Interview mit Claus Kleber

Anders erfolgreich

Neigungswechsel wäre ein völlig falscher Begriff: Claus Kleber hat zwar sein Jurastudium inklusive Promotion abgeschlossen, wollte aber nie Jurist werden. Doch was er dabei gelernt hat, nutzt der Journalist ganz bewusst – bei großen Reportagen und im „heute journal“-Studio. Von Petra Engelke

Zur Person

Claus Kleber, geboren am 2. September 1955 in Reutlingen, promoviert 1985 über „Privater Rundfunk – Gestaltungsmöglichkeiten im Verfasssungsrahmen“. 1986 geht er als Hörfunkkorrespondent nach Washington, wechselt dort 1992 zum Fernsehen.
2003 kehrt er zurück nach Deutschland als Leiter und Moderator des „heute journal“. Als ihm 2007 die Chefredaktion des Magazins „Der Spiegel“ angeboten wird, lehnt er ab. 2009 wird er für seine Reportage „Die Bombe“ mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Claus Kleber ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Claus Kleber hat seine Füße auf den Tisch gelegt. Das sagt er jedenfalls, als er für einen Moment vom Telefonat abgelenkt ist: Die Kollegen amüsieren sich über ihn, sie schauen nicht nur durch die Fenster des aquariumartigen Büros, sie haben auch eine Fotokamera geholt. Die Szene kann man sich gut in einer schrägen Anwaltsserie wie „Boston Legal“ oder „Eli Stone“ vorstellen. Vor der Kamera steht Claus Kleber tatsächlich; allerdings weder als Schauspieler noch als Jurist, sondern als Moderator des „heute journal“ im ZDF.

„Ich wollte unbedingt in den Rundfunk“, sagt er heute. Sein Sendungsbewusstsein entdeckt er als Schülersprecher einer Schule, die als Modell für die Gesamtschule erkoren war – und ebenso modellhaft die Mitbestimmung erprobt. Dort spricht Kleber über Lerninhalte und Baupläne für 2000 Schüler, verschafft sich in großen Konferenzen Gehör. Das hätte gut auf eine politische Karriere hinauslaufen können. „In der Tat war da mehr das Gestalten gefragt“, sagt Kleber. „Gleichzeitig fing ich aber auch beim Kölner Stadt-Anzeiger an. Da habe ich gesehen, dass Journalismus eher mein Ding ist.“ In den Sommerferien jobbt er in der Lokalredaktion Bergisch-Gladbach. Daraus wird eine freie Mitarbeit. Ein Berufsziel.

Trotzdem studiert Kleber ab 1974 Rechtswissenschaften. Etwas Vernünftiges eben, ein Plan B für die Karriere. „Ich hatte von Anfang an große Sorgen, dass ich beim Rundfunk irgendwann einmal in eine Situation komme, in der ich gerne eine Alternative hätte und sagen können möchte: ‚Ich kann auch etwas völlig anders machen, tschüss.’ Und das geht nur mit einem, wenn man so will, nutzbringenden Studium.“ Nebenher arbeitet der Pragmatiker weiter für die Zeitung, nach vier Semestern moderiert er im Radio. Als freier Mitarbeiter beim Südwestfunk verdient er genug Geld fürs Studentenleben in Tübingen. Das Studium dauert derweil satte 14 Semester.

„Elend lang, nicht?“, lacht Kleber. Gerne kokettiert er heute damit, er habe die Uni über Jahre hinweg nur für Interviews betreten. Doch immerhin reicht sein Engagement für zwei stipendienfinanzierte Auslandssemester in Lausanne, auch für die Recherchen zur Doktorarbeit in den USA gibt es Fördermittel. „Ich habe das Studium sozusagen als Basis genommen für das Berufsziel Journalismus. Dann hat mir wider Erwarten die Juristerei nicht nur Spaß gemacht, sondern ich entdeckte auch ein gewisses Talent dafür.“ Am Ende arbeitet er in einer Anwaltskanzlei, berät hochkarätige Mandanten in Urheberrechtsfragen und gewerblichem Rechtsschutz – und diese Kanzlei macht ihm ein sehr lukratives Angebot. Fast zeitgleich bietet der Südwestfunk eine Festanstellung an: als Studioleiter in Konstanz. Claus Kleber muss sich entscheiden.

