Unternehmen der Zukunft: Individualität zählt

Foto: Fotolia/trongnguyen
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Paradigmenwechsel: Erst die Kunden und Mitarbeiter, dann die Shareholder Trendwende. Die Unternehmen der Zukunft nehmen zwei Gruppen wichtiger als ihre Shareholder: die Kunden und die Mitarbeiter. Das ist klug – holen die eigenen Leute das Beste für die Kunden heraus, kommen die Aktionäre ganz von allein. Damit das funktioniert, benötigen die Firmen Führungskräfte mit hoher sozialer Kompetenz. Im Fokus stehen nicht mehr Leitung und Kontrolle: Es kommt darauf an, eine Organisation zu entwickeln, die Innovationsmanagern und Wirtschaftsprüfern gleichsam gerecht wird. Das bedeutet: Das Unternehmen der Zukunft tickt individuell. Von André Boße

Jack Ma ist nicht nur einer der reichsten Männer der Welt, der Chef des chinesischen E-Commerce-Konzerns Alibaba gilt auch als einer der bedeutsamsten Manager-Philosophen dieser Zeit. Der Geschäftsmann formulierte vor einiger Zeit einen Satz, der wie kaum ein anderer für den Wandel der Unternehmenswelt steht. Für seinen Konzern gelte folgende Rangordnung: „Die Kunden sind die Nummer eins, die Mitarbeiter die Nummer zwei, die Shareholder die Nummer drei.“ Diese Reihenfolge ergebe für ihn Sinn: Die Kunden bringen dem Unternehmen das Geld, die Mitarbeiter folgen der Vision des Unternehmers – die Aktionäre sind weg, sobald erste Anzeichen einer Krise erkennbar sind. „Meine Kunden und meine Mitarbeiter aber bleiben“, so Jack Ma.

Grösse schützt vor Service nicht

Zu den bestimmenden Entwicklungen für die Unternehmen der Zukunft zählt die Bain-Studie auch den Kundenservice. Bislang gilt hier – besonders in der Wahrnehmung der Kunden – je größer, desto unpersönlicher. Für die erfolgreichen Konzerne von morgen werde das nicht mehr gelten: „Neue Technologien und Analysetools ermöglichen es, Kundenbedürfnisse schneller zu erkennen und darauf zu reagieren“, formulieren die Autoren der Studie. Auch dies ist ein Bereich, in dem für den Nachwuchs IT-Know-how und ein Gefühl für soziale Kompetenz einhergehen.

Kunden und Mitarbeiter vor den Anteilseignern: Eine Studie der Unternehmensberatung Bain zu den „Unternehmen der Zukunft“ zeigt, dass hinter diesem Ranking ein radikaler Wandel steht. Seit den 1970er-Jahren sei es die Erfolgsformel der Konzerne, dass die Interessen der Shareholder die Strategie des Unternehmens bestimmen.

So entstand zum Beispiel das System der Bonuszahlungen: Sind die Aktionäre glücklich, darf das Management kassieren. Was die Kunden und Mitarbeiter davon halten, spielte keine große Rolle. Genau dieses System jedoch stehe nun auf der Kippe: „Der Shareholder-Value wird in Zukunft das Ergebnis einer guten Unternehmensstrategie sein, nicht mehr deren Ziel“, heißt es in der Studie.

Das nennt man einen Paradigmenwechsel: Es geht nicht mehr darum, das gesamte Unternehmen danach auszurichten, die Anteilseigner zufrieden zu stellen. Denn diese Zufriedenheit ergebe sich ganz von alleine, wenn das Unternehmen bei den Kunden erfolgreich ist und die besten Talente an Bord hat.

