„Bausteine des Neuen schon vorhanden“

Gastbeitrag zur Summer School 2014 "Nachhaltig handeln"

Cover Sklaven des Wachstums, Bild: Campus Verlag
Cover Sklaven des Wachstums, Bild: Campus Verlag

Beim neuen Buch des zeitkritischen Autors Reiner Klingholz (60) sollte man auf den Untertitel achten. Da heißt es: „Sklaven des Wachstums“. Dann aber: „Eine Befreiung“. Der renommierte Autor für wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen hat also ein positives Buch über das aus seiner Sicht nahende Ende des Wachstums geschrieben. Im Interview erklärt er, was das für die junge Manager-Generation bedeutet. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Reiner Klingholz, Foto: Sabine Sütterlin
Reiner Klingholz, Foto: Sabine Sütterlin

Reiner Klingholz (geboren am 9. Oktober 1953 in Ludwigshafen) studierte Chemie und Molekularbiologie. Von 1984 bis 2000 arbeitete er als Journalist und Redakteur unter anderem bei der ZEIT ONLINE GmbH und GEO. Seit 2001 ist er als freier Autor tätig und verfasste viel beachtete Bücher zu Themen wie dem demografischen Wandel, Integration und Klimawandel. Zudem ist er Vorstand des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Reiner Klingholz ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Potsdam.

Herr Klingholz, die deutsche Gesellschaft altert und schrumpft. Was bedeutet das für die junge Generation, darf sie sich freuen, weil sie gebraucht wird? Oder sollte sie sich fürchten, weil man sie überfordert oder verdrängt?
Junge Menschen in dieser Gesellschaft werden zu einem raren Gut, und damit steigt ihr Wert. Sie haben es künftig leichter einen Job zu finden und können sich vermutlich auch über ordentliche Gehälter freuen – allerdings nur, wenn sie ausreichend qualifiziert sind. Aber sie haben es eben auch als Minderheit mit einer Mehrheit der Älteren zu tun, die sich im schlimmsten Fall nur für ihre eigenen Belange einsetzt.

Die ältere Generation ist mit der Idee des ewigen Wachstums aufgewachsen. Für viele ist Wachstum die Voraussetzung für Wohlstand. Wo liegt hier der Denkfehler?
Die Wirtschaft, unsere Sozialsysteme und die Finanzmärkte sind auf Wachstum angewiesen. Erst Recht unsere Schuldenpolitik. Denn man kann Schulden nur machen, wenn man davon ausgeht, dass künftiges Wachstum einmal eine Rückzahlung ermöglicht. Das Problem ist, dass dauerhaftes Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht funktionieren kann. Denn Wachstum benötigt immer mehr Rohstoffe und erzeugt immer mehr Abfälle. Der Klimawandel zeigt, wohin das führt. Was wir daher brauchen, ist ein Wirtschafts- und Finanzsystem, das ohne Wachstum ein Wohlergehen der Menschen sichert.

Wer wird der entscheidende Impulsgeber für dieses neue Wirtschafts- und Finanzsystem sein?
Sicher nicht die heutigen Volkswirtschaftler. Für die allermeisten dieser Spezies ist Wachstum weiterhin die Grundlage des Wirtschaftens. Es wird gar nicht in Frage gestellt und erlangt damit den Charakter einer Religion. Wir werden erst nach weiteren Krisen zu der Erkenntnis kommen, dass wir uns an eine veränderte Welt anpassen müssen.

