Interview mit Juergen Boos

Der Buchmanager

Foto: Frankfurter Buchmesse
Foto: Frankfurter Buchmesse

Für Verlagsmanager, aber auch für Geschäftsentwickler aus der Informations- und Kommunikationstechnologie ist die Frankfurter Buchmesse ein Pflichttermin: Hier vernetzt man sich, hier entstehen neue Geschäftsmodelle und Kooperationen. Juergen Boos ist seit 2005 Direktor der Buchmesse. Der 52-jährige gelernte BWLer spricht über das sich wandelnde Geschäft mit Inhalten und über die Aussicht, dass Bestseller bald planbar sein könnten. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Juergen Boos, geboren 1961 in Lörrach, studierte nach seiner Ausbildung zum Verlagsbuchhändler Betriebswirtschaftslehre in Mannheim. Er arbeitete einige Jahre als Verkaufsleiter bei der Droemerschen Verlagsanstalt, im Literarischen Verlag, im Carl Hanser Verlag und im Wissenschaftsverlag Springer in Berlin, wo er anschließend auch als Leiter International Sales tätig war. 1997 wechselte Boos als Bereichsleiter Marketing/Sales/Distribution zum Verlag Wiley-VCH in Weinheim. Seit April 2005 ist er Direktor der Frankfurter Buchmesse und seit Mai 2005 alleiniger Geschäftsführer.

Herr Boos, der Buchmarkt befindet sich seit einigen Jahren im Umbruch. Wo sind die Veränderungen besonders bahnbrechend?
Über Jahrhunderte definierte sich die Buchbranche über ihr Medium – das gedruckte Buch. Seit einigen Jahren erst gibt es E-Reader, Smartphones, Tablets. Damit werden digitale und multimediale Inhalte erstmals für ein Massenpublikum interessant. Das bedeutet, dass sich auch die Buchbranche in alle Richtungen öffnet. Hin zur Film-, Spiele- und Musikbranche. Aber auch hin zu den Branchen der Informations- und Telekommunikationstechnologie.

Sehen Sie das als Chance oder Bedrohung?
Ich bevorzuge Ersteres. Jede Kreativbranche, aber auch die IT- und Kommunikationsbranchen sind auf gute Stoffe, auf hervorragend aufbereitete Inhalte angewiesen. Und genau diese Geschichten sind gerade in der Buchbranche zu finden.

Mit welchen konkreten Fragen beschäftigen sich junge Verlagsmanager heute?
Wie liest man in Zukunft? Wie und wo erwirbt der Kunde zukünftig seine Bücher, seine E-Bücher, seine Inhalte? Wie greifen Online-Handel und lokale Präsenz des Buchhandels ineinander? Welche neuen Services wird es rund um die neuen multimedialen Inhalte geben?

Und welche Kompetenzen benötigt man, um Antworten auf diese Fragen zu finden?
Die inhaltliche Expertise alleine reicht nicht mehr, gefragt sind auch Fähigkeiten im Business Development und im technologischen Bereich. Aber es geht auch um Kreativität, denn die Geschichte der Buchbranche zeigt, dass Verlage mit kreativen Köpfen seit Jahrhunderten in der Gunst der Leser weit vorne liegen. Und das wird auch so bleiben.

Die Frankfurter Buchmesse ist seit vielen Jahren einer der weltweit größten Impulsgeber der Branche. Worauf kommt es an, damit es dabei bleibt?
Wir setzen als Buchmesse schon seit mehreren Jahren auf den Austausch mit anderen Kreativbranchen, weil es nicht nur darum geht, was wir voneinander lernen können, sondern auch darum, was wir gemeinsam machen können. Das Internet bringt Branchen zusammen: Buch, Film und Spiele können in Gestalt von multimedialen Produkten zusammenwachsen. Es entstehen neue Kooperationen, angefangen vom Produkt bis hin zum Vertrieb.

Astrid Lindgren hat einmal gesagt: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in großem Maß von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen.“ Welche Bücher haben Sie als Erstleser genossen? Und was haben Sie aus diesen Büchern für Ihren Karriereweg mitgenommen?
Mein Onkel hatte eine Buchhandlung, da hatte ich natürlich theoretisch Lesestoff ohne Ende. Aber die Bücher, die mich interessierten – also „Die Fünf Freunde“ oder „Burg Schreckenstein“, viel mehr gab es damals für Jungs gar nicht – waren gar nicht im Sortiment vertreten, da mein Onkel sie als zu populär empfand. Mit dieser Meinung war er übrigens nicht allein, so dachten damals viele Erwachsene. Was ich davon auf meinen Karriereweg mitgenommen habe, ist: Bücher sollten zugänglich sein. Es sollte keinen geben, der sich vor sie hinstellt und sagt: „Das ist gut, und das ist schlecht – das darfst du lesen, und das nicht.“ Insofern empfinde ich es heute als großen Fortschritt, dass auch Jungs neben den „Fünf Freunden“ eine riesige Auswahl haben, von John Green bis hin zu „Gregs Tagebuch“.

