Interview: Prof. Dr. Jack Nasher

Der Wahrheitsfinder.

Prof. Dr. Jack Nasher, Foto: Campus Verlag
Prof. Dr. Jack Nasher, Foto: Campus Verlag

Der Diplom-Jurist Jack Nasher ist ein Experte darin, Lügen zu durchschauen. Sein neues Buch „Entlarvt!“ zeigt auf, wie man dem Gegenüber mithilfe von psychologischen Tricks und guten Fragen die Wahrheit entlockt. Der Professor an der Munich Business School rät karrierebewussten jungen Juristen, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Jack Nasher M. Sc. (Oxford), geboren am 1. Juni 1979, studierte Jura in Frankfurt am Main, dazu Philosophie und Psychologie sowie Management an der Universität in Oxford, wo er auch als Postdoctoral Tutor unterrichtete. Sein Rechtsreferendariat absolvierte er für das Auswärtige Amt bei der UNO in New York, praktische Erfahrungen sammelte er am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Seit 2010 bekleidet er an der Munich Business School den Lehrstuhl für Leadership & Organizational Behaviour. Seine letzten beiden Bücher wurden Spiegel-Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Er führt zudem das Verhandlungsinstitut Nasher.

Herr Professor Nasher, in welchem Verhältnis steht die Wahrheit zur Lüge?
Eine Lüge ist alles, was bewusst nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie es mir geht, und ich sage: „Sehr gut“ – dann ist das strenggenommen eine Lüge, weil ich gerade lange im Stau gestanden habe. An diesem Beispiel merken Sie aber auch: Nicht jede Lüge muss man ernst nehmen.

Kommen wir zu den für Juristen wichtigen Lügen: Was sollte ich als Anwalt tun, wenn ich den Eindruck bekomme, mein Mandant biegt sich seine persönliche Wahrheit zurecht?
Das gibt es und kommt häufig vor, in Amerika sagt man dazu bei Zivilprozessen: „Everybody thinks he’s wearing the white hat.“ Sinngemäß auf Deutsch: Jeder denkt, dass er im Recht ist. Was mir Juristen nach meinen Vorträgen jedoch häufig sagen: Entscheidend ist nicht unbedingt, die Wahrheit der Mandanten zu erfahren. Wichtiger ist es, die Zeugen oder die gegnerische Partei zu entlarven. Schließlich ist man Anwalt – und kein Richter.

Wie kommt man an die Wahrheit heran?
Was nicht zum Ziel führt, sind laute Worte oder sogar – wie man es in manchem Krimi sieht – die Androhung von Gewalt, zum Beispiel mit einem Lötkolben, denn dann sagt mein Gegenüber entweder gar nichts oder er sagt genau das, was ich hören will. Das ist dann jedoch zumeist eine Mischung aus Wahrheit und Lüge, die mich noch weiter in die Irre führt. Die wirklich wirksamen Methoden sind die scheinbar sanften psychologischen. Diese erfolgreich zu verwenden, kann jeder lernen.

Ganz konkret: Wie wendet man diese psychologischen Methoden an?
Schritt eins, ich kläre erst einmal, ob mir mein Gegenüber die Wahrheit sagt oder nicht. Wie das? Wenn jemand lügt, wird er von zwei Gefühlen bestimmt: Angst und Schuld. Treten diese unpassend auf, haben wir einen guten Anhaltspunkt für die Lüge. Hinzu kommt, dass mein Gesprächspartner womöglich versucht, sich möglichst unauffällig zu geben – und dadurch fällt er besonders auf. Wer nicht die Wahrheit sagt, wirkt daher insgesamt nicht harmonisch – Worte und Gesten passen nicht mehr zueinander. Auf diese Faktoren zu achten und sie zudem zu provozieren, ist das klassische von amerikanischen Ermittlern benannte „behaviour analysis interview“, eine Befragung also, die direkt das Verhalten des Gegenübers analysiert.

Okay, ich habe also den Verdacht, jemand sagt mir nicht die Wahrheit. Nur: Wie komme ich an diese heran?
Dies ist dann Schritt zwei, ich nenne sie die Konfrontation. Ich bezichtige mein Gegenüber sehr klar und direkt der Lüge und baue die Illusion auf, sowieso schon über alles Bescheid zu wissen, nach dem Motto:„Wir wissen, was passiert ist, und wir wissen auch, wer es war. Wir wissen nur nicht, warum.“ Um hier glaubwürdig zu sein, gibt es Verstärker wie die sogenannte „Köderfrage“, bei der man angebliche Beweise andeutet. Schritt drei ist dann, es dem Gegenüber möglichst leicht zu machen, mit der Wahrheit rauszurücken – ihm also eine goldene Brücke zu bauen.

