.

Im Grunde benötigen die Unternehmen zwei starke Hände: die eine treibt Innovationen voran, die andere betreut sicher, solide und fokussiert das Kerngeschäft.

Im Grunde benötigen die Unternehmen zwei starke Hände: die eine treibt Innovationen voran, die andere betreut sicher, solide und fokussiert das Kerngeschäft. Man fühlt sich an das Idealbild eines modernen Fußballers erinnert, der es – wie Sportkommentatoren gerne sagen – „links wie rechts kann“, also keinen schwachen Fuß mehr hat, sondern zwei starke. Wechseln wir von den Füßen auf die Hände, heißt der Fachbegriff dafür Ambidextrie, übersetzt: Beidhändigkeit. In der Wirtschaft spricht man von einer „organisationalen Ambidextrie“, was bedeutet, dass Unternehmen den oben beschriebenen Spagat hinbekommen, dass sie also gleichzeitig flexibel-innovativ und fokussiert-effizient sind. „Ohne eine solche Beidhändigkeit werden Unternehmen im digitalen Zeitalter nicht dauerhaft bestehen“, schreiben die Autoren der Hays-Studie. „Stand heute gibt es nur wenige etablierte Unternehmen, die bereits erfolgreich in hybriden Strukturen arbeiten.“

Im Grunde werde damit laut Studie das Sprichwort vom „alten Wein in neuen Schläuchen“ umgedreht: „Die neuen digitalen und innovativen Themen prägen schon den Geschäftsalltag, aber die Unternehmen verharren noch in alten Organisationsstrukturen“ – wobei diese mit wachsender Bedeutung der neuen Themen immer mehr an ihre Grenzen stoßen. „Zwei Drittel der Unternehmen bevorzugen es, die neuen Themen aus der bestehenden Organisation heraus zu entwickeln – mit Mitarbeitern, die sowohl in der Linie als auch in innovativen Projekten aktiv sind“, hat die Studie anhand einer Befragung von Führungskräften herausgefunden.

Studie Home-Office

Derzeit – so das Ergebnis einer Studie des Digitalbranchenverbands Bitkom – bieten 39 Prozent der Unternehmen ihren Mitarbeitern die Freiheit, auch abseits der Büros zu arbeiten. Zum Vergleich: 2016 waren es nur 30 Prozent, 2014 sogar nur 20 Prozent. Laut der Studie gehen 46 Prozent der befragten Unternehmen davon aus, dass der Anteil ihrer Mitarbeiter, die von Zuhause aus arbeiten, in den kommenden fünf Jahren weiter steigen wird. Unternehmen, die Home-Office ablehnen, geben dafür als häufigste Gründe an, dass Home Office nicht für alle Mitarbeiter möglich sei und niemand ungleich behandelt werden dürfe (65 Prozent) sowie, dass ohne direkten Austausch mit Kollegen die Produktivität sinke (58 Prozent).

www.bitkom.org

Kein Wunder, dass es dabei an vielen Stellen zu knirschen beginnt: 88 Prozent der Führungskräfte berichteten von Konflikten bei der Priorisierung von Linien- und Projektaufgaben, 80 Prozent der Führungskräfte beklagten Spannungen wegen unklarer Verantwortlichkeiten, mehr als drei Viertel hielten das Management der organisatorischen Schnittstellen für enorm aufwendig.

Muster brechen, Experimente wagen

Konflikte sind offensichtlich, auch der Bedarf an Beratung – und dennoch tut sich in den Unternehmen wenig. Zu wenig, warnen die Studienautoren, denn: „Der technische Wandel wird sich weiter beschleunigen und die Komplexität zunehmen. Ein Bruch mit den herkömmlichen Mustern scheint vor diesem Hintergrund unausweichlich.“ Ihr abschließender Appell lautet: „Mehr experimentieren, mit herkömmlichen Mustern brechen und neue Formen der Zusammenarbeit austesten – aber alles ohne Garantie, dass der Wandel auch gelingt.“ Dazu passt ein Zitat von Stefan Kaduk und Dirk Osmetz, die zusammen die Initiative „Musterbrecher“ gegründet haben: „Zwar funktioniert nicht alles, was ausprobiert wird. Aber alles, was funktioniert, wurde irgendwann mal ausprobiert.“

