Interview mit Helge Malchow

Der nie schrieb, doch blieb - oder: Wo im Kölner Süden KiWis wachsen

Helge Malchow, Foto: Privat
Helge Malchow, Foto: Privat

Er hat lebenslänglich, Sicherheit. Ist verbeamtet. Gelangweilt. Neugierde treibt ihn: weiter. Mit 31 Jahren tauscht er 1981 seinen Lehrer-Job gegen ein Dreihundert-Mark-Praktikum. Der Beginn einer langen Buch-Bindung: Seither züchtet der „Literatur-Motivator“ vielblättrige KiWis. Von Viola Strüder

„Fever Pitch“ von Nick Hornby, „Crazy“ von Benjamin Lebert, Bret Easton Ellis’ „American Psycho“ und Ethan Hawkes „Hin und Weg“ sind bei ihm erschienen. Er ist Verleger der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez und Heinrich Böll, Lektor von Joschka Fischer und Wolf Biermann, Entdecker von Erzählstimmen, wie die der Schauspieler Mario Adorf und Renan Demirkan. Doch wer ist der Mann, der mit seinem Programm besonders junge Leser fasziniert?

Ein Gemäuer aus den frühen 1920er-Jahren, eine literarische Villa – kunterbunt. Es riecht nach altem Holz und neuem Papier. Schwarz-weiß schmücken Autorenköpfe den Treppenaufgang, Schwarz auf Weiß finden sie sich wieder: Gedruckt, gebunden, geschätzt – lebensfarbenprächtig im Regal. Der Verleger: Hoch gewachsen, mit sympathisch offenem Lachen. Eine Mischung aus Literatur-Professor und Jeans-Jacket-Rock’n’Roller, rhetorisch geschliffen in seinem Wort-Reich, begeistert er zwischen den Sätzen.

EXPRESSis verbis
Zwischen 9 und 10 Uhr kommt Helge Malchow ins Büro. „Dann lese ich zu allererst meine Lieblingszeitung: ‚Express’“ erzählt er, „gefolgt von ‚FAZ’ und ‚Süddeutsche’“. Montags den „Spiegel“, donnerstags „Die Zeit“. „Danach bin ich informiert über die politische und kulturelle Diskussion der Woche.“ Als „Mittelpunkt eines Netzwerkes“ verbringt er den Tag „mit Kommunikation“: Konferenzen mit Mitarbeitern, Telefonate mit Autoren, mit Journalisten, mit, mit, mit. So geht es bis zirka 19 Uhr. An vier von sieben Tagen gehört der Abend Veranstaltungen: Lesungen, Treffen mit Schriftstellern – meist in Köln, Berlin, München, Hamburg, aber auch in New York und London. Textarbeit steht nach Sonnenuntergang an oder am Wochenende, denn eine Reihe von Autoren betreut Helge Malchow nach wie vor selbst.

Feder-Führung
Der 52-Jährige ist seit zehn Monaten verlegerischer Geschäftsführer von Kiepenheuer & Witsch und somit Nachfolger des Unternehmensgründers Reinhold Neven DuMont. „Er hat mich geprägt“, sagt Helge Malchow über seinen ehemaligen Vorgesetzten, bei dem er zwölf Jahre Cheflektor und zuvor neun Jahre Lektor war. Angebote anderer Verlage habe er abgelehnt, die Identifikation mit diesem Haus ist hoch. Seine Initiative sei stets mit der Möglichkeit zur Umsetzung eines Vorhabens belohnt worden. Dieses sich einbringen können, die Freiheit, Neues anzugehen, zeichnete die Zusammenarbeit aus, die vor über 20 Jahren ungewöhnlich begann.

Entflammt
1968. Helge Malchow ist 18 Jahre alt, Abiturient, Erstsemester-Student: Mit Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie peilt er das Lehramt an – originaler kann ein 68er kaum sein. „Ich kam nach Köln, als die Uni ‚in Flammen stand’.“ Auf Lösch-Papier schreibt er nicht. Im Gegenteil. Die politischen Engagements, das aktive Mitwirken in Gremien spielt eine große Rolle. Es war „mehr Segen als Bremse“ auch im Hinblick auf den Studien- und Lebenslauf. „Wir haben dort gelernt, uns nicht blind auf Autoritäten zu fixieren, haben doppelt so viel für eine Vorlesung getan, um die Auseinandersetzung mit dem Professor führen zu können.“ Inhaltlich sei es nicht so, dass er heute noch alles unterschreiben würde. „Aber diese Mentalität, Dinge zu analysieren, die Diskussion zu suchen und zu führen, Alternativen aufzuzeigen – das ist besser als einfach ein Referat zu schreiben“, drückt er seine Erkenntnis aus. Eine Zeit schließlich, der er heute noch viele spannende Themen verdankt.

