Interview mit Christoph Gottschalk

Rasanter Aufsteiger

Christoph Gottschalk, Foto: Russell Reynolds Associates
Christoph Gottschalk, Foto: Russell Reynolds Associates

Vom Tellerwäscher zum Millionär – gibt es das noch? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Christoph Gottschalk weiß, wie rasant Karrieren verlaufen können. Mit 26 Jahren saß er als erster Deutscher überhaupt als Berater des Premierministers im französischen Kabinett, heute ist er Headhunter bei Russell Reynolds Associates. Der karriereführer begleitet die Karriere von Christoph Gottschalk seit vielen Jahren: Schon 2003 haben wir mit ihm ein großes Top-Manager-Interview geführt und seitdem kontinuierlich über seinen Berufsweg berichtet. Diesmal hat André Boße mit ihm gesprochen – über Macht und Einfluss, über Ecken und Kanten.

Zur Person

Christoph Gottschalk, 34 Jahre, war schon mit 17 Jahren Mitglied des Europäischen Jugendparlaments und studierte nach dem Abitur an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften. Kurz vor seinem Abschluss moderierte er 2003 eine Diskussion zwischen dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac. Die Franzosen behielten ihn daraufhin in bester Erinnerung, und als kurz danach ein deutscher Berater für den Premierminister Jean-Pierre Raffarin für die Themen deutsch-französische Beziehungen sowie Kultur, Jugend und Bildung gesucht wurde, erhielt Gottschalk den Zuschlag. Als 26-Jähriger besetzte er damit als erster Deutscher überhaupt ein Amt im französischen Kabinett.

Gottschalk blieb bis 2005 an der Seite des französischen Premiers und absolvierte anschließend ein Masterprogramm in „European Public Policy“ in London. Im Herbst 2007 ging er dann als Headhunter zu Russell Reynolds Associates. Im Hamburger Büro des weltweit renommierten Consulting- Unternehmens berät er internationale Klienten im Bereich Non-profit, Government Affairs und Medien und unterstützt politiknahe Institutionen und Unternehmen bei der Besetzung von Top-Führungspositionen. Christoph Gottschalk ist verheiratet und hat zwei Kinder. www.russellreynolds.com

Herr Gottschalk, wenn wir Ihre bislang sehr vielfältige Karriere mit einem ausgewogenen Menü vergleichen, welche Zutat darin überrascht Sie rückblickend am meisten?
Ein Aspekt, der jedoch eher andere als mich verwundert: dass ich Politikwissenschaft studiert habe. Es hieß damals häufig: „Damit wirst du nie was.“ Rückblickend hat es mich gefreut, an verschiedenen Stellen deutlich zu machen, dass das Blödsinn ist. Wobei es mich dann wiederum gewundert hat, wie schnell es mir gelungen ist, diese These zu widerlegen.

Wie lautete Ihr Rezept, um so ungewöhnlich schnell nach oben zu kommen?
Leidenschaft. Ich habe immer für die Sache gebrannt, und das führte an diversen Stationen meiner Laufbahn dazu, dass ich stärker wahrgenommen wurde als andere. Und zwar wohlgemerkt auch als andere, die gute Abschlüsse in „sinnvollen“ Studiengängen erreicht hatten. Mich freut es, die Erfahrung gemacht zu haben, dass man auch über krummere Wege gute Karrieren machen kann.

Ihr Weg führte Sie zunächst als Berater an die Seite des französischen Premierministers und jetzt in die Headhunter-Branche. Das sind zwei ganz unterschiedliche Berufe, oder?
Ja, wobei ich mich schon immer generalistisch für Dinge interessiert habe. Es gibt in meinen Augen sowieso keinen spannenden beruflichen Bereich, bei dem man schon als Einsteiger alles weiß. Es gehört immer dazu, Dinge neu zu lernen, und mir fiel das nicht schwer, weil ich von Beginn an erstens das Interesse für und zweitens ein grundlegendes Wissen über diese Themen besaß.

