Interview mit Prof. Eve-Marie Engels

“Bioethik ist kein Monopol für Akademiker”

Eve-Marie Engels ist Professorin für Ethik in den Biowissenschaften in der Fakultät für Biologie der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie hat Philosophie und Biologie studiert und ist unter anderem Mitglied des Nationalen Ethikrates der Bundesrepublik Deutschland. Über ihre Arbeit und die Herausforderungen der Biotechnologie an ihr Fach sprach sie mit dem karriereführer. von Robert Piterek

Frau Engels, warum hat die Uni Tübingen eine Philosophin für den Lehrstuhl Bioethik ausgesucht?
Prof. Eve-Marie EngelsIch habe sowohl in meiner Doktorarbeit „Die Teleologie des Lebendigen“ als auch in meiner Habilitationsschrift zur „Evolutionären Erkenntnistheorie“ Themen aufgegriffen, die für die Philosophie der Biowissenschaften generell von zentraler Bedeutung sind. Parallel dazu beschäftigte ich mich als wissenschaftliche. Assistentin an einem philosophischen Institut stets mit Fragen der Bioethik und der Moralphilosophie. Dass die Wahl auf mich fiel, hat wohl auch damit zu tun, dass ich neben der Ethik ein Standbein in der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte der Biologie habe und nach meiner Promotion in Philosophie einige Semester Biologie studiert habe.

Welche Philosophen haben Sie besonders beeinflusst?
Das kann ich nicht an bestimmten Personen, wie Aristoteles oder Kant, festmachen, so wichtig diese für mich sein mögen. Mich haben stets Fragestellungen beschäftigt. Mit einer einseitigen Orientierung an einem oder einigen wenigen Philosophen kommt man heute nicht weiter. Die Themen sind zu komplex. Es ist notwendig, das Beste aus verschiedenen Positionen aufzugreifen.

Wie sieht ein Arbeitstag an der Uni Tübingen aus?
Interfakultäre Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)Ich führe Vorlesungen, Seminare und Doktorandenkolloquien durch, betreue Studierende, erledige an meinem Lehrstuhl die laufenden Arbeiten und leite das Interfakultäre Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Uni Tübingen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dem IZEW kürzlich ein Graduiertenkolleg „Bioethik“ bewilligt, das im Januar 2004 seine Arbeit aufnehmen wird. Eine meiner Aufgaben wird es sein, das Kolleg zu leiten und die DoktorandInnen und Postdocs zu betreuen. Darüber hinaus wirke ich an Studien zur Technikfolgenabschätzung mit und engagiere mich im Nationalen Ethikrat und anderen Kommissionen.

Was versprechen Sie sich von dem Graduiertenkolleg „Bioethik“?
In der traditionellen Ausbildung an den Universitäten ist kein interdisziplinäres Arbeiten vorgesehen. Die klassische Einteilung in fachspezifische Ressorts besteht hier noch. Allein mit dem Wissen eines Fachbereichs kann man komplexe Fragen aber nicht beantworten. Man muss bei der Stammzellendiskussion beispielsweise erst einmal klären, was ein Embryo im biologischen Sinne ist. Hinzu kommen noch die rechtlichen und sozialen Aspekte, um hier nur einige zu nennen. Die Teilnehmer des Graduiertenkollegs sollen interdisziplinäre Kompetenzen erwerben. Deshalb erwarten wir von Teilnehmern, die z.B. eine Dissertation über die ethischen Aspekte der Neurowissenschaften schreiben, dass sie neben dem Erwerb ethischer Kompetenzen ein Praktikum im Bereich der Medizinischen Psychologie besuchen.

Sie haben den ersten bioethischen Lehrstuhl in Deutschland. Wird der Bioethik in Deutschland genug Bedeutung beigemessen?
Mehr und mehr. Ich kann mich vor Anfragen für Vorträge und Interviews kaum retten. Auch seitens nationaler und internationaler Ethik-Gremien gibt es eine starke Nachfrage. Zudem wird der Bioethik heute im Vorfeld der Einführung neuer Technologien eine wachsende Bedeutung beigemessen. Bioethik hinkt nicht mehr hinterher, was man ihr lange vorwarf, sondern die ethischen, sozialen und rechtlichen Implikationen und Folgen von Biotechnik werden vorher abgeschätzt.

Werden künftig mehr Bioethiker benötigt?
Bestimmt! Mehr Lehrstühle wird es aber wegen der Sparnot der Universitäten voraussichtlich nicht geben.

Sie erwähnten gerade schon die Stammzellendebatte: Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) dürfen aus dem Ausland importiert, aber nicht in Deutschland gewonnen werden, weil das Embryonenschutzgesetz die Tötung von Embryonen untersagt. Für die importierten ES-Zellen wurden aber Embryonen getötet. Ist das Gesetz ethisch vertretbar?
Das Gesetz ist ein Kompromiss. Es hat Vor- und Nachteile. Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates hat die Politik beeinflusst. Es gibt bereits etablierte ES-Zelllinien im Ausland, für die keine Embryonen mehr getötet werden. Nur unter bestimmten strengen Voraussetzungen und mit Billigung einer Ethikkommission können diese Stammzelllinien importiert werden. Der Kompromiss bestand darin, dass man einerseits die Tür für die ES-Zellforschung offen halten und andererseits die Strenge des Embryonenschutzgesetzes aufrechterhalten wollte.

Offenbar wollte man im weltweiten Forschungswettbewerb nicht außen vor bleiben.
Ja, aber es ging nicht nur um den Wettbewerb. Beim Nationalen Ethikrat stand die Hoffnung auf das Heilungspotenzial im Vordergrund. Auch die Befürworter des Imports embryonaler Stammzellen waren der Meinung, dass ökonomische Gründe hintan gestellt werden müssten, wenn der Import ethisch nicht vertreten werden könnte. Die Ökonomie hatte nicht den Vorrang vor ethischen Erwägungen.

Glauben Sie, dass die Bioethik ausreichenden Schutz vor Fehlern in den neuen naturwissenschaftlichen Forschungsbereichen bietet?
Was heißt Fehler?

Francis Fukuyama hat beispielsweise in seinem Buch „Das Ende des Menschen“ vor einer unvorsichtigen Haltung gegenüber dem Fortschritt in der Biotechnologie gewarnt. Er schreibt, dass Neuropharmaka beispielsweise zu einem Verlust menschlicher Identität und Persönlichkeit führen könnten.
Die Bioethik muss sich mit den Herausforderungen der Biotechnologie kritisch auseinandersetzen und als Frühwarnsystem fungieren. Doch die Bioethik ist kein Monopol von Akademikern oder Ethikkommissionen. Sie muss zum persönlichen Anliegen aller Menschen werden. Bioethische Fragen sollten in einem öffentlichen Dialog diskutiert werden. Wenn dies Fukuyamas Zielsetzung ist, kann ich sie nur begrüßen.

Werden Sie uns warnen, wenn uns der „Verlust des Menschseins“ droht?
Ja selbstverständlich! Für mich beinhaltet Menschsein Freiheit und nicht Manipulation. Ich möchte weiterhin selbst über mich und mein Handeln entscheiden, und andere sollen das auch können.