Bloß nicht jung und DINamisch
Was denkt er, wenn er junge Menschen heute beobachtet, hat er eine Botschaft zum Nachdenken für Sie? „Ja“, nickt er energisch und setzt gleich an: „Ich habe den Eindruck, dass viele heute zu sehr ihre Gedanken an Strategie und Taktik verschwenden. Aus der Erfahrung habe ich gelernt, dass das unmittelbare Reagieren, Neugierde mitzuteilen, den eigenen Interessen zu folgen, erfolgreicher ist als jedes Taktieren.“ Helge Malchow ist in seinem Element: „Das Unerwartete brachte mir Erfolg. Was ich aus Leidenschaft tat, was mich persönlich interessierte, wofür ich mich eingesetzt habe, das hat sich positiv ausgewirkt.“ In Fahrt ergänzt er: „Irgendwie trichtert man den 20-, 25-Jährigen ein: Ihr müsst das tun, um eine bestimmte Stufe zu erreichen, und danach jenes für die nächste. Diese Idee, das Leben verlaufe nach dem Funktionalprinzip, das ist es doch genau, was nicht funktioniert.“ – Sätze, denen Mimik und Gestik die Ausrufezeichen hinterherschmettern.

Mit Biss – auch mit Hundebiss
Sein Studium finanziert Helge Malchow mit BAFöG und diversen Jobs. Post austragen gehört dazu, für eine Woche: „Als Briefträger hat man mich rausgeschmissen. Studenten bekamen immer die schwersten Pakete ab.“ Er zudem einen Hundebiss. So wie er die Geschichte erzählt, klingt sie wie der live erlebte „Mann mit der Ledertasche“ von Charles Bukowski, der sich einst durch Amerikas Straßen schleppte. Leben. Literatur. Literatur-Leben. Helge Malchow stammt aus einer Flüchtlingsfamilie, hat oft zurückgesteckt, Geld fehlte. „Das war gut so“, sagt der in Bad Freienwald an der Oder Geborene „denn ich habe beobachtet, dass die besser Verdienenden Antriebsprobleme hatten.“ Lebensluxus gab es wenig. Ein Auto gar hat er erst seit drei Monaten. Die scherzhafte Begründung: „Das gehört jetzt zum Verleger sein dazu.“ Nach wie vor findet er Taxi- und Bahnfahren „ideal in diesem Beruf“.

Stunden.Plan.Mäßig.
Nach Abschluss des Studiums verläuft der Weg planmäßig. Helge Malchow wird Deutsch-Lehrer an einem Gymnasium. Literatur lebendig zu vermitteln ist ihm inneres Anliegen. Werke von Heinrich Böll nimmt er in den Lehrplan auf und lädt zur Unterrichtsstunde dessen Verleger Reinhold Neven DuMont als Diskussionspartner ein – nicht ahnend, dass er mit ihm noch häufig diskutieren wird. „Der Lehrerberuf an sich war o.k., die Arbeit mit den Schülern hat Spaß gemacht.“ Nur ist sie nicht, was er aus tiefstem Herzen will.

Den Rot-Stift abgesetzt
„Irgendwann habe ich gemerkt, dass mich die Inhalte mehr interessieren als Pädagogik. Und inhaltlich kommt man als Lehrer nicht weiter.“ Diese Zeit des Bewusstwerdens beschreibt Helge Malchow als einen „sich lange aufbauenden Prozess“. Da ist der Zustand des Beamtendaseins. Die Langeweile. Der Hunger nach neuen Erfahrungen. Er schmiedet den Plan zu promovieren, kehrt hierfür dem Paukerleben den Rücken, Deutschland obendrein und macht sich auf den eigentlichen Lebensweg. Italien wird erste Wahlstation des Suchenden, ein Stipendium macht sie möglich: Unter der Sonne des Südens wird ihm klar, was er wirklich will: Literatur – aber anders.

Chronik eines angekündigten Berufes
Rückkehr nach Deutschland. Kurze journalistische Tätigkeit. Dann: Die Bewerbung auf das Verlagspraktikum. 31-jährig fängt Helge Malchow bei Kiepenheuer & Witsch an, jenem Verlag dessen Verleger eben dieser Reinhold Neven DuMont aus der Schulstunde war. Statt seines Lehrer-Gehaltes gibt es ein Salär von 300 Mark. Drei Monate dauert das Praktikum. Über diesen Schritt mit Schnitt in seiner Vita sagt Helge Malchow heute: „Das Leben wird bunter, wenn man wechselt, man tut es ja aus eigener Entscheidung, justiert sich neu, hat Abstand, nicht das Gefühl der Fernsteuerung und auch nicht das, etwas verpasst zu haben.“