Was beide Berufe eint: Es geht knallhart zur Sache. Wie gelingt es Ihnen, in diesen Branchen den Spaß und die Leichtigkeit zu behalten?
Es ist wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, das von Werten bestimmt ist, die auch meine sind. Wenn ich in einem Unternehmen arbeiten würde, das meinen Wertekonsens im Umgang mit Kollegen und Kunden nicht teilt, würde mich das wahnsinnig aufreiben. Ich würde mich dann wahrscheinlich sehr schnell im wahrsten Sinne des Wortes abarbeiten.
Sowohl in der hohen Politik als auch in der sehr amerikanisch und von Effizienz geprägten Headhunter-Branche ist die Luft zwar dünn, aber man kann mit inspirierenden Leuten zusammenarbeiten und auch an harter Arbeit Spaß empfinden. Wobei eines jedem klar sein muss, der mit Leidenschaft ins Berufsleben einsteigt: Eine Karriere zieht immer Folgen nach sich, es wird garantiert auch mal stressig und unangenehm werden.

Was hilft in solchen Momenten?
Das Bewusstsein, an einem Thema zu arbeiten, das mich etwas angeht. Es lohnt sich sehr, darauf zu achten, dass man Anliegen findet, die einen erreichen und wo man mit dem Herzen dabei ist. Man erträgt die eben erwähnten Nebenwirkungen viel besser, wenn man weiß, wofür man morgens aufsteht.

Reicht es da in Ihren Augen aus, den nächsten Karriereschritt als Ziel zu formulieren? Wie der Tellerwäscher, der es deshalb zum Millionär schafft, weil er zielstrebig Schritt für Schritt nach oben geht?
Ich glaube, dass das auf lange Sicht zu wenig ist. Ab einem gewissen Level schauen sich Leute, die so denken, nämlich um und stagnieren. Sie kommen plötzlich eben nicht mehr weiter, weil ihnen das Thema fehlt und sie inhaltlich keine Spitze erreichen. Und dann entsteht schnell eine innere Leere.

Sie waren 26, als der französische Premier Sie als Berater einstellte. Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich damals manchmal überfordert fühlten. Was haben Sie in solchen Momenten unternommen?
Ich habe mir zunächst einmal bewusst gemacht, dass es völlig in Ordnung ist, wenn ich mich als 26 Jahre alter Deutscher, der hier mit der hohen französischen Politik an einem Tisch sitzt, überfordert fühle. Wenn nicht in so einer Situation, wann dann? Mir hat damals zudem geholfen, intensiv zu beobachten und zuzuhören. Ich habe links und rechts mit Leuten gesprochen, die mich dabei unterstützt haben, Dinge einzuordnen. Und nicht zuletzt ist das private Umfeld enorm wichtig: Ich hatte immer Freunde, die mir sagten, in was für einem privilegierten Beruf ich arbeite – aber da war auch immer ein Augenzwinkern dabei. Es hilft ungemein, wenn man Freunde hat, die sich nicht blenden lassen. Solche Menschen schützen einen davor, sich auf unangenehme Art zu verändern.

An was für eine Veränderung denken Sie konkret?
Man kennt ja die Menschen, die durch eine Funktion oder eine Stellung plötzlich einen anderen Habitus annehmen, eine andere Sprache sprechen und sich anders benehmen. Darum ist es eben wichtig, Menschen um sich herum zu haben, die ganz klar sagen: „Hör auf mit dem Mist, das tut dir nicht gut.“

Haben Sie viele Leute erlebt, denen Macht und Einfluss langfristig nicht unbedingt gut getan haben?
Selbstverständlich, und bei einer guten Karriere geht es auch darum, sich nicht verführen zu lassen. Wobei ich nicht meine, dass man Begriffe wie Macht und Einfluss umgehen sollte. In hohen Positionen geht es um diese Dinge, und man muss auch Lust darauf haben, Macht und Einfluss zu bekommen – sonst versteht man das Spiel nicht. Die Arbeit darf sich jedoch nicht auf diese Begriffe reduzieren.

Je schneller die Karriere, desto größer die Gefahr, dass Macht und Einfluss eine Persönlichkeit negativ verändern?
Ja, denn nicht nur in der Politik sind Macht und Einfluss eine Droge. Man wird süchtig danach. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er sich darauf einlassen möchte und ob er robust genug ist, auf Dauer in diesem Umfeld unterwegs zu sein und dabei auf Leute zu treffen, die das gleiche Interesse haben und damit auch zu Konkurrenten um den größten Einfluss werden. Die Aussicht auf Macht und Einfluss kann fraglos Menschen verändern, und ich habe eine tiefe Skepsis gegenüber Leuten, die meinen, sie seien in dieser Hinsicht absolut ungefährdet.

