Komm, mach MINT: Hoher Leistungsanspruch

Interview mit Dr. Ulrike Struwe

Komm, mach MINT, Foto: Fotolia/WavebreakMediaMicro
Foto: Fotolia/WavebreakMediaMicro

Die Initiative „Komm, mach MINT“ will mehr junge Frauen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik in die technischen Unternehmen bringen. Es gibt erste Erfolge, aber weiterhin auch Stolpersteine. Einige davon können Frauen aber selbst aus dem Weg räumen, sagt Dr. Ulrike Struwe, Leiterin der Geschäftsstelle von „Komm, mach MINT“. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Dr. Ulrike Struwe, Foto: Privat
Dr. Ulrike Struwe, Foto: Privat

Dr. Ulrike Struwe studierte Soziologie an der Uni Bielefeld und promovierte zum Thema Berufsorientierung von technisch interessierten Jugendlichen. Sie ist Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit in Bielefeld und leitet seit 2011 die Geschäftsstelle des Nationalen Paktes für Frauen in MINT-Berufen – „Komm, mach MINT“, welcher 2008 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geschlossen wurde.

Frau Dr. Struwe, wie entwickelt sich aktuell die MINT-Begeisterung bei jungen Frauen? Geht es voran?
Wir sehen auf allen Ebenen eine Menge Vorwärtsbewegung. Gerade bei den jungen Frauen tut sich sehr viel: Mittlerweile gibt es so viele weibliche MINT-Studierende und -Absolventen wie noch nie. Seit 2008 ist die Zahl der Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern insgesamt um gut 70 Prozent gestiegen, von fast 60.000 auf mehr als 100.000 Starterinnen. Somit ist heute von allen Studierenden, die ein MINT-Studium beginnen, fast jede dritte eine Frau.

Was ist denn das Erfolgsrezept, um junge Frauen für eine Karriere in einem technisch-naturwissenschaftlichen Beruf zu begeistern?
Projekte wie das Niedersachsen-Technikum bieten jungen Frauen die Chance, sechs Monate lang ein Praktikum in einem technischen Unternehmen zu absolvieren und gleichzeitig in MINT-Studiengänge hineinzuschnuppern. Wir beobachten, dass sich danach neun von zehn Teilnehmerinnen tatsächlich für eine technisch-naturwissenschaftliche Karriere entscheiden. Das zeigt uns, dass es vor allem realistische Informationen über die MINT-Bereiche sind, die nachhaltig zu einer Erweiterung des Berufswahlspektrums beitragen.

Was ist wiederum wichtig, um den Einstieg in die technischen Berufe erfolgreich zu gestalten?
Vor allem praktische Erfahrungen, denn die Spielregeln in der Forschung oder in Unternehmen sind nicht allein mit Fachkompetenz durchschaubar. Wichtig ist der Austausch mit anderen über Ziele, Handlungsspielräume, Strategien und nicht zuletzt eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten vor dem Hintergrund einschätzbarer Anforderungen. Um den eigenen Karriereweg erfolgreich zu gehen, sind Netzwerke wichtige Unterstützer. Unsere Initiative bietet den Studentinnen eine Plattform, um sich zu vernetzen, mögliche Karrierewege zu eruieren und, ganz wichtig, zu erkennen, dass Karriere erlernbar ist.

Verfolgen Sie denn die Karrierewege von jungen MINT-Absolventinnen in den Unternehmen? Wie geht es für die jungen Frauen voran?
Als Netzwerkinitiative mit zahlreichen Partnern aus Unternehmen bekommen wir tatsächlich einen guten Einblick. Viele Unternehmen engagieren sich sehr für mehr Frauen in Führung. Aber noch immer gibt es zu wenige Frauen in Führung, die dann Rollenvorbilder für den potenziellen weiblichen Führungsnachwuchs sind. Dieser Umstand erzeugt vor allem Vorbehalte bei den jungen Frauen selbst. Sie sehen nicht, dass ihre Interessen und Fähigkeiten hervorragend zu einer MINT-Führungskarriere passen könnten – und ziehen diese erst gar nicht in Erwägung. An dieser Stelle setzen wir beispielsweise mit dem „Women-MINT-Slam an“, wo sich exzellente Frauen in Führung den jungen Frauen vorstellen.

