Gesamtpakete gegen Großstadtglanz

Foto: Fotolia/ evgenyatamanenko
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Marken mit Weltruf, familiengeführte Traditionsunternehmen und international erfolgreiche Spezialisten: In der deutschen Provinz findet sich eine breite Palette an Unternehmen mit spannenden Einstiegsmöglichkeiten. Angesprochen fühlen sich Nachwuchskräfte, denen eine solide Entwicklung wichtiger ist als die Überholspur. Von André Boße

Den Unterschied zwischen Metropolregion und Provinz merkt man schon morgens, bevor man das erste Mal aus dem Fenster schaut. Der Radiowecker geht an, und wer im Ruhrgebiet oder der Region Rhein-Neckar wohnt, in Berlin, Hamburg, Frankfurt oder Köln, der hört erst einmal von Staus und stockendem Verkehr ohne Ende. Manch einer, der mit dem Auto zur Arbeit fährt, hat da schon keine Lust mehr. Wacht man dagegen auf dem Land auf, gibt es beim ländlichen Sender morgens häufig schönere Themen. Und wenn man sich auf den Weg zur Arbeit macht, wird man mit Staus wahrscheinlich nichts zu tun haben.

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Umsatzstarke Familien-unternehmen

Neckarsulm, Ingelheim, Künzelsau, Iphofen – der Blick auf die Rangliste der umsatzstärksten deutschen Familienunternehmen ist immer auch eine kleine Reise durch die ländlichen Regionen Deutschlands. Das Wirtschaftsblatt stellte eine Rangliste der „Top 500 Familienunternehmen“ auf, und das Ranking zeigt: Familienunternehmen sind zumeist in der Provinz zu Hause, erzielen aber beachtliche Umsätze – allen voran die Schwarz Gruppe (Lidl und Kaufland) mit Sitz in Neckarsulm. Wer sich also für Karrieren in Unternehmen interessiert, die teilweise bereits über mehrere Generationen hinweg von einer Familie geführt werden, findet die Arbeitgeber häufig in der Provinz.

Zum Ranking

Die entspannte Verkehrssituation ist ein echter Pluspunkt für die vielen erfolgreichen Unternehmen, die in der deutschen Provinz ihr Zuhause haben. In Deutschland pulsiert die Wirtschaft nicht nur in den großen Städten und Metropolregionen. Sehr viele starke Unternehmen und interessante Arbeitgeber finden sich abseits der Städte. Experten halten die Stärke der Provinz für einen entscheidenden Trumpf des Wirtschaftsstandorts Deutschland: Während sich zum Beispiel in Frankreich oder England die Firmen nur in den Zentren finden, ist die Bundesrepublik zurecht stolz auf die vielen erfolgreichen Unternehmen auf dem Land. Darunter finden sich Weltmarken, überraschende Weltmarktführer, traditionsreiche Familienunternehmen und Vorzeigearbeitgeber in Sachen Familienfreundlichkeit.

Weltmarke aus der Vulkaneifel
Zum Beispiel Gerolsteiner. Das Unternehmen ist nicht nur Anbieter der meistgekauften Mineralwassermarke auf dem deutschen Markt, sondern auch größter Mineralwasser-Exporteur Deutschlands, dessen Erfrischungen sogar in Japan und den USA in den Kühlschränken stehen. Seinen Sitz hat das Unternehmen in dem Städtchen, das dem Mineralwasser seinen Namen gibt, in Gerolstein: knapp 8000 Einwohner, gelegen im Landkreis Vulkaneifel zwischen Koblenz und der belgischen Grenze. Frankfurter und Kölner kennen die Gegend als Urlaubsregion. Karriere machen lässt sich hier aber auch: Gerolsteiner ist Marktführer in einer für Managertalente interessanten Branche und fährt auf solidem Wachstumskurs. Ein begehrter Arbeitgeber also. Aber eben keiner, der mit den Möglichkeiten einer nahegelegenen Großstadt locken kann. „Weil wir uns nicht auf den Glanz einer Großstadt verlassen können, müssen wir potenzielle Mitarbeiter vom Gesamtpaket überzeugen“, sagt Personalleiter Dirk Hoffmann. Dazu zählt nicht nur die gute Luft der Region Vulkaneifel: Das Unternehmen weiß, dass es seine Mitarbeiter besonders gut fördern und weiterentwickeln muss. „Die Herausforderung liegt darin, den leistungsbereiten und gut qualifizierten Bewerbern zu zeigen, dass sie bei uns viele Chancen ergreifen können“, so Hoffmann. Das Unternehmen will damit punkten, den Nachwuchskräften ein vielfältiges Aufgabenspektrum und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. „Dabei gilt es, die für uns besten Mitarbeiter zu gewinnen. Das bedeutet, wir suchen nicht die besten Nachwuchskräfte auf dem Papier, sondern Menschen, die in unser Unternehmen passen.“

