Interview mit Dr. Gerhard Strate

Keine Rosen für den Staatsanwalt

Als Strafverteidiger ist Dr. Gerhard Strate über Hamburg hinaus als streitbarer Anwalt bekannter Mandanten prominent geworden. Mit dem karriereführer sprach er über seine Ansichten und Erfahrungen. von Martin Rath

Zur Person

Die Kanzlei „Strate und Ventzke“ besteht seit 1985, nachdem zuvor Gerhard Strate seit 1979 allein ein Anwaltsbüro betrieben hatte. Die Würde eines Doctor honoris causa wurde Gerhard Strate im November 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock verliehen.

Ich las, dass Sie die Nachricht von der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Monika Weimar in Südafrika erhielten. Haben Sie berufliche Kontakte zu Südafrika?
In Südafrika war ich aufgrund des Auslieferungsverlangens gegen einen Mandanten, der dort eine Heimstatt gefunden hatte. Natürlich kenne ich eine Reihe von Anwälten in Südafrika. Meine beruflichen Kontakte dauern noch an.

Bei Wirtschaftsanwälten wird eine internationale Ausrichtung oft vorausgesetzt, in den Stellenanzeigen der Law Firms heißt es immer wieder, dass bereits der Nachwuchs Erfahrungen im Ausland gesammelt haben soll. Gilt das auch für eine Tätigkeit im Strafrecht?
Ich gehöre zwar zu keiner Law Firm, aber in diesem Punkt haben sie wirklich Recht. Sich mit dem Strafrecht und dem Strafprozessrecht in anderen Ländern zu beschäftigen, vermittelt viele gute Ideen für die eigene Praxis hier zu Lande. Ich habe mich beispielsweise mit der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zu den Beweisverwertungsverboten beschäftigt und darüber zusammen mit meinem Kollegen Klaus Ulrich Ventzke einen Aufsatz veröffentlicht. Das hatte dann bemerkenswerterweise fünf Jahre später auch Auswirkungen auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Bis dahin galt eine Verletzung des Paragrafen 136 Strafprozessordnung, der unter anderem vorschreibt, dass dem Beschuldigten bei der ersten Vernehmung eröffnet werden muss, jederzeit einen Anwalt konsultieren zu dürfen, als schlichte Verletzung einer Ordnungsvorschrift, die nicht revisibel ist.

Welche Station Ihres Bildungswegs ist für Ihre heutige Tätigkeit von besonderem Gewicht?
Von 1975 bis 1979 war ich für das Max- Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg tätig. Das hatte zwar nichts mit Strafrecht zu tun, war aber eine ausgezeichnete Schule wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens. Das ist wirklich ein tolles Institut – und es verfügt über die eindrucksvollste juristische Bibliothek, die ich jemals gesehen habe.

Der juristische Ausbildungsbetrieb ist als Massenstudium verschrien. Haben Sie dennoch markante Charaktere kennengelernt?
Besonders eindrucksvoll für mich war Karl August Bettermann, Zivilprozessualist und Staatsrechtler, Hochschullehrer in Hamburg. Politisch war er höchst konservativ, jedoch von großem Scharfsinn, und ein glänzender Formulierer.

Gibt es Juristen – tot oder lebendig –, die Sie bewundern?
Ja, Adolf Arndt, den „Kronjuristen“ der SPD in den 1950er- und 1960er-Jahren. Seine Kolumnen in der NJW unter der Überschrift „Umwelt und Recht“ sind auch heute noch lesenswert.

Unter welchen Umständen kann man einem Hochschulabsolventen empfehlen, sich auf das Strafrecht zu spezialisieren?
Ein hohes Maß an Leidensfähigkeit und Durchsetzungswille ist erforderlich. Die eine Eigenschaft braucht man, um das Unrecht, das die Mandanten begangen haben, aber auch das Unrecht, das ihnen die Justiz zufügt, ertragen zu können. Die andere, um sich gegen die Machtansprüche der Strafjustiz, die häufig wenig mit Rechtsanwendung zu tun haben, behaupten zu können.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich Berufsanfänger ausschließlich mit strafrechtlichen Mandaten „ihre Brötchen“ verdienen?
Das geht. Wer ein Mandat gut abwickelt, erhält auch heute noch fünf andere. Empfehlenswert ist es, die Spezialisierung im Strafrecht anfangs noch mit einer anderen zu verbinden, beispielsweise mit dem Ausländerrecht.

