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Holz-Programmierung

Ohne den Einsatz von Maschinen: Wissenschaftler schafften es, Holz mithilfe eines kontrollierten Trocknungsprozesses in eine zuvor berechnete Form zu bringen. Von Christoph Berger

Im Rahmen der Remstal Gartenschau 2019 bei Stuttgart wurde auch ein Turm gezeigt, der sich wie von selbst in eine Höhe von bis zu 14 Metern zu drehen scheint. Errichtet wurde er im Mai 2019 von Forschenden der ETH Zürich und der schweizerischen Empa in Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Architekten der Universität Stuttgart sowie der Schweizer Holzbaufirma Blumer-Lehmann. Das Projektteam nutzte dabei eine Methode, mit der sich Holzplatten, also massive Holzbauelemente, in einem kontrollierten Trocknungsprozess ohne Maschinenkraft selbst in eine zuvor berechnete und vordefinierte Form biegen. Bisher gelang ein solcher Umformungs- und Biegeprozess nur durch den Einsatz großer und energieintensiver Maschinen, die das Holz in die gewünschte Form pressen.

In der im Fachmagazin Science Advances veröffentlichten Studie „Analysis of hygroscopic self-shaping wood at large scale for curved mass timber structures“ erklären die Wissenschaftler den Prozess. Sie übertrugen dafür aus der Natur bekannte Mechanismen, die bereits bei kleinen biomedizinischen Geräten zum Einsatz kommen, mithilfe modernster Modellierungstechnologien in einen großen Maßstab: So basiert das Verfahren der Selbstformung auf dem natürlichen Quellen und Schwinden von Holz in Abhängigkeit seines Feuchtegehalts: Trocknet feuchtes Holz, zieht es sich senkrecht zur Faserrichtung stärker zusammen als längs der Faserung. Ein normalerweise unerwünschter Prozess.

Die Studie

Studie „Analysis of hygroscopic selfshaping wood at large scale for curved mass timber structures“ mit allen relevanten technischen Details.

Doch hier machen ihn sich die Forschenden zunutze, indem sie jeweils zwei Holzschichten so zusammenkleben, dass ihre Faserungen unterschiedlich orientiert sind. Die so entstandene Holzplatte mit zweilagigem Aufbau, „Bilayer“ genannt, ist der Grundbaustein der neuen Methode. „Wenn der Feuchtigkeitsgehalt des Bilayers sinkt, schrumpft eine Schicht stärker als die andere. Da die beiden Schichten fest miteinander verklebt sind, biegt sich das Holz“, erklärt Markus Rüggeberg von der ETH und der Empa. Und Dylan Wood, Leiter der Forschungsgruppe Material-Programmierung am Institut für Computerbasiertes Entwerfen der Universität Stuttgart, fügt an: „Der ausgeklügelte Einsatz der Selbstformung ermöglicht es uns, einem uralten Baumaterial wie Holz neue Funktionen zu verleihen.“ Wobei die Verformung keineswegs dem Zufall überlassen wird. Denn je nach Dicke der Schichten, Orientierung der Fasern und dem Feuchtegehalt kann im Vorfeld mit einem Computermodell berechnet werden, wie sich das Grundbauelement während der Trocknung verformt. Die Forschenden nennen diesen Prozess „Holz-Programmierung“.

Hat ein Bilayer seine Soll-Form eingenommen, kann er mit weiteren gleichartig geformten Bilayern verklebt werden. So werden benötigte Materialstärken für eine praktische Anwendung als Brettsperrholz erreicht. Zudem weisen gebogene Bauteile für Dachkonstruktionen und Wände im Vergleich zu flachen Teilen eine höhere strukturelle und materialwissenschaftliche Leistungsfähigkeit auf. Und sie eröffnen neue gestalterische Möglichkeiten. Der Urbach Turm der Remstaler Gartenschau zeigte nun, dass sich die neue Methode auch für groß dimensionierte Holzbauten eignet.

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