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Interview mit Dr. Michael Heckmeier

Für Dr. Michael Heckmeier ist Innovation keine leere Hülse, sondern Leitwort für seine tägliche Arbeit. Als Senior Vice President der Entwicklungsabteilung für Flüssigkristalle des Chemie- und Pharmakonzerns Merck ist der promovierte Physiker dafür verantwortlich, dass neue Ideen erstens entstehen und sich zweitens später rechnen. Im karriereführer erzählt er, wie das im Alltag funktioniert, welche Rolle Forscher in diesem Prozess spielen und was ein junger Naturwissenschaftler mitbringen muss, um in einem innovativen Umfeld Karriere machen zu können. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Michael Heckmeier, 1967 geboren, ist seit April 2010 Senior Vice President Liquid Crystals Research & Development des Chemie- und Pharmaunternehmens Merck mit Sitz in Darmstadt. Bis Ende 2009 lebte und arbeitete er in England und war dort gut drei Jahre lang Leiter des Merck’schen Forschungszentrums in Southampton. Heckmeier studierte Mathematik und Physik in Freiburg; nach zwei Jahren Forschungsarbeit am französischen CNRS legte er seine Physikpromotion an der Universität Konstanz ab. Er ist Autor vieler Publikationen und Fachbeiträge über Flüssigkristalle, Polymere sowie Kolloide.

1998 begann Heckmeier seine Berufslaufbahn bei Merck. Er arbeitete zunächst in verschiedenen Positionen im Bereich Liquid Crystals, verantwortete ein Programm für Materialentwicklung und war Leiter der Abteilung New Business Chemicals. Während seiner Karriere bei Merck absolvierte Heckmeier berufsbegleitend einen Abschluss als Master of Business Administration. Er ist seit 1993 Mitglied der Deutschen Physikalischen Gemeinschaft und seit 2007 Vorstandsmitglied der Organic Eletronics Association (OE-A).

Herr Dr. Heckmeier, ein zentraler Begriff bei Merck ist Innovation. Was bedeutet diese Ausrichtung im Berufsalltag?
Das Geschäftsmodell von Merck basiert auf Innovationen. Im Unternehmensbereich Chemie investieren wir in Innovationsprojekte, damit wir bei unseren Kunden neue Produkte platzieren können. Neue Produkte sind profitabler und diese höheren Gewinne wiederum gewährleisten weitere Innovationen.

Ein sich selbst stabilisierendes System – wenn alles gut geht.
Wir haben einen guten Track-Record. Merck ist ein Familienunternehmen, und wir genießen den Rückhalt der Eigentümer, auch langfristig an Themen arbeiten zu können. Wir müssen unsere Aktivitäten nicht in jedem Quartal infrage stellen lassen – und das ist wichtig, denn für Innovationen benötigen Sie einen langen Atem.

Sie arbeiten bei Merck als eine Art Forschungsmanager. Was genau ist Ihre Aufgabe?
Ich schaffe die Rahmenbedingungen, damit unsere Forscher kreativ tätig sein können. Dazu zählen insbesondere die Bereitstellung von Ressourcen und eine sinnvolle Verteilung dieser Ressourcen.

Abseits vom Geld: Welche Rahmenbedingungen benötigt ein Naturwissenschaftler, um innovativ arbeiten zu können?
Eine Mischung aus vorgegebener strategischer Richtung und Freiheit. Wenn Sie Leute zu sehr gängeln, wird ihnen nicht viel Neues einfallen. Aber wenn ein Forscher nur unbehelligt im Elfenbeinturm arbeiten kann, ist er in einem Unternehmen wie Merck auch an der falschen Stelle.

Wie arbeiten Sie in Ihrer Einheit konkret an Innovationen?
Wir versuchen, eine ganze Reihe von Quellen für Ideen zu nutzen. Da ist zunächst einmal das interne Potenzial unserer Mitarbeiter, wobei es zwischen den Bereichen Chemie und Pharma enge Kooperationen gibt, um gemeinsam Ideen generieren zu können. Geht es um neue Produkte, ist der Blick auf die Bedürfnisse des Kunden der zentrale Aspekt. Und schließlich ist auch die Zusammenarbeit mit Hochschulen und anderen Partnern wichtig. Um es kurz zu machen: Innovationen entstehen nur selten im stillen Kämmerlein. Zeitgemäße Forschung lebt vom Austausch.

Wie wichtig sind für ein Unternehmen wie Merck die öffentlichen Förderungen einiger Projekte?
Förderungen sind ein wichtiger Aspekt unserer Forschung. Wir sind an diversen größeren Initiativen beteiligt, zum Beispiel in den Sektoren organische Elektronik oder Photovoltaik. Aus solchen Initiativen ergeben sich hervorragende Netzwerke, und durch die öffentlichen Mittel gelingt es uns, langfristig sehr risikobehaftete Themen ein wenig abzufedern. Sprich: Wir können uns Forschungen leisten, die unser eigenes Budget nicht hergegeben hätte.