Was für Krisen meinen Sie?
Das Wachstum in allen entwickelten Volkswirtschaften, aber auch in den ersten Schwellenländern wird immer geringer. Deutschland liegt im Zehnjahresmittel unter einem Prozent, Japan praktisch bei null. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Sättigungseffekte, die Alterung der Gesellschaft oder stagnierende Realeinkommen. In diesen Ländern reicht das Geld kaum mehr, um in klassischer Weise den Staat zu finanzieren. Also verschulden sich die Staaten und die Notenbanken, sie fluten den Markt mit Geld, in der Hoffnung, die Unternehmen würden wieder mehr investieren und das Wachstum komme zurück. Das tun die Unternehmen aber nicht. Stattdessen fließt das viele Geld in die Spekulation und schon entsteht die nächste Blase, die in der nächsten Finanzkrise platzen wird. Hinzu kommen Klima- und Umweltkrisen, Verteilungskrisen in den armen Ländern, Flüchtlingskrisen – alles Folgen des grenzenlosen Wachstums.

Aktuelles Buch:

Cover Sklaven des Wachstums, Bild: Campus-Verlag
Cover Sklaven des Wachstums, Bild: Campus-Verlag

Reiner Klingholz: Sklaven des Wachstums. Eine Befreiung. Campus, 2014. ISBN-13: 978-3593397986

Wie finden wir aus diesem Kreislauf heraus?
Diese Krisen werden uns irgendwann so sehr erschüttern, dass wir nach einem neuen, krisenrobusteren System suchen werden. Das tun wir aber nicht aktiv, sondern eben erst als Reaktion auf solche Schocks. Wir hätten nach dem, was wir Wissen, ja schon viel früher handeln müssen.

Wir sitzen bei diesem Wandel also gar nicht am Steuer.
Genau. Das Ganze ist ein Prozess der Evolution, keine Revolution. Wir haben ja auch erst die Energiewende in Deutschland auf den Weg gebracht, nachdem ein Tsunami an Japans Küsten geschlagen war – und nicht weil wir vorausschauend in Sorge um das Weltklima gehandelt hätten.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die junge Generation der Wirtschaftswissenschaftler, die sich verstärkt auch für andere Denkrichtungen interessiert? Ich denke da an Netzwerke wie die PluraloWatch-Kampagne oder auch die von Studierenden in Manchester gegründete „Post-Crash Economics Society“.
Es gibt diese Gruppen, in denen Menschen zusammenkommen, die sich Gedanken machen, ob unsere Weltgesellschaft nicht anders und im wirklichen Sinne nachhaltig organisiert werden könnte. Diese Ideen sind nicht neu. Schon Klassiker wie John Stuart Mill oder John Maynard Keynes haben die Vorteile eines stationären Zustands von Kapital und Vermögen gegenüber endlosem Wachstum beschrieben. Der Amerikaner Herman Daly, ehemals Chefökonom der Umweltabteilung bei der Weltbank, schreibt seit Jahrzehnten über das Phänomen eines „unwirtschaftlichen Wachstums“, das sich durch hohe Umwelt- und Sozialkosten auszeichnet. Aber diese Leute haben noch immer keinerlei Einfluss auf die große Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Sind alternative Ideen daher vergebene Liebesmüh?
Nein, sie sind wichtig. Alle diese Ideen können einzelne Bausteine für ein neues System liefern, das wir nach den nächsten Krisen brauchen werden. Genauso funktioniert Evolution, ob biologisch oder gesellschaftlich: Die Bausteine für das Neue müssen schon vorhanden sein, bevor die Krise kommt. Sie können sich aber erst entfalten, wenn neue Rahmenbedingungen herrschen. Stehen wir nach der Krise jedoch ohne Bausteine da, entsteht gar nichts. Nur Chaos.

Was raten sie einem Manager-Talent, das nun vor dem Beginn seiner Karriere steht. Noch schnell ein bisschen Wachstum mitnehmen – und dann umdenken? Oder direkt versuchen, das System zu erneuern?
Sie sollten sich in krisensicheren Unternehmensformen engagieren. Zum Beispiel sind Stiftungsunternehmen, Genossenschaften oder Personengesellschaften des Mittelstandes vor Krisen geschützt. Auch diese Firmen benötigen die Aussicht auf Gewinne, aber nicht notwendigerweise Wachstum. Diese Arbeitgeber sind also gut aufgestellt für Zeiten, in denen die Aussichten auf Wachstum schwinden.