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Interview mit Jürgen Kühn

Jürgen Kühn ist bei der Deutschen Telekom nicht nur Manager, sondern vor allem ein großes Vorbild: Der Leiter des Work-Life-Programms des Konzerns hat zwei Kinder und hat zusammen mit seiner ebenfalls berufstätigen Partnerin einen Weg gefunden, Arbeit, Familie und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Im Interview mit André Boße erklärt er, wie das funktioniert.

Zur Person

Jürgen Kühn, 45 Jahre, schloss 1993 sein Studium der Nachrichtentechnik ab und stieg 1994 bei der Telekom ein. Nach verschiedenen Funktionen im Sales Supportund Vertrieb wurde er 1998 Account Manager und stieg 2002 als Leiter des Central Sales Supports ins mittlere Management auf. Seit 2009 leitet er das Programm work-life@telekom, das Konzepte, Strategien und Maßnahmen zum Thema Work-Life-Balance erarbeitet und durchführt. Seine Kinder sind heute sieben und zehn Jahre alt. Seit der Geburt seines ersten Kindes übernimmt er zusammen mit seiner Partnerin gleichberechtigt und gleichwertig Kindererziehung und Haushaltsführung.

Herr Kühn, Sie und Ihre Partnerin arbeiten seit mehr als zehn Jahren wechselweise in Vollzeit, Elternzeit sowie in einer, wie Sie selber sagen, „vollzeitnahen Teilzeit“ und erziehen gleichberechtigt Ihre zwei Kinder. Wie gelingt es Ihnen, Beruf, Familie und Privatleben in Einklang zu bringen?
Wir haben ein ausgeklügeltes Kalendersystem erstellt, das sehr genau reguliert, wer wann wie lange arbeitet. Wobei auch das beste System nicht ausschließt, dass es im Alltag zu Situationen kommen kann, bei denen große, detailliert ausgearbeitete Familienpläne auf sehr kleine Zeitfenster treffen.

Aber es ist machbar?
Ja, mit viel Selbstdisziplin sowie einer gewissen Lockerheit, die besonders dann wichtig ist, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht. Und das kommt im Berufsleben und mit zwei Kindern recht häufig vor.

Wie lange hat es denn gedauert, bis dieses System aus Absprachen optimal funktioniert hat?
Das ist vergleichbar mit einem Marathonlauf. Sprich: Es dauert seine Zeit, und ohne Höhen und Tiefen geht es nicht. Es ist daher wichtig, dass man sich als Paar sehr früh die Frage stellt, wie das Zusammenspiel aus Arbeit und Familie funktionieren soll. Und dass man dann auch zu seinem Wort steht.

Folgt daraus automatisch eine Karriere mit Einschränkungen?
Nicht unbedingt. Es gibt teilweise kleinere Einschränkungen beim Thema Dienstreisen oder Meetings. Ein echter Malus ist das nicht, es erfordert aber entsprechende Koordination.

Ihr Karriereweg begann vor rund 20 Jahren. Hatten Sie denn schon damals die Familienplanung im Fokus?
Ich bin im Vertrieb eingestiegen: mit großer Freude, viel Engagement und noch ohne jeden familiären Hintergrund. Die Familie wurde ausgerechnet bei meiner ersten Position im mittleren Management ein Thema. Meine Partnerin und ich hatten zu dieser Zeit die Vereinbarung geschlossen, dass ich noch zwölf Monate arbeite und danach in Elternzeit gehe, um ihr den Wiedereinstieg zu ermöglichen. Ich bekam also das Angebot, als Führungskraft ein eigenes Team aufzubauen, und sagte im Personalgespräch: Ich mache das gerne, auch mit großer Leidenschaft und viel zeitlichem Einsatz – aber eben nur für ein Jahr.

Wie war die Reaktion?
Mir saßen zwei Führungskräfte gegenüber. Beide haben erst einmal geschluckt, mich dann angeschaut und gesagt: Ja, machen wir.

Hatten Sie nicht die Befürchtung, dass die beiden sagen könnten: Dann halt nicht, danke, Herr Kühn?
Wie gesagt: Meine Befürchtung mit Blick auf die eigene Karriere musste in dieser Situation ganz eindeutig hinter die Absprache mit meiner Partnerin zurücktreten. Ohne Stringenz geht es nicht.

