Interview mit Dirk Berensmann

Chief information officer (CIO) der Deutschen Postbank AG

Dirk Berensmann, Foto: Deutsche Postbank AG
Dirk Berensmann, Foto: Deutsche Postbank AG

Die Fachzeitschrift „Computerwoche“ zeichnete ihn im Dezember 2004 zum „IT-Executive des Jahres“ aus: Dirk Berensmann. Besonders beeindruckt zeigte sich die Jury davon, dass es dem Chief information officer (CIO) der Deutschen Postbank AG nicht nur gelungen war, durch die Einführung von SAP die Zahl der kontobezogenen Geschäftsprozesse im Kreditinstitut von 120 auf 35 zu reduzieren, sondern sich damit auch als Outsourcing-Dienstleister in der deutschen Bankenlandschaft zu etablieren. Von Martin Rath

Zur Person

Dirk Berensmann wurde 1963 im sächsischen Penig geboren und schloss seine Ausbildung zum Diplom-Mathematiker 1987 an der Technischen Universität Karl-Marx-Stadt ab.1999 wurde er in den Vorstand der Postbank Systems AG, 2002 in den der Deutschen Postbank AG gewählt. Er ist zuständig für die Bereiche IT und Operations.

Herr Berensmann, der Begriff „Outsourcing“, die Verlagerung von Geschäftsprozessen auf externe Dienstleister, ist eher BWLern vertraut – wie würden Sie ihn einem IT-Absolventen näher bringen?
Dazu würde ich etwas relativ Einfaches tun: Ich würde ihn an die Hand nehmen und mit ihm gemeinsam ein modernes Automobilwerk besichtigen. So wie dort die Produktion geschieht, mit einem Plattformkonzept, bei dem ganze Komponenten angeliefert und just in time zusammengebaut werden – darin besteht das Prinzip „Outsourcing“. Allerdings ist es in der IT schwieriger umzusetzen, weil die Automobilhersteller mit physischen Dingen arbeiten. Die Stoßdämpfer, die Dieseleinspritzpumpe kann ich sehen und anfassen. Dagegen hat es die IT mit unsichtbaren Komponenten, der Software, zu tun. Darum ist hier das Outsourcing komplizierter als in anderen Branchen, die dieses Konzept oft schon weitgehend umgesetzt haben.

Um an solchen Prozessen teilnehmen zu können: Was sollten IT-Absolventen an wirtschaftlichen Kenntnissen mitbringen?
Sie müssen für jede ihrer technischen Entscheidungen einen Business-Case rechnen Fotos: Deutsche Postbank AG nn können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger muss jeder Techniker an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen haben. Wenn IT-Mitarbeiter in der Lage sind, die wirtschaftlichen Konsequenzen ihrer Entscheidung richtig zu beurteilen, bin ich zufrieden.

Wie kommt man zu den notwendigen Kenntnissen?
Es ist sicher eine Anforderung an die Hochschulen, eine entsprechende Ausbildung gezielt anzubieten. Denn es ist durchaus kompliziert, einen Geschäftsplan für technische Entscheidungen zu rechnen. Den Studenten Methoden und Konzepte an die Hand zu geben, um beispielsweise die wirtschaftlichen Folgen einer Entscheidung zwischen MS-Produkten oder Linux-Einsatz in einem Business-Case durchzuspielen, könnte die Wissenschaft noch stärker als heute aufgreifen.

Was dominiert denn in Ihrer täglichen Arbeit inzwischen, das naturwissenschaftlich- technische oder das betriebswirtschaftliche Wissen?
Weder noch, sondern etwas, das Sie für beide Seiten benötigen: logisches Denken. Einer meiner Professoren sagte einmal: „Ein Mathematiker ist in der Wirtschaft eigentlich zu nichts zu gebrauchen, aber man kann ihn überall einsetzen.“ Wenn ein Mathematiker vor einem Problem steht, fragt er sich zuerst: „Gibt es für dieses Problem überhaupt eine Lösung?“ Seine zweite Frage: „Ist die Lösung eindeutig oder gibt es mehrere verschiedene Lösungen?“ Der nicht in diesem logischen Denken ausgebildete Mensch dagegen sieht ein Problem und meint, gleich eine Lösung finden zu müssen. Dabei ist ihm nicht bewusst, dass er in einigen Fällen erst einmal die Rahmenbedingungen ändern müsste, damit ein Problem überhaupt lösbar wird. In meiner Position ist es extrem hilfreich, diese logische Herangehensweise zu beherrschen, weil man so Entscheidungen schneller und besser treffen kann.

Woran arbeiten Sie gerade?
Ich „rippe“ derzeit meine private CDSammlung. Das sind mehrere tausend Platten, und ich bin schon beim Buchstaben „C“ angekommen. (Lacht.) Von bankinternen Projekten kann ich Ihnen natürlich nichts berichten.

Sie haben zu DDR-Zeiten an der Technischen Universität von Chemnitz studiert, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß. Später arbeiteten Sie für US-amerikanische Unternehmen. Gab es Verwicklungen, beispielsweise weil die US-Zollbehörden fragten: „Waren oder sind Sie Mitglied einer kommunistischen Partei?“
(Lacht.) Eindeutig: Nein! Aber es gab andere Startschwierigkeiten, nachdem ich – übrigens noch vor der Wende – in den Westen gekommen war.