Personalarbeit wird individuell

Doch was bedeutet das konkret? Zunächst der Blick auf die Mitarbeiter: Seit vielen Jahren rauscht der Begriff der flexiblen Arbeitszeit durch die Debatten – vielfach offen ist allerdings die Frage, wie sich diese Flexibilität gestalten lässt, gerade mit Blick auf Industrie 4.0 und Systeme der künstlichen Intelligenz. Müssen jetzt, da Roboter zu Kollegen werden, die Menschen noch mehr wie eine Maschine arbeiten? Welcher Grad von Flexibilität erfreut den Mitarbeiter – und ab wann entsteht nur noch zusätzlicher Stress, weil man immer und überall auf Abruf zur Verfügung stehen muss?

Buchtipp

Cover James Allen Wie der Mensch denktKlassiker der Persönlichkeitsentwicklung „Wie ein Mensch in seinem Herzen denkt, so ist er“ – diese Redewendung hat den britischen Autor James Allen 1903 zu seinem Buchtitel inspiriert. Dieser Pionier war einer der ersten, der über Persönlichkeitsentwicklung und Selbsthilfe schrieb. Bis heute ist dieser Klassiker eines der am meist gelesenen Werke zu diesem Thema. Frisch in deutscher Sprache erschienen. James Allen: Wie der Mensch denkt, so lebt er. mvg – Münchner Verlagsgruppe 2017. 8,99 Euro. Auch als E-Book erhältlich!

Wie sehr die Arbeitgeber diese Fragen umtreiben, zeigt eine Umfrage, nach der die Themen Arbeitszeitflexibilität und gesetzlicher Arbeits- und Gesundheitsschutz die größten Herausforderungen für die Unternehmen der Zukunft sind. Dies ist das Ergebnis des Trendbarometers „Arbeitswelt“ des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). „Die Unternehmen sind sich ihrer Verantwortung bewusst“, sagt ifaa-Direktor Prof. Dr.-Ing. Sascha Stowasser. „Was sie brauchen, sind Informationen und praktische Unterstützung, um im Zeitalter neuer technischer Möglichkeiten individuelle Arbeitszeitsysteme einzuführen.“

Der Personaler von morgen jongliert also nicht mehr mit Modulen, sondern sucht mit den Mitarbeitern nach individuellen Lösungen – im Idealfall eng verknüpft mit dem IT-Bereich, der die digitalen Assistenzsysteme zur Verfügung stellt. Mehr denn je wird es im Unternehmen der Zukunft darum gehen, die Talente der Mitarbeiter optimal einzusetzen. Doch diese Arbeit wird komplexer, denn für den Businesserfolg kommt es in Zukunft verstärkt darauf an, die alten organisatorischen Strukturen aufzubrechen.

Mission erfüllen als Führungsaufgabe

Jedes Unternehmen hat in seinem Geschäftsmodell kritische Faktoren, die darüber entscheiden, ob die Strategie aufgeht oder nicht. Will zum Beispiel ein Möbelhersteller günstige Bio-Möbel anbieten, um umweltbewusste Kunden zu gewinnen, muss er einerseits sicherstellen, dass die Zulieferer diesen Ansprüchen genügen, andererseits die Effizienz der Produktion im Blick behalten – schließlich sollen die Öko-Modelle bezahlbar bleiben.

The Future of Finance

Einen Überblick zu aktuellen Entwicklungen der Transformation und Wirkungsweise neuer Geschäfts- und Marktmodelle bietet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pwc – PricewaterhouseCoopers unter: www.pwc.de/de/future-of-finance.html

Ein solches Unternehmen habe also eine klare „Mission“, so die Bain-Studie zu den „Unternehmen der Zukunft“. Steht die Mission fest, komme es darauf an, „erfolgskritische Rollen“ zu definieren – also Positionen zu bestimmen, die dafür sorgen, dass die Mission erfüllt wird. Das haben die Unternehmen bislang auch gemacht – aber mit einem anderen Ansatz. „Das Ziel der Organisation war es, die besten Kräfte ins obere Management zu befördern: Der geübteste Maurer wurde zum Vorgesetzten aller Maurer.“

