Interview mit Götz W. Werner

Der dm-Chef im Gespräch

Drogist, Denker, Ruderer – Götz W. Werner stellt den Menschen bei seiner Unternehmensführung in den Mittelpunkt. Sabine Olschner sprach mit ihm über Theaterworkshops, Goethe und unternehmerisches Handeln.

Zur Person

Professor Götz W. Werner wird im Februar 1944 als Sohn einer Drogistenfamilie geboren. Nach der mittleren Reife und einer Lehre zum Drogisten arbeitet er für verschiedene Drogerieunternehmen. Im Alter von 29 Jahren gründet er seinen eigenen Laden: die Drogeriemarktkette dm.
Für seine am Menschen orientierte Unternehmensphilosophie sowie sein Engagement für soziale und kulturelle Projekte bekam Werner 2004 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der 61-Jährige ist Mitglied mehrerer Aufsichtsräte und Beiräte international und national operierender Unternehmen. Seit Oktober 2003 leitet er das Inter fakultative Institut für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe (TH). Götz W. Werner ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von sieben Kindern. Privat hält er sich seit vielen Jahren mit Rudern fit.

Herr Professor Werner, wieso haben Sie sich 1973 ausgerechnet mit einer Drogerie selbstständig gemacht?
Das liegt bei uns in der Familie: Schon mein Urgroßvater hatte seinerzeit eine Drogerie. Da auch mein Vater Drogist war, stand mein Berufsziel schon früh fest: Als kleiner Junge habe ich mir einen weißen Kittel gewünscht, um damit im Laden herumzulaufen, und es war klar, dass auch ich Drogist werden wollte. Mit 26 Jahren sollte ich dann das Geschäft meines Vaters übernehmen. Letztendlich habe ich allerdings nur sechs Wochen im Betrieb meines Vaters gearbeitet und bin dann ausgeschieden, weil wir unterschiedliche Auffassungen hatten, wie das Geschäft weitergeführt werden sollte. Nach einigen Jahren in einer anderen Drogerie in Karlsruhe habe ich mich selbstständig gemacht. Da ich für meine Ideen keine Mitstreiter gefunden habe, blieb mir nichts anderes übrig, als sie selbst umzusetzen.

Welche Idee war das konkret?
Ich wollte eine Discount-Drogerie eröffnen: mit einem straffen Sortiment, niedrigen Preise, einem hohen Warenumschlag. Dies war möglich, weil Mitte der 70er-Jahre die Preisbindung für Drogerieartikel aufgehoben worden war. Unser dm-Geschäft war der erste Drogeriemarkt, der in Süddeutschland eröffnet wurde, vorher hatte es nur kleine Drogerie Geschäfte gegeben. Der erste Laden hatte 180 Quadratmeter und führte rund 2 000 Artikel. Heute sind die Läden bis zu 1 000 Quadratmeter groß und führen ein Sortiment mit bis zu 13000 Artikeln. Deospray gab es früher zum Beispiel nur in den drei Sorten frisch, mild und herb, während es heutzutage Dutzende unterschiedliche Deosprays gibt. Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert.

In Ihren Drogeriemärkten liest man den abgewandelten Goethe-Spruch: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“. Wie verträgt sich denn Goethe mit Zahnpasta?
Es geht hier um die Frage, ob man den Kunden als reinen Verbraucher ansieht oder als Mitmenschen. In dem Spruch kommt also eine grundsätzliche Haltung unseres Unternehmens zum Ausdruck. Wir sehen den Kunden als Partner. Wir wollen ihm im Rahmen unserer Möglichkeiten die Produkte geben, die er tatsächlich braucht, so dass er sich langfristig mit uns verbinden kann. Der abgewandelte Goethe-Spruch spielt aber auch für unsere Mitarbeiter eine Rolle. Wenn die Mitarbeiter unter dem Eindruck eines solchen Slogans stehen, treten sie anders gegenüber der Kundschaft auf, als wenn wir sie drängen würden, dem Kunden auf jeden Fall etwas zu verkaufen. Aus diesem Grund gibt es in unserem Unternehmen auch keine Provision, wie es zum Beispiel bei Optikern oder Textilhändlern die Regel ist. Dort bekommt der Kunde unter Umständen etwas aufgeschwatzt, was ihm gar nicht gut steht oder passt. Uns ist es wichtiger, die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden im Auge zu haben.

