Interview mit Jürgen R. Thumann

Der Mittelständler

Jürgen R. Thumann, Foto:BDI
Jürgen R. Thumann, Foto:BDI

Jürgen R. Thumann ist seit seinem 20. Lebensjahr Unternehmer und lenkt noch heute die Geschicke der Heitkamp&Thumann-Gruppe. Als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie vertritt er die Interessen von über 100.000 Unternehmen. Im karriereführer spricht er über die Bedeutung des Mittelstands. Die Fragen stellte Christiane Martin.

Zur Person

Jürgen R. Thumann wurde am 17. August 1941 in Schwelm/Westfalen geboren. 1960 schloss er die Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann ab. Er übernahm die Thumann Stahl-Service Center in Schwelm als persönlich haftender Gesellschafter und baute das Familienunternehmen aus. 1978 wurde die Heitkamp&Thumann-Gruppe in Düsseldorf gegründet. Thumann trat als persönlich haftender Gesellschafter der Holding ein. Heitkamp&Thumann ist eine Gruppe mittelständischer Unternehmen in der Metalle und Kunststoffe verarbeitenden Industrie mit etwa 2300 Mitarbeitern an 16 Standorten in Europa, Asien und Amerika. 1998 trat Thumann aus der Heitkamp&Thumann-Gruppe als persönlich haftender Gesellschafter aus und hat seitdem den Vorsitz im strategischen Lenkungsausschuss inne. Seit Januar 2005 ist er Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI).

Herr Thumann, was verstehen Sie unter Mittelstand?
Charakteristisch für den industriellen Mittelstand in Deutschland ist, dass Eigentum und Leitung in einer Hand liegen. Es besteht also eine enge Verbindung von wirtschaftlicher Existenz und Leitung des Unternehmens. Ihr langfristiges Engagement, ihre Verbundenheit mit ihren Mitarbeitern und ihre Verwurzelung im regionalen und gesellschaftlichen Umfeld machen mittelständische Unternehmer zu Botschaftern und Garanten der sozialen Marktwirtschaft. Mittelstand in Deutschland ist eben mehr als eine rein rechnerische Größe.

Welche Bedeutung haben mittelständische Unternehmen für die deutsche Industrie?
Die Bedeutung des industriellen Mittelstands wird in der Regel unterschätzt. Dabei sind 98 Prozent aller Industrieunternehmen in Deutschland Mittelständler. Diese Unternehmen produzieren etwa ein Drittel der Bruttowertschöpfung der gesamten Industrie. Nachhaltiges Denken und solides Wirtschaften haben in Bereichen des industriellen Mittelstands viele „Hidden Champions“ hervorgebracht, die auf den Weltmärkten eine führende Rolle spielen. Dies ist ein Markenzeichen des Industriestandorts Deutschland.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?
Der gesamte Mittelstand stellt etwa 70 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und rund 80 Prozent der Ausbildungsplätze zur Verfügung. Der Mittelstand ist darüber hinaus Jobmotor der deutschen Wirtschaft. Ein Beispiel: Zwischen 2003 und 2005 stieg die Beschäftigtenzahl bei den 500 größten deutschen Familienunternehmen weltweit um insgesamt 13 Prozent, in Deutschland allein um fast zehn Prozent. Die inländische Beschäftigung aller Unternehmen in Deutschland wuchs dagegen im gleichen Zeitraum nur um drei Prozent. Neue Berechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn zeigen zudem, dass der Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in den letzten beiden Jahren in allererster Linie auf den Mittelstand zurückzuführen ist. Rund 80 Prozent der neuen Jobs sind im Mittelstand entstanden.

Was ist das Besondere an mittelständischen Arbeitgebern?
Unternehmergeist, persönliche Verantwortung, Bindung an die Mitarbeiter und ein persönlicher Führungsstil kennzeichnen mittelständische Unternehmen und machen sie zum Vorbild auch für Großunternehmen. Viele versuchen, diese Stärken auf ihr Unternehmen zu übertragen und sich eine Corporate Identity zu geben. In der Diskussion über Corporate Social Responsibility sind Familienunternehmen Vorbild.