So mauerte man, um im Bild zu bleiben, im Unternehmen auf verschiedenen Baustellen vor sich hin, zusammengeführt wurden die vielen Arbeiten häufig erst auf der Chef-Ebene. Dort kam es dann dazu, dass Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Controller auf der einen und Unternehmensstrategen auf der anderen Seite ziemlich unvermittelt aufeinander trafen. In Zukunft, so die Studie, komme es für die Unternehmen darauf an, immer wieder neue „Expertengemeinschaften“ zu etablieren, die eine bestimmte Mission erfüllen. Zum Beispiel die Lieferkette so zu gestalten, dass sie den Öko-Anspruch erfüllt. Und hier kann dann der Nachhaltigkeitsmanager direkt neben dem Wirtschaftsprüfer sitzen.

Führung morgen braucht soziale Kompetenz

So entstehen in den Unternehmen immer wieder neue Zellen, die – jedes Mal spezifisch zusammengesetzt – innovativ an Lösungen arbeiten. „Diese Mitarbeitergruppen schaffen einen direkten Kundenmehrwert“, schreiben die Autoren der Bain-Studie. „Sie müssen daher nicht nur gemanagt, sondern effektiv gefördert und weiterentwickelt werden.“ In den Unternehmen passiert dadurch etwas Interessantes: Die Zahl der herkömmlichen Manager nimmt ab. „Kooperationen und Outsourcing verringern den eigenen Investitions- und Managementbedarf“, so die Studie. „Durch effektives Partner-Management entstehen komplexe Unternehmens-Ökosysteme, die aktiv gepflegt werden müssen, um reibungslos zu funktionieren.“

Dadurch entstehen auch neue Karrierewege: Eine Führungskraft ist eben nicht mehr zwingend der Chef-Maurer, der dann anderen sagt, wie das Mauern am besten geht. Leadership stehe in Zukunft für die Qualität, diese Ökosysteme innerhalb der Unternehmen zu ermöglichen und zu fördern. Aber eben nicht dafür, diese zu leiten und zu kontrollieren. Das erfordert von den Führungskräften hervorragende soziale und kommunikative Kompetenzen, denn wer diese Zellen zusammensetzt, muss seine Leute wirklich kennen: Talente, aktuelle Lebenssituation, individuelles Arbeitszeitmodell – diese Punkte werden zu entscheidenden Faktoren für den Erfolg.

Rebellen gegen die Trägheit

Nun lesen sich Begriffe wie Zellen und Ökosysteme gut – wer aber als Einsteiger in ein Unternehmen kommt, wird merken, dass die Sprache größtenteils eine andere ist. „Unternehmen sind Organisationen – und die haben eines mit uns Menschen gemeinsam, nämlich die Trägheit“, sagt Reinhold Rapp. Der Unternehmensberater und Keynote-Speaker war Top-Manager im Bereich der Organisationsentwicklung bei der Lufthansa, bevor er sich als Consultant und Start-up-Unternehmer selbstständig machte. Wie Unternehmen ticken, weiß er also aus eigener Erfahrung und durch viele Einblicke. „Veränderungen ergeben sich selten aus den Organisationen heraus“, sagt er. „Verantwortlich dafür sind eher die Rebellen, die mit ihrem individuellen Verhalten den Wandel einsetzen.“

Create-ups: Nicht der Umsatz zählt

Businessplan? Kann man machen – muss aber nicht sein. Was die moderne Unternehmensform der Create-ups viel mehr interessiert, ist die Frage, wie man möglichst schnell viele Leute für eine Idee gewinnen kann. „Sie verlassen sich nicht auf ein bestehendes Geschäftsmodell, sondern drehen den Markt um“, schreibt Unternehmensberater Reinhold Rapp in einem Beitrag für das Zukunftsinstitut.

Mit Blick auf die Organisation funktionieren sie eher wie ein experimentelles Labor als eine klassische Firma. Und selbst wenn die Create-ups zunächst häufig keinen Gewinn erzielen, bleiben Investoren am Ball, weil die Zahl der Kunden steigt. Was macht die Kultur der Create-ups aus?