Nun kennt man Experimente aus der Naturwissenschaft, dort gehören sie zum täglichen Geschäft der Forscher. Doch was haben Experimente in Unternehmen verloren? Sind sie dort nicht viel zu riskant? Geprägt wird die deutsche Ehrfurcht vor Experimenten von einem uralten Spruch des Altkanzlers Konrad Adenauer: „Keine Experimente“, beschwor dieser Ende der 1950er-Jahre. Das ist sehr lange her, hatte zudem mit der Unternehmenskultur wenig zu tun. Dennoch: „Der Wahlslogan Adenauers scheint auch als Richtschnur für die Entwicklung von Organisationen herzuhalten“, sagen die „Musterbrecher“ Kaduk und Osmetz. Ein Projekt jage das andere, eine Initiative löse die vorhergehende ab – doch bestehe der Anspruch, dass dabei alles sauber durchgeplant sein müsse: vom Ziel über den Mitteleinsatz bis hin zu den Meilensteinen. „Jegliche Überraschungen sollen ausgeschlossen werden. Natürlich funktioniert das nicht, insbesondere das Managen der Unternehmenskultur scheitert nach der typischen Projektlogik.“ Daher seien Experimente die intelligenteren Projekte, weil sie „ergebnisoffen sind und tatsächliche Veränderung ermöglichen“.

Home-Office: kein Defizit, sondern gutes Recht

Nur: Wir könnten auch darüber nachdenken, ob Menschen nicht in der Lage sind, ihren Stärken gemäß eigene Wege zu finden und eigene Beziehungen zur Tätigkeit aufzubauen. Finden wir doch den Mut, Stellenbeschreibungen als Tool, nicht als Gradmesser für Defizite einzusetzen!

Ein Begriff, den die beiden „Musterbrecher“ dagegen äußerst kritisch betrachten, ist der der „Job Description“. Klar, schreiben Kaduk und Osmetz in ihrem „Musterbrecher“-Glossar, „jede oder jeder möchte wissen, was auf sie oder ihn zukommt.“ Personalbedarfsplanung sei bis zu einem gewissen Grad sinnvoll, weil Qualifikationen besser zugeordnet werden können. „Nur: Wir könnten auch darüber nachdenken, ob Menschen nicht in der Lage sind, ihren Stärken gemäß eigene Wege zu finden und eigene Beziehungen zur Tätigkeit aufzubauen. Finden wir doch den Mut, Stellenbeschreibungen als Tool, nicht als Gradmesser für Defizite einzusetzen!“

Ein Thema, das in dieser Hinsicht erkennbar im Wandel ist, ist die Arbeit von Zuhause, auch für Unternehmensberater. Home-Office – da schwang bis vor einigen Jahren durchaus etwas Defizitäres mit, als sei die Arbeit von Zuhause aus weniger Wert, als sei es schon ganz richtig, dass man den Arbeitgeber zunächst um Erlaubnis fragen müsse, denn: Wer ins Unternehmen komme, der leiste auch mehr. Als wäre die körperliche Anwesenheit schon eine Leistung an sich. Im Zeitalter von digitalen Arbeitsplattformen ist diese Feststellung obsolet geworden. Klar, es gibt weiterhin Meetings, die besser funktionieren, wenn alle Teilnehmenden vor Ort sind. Es gibt aber auch viele andere Tage, an denen es besser ist, zu Hause tätig zu sein.

Dass man um Arbeit im Home-Office nicht mehr betteln muss, sondern sich das Recht nehmen darf – daran arbeitet offensichtlich das Arbeitsministerium. Verschiedene Medien berichteten Anfang des Jahres von der politischen Initiative für einen Gesetzesvorstoß, nach dem ein Unternehmen, das einem Antrag nach Home-Office nicht zustimmt, sehr genau begründen müsse, warum die Heimarbeit in diesem Fall nicht möglich sei. Bisher können die Arbeitgeber dies noch ohne Begründung ablehnen. Die Revolution, von der wir oben sprachen, wird sehr konkret, wenn Björn Böhning, Staatssekretär des Arbeitsministeriums, dem „Spiegel“ sagt: „Die Digitalisierung verändert die Herrschaftsbeziehungen, und wir müssen sicherstellen, dass die Menschen von den Veränderungen profitieren.“