Seine Wahl fällt auf den Journalismus. Kleber ist davon überzeugt, dass man sich am besten davon leiten lässt, was man wirklich tun will. Er wollte immer Journalist werden. Davon lässt er sich jetzt nicht abbringen. Und der Preis? Erst einmal muss er vom Anfängergehalt einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt leben: „Wenn man Karriere als eine Staffel steigender Einkommen versteht, dann war es eine Entscheidung gegen die Karriere.“ 25 Jahre später gilt Claus Kleber als bestbezahlter deutscher Nachrichtenmann, verdient eine mittlere sechsstellige Summe im Jahr. Plus Honorare für Vorträge. Dennoch beharrt er auf seiner Position. „Auch meine Entscheidung gegen das Angebot, Chefredakteur des ‚Spiegel’ zu werden, war trotz der Großzügigkeit des ZDF eine Entscheidung gegen das Geld.“

Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, lernt Kleber als Referendar. Während er dicke Akten wälzt, den Schriftwechsel von mehreren Jahren durchforstet und daraus die Grundlage einer Entscheidung aufzubauen versucht. Ebenso hat ihm die Juristerei ins Bewusstsein gehämmert, dass es zu jeder Überzeugung auch eine Alternative gibt. Und dass jede Position ihre Schwächen hat. Auch die eigene. Das nutzt er bei der journalistischen Arbeit.

Und es beschleunigt Entscheidungen: Kanzlei oder Studioleitung – für die Antwort braucht er keine Woche. Bald darauf freut er sich auf das erste Kind, und schon donnert die nächste Frage in die Familienplanung: Weil er für seine Doktorarbeit in den USA war, kommt die ARD auf ihn zu, als sie kurzfristig eine Aushilfe für das Studio in Washington sucht. Spontan sagt der Amerikafan zu – und bleibt 15 Jahre im Land. Dort entwickelt sich die Lässigkeit, die ihn heute zum Vorzeige-Anchorman macht. Als er 2003 zurück nach Deutschland kommt, um Redaktionsleiter des „heute journal“ zu werden, gibt es nur ein Problem: die formelle Anrede.

Personen

Infos zu Uli Gack
Infos zu Gundula Gause

„Wenn Amerikaner ‚Hörr Klebörr’ sagen, nehmen sie einen auf den Arm oder haben ein Problem mit einem“, sagt er. Also bittet der neue Chef die Redaktion, ihn mit „Claus“ und „Sie“ anzusprechen. Dabei ist es geblieben. Claus Kleber duzt nur seine Co-Moderatorin Gundula Gause. Und den Reporter Uli Gack. Mit ihm war Kleber für eine große Reportage einmal fünf Wochen lang in Afghanistan unterwegs. „Und wenn man einmal nebeneinander mit dem Schlafsack auf dem Boden übernachtet hat, dann siezt man sich nicht mehr.“ Für diesen Teil seiner Arbeit ignoriert Claus Kleber den üblichen Termindruck, den Sendebeginn der nächsten Nachrichten. Deshalb definiert er die Zeitplanung für Reportagen stets mit „so lange, wie es braucht“. Ganz ähnlich schätzt er auch eine gute Ausbildung ein: Studenten sollten Zeit dazu haben, sich eine Weile lang mit einer Sache zu beschäftigen, die vielleicht am Ende nicht nützlich ist für den Beruf. Wichtig sei die Freiheit, sich auch einmal zu irren. „Wer diese Freiheit nimmt, macht die sogenannte geistige Elite kaputt.“

Juristen im TV-Journalismus

Claus Kleber ist längst nicht der einzige Jurist, der sich für eine journalistische Karriere entschieden hat – und deshalb nicht gleich Gerichtsreporter wurde. Auch Wolf von Lojewski, sein Vorgänger im „heute journal“, kann ein abgeschlossenes Jurastudium vorweisen. Ulrich Wickert, Ulrich Deppendorf und Joachim Wagner sind ebenfalls aus den Fernsehnachrichten bekannt. Urteile über sportliche Leistungen sind das Thema von Heribert Faßbender und Manfred Breuckmann. Eher mit Unterhaltung befassen sich Alfred Biolek und Günther Jauch – Letzterer brach sein Studium allerdings ab, als er auf einer Journalistenschule angenommen wurde.