Bekommen Sie Bauchschmerzen, wenn Sie die aktuelle Spardiskussion verfolgen? Es stehen ja auch öffentliche Förderungen auf dem Prüfstand.
Ja, das betrachten wir schon mit einer gewissen Sorge. Die Mittel, die derzeit zur Verfügung stehen, stellen sicher, dass ganz neue Themen auch in der Fläche, das heißt in Konsortien, bearbeitet werden können. Es wäre schade für den Standort Deutschland, wenn diese Gelder eines Tages nicht mehr fließen würden.

Schaffen denn diese öffentlichen Förderungen ganz konkret Stellen für junge Naturwissenschaftler?
Es gibt durchaus die eine oder andere Stelle, die bei uns öffentlich gefördert wird. Wir stellen Leute aber nicht ausschließlich für solche Projekte ein, da zählen bei uns immer auch andere Kriterien.

Sie sind promovierter Physiker und haben einen Abschluss als MBA. Gibt es Situationen, in denen sich das naturwissenschaftliche und das betriebswirtschaftliche Denken beißen?
Es gibt da eigentlich keine Konflikte. Ich muss aber je nach Situation verschiedene Schwerpunkte setzen. Ist ein Projekt noch in der frühen Phase, geht es darum, den Forschern viel Freiheiten zu lassen, damit Ideen entstehen und systematisch bearbeitet werden können. Wird das Projekt reifer, wachsen die Ressourcen, die wir ihm zuordnen; es arbeiten mehr Leute an dem Projekt, die Budgets werden größer – und dann rücken verstärkt wirtschaftliche Fragestellungen in den Vordergrund: Wie lange wird es noch dauern, bis das Produkt zur Marktreife kommt? Rechtfertigt das Projekt die finanziellen Mittel, die investiert werden? Da wir in der komfortablen Situation sind, mehr Ideen zu entwickeln, als wir eigentlich benötigen, helfen uns diese wirtschaftlichen Komponenten in der späteren Projektphase bei der Selektion. Denn eines gilt immer: Innovation muss Wert für unser Unternehmen generieren.

Verlangen Sie daher von Ihren jungen Naturwissenschaftlern, wirtschaftlich denken zu können?
Ich sehe ökonomisches Denken für den klassischen Chemiker oder Physiker, der in den Beruf einsteigt, nicht im Fokus. Ich habe meinen MBA später berufsbegleitend bei Merck gemacht. Ein klassischer Einstieg ist in der Forschung – Mitarbeiter können von dort aus im Verlauf der ersten Jahre langsam in betriebswirtschaftliche Themen hineinwachsen.

Welche Skills neben der Fachqualifikation sind heute wichtig?
Fachleute müssen sich heute mitteilen können. Sie müssen kommunizieren, präsentieren sowie Teamfähigkeit beweisen können. Diese Dinge klopfen wir im Bewerbungsprozess ab, und sie sind uns wichtiger als eine eventuelle betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung.

Sie haben einige Jahre lang in einer Führungsposition in der englischen Organisation von Merck gearbeitet. Was haben Sie dort gelernt, was Sie vielleicht in Deutschland nicht gelernt hätten?
Soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit in einem interkulturellen Umfeld. Wer bei uns anfängt, spricht zu Beginn fast ausschließlich mit anderen Forschern. Schnell kommt der Austausch mit Nachbarabteilungen wie Vertrieb oder Produktion hinzu, dann der mit den anderen Gesellschaften von Merck. Der vierte Schritt ist schließlich die eigene Mitarbeit in einer ausländischen Organisation.

Zum Unternehmen

Merck ist ein weltweit tätiges Pharma- und Chemieunternehmen mit rund 33.600 Mitarbeitern in 64 Ländern und Gesamterlösen von rund 7,7 Milliarden Euro (Zahlen aus dem Jahr 2009). Der Unternehmensbereich Pharma umfasst innovative rezeptpflichtige Arzneimittel sowie Produkte für die Selbstmedikation. Der Unternehmensbereich Chemie bietet Spezialprodukte für die Elektronik-, Farb-, Kosmetik-, Lebensmittel-, Pharma- sowie Biotech-Industrie. Die Chemieprodukte des Unternehmens finden sich zum Beispiel in Displays von Fernsehern, Laptops, Mobiltelefonen, Navigationsgeräten oder auch der neuesten Generation der Tablet-PCs.

Das operative Geschäft wird unter dem Dach der Merck KGaA geführt, die ihren Stammsitz in Darmstadt hat. Rund 30 Prozent des Gesamtkapitals sind im Besitz freier Aktionäre, rund 70 Prozent gehören der Familie Merck. Merck ist nach eigenen Angaben das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt – seine Wurzeln reichen bis in das Jahr 1668 zurück.

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