In der Unternehmenszentrale von dm ist ein anderes Zitat von Freiherr von Stein zu lesen: „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Bevormundung hemmt sein Reifen.“ Was bedeutet dies für Sie und Ihr Unternehmen?
Sie kennen sicher auch den Ausspruch, der Lenin zugeschrieben wird: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Wenn ich diese Philosophie bei einem Unternehmen mit 800 Filialen anwenden würde, könnte ich gar nicht mehr ruhig schlafen. Ich bin der Auffassung, man muss in die Menschen investieren und ihnen etwas zutrauen, so dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine Grundfrage, ob man den Menschen kontrollieren oder ihm Verantwortung übertragen will. Meiner Meinung nach ist jeder verantwortungswillig und auch verantwortungsfähig. Damit habe ich ein ganz anderes Menschenbild als Lenin.

Wie kamen Sie zu dieser Lebenseinstellung, die ja in der Wirtschaft eher selten anzutreffen ist?
Wenn man ein Geschäft langfristig erfolgreich betreiben will, kommt man meiner Meinung nach um so eine Einstellung nicht herum. Vor allem im Handel sind wir ja darauf angewiesen, dass sich alle gegenseitig helfen, denn wir leben in einer totalen Arbeitsteiligkeit. Das heißt, dass immer jemand etwas für mich leistet und ich etwas für jemand anderen leiste. Wir sind zum Beispiel darauf angewiesen, dass die Lieferanten pünktlich die Ware anliefern, so dass wir wiederum unseren Kunden pünktlich die Ware anbieten können. Somit muss ich immer die Bedürfnisse beider Seiten im Blick haben. Je mehr dieses Prozessbewusstsein ausgeprägt ist, umso besser funktioniert ein Unternehmen. Im Großen und Ganzen klappt das sehr gut bei uns, obwohl es natürlich immer auch mal Enttäuschungen gibt. Wer Vertrauen gibt, wird zwangsläufig hin und wieder mal enttäuscht. Aber dadurch darf man sich nicht von seinem Weg abbringen lassen, wenn man diesen einmal für richtig erkannt hat.

dm schreibt sich auf die Fahnen, eine „dialogische Unternehmenskultur“ zu haben – was heißt das genau?
Das bedeutet, dass man sich mit jedem Mitarbeiter auf Augenhöhe bewegt und man in den menschlichen Beziehungen keine Hierarchien kennt. Alle unsere Mitarbeiter sollen sich bemühen, miteinander so ins Gespräch zu kommen, dass sie sich gegenseitig verstehen und respektieren. Ein Lehrling soll dabei nicht anders behandelt werden als ein Kollege aus der Geschäftsleitung. Es geht um den Dialog und nicht darum, gehorsam Befehle auszuführen. Wir wollen, dass unsere Kollegen Dinge ausführen, weil sie einsehen, dass es vernünftig ist, und nicht, weil ihnen gesagt wurde, dass sie sie ausführen sollen.

Teil der Berufsausbildung bei dm sind Theaterworkshops – tragen diese auch zur dialogischen Unternehmenskultur bei?
Unbedingt! Wir führen die Workshops bereits im vierten Jahr durch, allein in diesem Jahr waren es 51 Gruppen. Wir versuchen, durch die Workshops die Lehrlinge aus den verschiedenen Kulturen, die wir im Einzelhandel haben, einander näher zu bringen. Es ist mittlerweile empirisch bewiesen, dass Theaterworkshops ein sehr gutes Mittel zur Persönlichkeitsfindung und zur Teambildung sind. Die Teilnehmer lernen, dass sie sich aufeinander verlassen müssen und sind außerdem schöpferisch tätig, was dem Selbstbewusstsein gut tut.

Sie haben vor ihrer Existenzgründung nicht studiert. Haben Sie das jemals bereut?
Bereut habe ich es nie, obwohl ich schon oft gedacht habe, dass mir heute das eine oder andere sicher leichter fallen würde, wenn ich damals studiert hätte. Was man in der akademischen Ausbildung lernt, lässt sich später nicht mehr nachholen. Je früher man mit dem Lernen anfängt, umso besser. Ich persönlich meine, die Nachwuchskräfte sollten sich viel mehr mit Sprachen beschäftigen, etwas, das ich persönlich versäumt habe. Aber wenn ich in meiner Biografie zurückschaue, kann ich doch sagen, dass alles irgendwie seinen Sinn gehabt hat. Meine Entwicklung wäre wahrscheinlich eine ganz andere gewesen, wenn ich studiert hätte.

