Die Finanzbranche erkennt mehr als früher, dass Veränderungen ihr guttun. Vor allem die Möglichkeiten der Digitalisierung sollen in Zukunft neue Geschäftsfelder eröffnen. Damit das gelingt, sucht die Branche mit Blick auf das Jahr 2020 nach jungen Leuten, die digital denken und sich weiterhin auf das klassische Finanzgeschäft verstehen. Von André Boße
Wer in der Finanzwelt danach fragt, welcher Megatrend die Branche bis 2020 in Atem halten wird, erhält in der Regel eine Antwort. Diese ist übrigens komplett unabhängig von tagesaktuellen Aktienkursen oder finanzpolitischen Entscheidungen. Und auch der Begriff der „Krise“ spielt keine Rolle. Der Megatrend der Zukunft – das ist die Digitalisierung. Diese wird, da sind sich die Experten einig, die Banken und auch Versicherungen in den kommenden fünf Jahren noch weiter durchrütteln.
Dabei geht es einerseits um die Allgegenwart des Online-Bankings. „Die Kunden möchten ihre Bankgeschäfte überall und jederzeit erledigen. Durch das Smartphone trägt schon heute jeder seine Filiale in der Hosentasche“, sagt Stefan Döppes, Recruiter im Bereich Personal bei der ING-DiBa. Der Kunde hat sich längst an den Komfort digitaler Lösungen gewöhnt. Viele möchten mehr: Noch smartere Apps, die noch mehr Möglichkeiten bieten. Und das bei größtmöglicher Sicherheit.
Doch hier hören die Entwicklungen der Digitalisierung noch lange nicht auf. Das Privatkundengeschäft ist wichtig. Und insbesondere mit Blick auf Firmenkunden ergeben sich durch die Digitalisierung weitere neue Handlungsoptionen und Geschäftsfelder. Im Zuge der Industrie 4.0 zum Beispiel werden Lieferketten und Produktionsprozesse immer transparenter. Für die Banken ergeben sich auf diese Weise neue Einblicke in das, was ihre Firmenkunden mit dem Geld tun, das sie von ihrer Bank erhalten haben. Je nach Einzelfall kann Liquidität somit passgenau ermöglicht oder das Risiko einer Transaktion besser eingeschätzt werden. Kurz, die Banken und auch die Versicherungen nehmen deutlich direkter an den Prozessen teil.
Der Megatrend der Zukunft – das ist die Digitalisierung. Diese wird, da sind sich die Experten einig, die Banken und auch Versicherungen in den kommenden fünf Jahren noch weiter durchrütteln.
Hier können die Unternehmen der Finanzbranche also punkten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist jedoch das Verständnis, dass die Digitalisierung nicht im Vorbeigehen erledigt und in die eigene Unternehmenskultur integriert werden kann. „Die digitale Transformation im Banksektor führt zu einer immens hohen Zahl an Veränderungs-und Anpassungsprojekten, bei denen die bisherigen Strukturen quasi auf den Kopf gestellt werden“, sagt Mario Zillmann, Experte für das Finanzwesen beim Branchen-Analyse-Unternehmen Lünendonk. Die Bank, das war für Unternehmen und Privatkunden viele Jahre lang eine Welt mit klar definierten Feldern. Da gab es das eigene Konto, den eigenen Kredit, das eigene Depot. „Diese Dinge stehen immer weniger im Fokus“, sagt Zillmann. „An die Stelle tritt das Kundenerlebnis. Oder auf neudeutsch: die customer journey.“ Und dieser werde zunehmend digital.
„Den Banken muss es demnach endlich gelingen, ihre traditionellen Geschäftsprozesse, die aus dem Filialgeschäft sowie einzelnen Segmenten wie Wertpapier, Zahlungsverkehr und Privat- sowie Geschäftskunden bestehen, miteinander zu verzahnen“, so der Experte. Ferner arbeiteten viele Banken massiv daran, digitale Bankingplattformen aufzubauen. Zillmann: „Das Ziel ist es, die Kunden über verschiedene Kommunikationskanäle wie E-Mail, Social Media, Webseite oder Call Center zu betreuen – und zwar durchgängig.“
Um diese Interaktion aufzubauen und reibungslos zu ermöglichen, stehen digitale Themen wie Clouds, Big Data und IT-Security besonders im Fokus. Als ein weiteres Megathema mit Digitalisierungshintergrund nennt Mario Zillmann die Automatisierung von Geschäftsprozessen. „Der Wertpapierhandel erfolgt bereits heute stark automatisiert“, sagt der Finanzbranchen-Kenner von Lünendonk. Viele Banken und auch Versicherungen setzten zudem seit einiger Zeit Big Data Analytics ein – also digitale Methoden, um die Vielzahl von gesammelten Daten über Kunden und ihr Verhalten so zu bearbeiten, dass sie wertvolle Informationen hergeben, die sich für die Finanzunternehmen nutzen lassen.