Nun sind Sie im Konzern für das Thema Work-Life-Balance verantwortlich. Abseits von Vorstandserklärungen und Broschüren: Wird dieses Thema tatsächlich in allen Bereichen des Unternehmens als essenziell wahrgenommen?
Es gibt sicher Bereiche, in denen Führungskräfte tätig sind, die das Thema noch als sehr weich einschätzen. Als Personalthema eben. Doch genau diese Manager gehören zu unseren wichtigsten Adressaten, denn die Führungskräfte sind der Dreh- und Angelpunkt, um das Thema dauerhaft in der Konzernkultur zu verankern.

Was kann ich denn als Einsteiger tun, wenn ich merke: Moment mal, in meinem Bereich gibt mir die Führungskraft nicht den Raum, den sie mir eigentlich geben sollte?
Alle Mitarbeiter sollten genügend Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein besitzen, um Dinge zu kommunizieren, die gegen die Richtlinie des Konzerns laufen. Wir pflegen eine offene Unternehmenskultur, in der die Kollegen im direkten Gespräch so etwas besprechen können. Sollte es dabei zu Konflikten kommen, können sie zum Beispiel die sogenannten Diversity Consultants hinzuziehen, die dann als Mediatoren in den Bereich gehen, um zu schauen, wo und warum es hakt.

Wie gelingt es Ihnen, beim Thema Work-Life-Balance den vielfältigen Bedürfnissen der Mitarbeiter gerecht zu werden – auch denen der Young Professionals?
Unser Programm ist nach Lebensphasen strukturiert. Wir schauen auf die Lebensumstände und beruflichen Phasen, in denen sich ein Mitarbeiter befindet, und analysieren, was wir ihm in dieser Phase anbieten können. Young Professionals haben erfahrungsgemäß vor allem den Wunsch, nach Möglichkeit flexibel zu arbeiten. Sie möchten daran gemessen werden, welche Ergebnisse sie erzielen – und nicht daran, wie viele Stunden sie in ihrem Büro anwesend sind. Zudem wollen sie Aufgaben, die sie fordern und erfüllen – jedoch möchten sie diese Aufgaben selbstbestimmt erledigen und legen Wert darauf, dass auf eine Phase der Belastung auch eine Phase der Entlastung folgt.

Ein Personaler alter Schule würde auf diese Bedürfnisse vielleicht mit dem Argument reagieren: „Es hat noch jedem Absolventen gutgetan, nach der Uni erst einmal in der festen Struktur eines straff geführten Unternehmens zu arbeiten.“ Ist diese Denkweise überholt?
Zunächst einmal: Die Arbeitswelt hat sich komplett verändert; die Ansprüche eines technischen Konzerns wie der Telekom lassen sich nicht mit einer Belegschaft erfüllen, die geschlossen von 9 bis 17 Uhr im Büro arbeitet. Daher ist diese strikte Denkweise tatsächlich ein wenig altbacken. Jedoch glaube ich schon, dass man gerade als Einsteiger in ein großes Unternehmen tatsächlich Eckpfeiler und eine gewisse Struktur benötigt.

Steht das im Widerspruch zu Ihrem Work-Life-Programm?
Nein, denn Flexibilität und Selbstbestimmung schweben ja nicht im luftleeren Raum. Es gibt Rahmenbedingungen und im Kern feste Abläufe und Strukturen. Um diesen Kern herum jedoch gibt es genügend Raum, um Dinge selbstbestimmt zu lösen – wobei es dann eben auch Young Professionals gibt, die sagen: Ich möchte lieber viel Zeit im Büro verbringen, weil ich hier besser arbeiten kann.

Zum Unternehmen

Die Deutsche Telekom ist weltweit eines der führenden Dienstleistungsunternehmen der Telekommunikations- und Informationstechnologie-Branche. Als international ausgerichteter Konzern ist sie in rund 50 Ländern vertreten. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen weltweit rund 247.000 Mitarbeiter.

Zum Mestemacher-Preis „Spitzenvater des Jahres“

Seit 2006 verleiht die Großbäckerei Mestemacher diesen Preis und würdigt damit das praktizierte partnerschaftliche Ehe- und Familienmodell. Initiiert und umgesetzt wird das Projekt von Prof. Dr. Ulrike Detmers. Die Frauenrechtlerin ist Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafterin in der Mestemacher-Gruppe. Zudem lehrt sie als Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Personalmanagement und Organisationsmanagement an der Fachhochschule Bielefeld. Ziel des Preises ist es, die Leistungs- und Wettbewerbskraft von Wirtschaft und Unternehmen zu stärken, das partnerschaftliche Ehe- und Familienmodell mit zwei berufstätigen Partnern zu fördern und den väterlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes zu stärken.
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