Würden Sie Gründungswilligen empfehlen, sich im Handel selbständig zu machen – auch wenn es der Branche derzeit nicht besonders gut geht?
Der Handel hat den großen Vorteil, dass man mit wenig Aufwand starten kann. Die Einstiegsbarriere ist – zum Beispiel im Vergleich zur Produktion – recht gering, schon ein kleiner Laden genügt zu Beginn. Ich selbst habe damals ganz ohne Eigenkapital angefangen. Sicher ist: Überall, wo Menschen sich befinden, sind sie darauf angewiesen, dass sie sich mit Gütern und Dienstleistungen eindecken können. Beim Einzelhandel ist das Wichtigste die Standortfrage. Viele Existenzgründer im Einzelhandel achten viel zu wenig auf die Lage ihres Geschäftes. Wir bemerken diesen Effekt immer wieder Wenn ein dm-Markt umzieht und den Standort verbessert, wirkt sich das sofort auf den Umsatz aus.

Würden Sie dem Satz zustimmen, dass der Handel bei Berufseinsteigern ein schlechtes Image hat?
Man darf nicht vergessen: Deutschland ist eine Industrienation, die mit Technologie und Produktion groß geworden ist, während andere Länder wie Großbritannien oder die Niederlande Händlernationen sind. Dort hat der Handel auch ein sehr gutes Renommee. Letztendlich ist das Image des Handels also auch kulturell geprägt.

Sie leiten das Institut für Entrepreneurship in Karlsruhe. Was möchten Sie den jungen Leuten dort vermitteln?
Es gibt drei Säulen, dessen Zusammenhang ich den jungen Menschen klarmachen will: „Unternimm Dich selbst“, „Unternehmen für andere“ und „Unternehmen Zukunft“. Die erste Säule fängt bei jedem persönlich an: Wer sich ziellos in der Welt treiben lässt, wird das Unternehmerische nie verstehen, er wird nie seinen eigenen Weg gehen und selbstbestimmt etwas tun können. Die zweite Säule meint den Kunden: Man muss sich klar machen, was es heißt, etwas für andere zu tun und einen Kundennutzen zu generieren. Die dritte Säule zeigt, wie man ein zukunftsträchtiges Unternehmen gestaltet. Das Institut richtet sich jedoch nicht nur an Menschen, die sich eine eigene Existenz aufbauen wollen, sondern es geht um das unternehmerische Denken im Allgemeinen. Auch innerhalb eines Unternehmens braucht es viele unternehmerisch denkende Menschen, die mehr als nur ihren Arbeitausschnitt sehen. Wenn sich biografisch die Möglichkeit ergibt, sich selbstständig zu machen, dann ist es umso besser.

Kann denn jeder Unternehmensgründer werden, oder ist das eine Typfrage?
Meiner Ansicht nach ist das eine Schicksalsfrage. Es muss aber auch nicht jeder ein Unternehmen gründen. Eine unternehmerische Grundhaltung hingegen kann sich jeder aneignen.

Auf den Punkt:

Was wollten Sie als kleiner Junge werden?
Kapitän auf einem Neckarschiff.

Was wollten Sie am Start Ihres Berufslebens?
Das väterliche Unternehmen übernehmen.

Was ist Ihr Hauptcharakterzug?
Beharrliche Konsequenz, wenn ich etwas als richtig erkannt habe.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an anderen?
Wenn sie bereit sind, sich von ihren Vorstellungen zu lösen und offen sind für Neues. Denn das ist die Voraussetzung für Entwicklung.

Was dulden Sie auf keinen Fall?
Arroganz und Statusdenken.

Was ist Ihnen sehr unangenehm?
Wenn jemand Forderungen an mich stellt.

Was entschuldigen Sie sofort?
Irrtum.

Was nehmen Sie unbedingt auf eine Reise mit?
Das, was ich gerade lese.

Wo tanken Sie Energie auf?
In der Familie und in der Beschäftigung mit geistigen Dingen.

Was war Ihr größter Flop?
Ich hatte so viele – aber Gott sei Dank keinen wirklich großen.

Und Ihr größtes Erfolgserlebnis?
Hm, da kann ich auf Anhieb gar keins nennen…

Zum Unternehmen

Die Drogeriemarktkette dm zählt seit 2004 zu den 200 umsatzstärksten Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Der Umsatz in Deutschland lag 2004 bei 2 220 Millionen Euro. In Europa hat der Konzern die Drei-Milliarden- Euro-Marke überschritten. In rund 1500 Filialen europaweit, davon rund 700 in Deutschland, sind über 21 200 Mitarbeiter beschäftigt (in Deutschland: ca. 13 500).