Cyberkriminalität

Markus Hartmann, Foto: ZAC NRW/A. Brück
Markus Hartmann, Foto: ZAC NRW/A. Brück

Die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) ist auf Cyberkriminalität spezialisiert, ihr obliegt die Verfahrensführung in herausgehobenen Ermittlungsverfahren in diesem Bereich. karriereführer sprach mit Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, der als Hauptabteilungsleiter die Einheit leitet. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Markus Hartmann ist Volljurist. Er ist Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Köln und seit 2016 Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Zuvor war Hartmann Dezernent in der Cybercrime-Zentralstelle für den OLG-Bezirk Köln, die in der ZAC NRW aufgegangenen ist und seit 2015 deren kommissarischer Leiter.

Herr Hartmann, die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein- Westfalen (ZAC NRW) wurde zur Bekämpfung digitaler Verbrechen eingerichtet. Dabei kann der Begriff „Cyberkriminalität“ viel beinhalten. Wie stellt er sich aus dem Blick Ihrer Einheit dar, welche Bereiche/Aspekte beinhaltet er?
Klassischerweise unterscheidet man Cyberkriminalität im engeren Sinne, also Straftaten, die sich gegen das Internet, Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten, und Cyberkriminalität im weiteren Sinne. Darunter versteht man generell Straftaten, die mittels Informationstechnik begangen werden. In der Praxis verläuft die Trennlinie häufig fließend. Wir beobachten, dass sich immer mehr analoge Deliktsformen digitale Entsprechungen oder Mischformen herausbilden. Ein Beispiel ist der Handel mit Betäubungsmitteln, der zunehmend über Webshops in Internet und Darknet abgewickelt wird.

Wie beurteilen Sie die Gefährdung von Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland durch diese Tatbestände?
Cybercrime hat sich zu einem wesentlichen Bedrohungsfaktor für das Wirtschaftsleben entwickelt. Das Allianz Risk Barometer 2020 benennt im globalen Maßstab Cybersicherheitsvorfälle als Unternehmensrisiko Nr. 1. Auch national sind digitale Straftaten mittlerweile überaus relevant. Einer Studie des Branchenverbandes Bitkom zufolge soll sich der wirtschaftliche Gesamtschaden durch Cybercrime auf mehr als 100 Milliarden Euro jährlich belaufen. Gesellschaftlich betrachtet, wirkt sich die umfassende Digitalisierung auf alle Lebensbereiche aus. 70 Prozent der Bundesbürger nutzen Online-Banking. Schon diese Zahl macht deutlich, wie groß das Betätigungsfeld von Cyberkriminellen ist. Wirksame Strafverfolgung ist ein wesentlicher Beitrag, das Vertrauen der Nutzer in digitale Infrastrukturen zu erhalten. Außerdem sollte man die Auswirkungen der Digitalisierung und korrespondierender Kriminalität auf die demokratischen Prozesse im Blick behalten. Elektronische Manipulationen und Hackerangriffe auf Wahlen sind ein reales Risiko. Aber auch die Zunahme strafbarer Hasspostings in den sozialen Medien zeigt deutlich, dass der Schaden durch Cybercrime deutlich gravierender sein kann als lediglich finanziell.

Und bei welchen Ermittlungsverfahren kommen Sie und Ihre Kolleg*innen dann tatsächlich zum Einsatz?
Die ZAC NRW ist zuständig für herausgehobene Fälle digitaler Kriminalität, was sich aus bestimmten Indikatoren ergibt. Beispiele wären etwa die Tatbegehung aus dem Bereich der organisierten Cyber- und Darknetkriminalität, Angriffe auf kritische Infrastrukturen oder ein hoher technischer Ermittlungsaufwand im Bereich der Computer- und Informationstechnik.

Ist das Recht in Deutschland auf viele dieser Tatbestände überhaupt ein- und ausgerichtet?
Grundsätzlich möchte ich festhalten, dass wir mit dem gegebenen Rechtsrahmen durchaus in der Lage sind, effektive Strafverfolgung zu betreiben. Trotzdem bleiben einige Baustellen. Man sollte zum Beispiel über die Einführung eines Straftatbestandes des Betriebs krimineller Marktplätze im Netz nachdenken. Denn diese Infrastrukturen sind der Nährboden für weite Teile der Cyberkriminalität. Durch die schnelle Fortentwicklung der technischen Gegebenheiten gilt es vor allem, das Recht, insbesondere strafprozessual, der technischen Entwicklung kontinuierlich anzupassen.

Immer mehr analoge Deliktsformen bilden digitale Entsprechungen oder Mischformen heraus.

Was ist dafür notwendig?
Eine wesentliche Aufgabe ist es, die Zusammenarbeit zwischen Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft zu verbessern. Wir benötigen eine vertrauensvolle Kooperation, um schnell handeln zu können, dass immer noch hohe Dunkelfeld zu verringern und die tatsächlichen Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden technisch zu ergänzen.

Cyberkriminalität hat auch viel mit Technik und den damit verbundenen Möglichkeiten zu tun. Welche Fähigkeiten bzw. welches Wissen braucht es für Ihre Arbeit?
Der Kern der Arbeit der ZAC NRW ist juristisch. Gleichwohl sind die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der ZAC NRW auch ambitionierte Hobbyinformatiker. Wir greifen außerdem auf die technische Expertise spezialisierter Polizeidienststellen und von Sachverständigen zurück.

Stehen Ihrer Abteilung auch die benötigten digitalen Möglichkeiten zur Verfügung, um die Ihnen zugewiesenen Fälle entsprechend zu bearbeiten – zum Beispiel Überprüfungssoftware, um große Datenmengen möglichst schnell auszuwerten – oder arbeiten Sie dafür mit anderen Institutionen und Behörden zusammen?
Wir arbeiten stets interdisziplinär und kooperieren wo nötig mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft. Große Datenmengen sind eine wesentliche Herausforderung. Daher untersuchen wir in verschiedenen Grundsatz- und Forschungsprojekten, wie die technischen Möglichkeiten – etwa durch den Einsatz von KI – verbessert werden können.

Beim Thema Legal Tech geht es unter anderem auch darum, Fälle möglichst zu standardisieren und automatisiert abarbeiten zu können. Für die Effizienz. Ist das auch eine Methode für Ihre Abteilung?
Die ZAC NRW hat derzeit 21 Planstellen. Das ist für eine staatsanwaltschaftliche Zentralstelle ein ordentlicher Personalansatz. Den Einsatz von Legal Tech betrachten wir in unserem Grundsatzdezernat, das entsprechende Projekte vorantreibt.

Sie wirken auch bei regionalen und überregionalen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen mit. Um was geht es dabei und wen schulen Sie?
Wir bilden gemeinsam mit der Justizakademie NRW, aber auch in eigenen Veranstaltungen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den technischen und rechtlichen Fragen wirksamer Strafverfolgung im digitalen Raum aus. Denn die Bekämpfung von Cybercrime ist nicht nur Aufgabe der Zentralstelle, sondern der Justiz insgesamt.

ZAC NRW

Die ZAC NRW führt Cybercrime- Ermittlungsverfahren von herausgehobener Bedeutung. Sie ist darüber hinaus zentrale Ansprechstelle für grundsätzliche, verfahrensunabhängige Fragestellungen aus dem Bereich der Cyberkriminalität für Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden Nordrhein-Westfalens und anderer Länder sowie des Bundes. Ferner steht sie als Kontaktstelle für die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft zur Verfügung, soweit dies mit ihrer Aufgabe als Strafverfolgungsbehörde vereinbar ist.