Inwieweit vertreten Sie als Präsident des BDI mittelständische Unternehmen?
98 Prozent der vom BDI vertretenen Unternehmen sind Mittelständler. Der industrielle Mittelstand bildet im Hinblick auf Beschäftigung und technischen Fortschritt das „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“. Daraus erklärt sich auch das besondere Engagement des BDI für Themen wie Besteuerung von Personenunternehmen, Erbschaftssteuer, aber auch Bürokratieabbau und mittelstandsgerechte Forschungsförderung. Mit der im letzten Jahr eingeführten Forschungsprämie, für die sich der BDI stark gemacht hat, ist es gelungen, Wissenschaft und Unternehmen enger zu vernetzen. Im Zeichen von Internationalisierung und Globalisierung ist es wichtig, dass wir die Unternehmen in die wachsenden internationalen Märkte fachlich und politisch begleiten.

Sie stammen aus einer Unternehmerfamilie. Mit 19 Jahren bereits haben Sie die Thumann Stahl Service Center in Schwelm übernommen. Man kann Sie als Unternehmer durch und durch bezeichnen. Auch als Mittelständler?
Mittelstand ist für mich eine Frage der Geisteshaltung und der Eigentumsverhältnisse. So ist es auch in meinem Unternehmen. Dort habe ich zwar die Geschäftsführung in die Hände Jüngerer gelegt, bin aber als Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Heitkamp&Thumann-Gruppe noch immer in die wichtigen Entscheidungsprozesse des Unternehmens eingebunden.

Welche Arbeitskräfte suchen Sie als mittelständischer Arbeitgeber?
Wir suchen vor allem Mitarbeiter mit technischen Berufsausbildungen sowie Ingenieure.

Sehen Sie als BDI-Präsident und als Unternehmer einen Fachkräftemangel in Deutschland?
Im letzten Jahr konnten 48.000 Ingenieursstellen nicht besetzt werden. Unsere Volkswirtschaft verliert dadurch pro Jahr mindestens 3,5 Milliarden Euro an Wertschöpfung. Das sind Alarmsignale, die wir ernst nehmen müssen.

Wie könnte das behoben werden? Und welche Rolle spielt dabei der Mittelstand?
Dem Fachkräftemangel in den technischen Berufen können wir nur dadurch begegnen, dass wir das Interesse für die sogenannten MINT-Fächer – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik – wecken. Mit Blick auf die demografische Entwicklung und auf den aktuellen Engpass sollten wir auch hoch qualifizierte Menschen aus außereuropäischen Ländern gewinnen und nicht unüberwindbare Hürden errichten. Wir setzen bei Heitkamp&Thumann auf eine überdurchschnittlich hohe Ausbildungsquote, um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen. Unser aktuelles BDI-Mittelstandspanel hat übrigens gezeigt, dass der Mittelstand generell auf die Stärkung von Bildung und Ausbildung setzt, um auf den Fachkräftemangel zu reagieren. Die Öffnung der Arbeitsmärkte für ausländische Arbeitnehmer ist also nicht die wichtigste Option.

Wie sehen Sie die Karrierechancen von Hochschulabsolventen in mittelständischen Unternehmen?
Die überschaubare Größe und die flachen Hierarchien in mittelständischen Unternehmen führen dazu, dass Hochschulabsolventen sehr schnell Verantwortung übernehmen müssen. Es herrscht häufig das Prinzip „learning by doing“. Hierzu gibt es viele gute Beispiele aus meinem Unternehmen. Es ist leider noch viel zu wenig bekannt, dass gerade auch der industrielle Mittelstand ein interessanter Arbeitgeber sein kann. Dies müssen die mittelständischen Unternehmen noch stärker kommunizieren und herausstellen.

Zum Unternehmen

Der BDI ist die Spitzenorganisation im Bereich der Industrieunternehmen und industrienahen Dienstleister in Deutschland. Als Interessenvertretung der Industrie trägt der BDI bei seinen Mitgliedern zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung bei. Der BDI unterstützt so die Unternehmen im intensiven Wettbewerb, den die Globalisierung mit sich bringt.

Mit seinen 38 Mitgliedsverbänden vertritt er die Interessen von mehr als 100.000 Unternehmen mit über acht Millionen Beschäftigten.

Als Verband von Verbänden sind im BDI entsprechend seiner Satzung „Wirtschaftsverbände und Arbeitsgemeinschaften der Industrie“ organisiert, „die Spitzenvertretung einer gesamten Industriegruppe für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind“. Der BDI hat die Rechtsform des eingetragenen Vereins.