Inwiefern?
Obwohl 1988 Informatiker händeringend gesucht wurden, war es sehr schwer, im Westen einen ersten Job zu finden. Damals konnte niemand einschätzen, was jemand konnte, der im Osten ausgebildet worden war. Ich schrieb mehr als 80 Bewerbungen, gerade einmal vier Unternehmen luden mich zum Vorstellungsgespräch ein. So kam ich über das Umschulungsprogramm eines mittelständischen Softwarehauses zu einem kleinen britischen Unternehmen, das schließlich von Texas Instruments übernommen wurde. Nachdem ich fünf, sechs Jahre Berufserfahrung gesammelt hatte, wechselte ich zu McKinsey & Company, was ohne berufliche Praxis vermutlich nicht möglich gewesen wäre.

Warum entschieden Sie sich für den Wechsel in ein internationales Beratungsunternehmen?
Es hing mit dem unangenehmen Gefühl zusammen, etwas tun zu wollen, es aber nicht zu können. Ich habe mir meine Jobs immer nach einem einfachen Kriterium ausgesucht, und zwar: Wo finde ich ein Umfeld, in dem ich mehr gefordert werde als heute? So kam ich vom deutschen Mittelständler zu einem britischen, von McKinsey zur Postbank, bei der ich nun die gesamte Managementverantwortung trage. Das ist eine Art privates „up or out“-Prinzip: sich weiterentwickeln oder seine Grenzen erkennen. Wobei das „out“ für mich nie ein Problem war, weil ich mir immer sagen konnte: „Ich wäre auch ein ganz guter Programmierer geworden.“

Woran haben Sie festgestellt, dass es Zeit für einen Wechsel ist?
Immer dann, wenn ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr wirklich etwas dazulernen konnte. Ein einfaches Kriterium dafür ist, dass man von seinem Umfeld viel häufiger um Rat gefragt wird, als es umgekehrt der Fall ist. Das mag in Ordnung sein, wenn man 50 Jahre und älter ist, aber nicht während der Zeit der beruflichen Entwicklung.

Sie haben rund sechs Jahre bei McKinsey gearbeitet. Ist das ein empfehlenswertes Karrieresprungbrett?
Ja und nein. Ja, in dem Sinn, dass es eine zweite, zusätzliche Ausbildung sein kann. Man sieht dort, worauf es in der Wirtschaft wirklich ankommt, lernt betriebswirtschaftliche Zusammenhänge kennen, erfährt, wie Entscheidungen in Unternehmen getroffen werden. Als eine Art persönliche Weiterbildung bei guter Bezahlung ist die Arbeit in einer Unternehmensberatung empfehlenswert, auch wenn sie sehr anstrengend ist. Nein, wenn man glaubt, in der Wirtschaft würde jeder nur darauf warten, einen Ex-Mitarbeiter von McKinsey zu rekrutieren. Auch das Gerücht von McKinsey-Seilschaften im Management ist eher irreführend. Mein persönliches Erleben ist – und danach handle ich auch –, dass an Ex-McKinsey-Kandidaten meist höhere Anforderungen gestellt werden als an andere Bewerber.

Wie schätzen Sie die Stärken und Schwächen heutiger IT-Absolventen im Vergleich zu Ihrer Zeit ein?
Ich glaube nicht, dass die Ausbildung heute schlechter ist als früher. Aber was mir bei jungen Leuten auffällt – nicht nur bei Absolventen aus IT-Fächern –, ist oft ein Mangel an Bereitschaft, erst einmal Leistung zu zeigen, bevor man Ansprüche anmeldet. Viele vergessen, dass man sich Ansprüche zunächst erarbeiten muss. Ich finde diese Haltung, die bei früheren Generationen kaum zu finden war, schon etwas bedenklich.

Zum Schluss gefragt: Ihr erster Computer?
Ein C64 und zwar ein gebrauchter. Er hat heute einen Ehrenplatz in meinem kleinen privaten Computer-Museum.

Nachgefragt

Welchen Beruf weit ab vom IT-Sektor können Sie sich vorstellen?
Discjockey.

Was ist Ihr Hauptcharakterzug?
Toleranz.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an anderen Menschen?
Erstens Zielstrebigkeit. Zweitens Hilfsbereitschaft.

Was ist Ihr größter Vorzug?
Für meinen Job als IT- Chef: gute Nerven zu haben.

Was ist Ihnen sehr unangenehm?
Gedankenlosigkeit, egal, ob sie bei mir oder bei anderen vorkommt.

Was dulden Sie auf keinen Fall?
Sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen.

Was entschuldigen Sie sofort?
Fehler, die mit guter Absicht geschehen sind.

Gibt es etwas, das Sie unter allen Umständen mit auf eine Reise mitnehmen würden?
Einen Notizblock, aus Papier – keinen elektronischen. Man sollte sich von der Elektronik nicht zu sehr abhängig machen.

Wo liegt Ihre Grenze?
Als ehemaliger DDR-Bürger hasse ich jegliche Art von Grenzen. Aber wenn Sie hartnäckig nachfragen, würde ich sagen: Meine Grenzen liegen eindeutig im sportlichen Bereich.

Was war Ihr größter Flop?
Mein erster Job, im VEB Datenverarbeitungszentrum. Dort hatte ich keinen Zugriff auf einen Computer (es gab zu wenige).

Was möchten Sie in fünf Jahren tun?
Hoffentlich etwas anderes als heute; denn ich möchte nach wie vor noch dazulernen und regelmäßig etwas Neues anpacken.

Haben Sie ein Motto?
Wer wagt, gewinnt. – Leider ist der Mut, kontrollierbare Risiken einzugehen, in der IT-Branche eher selten anzutreffen.