Nach gut zwei Jahren in der Politik wechselten Sie die Branche. Warum dieser Schritt?
Es gab zunächst einmal eine private Dimension. Mir war bewusst, dass eine weitere Karriere in der Politik tendenziell in der Öffentlichkeit stattfinden wird. Mit Blick auf unsere Familienplanung habe ich mir die Frage gestellt: Wollen wir so leben? Ich finde, dass man eine solche Frage ganz wunderbar mit seinem Partner besprechen kann – und zwar ohne dass man sich Illusionen macht. Der zweite Faktor war, dass ich mit sehr jungen Jahren die Gelegenheit hatte, hinter den goldenen Vorhang der großen Politik zu schauen. Das kenne ich jetzt, da kann mir keiner mehr erzählen, dass es anders ist. Was mir jedoch noch fehlte, war ein Einblick in die kommerziellen Zusammenhänge in der Privatwirtschaft. Mich hat interessiert, wie von dort aus die Perspektive auf die Gesellschaft ist und wie ich mich in diesem System verhalte.

Als Headhunter helfen Sie Unternehmen dabei, Top-Leute für Top-Positionen zu finden. Wenn Sie eine Vita vor sich haben, welche Aspekte darin machen Sie neugierig?
Spannend wird es, wenn man beim Blick auf einen Lebenslauf auch mal stolpert. Wenn er sich nicht total weich und geradeaus lesen lässt. Wenn sich irgendwo eine Kante zeigt und ich Lust habe, mehr darüber zu erfahren. An solchen Stellen entdeckt man häufig von persönlichen Werten getriebene und ungewöhnliche Entscheidungen.

Warum sind diese Aspekte wichtig, um beurteilen zu können, ob jemand auf eine Top-Position passt oder nicht?
Weil ich hier etwas lesen kann, das extrem wichtig ist, nämlich die Haltung. Ich kann daraus schließen, wie dieser Mensch sozialisiert wurde und wie er mit Unsicherheiten und ungeplanten Ereignissen umgegangen ist. Ob er schon einmal Courage bewiesen hat und ob es Momente gab, in denen er ganz klar sagte: „Das mache ich so nicht mit.“ Haltung hat in meinen Augen etwas mit nachhaltigem Denken zu tun und führt dazu, dass ein Mensch eine Urteilskraft entwickelt, die über das gelernte Fachwissen hinausgeht. Sie grenzt eine Persönlichkeit von dem Typus Karrieristen ab, der nur an kurzfristigem Erfolg und am Aufstieg interessiert ist.

Suchen Unternehmen tatsächlich Leute mit Haltung?
Unbedingt, denn was ist in diesen Zeiten wichtiger als jemand, der die Fähigkeit besitzt, mit Unsicherheiten umzugehen? Auffallend ist auch, dass sich Menschen mit Haltung eine große Unabhängigkeit erhalten. Zum Beispiel, indem sie auch abseits des Berufs Dinge tun, die ihnen wichtig sind. Es ist Bestandteil einer guten Karriere, den Beruf nicht zu überfordern, sondern ihn immer mal wieder als das zu sehen, was er auch ist: ein Broterwerb.

Was folgt daraus für Hochschulabsolventen kurz vor dem Einstieg ins Berufsleben, wie sollten sie ihre Karriere angehen?
Es gibt weiterhin das Denken: je schneller und geradliniger ein Abschluss, desto besser. Ich werde einen Teufel tun und das als falsch beurteilen. Nur sollte sich keiner unter Druck setzen lassen, dass dies der einzige Weg ist. Auch Entschleunigungen im Denken oder Umwege werden heute von Unternehmen geschätzt. Persönlichkeiten entstehen doch genau dann, wenn Menschen nicht nur das tun, was von ihnen verlangt wird. Eine Karriere ist heute nicht mehr das Abhaken von Stationen. Es ist komplizierter geworden. Oder positiv formuliert: Die Welt ist offener denn je.

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