Zum Einsatz kommen diese Tools in erster Linie, um die Kreditprüfung zu automatisieren oder Kundengruppen sinnvoll zu segmentieren und damit passgenauer anzusprechen. Hier zeigt sich dann, dass Datenanalyse und Kundenkommunikation nur dann sinnvoll sind, wenn sie tatsächlich eng miteinander verzahnt sind.
Als Executive Director für das international agierende IT-Unternehmen GFT Technologies SE begleitet Bernd-Josef Kohl viele Unternehmen der Finanzbranche auf ihrem Weg. Seine Einschätzung zum Status Quo der Digitalisierung: „Es geht voran. Jedoch langsam.“ Viele Akteure der Finanzbranche intensivieren aktuell ihre Überlegungen und fragen sich, was die Digitalisierung für sie konkret bedeutet. „Hier sind die Ansätze natürlich sehr verschiedenen, je nach Geschäftsmodell.“ Vor allem mit Blick auf die organisatorischen Aspekte wird diese Entwicklung für viele Banken und Versicherungen ein echter Prüfstein.
Viele Banken und Versicherungen versuchen zunächst einmal, die digitale Transformation zentral und über die herkömmliche Struktur zu organisieren
Die Unternehmen der Finanzwelt sind traditionell sehr hierarchisch aufgestellt. Es gibt viele festzementierte Strukturen, in denen es sich über so einige Jahre angenehm und erfolgreich arbeiten ließ. Die Digitalisierung jedoch stellt branchenübergreifend neue Anforderungen. Weil es hierbei eben nicht nur darum geht, ein neues Geschäftsfeld zu implementieren, sondern weil es eine Veränderung ist, die alle Bereiche in hohem Maße beeinflusst. „Viele Banken und Versicherungen versuchen zunächst einmal, die digitale Transformation zentral und über die herkömmliche Struktur zu organisieren“, sagt Kohl. Dabei ergibt sich oft das Problem, dass die zur Umsetzung definierten Mitarbeiter sehr leidenschaftlich an das Thema herangehen, diese Personen jedoch in der Hierarchie nicht weit genug oben angesiedelt sind, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen.
„Wir empfehlen daher gerade den Banken, innovative Ideen außerhalb der hierarchischen Organisation zu entwickeln. Diese Innovationen müssen dann jedoch konsequent – von „oben“ – als Teil der digitalen Transformation des Unternehmens in die Linie eingebettet werden“, sagt Kohl. Immer mehr Unternehmen verstehen dies, und finden neue Wege, um Transformations-Teams zu bilden. „Entscheidend ist es, die Mitarbeiter in den Filialen oder die Kundenbetreuer einzubinden. Das gibt insbesondere den jungen Leuten, die dort tätig sind, die Chance, sich stärker einzubringen.“
Hier wird deutlich, dass die digitale Transformation bei den Banken einen Prozess in Gang setzt, der die Unternehmenskultur der Firmen nachhaltig verändern wird. Die Trendstudie „Bank und Zukunft 2015“ des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation(IAO) zeigt, dass die Banken selber sehr daran interessiert sind, wandelbarer zu werden. Als bedeutsamen Treiber für die Veränderungen betrachten die Unternehmen dabei ihre eigenen Mitarbeiter. Gesucht werden explizit junge und dynamische Leute, die aus anderen Motiven bei einem Unternehmen der Finanzbranche einsteigen, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. „Früher fingen junge Leute bei der Bank an, weil das Geschäft und die Karrierelaufbahn stabil und vorhersehbar waren“, sagt Bernd-Josef Kohl von GFT. „Das ist heute anders. Es gibt keine klassischen Karrieregarantien mehr. Mitarbeiter – gerade Berufseinsteiger – müssen sich darauf einstellen, dass sie sich bewegen und digital vom Kunden her denken müssen, um voran zu kommen.“
Was diese Beweglichkeit bedeutet, beschreibt Rainer Konder, Bereichsleiter Human Ressources Products bei der Postbank. Da schon heute alle Abläufe und Prozesse digitalisiert sind, dürfen Einsteiger im Umgang mit neuen Technologien und Anwendungsmöglichkeiten keine Berührungsängste haben. „Die Möglichkeiten der Digitalisierung eröffnen Banken komplett neue Möglichkeiten – vom Kundenerlebnis und dem Vertrieb bis hin zur Ausgestaltung interner Prozesse und Datenmanagement.“ Das alles seien Themen, die nur mit digitalem Spezialwissen weiterentwickelt werden können. „Daher sind Einsteiger mit Kenntnissen in Programmiersprachen, Online-Marketing oder Webdesign sehr gesucht“, so der Personalverantwortliche.