Entdecken Sie weitere typische Stolpersteine auf dem Weg in die Führungspositionen der technischen Unternehmen?
Forschungsergebnisse zeigen, dass ein zentraler Stolperstein beim Aufstieg der sehr hohe Leistungsanspruch vieler Frauen ist. Frauen wollen durch ihre Leistung punkten. Beim beruflichen Aufstieg fällt die fachliche Leistung jedoch geringer ins Gewicht als die Fähigkeit, die persönlichen Erfolge sichtbar zu machen und sich somit als aufstiegswillige Führungskraft zu empfehlen.

Sie raten jungen Frauen also zu einem Strategiewechsel bei der Karriereplanung?
Hochqualifizierte Frauen können ihrem Potenzial nur dann gerecht werden, wenn sie lernen, ihre Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund späterer Anforderungen zu sehen und sich konkret auf diese Anforderungen vorzubereiten. Andererseits müssen die Personalverantwortlichen lernen, dass es wichtig ist, unterschiedliche, aber gleichwertige Leistungspotenziale in das Unternehmen zu holen und sie gleichermaßen zu entwickeln.

Noch immer sagen Verantwortliche in von Männern dominierten technischen Unternehmen, sie seien gegen die Quote, weil sie streng nach Qualität einstellen – und zwar unabhängig vom Geschlecht. Zieht dieses Argument noch?
Nein, schon allein, weil junge Frauen vielfach die besseren Abschlüsse machen.

Also müssten eigentlich Frauen die technischen Unternehmen dominieren – und nicht die Männer.
Genau. Dass es anders ist, belegt, dass bei gleicher Qualifikation oftmals die Männer bevorzugt eingestellt werden, weil sie viel eher dem Bild entsprechen, das die zumeist männlichen Personaler von ambitionierten Nachwuchskräften haben. Übrigens: Je höher die angestrebte Position, desto stärker wirken diese Ausschließungsstrategien. Das führt in der Konsequenz dazu, dass der Frauenanteil, gerade auf Vorstandsebene und in den Aufsichtsräten, gering bleibt, wenn nicht Impulse von außen kommen. Deshalb begrüße ich Maßnahmen, die diesen Mechanismen entgegenwirken.

Sie sprachen gerade schon davon, wie wichtig Rollenvorbilder sind. Gibt es eine Frau, die in einem technischen Bereich Karriere gemacht hat, die Sie besonders begeistert?
Die österreichische Kernphysikern Lise Meitner, geboren 1878, begeistert mich. Schon in jungen Jahren wusste sie, was sie will, und hat trotz aller Widerstände alles daran gesetzt, ihren Weg zu gehen.

Durch das Thema Industrie 4.0 wird sich die Forschung und Arbeit in den technischen und naturwissenschaftlichen Unternehmen ändern. Die Teams werden noch interdisziplinärer, die Bedeutung von IT wird steigen. Wie können sich Einsteigerinnen auf diese besonderen Herausforderungen vorbereiten?
In der Tat werden die technischen Entwicklungen, die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zusammengefasst werden, vielfältige Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben. Die zunehmende Digitalisierung wird Produktionsabläufe und damit auch Arbeitsprozesse und Beschäftigungsformen verändern. Selbstverständlich wird das auch Auswirkungen auf die Qualifikationsprofile von Ingenieurinnen und Ingenieuren haben und breite berufliche IT-Qualifikationen werden mehr und mehr gefragt sein. Wer aber prinzipiell offen ist für Neuerungen und sich der digitalen Welt nicht verschließt, wird sich auch in der Industrie 4.0 gut zurechtfinden. Die meisten Frauen haben schon immer gerne in interdisziplinären Teams gearbeitet und favorisieren eine Problemanalyse aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Von daher kommt ihnen dieser Punkt eher entgegen.

Zur Initiative

Der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen „Komm, mach MINT“ wurde 2008 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit 46 Partnern gestartet, um mehr junge Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge zu begeistern sowie Hochschulabsolventinnen für Berufskarrieren in Wirtschaft und Wissenschaft zu gewinnen. Mittlerweile verfolgen über 210 Partner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Verbänden das gemeinsame Ziel, mehr Frauen für MINT zu gewinnen. Der Pakt bietet den Partnern eine ideale Plattform, Kooperationen zu starten sowie gemeinsam neue Kampagnen zu entwickeln und durchzuführen.
www.komm-mach-mint.de