Die Buchmesse ist für Sie ohne Zweifel der berufliche Höhepunkt des Jahres. Was machen Sie in den ersten vier Wochen nach der Buchmesse: Urlaub oder konzentrierte Nachbereitung?
Ich will jetzt nicht zu langweilig wirken, aber tatsächlich gilt: Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse. Bis November dieses Jahres sollte die grundsätzliche Planung für 2014 stehen. Ich und mein Team haben allerdings direkt nach der Messe drei Tage frei – und in dieser Zeit mache ich dann wirklich: nichts.

Was ist Ihre Methode, um an den Tagen der Buchmesse, wenn Sie dauernd in Beschlag genommen werden, nicht schlappzumachen?
Eine spezielle Methode habe ich nicht. Ich mache es eher wie alle Buchmesse- Besucher: Bloß nicht das Adrenalin absacken lassen! Die Gespräche und Begegnungen wirken auf mich immer noch berauschend, und dieses Buchmesse-Feeling trägt mich durch die fünf Tage.

Sie waren vor Ihrer jetzigen Position Verkaufsleiter in diversen Verlagshäusern. Was ist im Vergleich zu anderen Waren und Gütern das Besondere am Produkt Buch?
Für mich sind das die Menschen, die hinter dem Produkt Buch stecken: Also die Autoren, Lektoren, Illustratoren, Übersetzer, Rechtehändler, Buchhändler – und auch die Entwickler von Geschäftsmodellen und die „Techies“. Diese Menschen sind es auch, die dieses spezielle Buchmesse-Feeling verbreiten: Begeisterung, Neugierde, Offenheit und Innovationskraft. Bücher sind eigentlich kondensierte Gedanken, Erfahrungen und Gefühle – und es ist für mich auch heute noch sehr spannend, mit diesem Produkt und seinen Machern zu arbeiten.

Immer wieder hört man, es gebe keine Geheimformel für einen Bestseller. Wir können das nicht recht glauben.
Okay, ich verrate Ihnen die Geheimformel, aber Sie dürfen sie niemandem weitersagen (lacht).

Dann hätte ich meinen Job als Journalist verfehlt …
Im Ernst: Es gibt sie tatsächlich nicht, diese Geheimformel. Oder vielmehr: noch nicht. Denn wenn man sich anschaut, dass die Marktforschung jetzt live am Leser stattfinden kann, erhöht sich die Chance auf so eine Formel doch erheblich: Es gibt Internet- Plattformen, auf denen Bücher von Lesern bewertet werden, noch bevor sie zu Ende geschrieben wurden. Die „Crowd“, also die Leser, übernimmt die Rolle von Testlesern. Gleichzeitig zeichnen die elektronischen Lesegeräte auf, an welcher Stelle im Buch der Leser abbricht, und übermitteln diese Daten an die Hersteller dieser Geräte. Die Entscheidung darüber, wie ein Buch geschrieben ist, könnte in Zukunft also eine aus dem Marketing gesteuerte Entscheidung werden. So weit sind wir noch nicht – und die Frage ist auch, ob wir das überhaupt wollen. Kreativität sollte einen eigenen Freiraum haben, abseits von Marketingzielen.

Zum Unternehmen

Mit mehr als 7400 Ausstellern aus über 100 Ländern, rund 300.000 Besuchern, über 3200 Veranstaltungen und rund 9000 anwesenden akkreditierten Journalisten ist die Frankfurter Buchmesse die weltgrößte Fachmesse für das Publishing sowie der wichtigste branchenübergreifende Treffpunkt für Akteure aus der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie den Kreativbranchen Buch, Film und Spiele. Die Ausstellungs- und Messe GmbH (AuM) mit Sitz in Frankfurt am Main ist die Organisation hinter der Frankfurter Buchmesse. Sie ist eine Tochtergesellschaft des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und richtet die Frankfurter Buchmesse seit 1949 aus. Jedes Jahr gibt es ein Gastland, das einen thematischen Schwerpunkt bildet. 2013 ist Brasilien dieser Ehrengast.

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