Unternehmen wie Gerolsteiner wissen also sehr genau, dass man keinen urban geprägten Jungmanager zum Provinzleben verdonnern kann. Wer gleich mehrere Flughäfen in der Nähe benötigt, dazu eine große Auswahl an Multiplex-Kinos, Nachtclubs, Konzerthallen und Museen, der wird in der Vulkaneifel nicht glücklich. „Noch bietet uns der regionale und nationale Arbeitsmarkt ausreichend Potenzial“, sagt Dirk Hoffmann. Dennoch sorgt das Unternehmen vor: Talentierte Mitarbeiter erhalten besondere Förderungen und attraktive Entwicklungsmöglichkeiten. Zudem nutzt der Arbeitgeber die kurzen Wege und die Nähe zur Heimatgemeinde, um seinen Mitarbeitern einen Mehrwert zu bieten: Es gibt Kooperationen mit lokalen Fitnessstudios, für Kinder von Mitarbeitern entwickelt das Unternehmen ein eigenes Ferienprogramm, diverse Sport- und Freizeitangebote bietet die Natur direkt vor der Haustür.

Maßnahmen gegen die Landflucht
Gerolsteiner hat also das Thema Employer Branding längst für sich entdeckt. Andere Unternehmen aus ländlichen Regionen tun sich dagegen schwerer, wie Paul Konstantinidis feststellt. Der Experte von der Personalberatung Topos berät unter anderem Unternehmen aus der Region Oberfranken, darunter viele sogenannte Hidden Champions, die in sehr speziellen Bereichen Weltmarktführer sind, jedoch Probleme haben, genügend Nachwuchskräfte zu rekrutieren, um diesen Platz zu verteidigen. „Ich beobachte eine regelrechte Landflucht“, sagt Konstantinidis. „Viele Unternehmen leiden massiv, weil sie nicht genügend qualifizierte Bewerber finden.“ Der Grund dafür ist die magnetische Wirkung der Metropolen auf ambitionierte Nachwuchskräfte: Fast alle High Potentials, die auf dem Land aufgewachsen sind, zieht es im Laufe ihres weiteren Lebenswegs in die Zentren.

Dort finden sich die Universitäten, werden Stipendien vergeben, locken die großen Konzerne mit ihren Angeboten. Wenn Konstantinidis Unternehmen aus der Provinz berät, lädt er sie dazu ein, sich im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter selbstbewusster zu präsentieren. Denn verstecken müssen sich die Arbeitgeber aus ländlichen Regionen nicht. „Sie bieten Jobs und Arbeitsumfelder, die sicherlich anders sind als die Konzerne in Metropolen – aber nicht unbedingt schlechter“, sagt Konstantinidis. Da die meisten Unternehmen in der Provinz mittelständisch geprägt sind, bieten sie ihren Mitarbeitern einen engen Kontakt zu den Chefs und breitgefächerte Aufgabenbereiche. „Einsteiger können in solchen Unternehmen interdisziplinärer arbeiten als in den großen Konzernen der Städte und Metropolregionen“, erklärt der Topos-Personalexperte. „Sie finden zudem ein familiäres Umfeld vor sowie eine Unternehmenskultur, die sich stärker an Traditionen orientiert als am finanziellen Wohl von Aktionären.“

