Interview Dr. Albert Dürr, Geschäftsführender Gesellschafter der Wolff & Müller Gruppe

Der Nachhaltige.

Foto: Wolff & Müller
Foto: Wolff & Müller

Das Stuttgarter Bauunternehmen Wolff & Müller hat es sich auf die Fahnen geschrieben, die Nachhaltigkeit in der Baubranche zu stärken. Was man dabei vom Firmengründer Gottlob Müller lernen kann, erzählt dessen Enkel Dr. Albert Dürr im Interview. Der 39-Jährige führt das Familienunternehmen als Geschäftsführender Gesellschafter in dritter Generation.

Zur Person

Dr. Albert Dürr, Jahrgang 1975, ist Geschäftsführender Gesellschafter der Wolff & Müller Gruppe. Er studierte Betriebswirtschaft mit den Schwerpunkten Zwischenbetriebliche Beziehungen und Projektmanagement an den Universitäten Tübingen, Berlin und Wien, die Promotion folgte 2004. Seit 2005 ist er in dem Stuttgarter Familienunternehmen tätig. Als Enkel des Firmengründers Gottlob Müller führt er die Unternehmensgruppe in dritter Generation. Zudem ist Albert Dürr seit 2008 Geschäftsführer der Wolff & Müller Beteiligungs-Holding und verantwortet somit die Bereiche Rohstoffe, Baustoffe und Dienstleistungen.

Herr Dr. Dürr, viele Konzepte zur Nachhaltigkeit bestehen aus modern klingenden Anglizismen. Bei Ihnen findet man dagegen das Gottlob-Müller-Prinzip. Was hat es damit auf sich?
Wenn man über Nachhaltigkeit spricht, wird es schnell abstrakt. Wir haben uns daher früh das Ziel gesteckt, dem Begriff inhaltlich etwas Futter zu geben. Gottlob Müller, mein Großvater und Gründer des Unternehmens, lief von Beginn an über die Baustellen und wies seine Mitarbeiter sehr ernsthaft darauf hin, wenn sie achtlos mit dem Material umgingen. Wenn da eine Kiste mit Nägeln im Dreck lag, schimpfte er: ,So geht man mit Ressourcen nicht um.‘ Am Ende des Tages definiert genau diese Haltung den Begriff der Nachhaltigkeit: Man muss versuchen, Verschwendungen zu vermeiden. Ob mit Blick auf Nägel oder eben auch auf Energie.

Wie füllen Sie das Prinzip Ihres Großvaters heute im Unternehmen mit Leben?
Wir belassen es nicht bei symbolischen Dingen wie Elektroautos vor der Tür oder fair gehandeltem Kaffee in den Kaffeemaschinen. Das sind hübsche Marketingideen, die jedoch mit der wirklichen Arbeitswelt draußen eher wenig zu tun haben. Auch wir müssen ehrlich feststellen, dass wir auf den Baustellen noch nicht überall optimal nachhaltig arbeiten. Aber wir möchten uns immer weiter verbessern, weshalb wir zum Beispiel einen Arbeitskreis ins Leben gerufen haben, der sich aus dem Unternehmen heraus gegründet hat und sich mit nachhaltigen Ideen beschäftigt. Einige unserer Ansätze klingen beinahe profan, wirken aber effektiver, als man zunächst denkt.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben im alltäglichen Betrieb 115 Bagger im Einsatz, die an einem normalen Baustellentag rund 30 Prozent der Zeit im Leerlauf stehen und vor sich hintuckern – weil sie zum Beispiel warten müssen, während andere Arbeiten erledigt werden. Das verursacht hohe Energiekosten und erhöht den Ausstoß von CO2. Also haben wir die Bagger mit einer Start-Stopp-Automatik versehen, die man heute auch aus vielen Neuwagen kennt. Das war eine Investition, die zunächst Geld kostete. Wir werden aber über die gesamte Betriebszeit hinweg einen sechsstelligen Betrag einsparen – und dazu noch unseren CO2-Ausstoß verringern. Für mich zeigt sich an diesem Beispiel sehr schön, dass Nachhaltigkeit eben auch wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Und das ist ein wichtiger Aspekt, denn wir sind als Bauunternehmen in einer Branche tätig, in der seit Jahrzehnten ein intensiver Preiskampf das Denken bestimmt und damit wenig Zeit für neue Ideen erlaubt scheint.

