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Die „Häutungen“ des Lebens

Dr. Albert Kitzler zählt heute zu den erfolgreichsten Philosophie-Beratern Deutschlands. Doch auf dem Weg dorthin durchlebte er immer wieder „Häutungen“ – wie er die Berufswechsel in seinem Leben nennt – und in denen er jeweils sehr erfolgreich war: Vom Anwalt zum Filmproduzenten und vom Filmproduzenten zum Philosophen. Aufgezeichnet von Christoph Berger

Der Jurist

Dr. Albert Kitzler, Foto: www.gerhardkassner.de
Dr. Albert Kitzler, Foto: www.gerhardkassner.de

Schon als Schüler wollte ich Philosophie studieren, das war meine erste und stärkste Leidenschaft. Aber ein guter Freund sagte, dass ich meinen Lebensunterhalt damit nicht verdienen könne. Da ich aus sehr bescheidenen Verhältnissen komme, war es für mich ein Kriterium, ein gutes Einkommen zu haben. So kam ich nach Durchsicht des Studienplaners auf Jura. Und es hat gepasst. Allerdings war die Sehnsucht nach der Philosophie so groß, dass ich mich nach zwei Semestern auch dafür einschrieb und ein Doppelstudium absolvierte. So konnte ich beiden Seiten nachgehen, wobei auch Jura in mir Wesentliches angesprochen hat. Zudem hatte ich Begabung dafür. Wenn man Talent für etwas hat, dann macht einem das Lernen auch Spaß, da man mit seinem Innern dabei ist. Durch die parallel laufenden Studiengänge hatte ich gleichzeitig eine gute Distanz zum jeweils anderen: Als Philosoph konnte ich mit einem gewissen Lächeln auf die Juristen schauen, blieb aber als ein solcher auch bodenständig und hielt einen gesunden Abstand zur theoretischen Philosophie, die manchmal abgehoben und realitätsfern ist. Das fand ich sehr bereichernd und beglückend. Die Verbindung zwischen beiden Fächern vollzog ich dann in einer rechtsphilosophischen Dissertation.

Nach meinen Studienabschlüssen hatte ich das Angebot, an der Philosophischen Fakultät zu bleiben. Ich sehnte mich jedoch nach einer anderen Art von Philosophie. Mich interessierten Fragen wie „Wie lebe ich ein gutes Leben?“, „Wie soll ich mein Leben einrichten?“ oder „Wie werde ich glücklich?“. Diese Fragen fand ich in der antiken Philosophie bei Sokrates, Platon, Konfuzius, Buddha und anderen behandelt. Im universitären Raum wurden und werden sie jedoch, wenn überhaupt, nur stiefmütterlich behandelt. Deshalb habe ich das Angebot abgelehnt und wurde Anwalt. Im ersten Bewerbungsgespräch als Anwalt passierte mir dann genau das Gegenteil: Wir philosophierten anderthalb Stunden über Platon. Da habe ich natürlich direkt zugesagt. Es besteht bis heute eine sehr freundschaftliche Beziehung zu dieser Kanzlei. Ich hätte dort alt und glücklich werden können. Vier Jahre habe ich dort gearbeitet und alle Rechtsgebiete behandelt – von Straf- und Zivilrecht über Scheidungen bis zum Öffentlichen Recht.

Der Filmproduzent

Heute gebe ich an meine Schülerinnen und Schüler weiter, dass man immer auf der Suche nach sich selbst sein, dass man in seine Seele schauen und nichts unausgelebt lassen sollte, was einem wesentlich ist. Auf dieser Suche war ich schon damals in meiner ersten Anwalts zeit. Trotz eines hervorragenden Umfelds dort spürte ich eine Unerfülltheit. Denn neben der Philosophie hatte ich noch eine weitere Leidenschaft: die Filmkunst. Ich liebte Klassiker der Filmkunst, liebte Film als Kunst, hatte viele Filme gesehen und auch viele Bücher darüber gelesen. Ich dachte, dass ich als Regisseur auch solche Filme machen könnte. Zumindest wollte ich es ausprobieren. Darum bewarb ich mich an der Filmschule in Berlin, wusste aber, dass die Chancen für eine Aufnahme gering sind. Im Falle einer Absage beschloss ich daher, sozusagen als Trostpflaster, eine Weltreise zu machen. Ich erhielt eine Absage und reiste dann ein Jahr lang durch Südamerika, legte über 44.000 Kilometer zurück, war in sieben Ländern, habe Portugiesisch und Spanisch gelernt. Das war eines der besten Jahre meines Lebens. Am Ende dieser „Selbstfindungsreise“ kam ich zu der Erkenntnis: Du darfst nicht aufgeben, ein Filmemacher zu werden, ohne es ausprobiert zu haben.

