Operation gelungen, Patient tot

Der Medizinstrafrechtler

Foto: Fotolia/Edyta Pawlowska
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„Wenn ein Arzt hinter dem Sarg eines Patienten geht, folgt manchmal die Ursache der Wirkung.“ Dieses Zitat des berühmten Mediziners Robert Koch enthält neben einer ordentlichen Portion bösen schwarzen Humors auch ein Körnchen Wahrheit. Für den Anwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Arzt- und Medizinstrafrecht ergeben sich im medizinischen Alltag eine Vielzahl von spannenden Fällen. Von Dr. Sascha Böttner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

Den Obergriff bildet das Medizinstrafrecht. Es bezeichnet die Spezialmaterie, in der es um den Querschnitt zwischen Recht und Medizin geht. Im Arztstrafrecht als einem ganz wesentlichen Teilgebiet befasst man sich vor allem mit den Tatbeständen des Strafgesetzbuches (StGB), und zwar ganz klassisch mit Körperverletzung, fahrlässiger Tötung, Tötung auf Verlangen, Totschlag, Vorteilsnahme/Bestechlichkeit, Betrug. Die Gruppe der Mandanten bilden vor allem Ärzte, die in Krankenhäusern oder Praxen tätig sind, aber es können auch angehende Ärzte im praktischen Jahr sein.

Neben Ärzten nehmen auch zahlreiche nicht-ärztliche Fachkräfte, beispielsweise Pflegekräfte, Rettungshelfer, Psychologen sowie Therapeuten aller Art, in ihrem Arbeitsalltag medizinische Eingriffe an Patienten vor, die ein strafrechtliches Nachspiel haben können. Der dank des Studiums bekannte Klassiker kann zum Beispiel die Blutabnahme durch einen Arzthelfer sein. Es stellt sich dann nämlich die strafrechtlich brisante Frage, ob der Arzt einen solch invasiven Eingriff (Körperöffnung!) konkret delegieren durfte, und diese Frage kann im Einzelfall ausgesprochen knifflig werden.

Neben den Straftatbeständen des StGB muss der Rechtsanwalt für Medizinstrafrecht außerdem nicht selten Abstecher in die Nebengesetze unternehmen, etwa in das Arznei- und Betäubungsmittelgesetz (AMG, BtmG), das Apothekengesetz (ApoG) oder das ganz entlegene Embryonenschutzgesetz (ESchG). Auch Apotheker und deren Mitarbeiter können nämlich zum Mandantenkreis gehören, wenn etwa falsche Medikamente ausgehändigt wurden oder gegenüber der Krankenkasse falsch abgerechnet wurde. Nicht zu vergessen sind auch die Mandanten, die beruflich überhaupt nichts mit dem Medizinstrafrecht zu tun haben. Gemeint sind die Fälle des Substanzmissbrauchs zugunsten der körperlichen Leistungssteigerung. Auch mit dem Doping unter Berufssportlern haben wir zu tun.

Es gibt zahlreiche Fälle, die diese faszinierende Schnittstelle zwischen Recht und Medizin betreffen und für entsprechendes Aufsehen gesorgt haben. Im sogenannten Organspende-Skandal geht es beispielsweise um die Frage, ob es zum Tatzeitpunkt überhaupt eine hinreichend bestimmte Strafvorschrift gab, die das Verhalten des Angeklagten sanktionierte. Oftmals sieht sich der Gesetzgeber in solchen Zweifelsfällen gezwungen, Gesetzeslücken zu schließen. Ähnliches geschah auch durch den neuen § 1631d im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nach dem sehr umstrittenen Beschneidungs- Urteil.

Aber es gibt auch immer wieder Hochstapler, die mit gefälschten Ausbildungsnachweisen Patienten behandeln wollen und denen nach ihrer Entdeckung erhebliche Strafen wegen Körperverletzung oder auch Missbrauch von Titel und Betrug drohen. Die Rechtsprechung muss sich auch immer wieder damit auseinandersetzen, wie mit niedergelassenen Vertragsärzten oder auch Apothekern umzugehen ist, die bestimmte Geräte oder Medikamente einsetzen, um umsatzabhängige Prämien der Pharmaindustrie zu erlangen – das sogenannte Pharma-Marketing.

Es liegt also auf der Hand, dass ein Anwalt im Bereich des Medizinstrafrechts fachspezifisches Wissen benötigt, um das Bestmögliche für seinen Mandanten herauszuholen. Beispielsweise sollte man sich neben berufsund disziplinarrechtlichen Kenntnissen auch ein Basiswissen zum Gesundheitssystem, unter anderem zum Abrechnungswesen, aneignen, denn es kommt nicht selten darauf an, auf die spezifischen Details zu achten. Von großer Bedeutung ist außerdem, sich mit Sorgfaltspflichten und den Regeln ärztlicher Kunst auseinanderzusetzen, denn nur so lässt sich getreu dem Chirurgenmotto „Operation gelungen, Patient tot“ das Vorgehen des Arztes nachvollziehen sowie Fehler be- oder widerlegen und den Ermittlungsbehörden den Wind aus den Segeln nehmen.

Insgesamt sollte derjenige, der später in diesem Bereich tätig sein möchte, frühzeitig dafür sorgen, immer wieder über den juristischen Tellerrand zu blicken und zum Beispiel durch Praktika bei Anwälten mit entsprechenden Tätigkeitsschwerpunkten oder auch in der Rechtsabteilung von Krankenhäusern erste Einblicke sammeln. Wer dazu bereit ist, den erwartet eine außerordentlich spannende Spezialmaterie, in der man sich mit den juristischen Tugenden der Logik, der schnellen Auffassung komplexer Sachverhalte und natürlich der Argumentation so richtig austoben kann.