Wie gut ist die Bevölkerung mit qualifizierten Strafverteidigern versorgt?
Es trifft natürlich zu, dass im Strafrecht wie auch in anderen Rechtsgebieten mehr Kollegen tätig sind als zu den Zeiten meines Berufsanfangs: Heute sind es drei Mal so viele. Aber ich glaube schon, dass es noch genug zu tun gibt, weil sich ja auch das Strafrecht sehr ausgeweitet hat. Heute wird jeder kleinste Verstoß gegen eine umweltrechtliche Norm mit einer Strafandrohung versehen. Früher hätte man das Problem verwaltungsrechtlich geordnet. Von Anwaltschwemme würde ich nie reden. Ich finde es ganz schlimm, dass eine unserer Standesorganisationen, der Deutsche Anwaltverein, es zur Zeit tut.

Stimmt das Film-Klischee vom überforderten Pflichtverteidiger?
Das trifft partiell zu, aber es hat immer Kollegen gegeben, die ihr Geld damit verdienen, dass sie Kassiber aus dem Knast herausschmuggeln und sich im Übrigen mit Pflichtverteidigungen über Wasser halten. Aber generell: Jeder Kollege, der jung anfängt, beginnt auch mit Pflichtverteidigungen. Das ist absolut nichts Anstößiges, wenn man sie gut macht, kommt man auch an gute Anschlussmandate.

Werden Pflichtverteidiger an die Hand genommen, ähnlich wie bei den „Selbsthilfegruppen“ der Schöffen?
Nicht dass ich wüsste. Es hat früher Listen gegeben – ich weiß nicht, ob das heute noch so gemacht wird –, in die man sich eintragen konnte, wenn man Mandate übernehmen wollte. Es gibt aber sicherlich Vorlieben oder Bekanntschaften aus der Studienzeit, in denen der eine inzwischen Amtsrichter, der andere Rechtsanwalt geworden ist. Dass man sich seiner erinnert, das ist völlig klar. Hier in Hamburg haben wir den anwaltlichen Notdienst, der stark von jungen Kollegen bedient wird – rund um die Uhr. Dadurch ist es vielen Anwälten möglich, sozusagen hautnah und in flagranti an neue Mandate zu kommen. Das wird hier in Hamburg von der Polizei sehr korrekt gehandhabt: Sie weist die Beschuldigten fast immer darauf hin, dass sie die Möglichkeit haben, einen Anwalt zu konsultieren und den anwaltlichen Notdienst anzurufen.

Sind Sie ausschließlich im Strafrecht tätig?
Ja, heutzutage greift das Strafrecht allerdings in viele andere Rechtsgebiete hinein, vor allem ins Gesellschafts-, Steuer- und Umweltrecht. Ein gediegenes Halbwissen in anderen Rechtsgebieten ist die notwendige Begleiterscheinung. Daneben ist auch das Verfassungsrecht ein wichtiges und wiederholtes Betätigungsfeld.

Hätten Sie es sich jemals vorstellen können, Staatsanwalt zu werden?
Nein. Nie. Eher schon Kriminalbeamter.

Wie forensisch ist die Tätigkeit eines Strafverteidigers in den Zeiten des Strafbefehls überhaupt noch?
Ein Strafverteidiger, der nicht forensisch, sondern nur beratend tätig ist, vermag den „worst case“ und dessen Bewältigung selten richtig einschätzen. Ich verkenne allerdings nicht, dass manche Kollegen sich gerne „präventiver“ Beratungstätigkeit rühmen. Wenn Sie nur das tun, dürfte ihre Urteilskraft allerdings schnell Schaden nehmen.