Es gibt viele Talente, denen genau solche Jobs am Herzen liegen. Die ihre Laufbahn nicht mit Fokus auf eine steile Karriere angehen wollen, sondern Wert auf andere Dinge legen: auf Gemeinschaft und Übersichtlichkeit, Sinn und einen gesunden Lebensstil. „Solche Leute sind bei guten Unternehmen aus der Provinz bestens aufgehoben“, sagt Konstantinidis. „Zumal, wenn sie bereits an die Familienplanung denken, denn eines ist klar: Für Familien mit Kindern ist das Leben abseits der Ballungszentren besonders lebenswert.“ Dann schlägt auch zu Buche, dass die Mietkosten sowie die Bau- und Immobilienpreise in der Provinz deutlich unter denen in den Städten liegen. Man dürfe sich, so der Berater, aber nicht die Illusion machen, dass das Leben auf dem Land in allen Belangen günstiger ist. „Lebensmittel kosten hier fast genauso viel wie in den Städten“, sagt Konstantinidis, der selber in der oberfränkischen Kleinstadt Kulmbach zu Hause ist. „Zudem kostet es Zeit und Geld, zum Einkaufen oder für Konzert- oder Theaterbesuche in die nächstgelegene Stadt zu fahren.“

Wie erfolgreich es sich abseits der Großstädte arbeiten lässt, zeigt die Wirthwein-Gruppe, die ihren Hauptsitz in Creglingen hat, gelegen im nord-östlichen Zipfel Baden-Württembergs auf halber Strecke zwischen Würzburg und Heilbronn. „Der ländliche Standort stärkt unser Image und sorgt dafür, dass unseren Unternehmen viel Sympathie entgegengebracht wird“, sagt Frank Wirthwein, Vertriebsvorstand des Unternehmens, das seit seiner Gründung 1949 familiengeführt wird. Die Gruppe produziert mit 19 Unternehmen Kunststoffkomponenten und Spritzgießwerkzeuge für große Branchen wie die Automobil-, Bahn- oder Hausgeräte-Industrie. „Ein Vergleich zeigt: Die Verbundenheit zur Region ist bei unseren Standorten auf dem Land höher als bei unseren Standorten in städtischen Gebieten“, sagt Frank Wirthwein. Für ihn strahlen Unternehmen im ländlichen Raum eine höhere Solidität aus – schließlich können Top- Management und die Führungskräfte nicht anonym bleiben, da sie über einen hohen Bekanntheitsgrad im regionalen Umfeld verfügen. „Als Führungskraft ist man im ländlichen Raum bekannt und steht so jeden Tag für die getroffenen Entscheidungen persönlich ein“, sagt Wirthwein. „Dies bewirkt eine höhere moralische Auseinandersetzung mit Themen und Entscheidungen, weil man sich nicht wegducken kann.“ Kaum eine Rolle spielt der Standort dagegen in den internationalen Geschäftsbeziehungen: Wirthwein verfügt über Produktionsstandorte in Polen, Spanien, China und den USA, ist also ein global aufgestellter Player. „Den Kunden oder Lieferanten in China interessiert, dass wir ein deutsches Unternehmen sind. Wo wir jedoch genau sitzen, ist nebensächlich“, sagt der Vertriebsvorstand.

Viel wichtiger sei, dass die Geschäftspartner gut erreichbar sind und die Kommunikation von kurzen Wegen bestimmt wird. Auch die gute zwischenmenschliche Zusammenarbeit sei ein Erfolgsfaktor. „Und die ist in Creglingen genauso gegeben wie in Metropolregionen – wenn nicht sogar besser, weil die Verbundenheit der Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber im ländlichen Raum häufig höher ist.“

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