Gefragt sind sowohl Bankfachleute mit hoher Digitalkompetenz als auch IT-Experten, die die Grundzüge des Bankgeschäfts kennen.
Eine Einschätzung, die der Lünendonk-Experte Mario Zillmann unterstreicht: „Jüngere Leute sind begehrt, denn die meisten Banken kämpfen mit dem demografischen Wandel.“ Durch die Digitalisierung haben sich die Stellenanforderungen gewandelt. „Gefragt sind sowohl Bankfachleute mit hoher Digitalkompetenz als auch IT-Experten, die die Grundzüge des Bankgeschäfts kennen.“ Auch bei der ING-DiBa vertritt man die Ansicht, dass IT-Know-how zu einem immer wichtigeren Punkt im Bewerberprofil wird. „Generell lässt sich zudem feststellen, dass zur Bewältigung der ste tig steigenden Komplexität Praxiserfahrungen immer bedeutsamer werden“, sagt der Recruiter Stefan Döppes.
Hier äußert sich der Wunsch der Banken, mit den jungen Digital Natives frischen Wind in das Finanzwesen zu bringen. Die Fraunhofer-Studie zeigt, dass viele Banken das strategische Ziel verfolgen, „aus dem bestehenden Kundenstamm mehr Geschäft zu generieren.“ Im Fokus steht nicht mehr unbedingt die Jagd nach immer neuen Kunden, sondern der Ansporn, diese erfolgreich zu binden, mit Serviceleistungen zu begeistern und das eigene Business so zu erweitern. Hier ist unternehmerisches und strategisches Denken gefragt. „Banken könnten sich zum Beispiel Gedanken darüber machen, wie es schneller und flexibler möglich sein kann, bislang bankfremde, innovative Dienstleistungen zu entwickeln“, sagt Bernd-Josef Kohl von GFT.
Ein Thema seien hier zum Beispiel so genannte White-Label-Dienstleistungen: Die Bank bietet eine Lösung an, zum Beispiel für eine neue Finanz-App oder zur Adressverifikation, wird dabei für den Kunden als Dienstleister jedoch überhaupt nicht sichtbar. Das ist eher ungewöhnlich, weil Banken es bislang gewohnt sind, ihre Tätigkeiten nach außen hin sehr deutlich sichtbar zu kommunizieren. Dass Geld auch auf andere, stillere Art verdient werden kann, ist für viele der neueren Player der Finanzbranche – insbesondere die Start-Ups – völlig normal. Die großen Institute müssen das in vielen Fällen erst noch lernen und umsetzen. Wobei sie auch hier auf das Know-how innovativ denkender junger Mitarbeiter angewiesen sind.
Je komplexer und wichtiger das Thema für den Kunden ist, umso wichtiger wird dabei das Gespräch mit dem Berater.
Wobei eines nicht passieren wird: Die Banken mögen zwar digitaler werden – aber sie bleiben in den allermeisten Fällen weiterhin eine Bank. Eine Voll-Digitalisierung wie im Handel, wo ein persönlicher Kontakt selbst bei größeren Anschaffungen immer seltener wird, wird die Finanzbranche wohl nicht erleben. Schließlich dreht sich das Geschäft um etwas, das dem Kunden besonders nahegeht – das Geld. Mit Blick auf die Möglichkeiten des Online- und Smartphone-Bankings zeigten die Kunden ein hybrides Verhalten, sagt Bereichsleiter Human Ressources Products Rainer Konder. „Sie informieren sich vorab online. Danach suchen sie jedoch das persönliche Beratungsgespräch, um den Entscheidungsprozess abzuschließen. Je komplexer und wichtiger das Thema für den Kunden ist, umso wichtiger wird dabei das Gespräch mit dem Berater.“
Einsteiger, die sich für eine Vertriebskarriere entscheiden, sollten daher weiterhin unbedingt gute Kenntnisse in Bereichen wie Aufgeschlossenheit, Flexibilität und emotionale Intelligenz mitbringen. „Der Berater sollte sich auf Augenhöhe mit dem Kunden über Foren und Websites austauschen können und die sich daraus ergebenden Anknüpfungspunkte für das Beratungsgespräch nutzen.“ Alles digital? Eben nicht. Das Gespräch übers Geld und unter vier Augen wird es auch weiterhin geben.