DNX: Festival der digitalen Nomaden

Digitale Nomaden verstehen sich als zweierlei: als Einzelkämpfer, aber auch als Teile einer Community und Bewegung. Am 8. und 9. Juni 2019 findet in Berlin das DNXFestival statt, ein Treffen der DNXies, wie sich die digitalen Nomaden hier nennen. Neben Keynotes und Workshops steht das gegenseitige Kennenlernen und Networking im Mittelpunkt.

www.dnxfestival.de

Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, fordert, New Work endlich per Gesetz zu verankern: „Der selbstbestimmten Arbeitszeitgestaltung stehen gesetzliche Hürden wie der starre Acht-Stunden- Arbeitstag und die elfstündige Mindestruhezeit entgegen“, sagt er. Wer spätabends noch mal die Dienstmails checke und am nächsten Morgen wieder am Arbeitsplatz sei, verstoße gegen die Gesetze, das Arbeitsrecht sei in diesen Punkten daher nicht mehr zeitgemäß und setze Arbeitnehmer massenhaft ins Unrecht. „Es ist höchste Zeit, diese aus der Zeit gefallenen Regeln zu ändern.“

Digitale Nomaden: Trend für Freiheitspioniere

Die Gruppe, die bei der Selbstbestimmung der Arbeit am weitesten geht, besteht aus den digitalen Nomaden, ihrer Arbeitsphilosophie liegt eine komplette Ortsunabhängigkeit zugrunde. Ihr Ansatz: Demjenigen, der mich bezahlt, kann es egal sein, von wo aus ich meine Arbeit erledige – Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Wer im Netz nach dem Stichwort „Digitale Nomaden“ sucht, erhält als Ergebnis illusorische Bilder von schönen jungen Menschen, die mit Laptops in einer Hängematte an einem weißen Strand sitzen, viele von ihnen bezeichnen sich selbst als Berater. Dazu gibt es im Netz Dutzende Seiten mit „Learnings“, also Kurz-Anleitungen für Nomade-werden. Schnell zeigt sich: Das digitale Nomadentum ist ein Trend für gestresste Digital-Natives aus den Städten, der sich anhand von Blogs oder Podcasts gut verkaufen lässt.

Doch es gibt digitale Nomaden, die seit Jahren den Weg aufzeigen, dass sich Freiheit und Business tatsächlich verbinden lassen. Sie sind damit die Pioniere eines Trends, der sich nicht umkehren lässt und die Arbeitswelt umwälzt: New Work steht für mehr Freiheiten. Diese sind wichtig, damit die Unternehmen genügend Agilität in ihrer Organisation erreichen. Daher sollten Einsteiger – auch in Beratungsgesellschaften – nicht mehr um die Freiheit betteln müssen: In Unternehmen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, sind die Freiheiten von New Work „all inclusive“.

Buchtipp

Cover Die Rettung der ArbeitWie werden wir in Zukunft arbeiten?

Künstliche Intelligenzen und Roboter übernehmen schon jetzt immer mehr Aufgaben und sorgen für Existenzängste, die in die Hände von Populisten spielen. Dabei sollten wir die Zukunft der Arbeit nicht dem Markt überlassen – sie ist eine Frage der politischen Gestaltung, die gerade jetzt couragiert beantwortet werden kann. Arbeit hält Gesellschaften zusammen, sie ist etwas fundamental Menschliches. Lisa Herzog, Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München, zeigt, wie sie in digitalen Zeiten gerechter und demokratischer werden kann, als sie es je war – für alle, nicht nur für wenige Privilegierte. Ihr Buch gibt neue Antworten auf eine der großen Fragen unserer Zeit und gibt wichtige Impulse für eine bessere Politik.

Lisa Herzog: Die Rettung der Arbeit. Hanser 2019, 22 EuroJetzt kaufen bei Amazon

 

 

Das könnte dich auch interessieren

Weg mit den Bremsklötzen

Ob Gender Care Gap oder Gender Digital Gap – die Zeit der Gräben zwischen...

Generation Generativ

Die künstliche Intelligenz macht den entscheidenden Schritt. Sie ist generativ, erzeugt also Texte, Kontexte,...

Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung generativer KI

Von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten generativer KI können für die juristische Arbeit etwa die Formulierung...