Warum ist das so wichtig?
Will ich die Wahrheit erfahren, indem ich jemanden einen verlogenen Dreckskerl nenne, komme ich nicht weiter.

Das wäre dann eine Art verbaler Lötkolben.
Genau. Ich muss stattdessen ein Thema finden, mit dem sich mein Gegenüber identifizieren kann und das ihm dabei hilft, sein Verhalten gegenüber mir und sich selbst zu rechtfertigen. Ich gebe ihm also eine moralische Ausrede an die Hand, indem ich zum Beispiel thematisiere: „Nicht du bist schuld, sondern die Umstände.“ Oder: „Wären andere an deiner Stelle gewesen, hätten sie auch so gehandelt.“ Danach geht es dann darum, eine Alternativfrage zu entwickeln, die das Gegenüber dazu bringt auszupacken, die ihm also die letzten Zweifel zum Gestehen nimmt: „Haben Sie aus lauter Boshaftigkeit und ohne Unrechtsgefühl Firmengelder veruntreut, oder war das eine einmalige Sache, die Sie aus der Not heraus getan haben und die Ihnen heute leid tut?“ Menschen sind eben doch sehr rational und gestehen nur dann, wenn es ihnen in dem Moment als die beste Alternative erscheint.

Wie wichtig ist hier Empathie?
Sie hilft, ein Thema zu finden, das zur Person, die endlich die Wahrheit sagen soll, passt. Jedoch geht es bei diesem Thema nicht um die Wahrheit. Es muss auch nicht moralisch einwandfrei sein. Entscheidend ist, dass mein jeweiliges Gegenüber sich damit identifizieren kann und sein Gesicht nicht verliert. Man darf nicht vergessen: Das Herausfinden der Wahrheit ist ein Rollenspiel. Es geht also natürlich nicht um echtes Verständnis, sondern darum, das Spiel zu gewinnen.

Bekommen Juristen diese Techniken der Wahrheitsfindung an den Unis vermittelt?
Nein, was bedauerlich ist, da man ja auch zum Richteramt befähigt werden soll. Aber auch angehende Richter lernen nur freiwillig etwas über die Wahrheitsfindung. Das sind dann die zumeist veralteten Techniken der Vernehmungslehre.

Warum werden diese Aspekte so stiefmütterlich behandelt?
Vielleicht, weil die Juristen die Psychologie als eine zu vage Kunst betrachten. Aber junge Juristen können diese Techniken auch abseits der formalen Ausbildung lernen. Hier hilft ein wenig vom Geist der Amerikaner: Wenn mich etwas interessiert, dann hole ich es mir. Ein Beispiel: Wer dort Schriftsteller werden will, besucht einen Kurs für kreatives Schreiben. In Deutschland warten Hobby-Autoren darauf, dass sie die Muse küsst.

Was bringt es einem Juristen, wenn er diese Gesprächsmethoden beherrscht?
Bei meinen Vorträgen und Seminaren fällt mir immer wieder auf, dass das intellektuelle Niveau und auch der Ehrgeiz bei den meisten Nachwuchsjuristen sehr hoch ist. Sie alle schwimmen also in einem Haifischbecken – und müssen sich irgendwie von den anderen positiv unterscheiden. Wenn ich dann in der Lage bin, mit einfachen Gesprächstechniken Lügen zu durchschauen oder an die Wahrheit zu kommen, dann bin ich meinen Kollegen meilenweit überlegen. So hält mich mein Mandant nicht mehr für einen 08/15-Associate, sondern für eine Koryphäe.

Buchtipp

„Entlarvt!“ Das Buch über den Weg zur Wahrheit
Menschen lesen und in dem, was sie sagen, beeinflussen – das ist die Expertise von Prof. Dr. Jack Nasher. Wie das geht, erklärt er in seinem Büchern. Nach Veröffentlichungen zum Thema Verhandlungen („Deal – Du gibst mir, was ich will!“) und Lügen („Durchschaut! Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven“) behandelt sein neues Buch die Suche nach der Wahrheit. Anhand von Beispielen erklärt Nasher den Weg zur Wahrheit und gibt dabei eindrucksvolle Einblicke in die Arbeit der Top-Ermittler.

Entlarvt! Wie Sie in jedem Gespräch an die ganze Wahrheit kommen.
Campus 2015.
ISBN 978-3593501260.
19,99 Euro