Linktipp

Der Philosophie-Podcast „Der Pudel und der Kern

Unmittelbar nach meiner Rückkehr ging ich den Plan an. Zur finanziellen Absicherung arbeitete ich nebenher als Anwalt auf Stundenbasis in einer großen Berliner Kanzlei. Durch glückliche Umstände kam ich in meiner zweiten Karriere als Filmemacher sehr schnell ins Geschäft. Allerdings setzte man mich auf den Produzentenstuhl, obwohl ich doch Regisseur werden wollte. Als Anwalt mit wirtschaftlichen und juristischen Zusammenhängen vertraut, hatte ich dafür die passenden Qualifikationen. Zudem hatte ich ein Talent fürs Filmemachen. Nach zwei bis drei Jahren hatte ich mich so etabliert, dass ich in einem Jahr parallel fünf Spielfilme produzierte. Keine Blockbuster, sondern Arthouse Movies. Es wurden keine finanziellen Erfolge, aber ideelle: Wir gewannen viele Preise auf Filmfestivals bis hin zu einem Oscar für den Kurzfilm „Schwarzfahrer“ von Pepe Danquart 1994. Doch erneut kamen Zweifel in mir auf. Als Filmproduzent hat man sehr viel mit Geld zu tun: Geld besorgen, Geld ausgeben, Erlöse eintreiben und verhandeln. Wenn man kein Geldmensch oder Geschäftsmann ist, fällt einem das auf Dauer schwer. So ging es mir. Nach zwölf Jahren Arbeit als Filmproduzent hatte ich das Gefühl, eine Banknote zu werden. Sokrates sagte: „Du wirst zu dem, was du tust.“ Das führte zu einem Entfremdungsgefühl. Ich tat nicht das, wofür ich am meisten brannte. Gleichzeitig wuchs in mir wieder die Sehnsucht nach der Philosophie, die mich in all der Zeit nie verlassen hatte.

Der Philosoph

Der Gedanke kam auf, nach all der Lebenserfahrung die Philosophie zu meinem Beruf zu machen. Ich stellte fest, dass viele der wertvollen Gedanken aus der Antike zum „guten Leben“ heute in Vergessenheit geraten waren. Dabei war ich überzeugt davon, dass sie vielen Menschen helfen könnten, würde man die überlieferten Weisheiten und Philosophien ins Heute übersetzen. Von 2000 bis etwa 2010 studierte ich intensiv die klassischen antiken Philosophien aus Indien, China und Griechenland, die vor allem praktische Philosophien waren. Das konnte ich mir nur leisten, weil ich als erfolgreicher Jurist und Filmproduzent zwei gefragte Expertisen hatte und von renommierten Kanzleien auf Stundenbasis engagiert wurde.

2014 erschien mein erstes Buch, „Wie lebe ich ein gutes Leben? Philosophie für Praktiker“. Bereits 2010 hatte ich „Mass und Mitte – Schule für antike Lebensweisheit“ gegründet. „Mitte“ wurde von Aristoteles als das tugendhafte Leben beschrieben. Man kann den Begriff aber auch als die eigene Mitte verstehen, die gelebt werden will und in der man sein Glück findet. Das richtige Maß in allem zu finden, ist andererseits einer der wichtigsten Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Es geht in der Schule also einerseits um die Vermittlung von Wissen „Was muss ich wissen, um ein gutes Leben zu führen?“, andererseits aber auch – und daran scheitern viele – um die Umsetzung dieses Wissens im Alltag. Dabei ist die zentrale Frage bei allen Entscheidungen: Macht mich das, was ich tue, nachhaltig zufrieden? Um dies gut beantworten zu können, sollte sich jeder achtsam auf den Weg zu sich selbst machen. So war und ist es auch bei mir. Jeder Wechsel, jede Häutung hat mich näher in meine Mitte gebracht. Ich lebe jetzt genau das und so, wie es meiner tiefsten Sehnsucht entspricht.

Aktuelles Buch

Cover Nur die RuheNur die Ruhe! Einfach gut leben mit Philosophie, Droemer 2021, 18 Euro

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