Wenn man nicht alles selber macht!

Foto: Erfinderladen
Foto: Erfinderladen

Ob an der Uni oder im Online-Tutorial: Jeder technikbegeisterte Mensch kann heute lernen, wie man sich ein lustiges Radio baut. Und in der örtlichen Bücherei mit dem 3-D-Drucker experimentieren. Bei so manchen der neuen Do-it-yourself-Ingenieure entsteht aus der Bastelei sogar eine Berufsperspektive. Von Petrina Engelke

Schon mal in einem Erfinderladen gewesen? In Deutschland gibt es mehrere, und sie zeigen: Menschen mit Technikverstand haben jede Menge Humor. Da gibt es Flaschenöffner zu kaufen, die den Kronkorken zielgerichtet in den Müll schleudern, eine WC-Dusche, die die Klobürste ersetzt, einen „Hausmüllverdichter“ namens Pressident und auch Clocky, den weglaufenden Wecker, den die MIT-Studentin Gauri Nanda vor knapp zehn Jahren bastelte und dessen Beliebtheit ihr später eine erfolgreiche eigene Firma bescherte.

„Wir sehen als Erfinderladen die Chance, Kleinserien in einer Testmarktumgebung direkt am Kunden zu testen, um dann diese Erfahrungen in ein Serienprodukt einfließen zu lassen“, sagt Gerhard Muthenthaler, Mitbegründer der Erfinderläden in Berlin, Hamburg und Salzburg (und online). Originelle Geschenkartikel sind nur die Spitze des Eisbergs. Eigentlich dienen die Läden als Schaufenster für einen Service, bei dem er und sein Kompagnon Marijan Jordan immer mehr Zulauf beobachten: die Erfinderhaus-Patentvermarktung. Sie berät Erfinder – von der Frage nach Patent- und Geschmacksmusterschutz über die Kalkulation und die passenden Vertriebskanäle bis hin zu einem Punkt, den viele Bastler übersehen: die Verpackung. Sie solle den Kunden ansprechen und sofort verraten, was er da in der Hand hält, rät Muthentaler. „Während vor zehn Jahren das Bild vom Bastler noch das eines ganz eigenen Typen war, der isoliert in seinem Keller vor sich hin tüftelte, hat es dieses Hobby inzwischen aus dem verstaubten Image an die Oberfläche geschafft“, sagt Muthentaler. „Wir leben in einer Zeit, in der durch Youtube-Tutorials und Blogs theoretisch jeder jedes Wissen erlangen und ein kleiner Ingenieur werden kann.“

Die Entwicklung der Wissensverbreitung haben sich Axel Heinz und Amber Riedl auf ganz andere Weise zur Berufsperspektive gemacht. Auf ihrer Webseite „Makerist“ kann man aufwändig produzierte Handarbeits-Videokurse und dazugehörige Materialpakete bestellen. „Das Schöne bei Start-ups ist, dass man die Wirkung seiner Arbeit viel schneller und unmittelbarer erlebt und direkt am Markt Erfahrungen macht“, sagt Axel Heinz, der zuvor im Produktmanagment bei Firmen wie Ebay und Dawanda gearbeitet hatte. Eine dieser Erfahrungen war: Es ist deutlich komplexer, einen guten Videokurs zu produzieren, als die „Makerist“-Macher es sich vorgestellt hatten. Doch daraus haben sie sozusagen ein Do-it-yourself-(kurz: DIY-)Projekt für Selbermacher erstellt – und Hand angelegt. Nach 22 Videokursen haben sie es längst raus, wie man den richtigen Lehrer findet, ein ansprechendes DIY-Projekt entwickelt, die Lernschritte aufbaut, einen Drehplan schreibt, ein Team bucht – und auch am eigenen Leib erfahren, warum ihre Kunden lieber etwas selbst machen, als die Läden zu durchwühlen. „Dinge selber zu machen ist ungemein entspannend, aber auf eine anregende und kreative Weise, und der Stolz auf das Ergebnis vollendet das Glücksgefühl“, sagt Axel Heinz. „Hinzu kommt, dass nach Jahren der Digitalisierung, Beschleunigung und Globalisierung das Pendel zurückschwingt. Es ist schön, etwas Echtes in den Händen zu halten, das nicht am anderen Ende der Welt produziert wurde.“

Dass das Pendel wieder in die andere Richtung schlägt, hat aber nicht – oder nicht nur – mit dem Zeitgeschmack zu tun. Mit seinem 2012 erschienenen Buch „Makers“ ruft Ex-„Wired“-Chefredakteur Chris Anderson die nächste industrielle Revolution aus: Verbraucher werden zu Erfindern und Produzenten – und sparen sich all die Firmen, Fabriken und Fließbänder, die sonst zum Beispiel zwischen einer Smartphonehülle und einem Telefonbesitzer stehen. Denn die Hülle kann sich inzwischen jeder selber machen – im 3-D-Drucker.

Für manche der neuen DIY-Ingenieure wird aus der Bastelei sogar ein Geschäft. Roland Wolf etwa tüftelte mit seiner Freundin Mary sowie den Geschwistern Christian und Martin im elterlichen Keller an einer Idee: Sie wollten Brillen aus einem natürlichen Material herstellen, und zwar aus einem Stück, ganz ohne Schrauben. Mit einfachsten Mitteln schafften sie es binnen eines Monats, eine erste Holzbrille zu basteln – doch sie taugte noch nicht. Die Freude am Selbermachen blieb. „Wir machen fast alles selbst – von der Brille über das Etui und den Samplekoffer bis hin zum Messestand“, sagt Roland Wolf heute. Längst ist aus der Keller-Bastelei eine Firma namens Rolf Spectacles gewachsen, die eigene Patente hält.

Die neuen Selbermacher werden Fachkräfte und studierte Ingenieure aber nicht verdrängen. Schließlich arbeiten beide an unterschiedlichen Dingen. Erfinderladen-Chef Muthentaler fasst es so zusammen: „Der Ingenieur arbeitet oft im Auftrag an der Lösung eines klar definierten Problems. Der Bastler erkennt selbst das Problem, welches er dann zu lösen versucht.“

Auch Ingenieure, die sich nicht mit einer eigenen Idee selbständig machen möchten, können sich von diesen Bastlern etwas abschauen: die Art und Weise, wie sie Probleme lösen. So haben beispielsweise die Rolfs die ersten Hürden nicht nur mit Beharrlichkeit, sondern auch mit Maschinen-Hacking überwunden: Als gelernter Bau- und Landmaschinentechniker half Martin Iljazovic, Geräte wie eine Melkmaschine und Mopedbremsen zweckzuentfremden, um näher an die perfekte Holzbrille heranzukommen. Diese Experimente mündeten später in einer spezialisierten Fertigungstechnik. Wenn man nicht alles selbermacht!

Web-Tipps für DIY-Freunde

Das große Bastler-Vorbild aus den USA: Limor Fried alias Lady Ada. Mit Material für DIY-Ingenieure hat sie inzwischen eine eigene Firma namens Adafruit Industries gegründet.
www.adafruit.com