Was verstehen Sie unter „präventiver Beratungstätigkeit“?
Das ist so ein neumodischer Begriff, den ich kürzlich hörte. Gemeint sind Kollegen, die Wert darauf legen, dass sie auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert sind und das entsprechend auf ihre Visitenkarten drucken lassen. Das soll natürlich bedeuten: Verschone uns bitte mit irgendwelchen schwierigen Mord- und Totschlagsverfahren, denn bei Wirtschaftsstrafverfahren kann man einfach mehr verdienen. Diese Einstellung halte ich für gefährlich. Denn auch als Wirtschaftsstrafverteidiger ist man nur dann gut, wenn man das prozessuale Handwerk aus dem Effeff beherrscht – und das lernt man nur in einer ordentlichen Schwurgerichtsverhandlung.

Im Prozess gegen Alexander Falk gehen Sie öffentlich sehr offensiv mit Befangenheitsanträgen um. Sind die Tage vorbei, in denen das im Ruch der Standeswidrigkeit stand?
Die Strafjustiz ist in manchen Fällen so verrannt und ignorant, dass man ihr nicht immer vornehm begegnen kann. Kollegen, die der Konfrontation ausweichen, haben schon verloren, bevor das Urteil gesprochen ist.

Was war das kniffeligste juristische Problem, mit dem Sie zu tun hatten?
Die zweimalige und erfolgreiche Verfassungsbeschwerde für einen fränkischen Bauern, der seiner Bäuerin mit einem gefrorenen Stück Fleisch aus der Tiefkühltruhe auf den Hinterkopf geschlagen haben soll. Die starrsinnige Verweigerung eines Wiederaufnahmeverfahrens durch die Würzburger Justiz musste als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot präsentiert werden. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass auch in einem Wiederaufnahmeverfahren das Prinzip der Wahrheitsermittlung gilt. Das ist vorher noch nie so gesagt worden, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Bis dahin war die Einstellung der Gerichte in Wiederaufnahmeverfahren, dass es im Zweifel gegen den Verurteilten geht.

Sie standen selbst einmal unter Anklage. Möchten Sie erzählen, worum es dabei ging?
Damals war ich Student. Es ging um den Vorwurf des Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchte Gefangenenbefreiung. Das Verfahren wurde schließlich in der vierten Instanz eingestellt. Der Vorwurf trifft allerdings auch heute noch zu.

Was halten Sie von Selbsterfahrungsexperimenten, bei denen sich Juristen zeitweilig freiwillig ins Gefängnis sperren lassen?
Ich finde das Unsinn.

Ein Juraprofessor aus Berlin behauptet, Strafvollzug gleiche dem Versuch, erwachsene Menschen ins Kindergartenalter zurückzuversetzen. Ihr Kommentar?
Er wird sich etwas dabei gedacht haben.

Sie waren in jungen Jahren Mitglied im „Kommunistischen Bund Westdeutschlands“. Bei vielen – inzwischen – etablierten Politikern hat man den Eindruck, dass die alten Netzwerke aus den Zeiten linksradikaler Kleingruppen immer noch funktionieren. Pflegen Sie noch alte Verbindungen?
Nein. Ich wurde aus dieser Gruppierung ausgeschlossen wegen Rechtsopportunismus und „Versöhnlertum“. Danach bin ich eigene Wege gegangen.

Ulrich Wickert beantwortet auf der letzten Seite unseres Heftes die Frage, von welchem Juristen er sich vor dem Jüngsten Gericht verteidigen lassen würde: Heribert Faßbender, Alfred Biolek oder Gerhard Schröder. Was würden Sie ihm raten?
Gerhard Schröder.

Nachgefragt

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Beruf weit ab von einer juristischen Tätigkeit, welcher wäre das?
Pilot.

Was wollten Sie am Start Ihres Berufslebens?
Stets gute Arbeit leisten.

Was ist Ihr Hauptcharakterzug?
Ungeduld.

Welche Eigenschaften schätzen Sie?
Geduld.

Was ist Ihr größter Vorzug?
Einfälle.

Was dulden Sie auf keinen Fall?
Bigotterie.

Was entschuldigen Sie sofort?
Blechschäden.

Gibt es etwas, was Sie unter allen Umständen auf eine Reise mitnehmen würden?
Zahnbürste.

Wo möchten Sie leben – wenn nicht da, wo Sie jetzt schon sind?
New York.

Wo tanken Sie auf?
Beim Lauftraining.

Was möchten Sie in fünf Jahren tun?
Dasselbe wie jetzt.

Haben Sie ein Motto?
Carpe diem.