„Die größte Mission in einer digitalen Welt: Gefühle zulassen und nutzen.“

Gefühle zulassen, Foto:AdobeStock/fotomek
Gefühle zulassen, Foto:AdobeStock/fotomek

Dr. Leon Windscheid, 32 Jahre, ist Psychologe, Unternehmer und Autor. Sein aktuelles Buch über Gefühle ist ein Bestseller, seine Leidenschaft für Psychologie vermittelt er bei Vorträgen, in seinem Live- Programm und in seinen drei Podcasts. Dem Fernsehpublikum wurde Leon Windscheid 2015 bekannt, als er bei Günther Jauchs Sendung „Wer wird Millionär?“ eine Million Euro gewann. Von Kerstin Neurohr

Herr Dr. Windscheid, der Berufseinstieg ist ja mit vielen verschiedenen Gefühlen verbunden: Man freut sich, aber oft sind da auch Angst und Unsicherheit. Wie geht man mit solchen Gefühlen um?
Viele Menschen haben ein unglaublich schlechtes Bild von der Angst. Sie wollen angstfrei leben. Aber gerade junge Menschen erleben oft Zukunftsangst, und da hilft es, sich ganz bewusst die positiven Optionen einer Entscheidung aufzuschreiben, sich zu fragen, was denn auch gut gehen könnte. Also den Spieß bewusst umdrehen, gegen diese Negativität angehen. Wobei es auch wichtig ist, die Angst anzunehmen, man kann auch einen Wert darin sehen. Ein Leben ohne Angst wäre langweilig. Keine Angst zu haben wäre tödlich, weil Angst eben auch ein Schutzmechanismus ist. Es ist normal, dass ich mir Angst, dass ich mir Sorgen mache. Das ist gut, denn es stellt den Fokus scharf.

Redet man überhaupt über Gefühle im beruflichen Kontext?
Meistens nicht – und ich glaube, das ist ein ganz großes Missverständnis in dieser digitalen und technisierten Welt: Dass wir uns messen sollten mit der Künstlichen Intelligenz, die immer besser wird, immer mehr Druck aufbaut, uns immer mehr Leistung abnimmt. Bisher dachte man, da gibt‘s auf der einen Seite das Rationale im Menschen und auf der anderen Seite das Emotionale. Und wir wollen alle das Rationale stringent geradeaus denken, keine Fehler machen. Das ist aber nicht menschlich. Wenn wir eine Zukunft haben wollen in einer digitalen Welt, dann müssen wir anerkennen, was uns wirklich einzigartig macht, was uns für immer von den Maschinen unterscheiden wird: Fühlen. Ein Gefühl wie Leidenschaft kann andere anstecken. Ein Gefühl wie Mut brauche ich, um neue Wege zu gehen. Empathie ist essentiell, um andere Menschen zu verstehen, um in einem großen Kollektiv zu funktionieren. Deswegen ist es ganz, ganz wichtig, dass die Berufswelt nicht mehr als eine betrachtet wird die rein rational sein soll, sondern im Gegenteil: Wir sollten Gefühle zulassen und auch nutzen lernen – das ist die größte Mission in einer digitalen Welt.

Wie zufrieden kann ein Job uns machen, und was trägt zur Zufriedenheit bei?
Ein Job ist ganz, ganz wichtig für uns Menschen und auch für unser Selbstverständnis. Wir haben das in der Coronakrise gesehen: Am Anfang dachten viele, toll, Homeoffice machen, vielleicht auch mehr freihaben, super! Aber ganz schnell spürt man doch, wie wichtig das echte Zusammenkommen ist. Das gibt Struktur. Der Austausch an der Kaffeemaschine – das ist etwas, was ganz wichtig ist. Neben all dem, was man im Beruf ohnehin erleben kann: Dass man sich verwirklichen kann, etwas bewegen kann, Dinge umsetzen kann. So kann ein Job ein ganz großer Beitrag zur Zufriedenheit sein.

Welche Rolle spielt Geld dabei?
Es geht nicht in erster Linie um das Geld. Klar, das Geld muss ungefähr stimmen. Aber Einkommen macht ab einem gewissen Punkt nicht immer mehr zufrieden. Wer nur dem Geld hinterherrennt, oder externen Faktoren wie Firmenwagen und Prestige, der untergräbt, dass eine Zufriedenheit aus ihm selbst heraus entsteht. Ich empfehle, immer mehrere Facetten zu betrachten, wenn man danach fragt, was einem der Job gibt. Passt das so grundsätzlich zu meiner Mission? Bin ich vielleicht jemand, der ökologisch leben möchte – und macht diese Firma das? Bin ich jemand, dem Diversity und Vielfalt wichtig ist – und setzt diese Firma das um? Wenn das nicht gegeben ist, kann der Job nicht wirklich zufrieden machen. Man sollte immer prüfen, ob man sich selbst verwirklichen kann. Unser Selbst möchte wachsen, sich weiterentwickeln. Das sollten wir versuchen einzufordern.

cover besser fühlenLeon Windscheid: Besser fühlen. Eine Reise zur Gelassenheit. Rowohlt 2021. 16,00 Euro Im Herbst geht Leon Windscheid mit seinem Programm „Altes Hirn, neue Welt“ auf Tour. Infos und Termine: www.leonwindscheid.de