So manchen Sprach-Schatz gehoben

Kurze Zeit später suchte der Verlag jemanden, der die gerade aufgebaute Paperback-Reihe, KiWi genannt und bis heute so bekannt, als Taschenbuch-Lektor betreute. Und so wurde Helge Malchow Paperback-Leiter. „Ich war damals billig, ließ mir aber, weil ich unbedingt noch mal ins Ausland wollte, als Teil des Vertrages drei Monate New York finanzieren.“ Big Apple, das Zentrum amerikanischer Literatur, wird beruflich zweite Heimat für ihn. Normalerweise bekommen Lektoren feste Bereiche zugewiesen: „Als Taschenbuch-Lektor war ich mit allen Themen betraut und dadurch gut auf meine spätere Tätigkeit als Cheflektor vorbereitet.“

An den Start- und Schreib-Block bringen
Anfang der 80er-Jahre erweisen sich die meisten literarischen Autorenverlage als nicht tragfähig. Die einen nehmen Fachverlage hinzu, andere schaffen durch Mäzene Finanzquellen. Helge Malchow geht einen anderen Weg: Er entdeckt Menschen und deren Geschichten oder Erzählkunst – aus Gesellschaft, Politik, Kultur, Sport oder einfach aus dem Leben – und drückt ihnen den Stift in die Hand. „Es gab dieses Interesse an populären Themen, und mit diesen Büchern spiegelte es sich in der Literatur wider.“ Potenzielle Autoren an den Schreib-Block zu bringen, das ist oftmals ein akquisitorischer Job, eine Entwicklungsgeschichte. „Da muss man Briefe schreiben“, lächelt er verschmitzt, „aber das ist ja gerade das, was mir Spaß macht: Zum Schreiben verführen und später zum Lesen.“

Mit Trieb-, aber ohne Schreibfeder
Hatte er nie den Wunsch, selbst zu schreiben? „Nein, das hat in dem Beruf seine Tücken. Irgendwann muss man sich entscheiden, Schriftsteller oder Lektor zu sein“. Er verstehe sich eben als „Literatur-Motivator“, der Kritiker und Journalisten mit einem „das müsst ihr lesen, sonst geht euer Leben schief“ überzeugt. Nach eigener Einschätzung ist diese Verführungskunst seine beste Eigenschaft. Die Schlechteste dagegen sei, nicht gut delegieren und loslassen zu können. „Das lerne ich gerade erst.“ Gibt es eine Kernkompetenz? „Das Gute am Beruf des Verlegers ist, dass es die nicht gibt. Das Wissen über Psychologie, Betriebswirtschaftslehre, Medien, gesellschaftliche Prozesse“, ist seiner Meinung nach der Einband des Erfolges. „Dazu Verstärker sein, Dinge rüberbringen können.“ Geht er selbst in Buchläden? „Klar, das ist wichtig für mich und jedes Mal wie eine Tankstelle. Zu sehen, was andere Verlage machen, wie Buchläden Bücher vorstellen.“

Die Rente verlegen
„Den Verlag weiter erfolgreich fortführen“, hat sich Helge Malchow als Ziel gesteckt. Starre Altersgrenzen gibt es nicht. Erfahrung habe einen hohen Wert in dem Job: „Erinnerung, nicht nur Kenntnis“, betont er, „das ist Kapital“. „Die besten sind nicht die Jüngsten. Man kann auch oder gerade mit 68 ein hervorragender Verleger sein.“ Und so ist es gut vorstellbar, dass auch er in 15 Jahren nicht nur die Brille verlegen wird.

Abgefahren: Ideen chauffieren
Das Handy klingelt: Es gibt Staumeldungen Richtung Dortmund, wo er heute Abend auf der Ruhr-Triennale ein Theaterstück von Marthaler sehen will. Unterwegs sein ist für Helge Malchow wichtig: Da kommt er auf die besten Ideen, so sieben bis acht pro Fahrt sind drin. „Der Schreibtisch ist einfach zu dicht dran.“ Stau bringt ihn also nicht auf die Palme, vielmehr bringt er in ihm was auf den Palm. Von diesen kleinen Geräten ist er hellauf begeistert, genauso wie von Mailboxen. „Alles, was sortiert, ist eine gute Erfindung“. Abschalten könne er gut, auch das Handy. Irgendwie hätte es zu ihm gepasst, wenn er auf einer alten, wohl klingenden Triumph Adler rhythmisch-klappernd in die Tasten hauen würde. Stattdessen reicht ein Knopf-Druck – und die Aufzeichnungen werden morgen früh auf die Festplatte und den Flachbildschirm gebeamt.

Danach schlägt er wieder die Zeitung um, mitreißende Töne an und ein neues Buch-Kapitel auf.