Blog von Reinhold Rapp

Auch auf seinem Blog „The next next thing“ berichtet Reinhold Rapp über aktuelle Trends: www.reinholdrapp.com/the-next-next-thing

Alleine mit dem Kopf durch die Wand – das wäre eine mögliche Strategie. Klüger ist es wohl, mit Hilfe von sozialen Kompetenzen ein innovationsfreudiges Netzwerk zu knüpfen, Allianzen zu schmieden – wobei es gar nicht das Ziel sein muss, das ganze Unternehmen umzukrempeln. Der Idee, dass Megatrends wie die Digitalisierung die gesamten Unternehmen umwälzen und dafür sorgen, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, steht Rapp skeptisch gegenüber: „Es ist zunächst sogar sinnvoll, dass einige Bereiche in den Unternehmen weiterhin traditionell organisiert sind.“

Wenn der Berater in Unternehmen hineinschaut, beobachtet er bei Veränderungsprozessen häufig eine große Ungeduld. „Viele Führungskräfte und Top-Manager haben den Eindruck, der Wandel funktioniere überall sehr schnell – nur eben nicht im eigenen Unternehmen.“ In der Folge komme es schnell zu Wechseln auf den Positionen. Was dann fehle, sei die Kontinuität, die bei erfolgreichen Veränderungsprozessen genau so wichtig ist wie die Dynamik. „Sinnvoll ist daher eine klarere Trennung zwischen den Stabilitäts- und den Neuerungsbereichen“, schlägt Rapp vor. „Häufig werden Mitarbeiter heute dazu motiviert, beides zu machen: das Standardgeschäft zu optimieren und parallel dazu in einem Innovationsprojekt nach neuen Geschäftsmodellen zu suchen. Für den Mitarbeiter ist das schwierig.“

Drei Unternehmen in einem

Die Gefahr, dass sich das Unternehmen durch die Trennung in etablierte sowie innovativ-querdenkende Bereiche aufsplittet und nicht wieder zusammenfindet, sieht Rapp nicht. Im Gegenteil: Das Unternehmen der Zukunft sei für ihn eines, in dem drei Teil-Unternehmen existieren: eines für die Innovationen, eines für das Wachstum, eines für die Bereitstellung des Know-hows.

„Jeder dieser Unternehmensteile benötigt die besten Talente“, sagt Rapp, „und diese finde ich für meinen Bereich wesentlich besser, wenn er sauber von den anderen getrennt ist.“ Ein Mitarbeiter, der Wert auf Stabilität legt, muss sich nicht ständig Innovationsdruck aussetzen. Ein Querdenker steht nicht permanent vor der Aufgabe, sich Freiräume erkämpfen und (noch) fehlende Umsätze erklären zu müssen. Davon profitieren beide Typen, weil weniger Bemühungen darauf verwendet werden müssen, sich dem jeweils anderen anzunähern. Das kostet nämlich nicht nur Zeit, sondern auch Nerven.

Wirtschaftsprüfung:

Rekrutierung neben Digitalisierung wichtigstes Zukunftsthema Die aktuelle Lünendonk-Studie „Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung in Deutschland“ belegt die Auswirkungen der digitalen Transformation auf den Markt: Die „Big Four“ haben ihre Mitarbeiterbasis um etwa 2.400 neue Arbeitsplätze aufgestockt. Und sowohl die Anforderungen an die Mitarbeiter als auch die Unternehmenskultur verändern sich. Klassische Wirtschaftsprüfung ist zunehmend weniger gefragt, bei einigen Gesellschaften liegt der Prüfungsanteil bereits unter 25 Prozent. Immer wichtiger werden Services wie Rechtsberatung, Managementberatung und Digital-Content-Services sowie digitale Transformation. Mehr zur Studie unter: www.luenendonk-shop.de