Beobachten Sie denn die Tendenz, dass Bauherren und Investoren verstärkt darauf achten, nachhaltig zu bauen – und nicht mehr vor allem günstig?
Ein solches Umdenken findet statt. Noch sind die Veränderungen, die sich daraus ergeben, mit Blick auf die gesamte Branche jedoch überschaubar. Wir haben bislang rund 20 Projekte begleitet, die nachhaltig zertifiziert waren. Das ist noch ein recht kleiner Teil der Gesamtprojekte, was mich ehrlich gesagt verwundert. Man muss ja nur einmal einen Blick auf den Produktlebenszyklus einer Immobilie werfen: Der eigentliche Bau einer Immobilie macht lediglich rund 30 Prozent der Kosten aus, die im gesamten Lebenszyklus entstehen. Die restlichen 70 Prozent setzen sich aus dem Betrieb und Reparaturen zusammen, aus dem Austausch von Anlagen und Komponenten. Es ist also absolut sinnvoll und wirtschaftlich, sich schon beim Bau zu überlegen, wie es gelingen kann, diese späteren Kosten möglichst gering zu halten. Und das funktioniert über Qualität und Nachhaltigkeit.

Warum geschieht das so selten?
Immobilien haben einen sehr langen Produktlebenszyklus. Die Kosten für nachhaltiges Bauen entstehen aber sofort. Häufig fehlt es am Weitblick, aber auch an der Motivation, schon jetzt ein paar Jahre weiter zu denken. Doch viele Akteure beginnen, neu zu denken. Projektentwickler erkennen, dass sich mit zertifizierten Gebäuden mehr Geld verdienen lässt. Und unsere Kunden aus dem Mittelstand prüfen genauer, welche Rolle die Nachhaltigkeit und die Energieeffizienz bei ihren Gebäuden spielen sollte. Für sie muss es nicht zwingend der Zertifikatsnachweis sein, wohl aber Nachhaltigkeitsüberlegungen.

Wie kann es denn gelingen, nachhaltiger zu bauen?
Aspekte der Nachhaltigkeit müssen unbedingt schon in den Planungs- und Entscheidungsprozess eingebunden werden. Denn wenn die Arbeit auf der Baustelle beginnt, es ist in der Regel schon zu spät. Hier helfen neue Methoden wie BIM, also das Building Information Modeling. Es handelt sich dabei um ein Projektmanagementtool, das die relevanten Projektbeteiligten viel stärker diszipliniert, sich frühzeitig und sehr intensiv zum Projekt auszutauschen – auf Basis einer integrierten Softwarelösung. So wird es zum Beispiel auch möglich, an jeder Stelle und immer wieder darauf hinzuweisen, wo nachhaltige Lösungen möglich sind und welche Auswirkungen sie haben. Die Herausforderung ist es, das Thema in den Köpfen aller Beteiligten präsent zu halten, um sie tatsächlich für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.

Was erhoffen Sie sich vom Nachwuchs, der in Ihr Unternehmen einsteigt? Welche nachhaltigen Denkweisen überzeugen Sie?
Der Nachwuchs, der jetzt von der Uni kommt, ist in der Regel sehr empfänglich für das Thema Nachhaltigkeit. Wichtig ist jedoch, dass die jungen Leute auch in der Praxis dranbleiben. Man muss sich vor Augen führen, dass praktisch jedes Bauprojekt unter Zeitdruck abgewickelt wird. Es ist daher eine echte Herausforderung, Aspekte der Nachhaltigkeit auch dann einzubringen, wenn andere das Projekt lieber schnell durchwinken möchten. Man benötigt viel Selbstbewusstsein, Standfestigkeit und Begeisterungsfähigkeit, um auch in so einer Atmosphäre weiter an allen Zahnrädern zu drehen. Aber es zahlt sich aus, denn wir erkennen, dass nachhaltig gebaute Immobilien unsere Kunden in aller Regel auch nachhaltig zufriedenstellen. Und da wir als Familienunternehmen sehr viel Wert auf langfristige Kundenbindungen legen, schätzen wir diesen Effekt sehr hoch ein.

Zum Unternehmen

Das Bauunternehmen Wolff & Müller wurde 1936 von Gottlob Müller gegründet, dem Großvater des heutigen Geschäftsführenden Gesellschafters Albert Dürr. Das Unternehmen ist in den drei Geschäftsfeldern Bauleistungen, Baustoffe/Rohstoffe und Dienstleistungen tätig. 2014 wurde die Firma wegen ihrer Projekte und Initiativen zur Nachhaltigkeit beim „Deutschen Nachhaltigkeitspreis“ als eines der drei nachhaltigsten Unternehmen mittlerer Größe in Deutschland ausgezeichnet. Wolff & Müller arbeitet als erstes deutsches Bauunternehmen gruppenweit CO2-neutral und engagiert sich im Klimaschutz. Zum Beispiel unterstützt das Unternehmen ein Wiederaufforstungsprojekt auf den Philippinen.