Servicerobotik: Interdisziplinär und vielfältig

Servicerobotik, Foto: Dussmann Group/Ecke
Servicerobotik, Foto: Dussmann Group/Ecke

Große automatisierte Anlagen in Industrie und Gewerbe sind wohl das erste, woran viele Studenten der Ingenieurwissenschaften beim Stichwort Robotik denken. Aber die Robotik ist viel breiter aufgestellt: Welche Technologien gibt es, damit ältere Menschen lange ohne fremde Hilfe in ihrem eigenen Zuhause bleiben können? Wie sehen Assistenzsysteme aus, die in Altenheimen oder Krankenhäusern das Personal entlasten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Ingenieure, die im Bereich der Servicerobotik arbeiten. Das Besondere an diesem Arbeitsgebiet: Viele Disziplinen arbeiten zusammen und beschäftigen sich mit Fragestellungen, die weit über das Berufsfeld von Ingenieuren hinausgehen. Von Dr. Birgit Graf, Informatikerin und Leiterin der Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart

Der Begriff Servicerobotik umfasst technische Systeme, die den Menschen teil- oder vollautomatisiert bei seiner Arbeit und bei Dienstleistungen unterstützen. Während ein Industrieroboter oft vom Menschen räumlich getrennt agiert, bewegt sich ein Serviceroboter unter Menschen. Diese unterschiedlichen Einsatzgebiete stellen jeweils eigene Anforderungen an die Systeme: Der Industrieroboter führt am gleichen Ort eine definierte Tätigkeit aus und brilliert durch Kraft und Wiederholgenauigkeit, während Serviceroboter im privaten oder öffentlichen Umfeld sicher und flexibel agieren, mobil und auch von Fachfremden bedienbar sein sollen.

Serviceroboter für den demografischen Wandel sind hauptsächlich in zwei Bereichen im Einsatz: Zum ersten bieten sie Lösungen, damit ältere und kranke Menschen so lange wie möglich selbstständig zu Hause leben können. Traditionelle Ambient Assisted Living (AAL-)Lösungen werden um Handhabungsfähigkeiten und aktive Alltagsunterstützung ergänzt. Die zweite wichtige Funktion besteht darin, pflegenden Personen den Arbeitsalltag zu erleichtern. So können Serviceroboter Pflegeutensilien automatisch bereitstellen oder robotische Assistenzsysteme die Bedienung von Pflegehilfsmitteln vereinfachen und ergonomischer gestalten. Dabei geht es nicht darum, die sensiblen Pflegetätigkeiten Maschinen zu überlassen, sondern die Systeme sollen die Pflegekräfte dahingehend unterstützen, dass diese wieder mehr Zeit für die Patienten haben.

Entsprechend diesen vielfältigen Aufgabenstellungen gibt es bereits eine ganze Reihe unterschiedlicher prototypischer Serviceroboter-Lösungen. Beispielhaft zu nennen wäre der am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA entwickelte mobile Notfallassistent „MobiNa“. Er erkennt mittels Sensoren in der Wohnung, wenn ein Mensch gestürzt ist, und kontaktiert Verwandte oder eine Leitstelle. MobiNa basiert auf Entwicklungen des Roboterassistenten Care-Obot, der als komplexe Forschungsplattform einfach für die Umsetzung und Erprobung neuer Anwendungsszenarien nutzbar ist. Für die stationäre Pflege gibt es die smarte Hebehilfe „Elevon“. Sie ist über ein Smartphone zu ordern, kann Patienten automatisch erkennen und die technischen Parameter entsprechend einstellen. Nicht zuletzt erleichtern intelligente Pflegewagen, die zum Beispiel Pflegeutensilien automatisch vor Ort verfügbar machen und deren Verbrauch dokumentieren, dem Personal das Arbeiten.

Ingenieuren, die in diesem Bereich arbeiten möchten, bietet sich ein sehr breit gefächertes Tätigkeitsfeld. Sie arbeiten für sehr unterschiedliche Kunden, von Privatpersonen über Einrichtungen wie Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime bis hin zu Herstellern, für die sie neue Technologien entwickeln. Während an den Universitäten die Grundlagenforschung im Vordergrund steht, bieten Fraunhofer-Institute wie das Stuttgarter IPA die Möglichkeit, anwendungsorientiert zu arbeiten, so dass am Ende eine produktnahe Technologie oder auch ein Prototyp als Basis für neue Produkte entstanden ist. Für die Absolventen ist es wichtig, sich in die entsprechenden Bedürfnisse und Ansprüche der Anwender hineinversetzen zu können und beispielsweise zu verstehen, was den Arbeitsalltag von Pflegepersonal charakterisiert. Eine große Herausforderung ist es auch, die „Sprache“ anderer Personengruppen zu lernen und konkrete Bedürfnisse der Praxis in technische Lösungen zu „übersetzen“. Damit ein Serviceroboter „zum Leben erweckt wird“, bedarf es außerdem des technischen Know-hows unterschiedlicher Disziplinen: Informatiker, Elektrotechniker, Maschinenbauer, Mechatroniker aber auch Industriedesigner sind gefragt, um einen technisch zuverlässigen, sicheren und auch äußerlich ansprechenden Serviceroboter zu entwickeln. Nicht zuletzt sollten Ingenieure Spaß an der praktischen Arbeit haben. Informatiker, die in der Robotik tätig sind, sitzen nicht nur vor dem Rechner und programmieren, sondern basteln, schrauben und tüfteln auch am Objekt. Wenn der Roboter nicht so funktioniert wie im Programm vorgesehen, dürfen sie auch mal ein Messgerät oder den Lötkolben in die Hand nehmen und Fehler in der Elektronik suchen und reparieren.

Die Servicerobotik ist ein Markt, der am Puls der Zeit agiert und in den nächsten Jahren noch wachsen wird. Die dargestellten Technologien bieten Lösungen für die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wie den demografischen Wandel und den Pflegefachkräftemangel am Arbeitsmarkt. Angehende Ingenieure können ihr fachliches Know-how interdisziplinär und praxisorientiert für ein Arbeitsgebiet nutzen, das gesamtgesellschaftliche Entwicklungen mitbeeinflusst.

Serviceroboter-Anwendungen

Haushaltsassistenz
Pflegeunterstützung
Rehabilitation
Entertainment
Bewachung und Inspektion
Gewerbliche Reinigungssysteme
Landwirtschaft

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